Ausgabe herunterladen - Die Wirtschaft - Neue Osnabrücker Zeitung
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DONNERSTAG,19. DEZEMBER 2013<br />
BRANCHEN &<br />
BETRIEBE<br />
9<br />
Istdas Schrott–oderkanndas weg?<br />
Recycling gewinnt alsRohstoffquelleanBedeutung–Firmensetzen aufSpezialisierung<br />
Vision einer<br />
hundertprozentigen<br />
Recyclingquote.<br />
Aus Müll Geld<br />
machen: Rohstoffquelle<br />
gelber Sack.<br />
Zweites Leben<br />
für ausrangierte<br />
Passagierjets.<br />
VON MAIK NOLTE<br />
GEORGSMARIENHÜTTE/HÖRSTEL.<br />
<strong>Die</strong>Zeiten, in denenRohstoffe<br />
einfachaus derErdegeschaufelt<br />
undzur Verarbeitungandie Industriegeliefert<br />
wurden,sindin<br />
Deutschland weitestgehendvorbei.<br />
Schätze finden sichheute<br />
woanders.EtwainMüllsäcken.<br />
Recycling-Potenzial aufeinem Flugzeugfriedhof in Kalifornien.<br />
BergeweiseRohstoff: Fürdie Rückgewinnung vonWertstoffen ausSchrottund Abfällen in Deutschlandsehen Experten noch viel Luft nach oben.<br />
BHDeutschland, ein rohstoffarmes<br />
Land? Von dieser Binsenweisheit<br />
hält der Rat für Nachhaltige Entwicklung<br />
wenig: Es gebe schließlich<br />
„Silber und Gold, Indium und<br />
Gallium, wertvolle Mineralien und<br />
lebenswichtige Nährstoffe in Hülle<br />
und Fülle –nur dass wir sie nicht<br />
als Rohstoff ansehen, sondern als<br />
Abfall behandeln“, heißt es in einem<br />
Positionspapier. Das Gremium,<br />
das sich aus Vertretern von Industrie,<br />
Gewerkschaften, Verbänden<br />
und anderen Organisationen<br />
zusammensetzt und die Bundesregierung<br />
in Sachen Nachhaltigkeit<br />
berät, hat eine ambitionierte Vision:<br />
eine –sofern technisch machbar<br />
–hundertprozentige Recyclingquote<br />
beistrategischen Rohstoffen.<br />
<strong>Die</strong> wird bislang erst in einzelnen<br />
Teilbereichen und Betrieben<br />
erreicht. ImStahlwerk Georgsmarienhütte<br />
etwa wird ausschließlich<br />
Schrott verarbeitet. Der sei, sagt<br />
Iris-Kathrin Wilckens, Sprecherin<br />
der GMH-Gruppe, ein „intelligenter<br />
und hochwertiger Werkstoff“.<br />
<strong>Die</strong> Weichen zur ausschließlichen<br />
Verarbeitung von Altmetall wurden<br />
vor 20 Jahren mit der Übernahme<br />
des damaligen wenig rentablen<br />
Klöckner-Werks gestellt, in<br />
dem noch Erz eingeschmolzen<br />
wurde. Ihre heutige Rohstoffzufuhr<br />
überlässt die Hütte nicht dem<br />
Zufall – das Material wird nicht<br />
aus Tausende Kilometer entfernten<br />
Bergwerken geliefert, sondern<br />
über eigene Schrotthändler.<br />
Einige Kilometer entfernt, in<br />
Hörstel bei Rheine, widmet sich<br />
die Firma Systec dem Alltagsmüll.<br />
Das zum Dualen System Deutschland<br />
(DSD) gehörende Werk recycelt<br />
„Post-Consumer-Stoffe“ oder,<br />
einfacher gesagt, Abfälle aus dem<br />
gelben Sack. Spezialisiert ist der<br />
Betrieb auf den Kunststoff Polypropylen,<br />
aus dem etwa Joghurtbecher<br />
gefertigt sind. Zwar entstehen<br />
aus dem PP-Granulat, das das<br />
Werk verlässt –rund 18000 Tonnen<br />
im Jahr, ein Ausbau ist geplant<br />
–noch keine neuen Becher.<br />
Das lassen die strengen Lebensmittelregeln,<br />
anders als bei Materialien<br />
wie PET, bei PPnoch nicht<br />
zu, sagt DSD-Sprecher Norbert<br />
Völl. Dafür findet das aufbereitete<br />
Material Verwendung bei Haushaltsprodukten<br />
oder im Automobilsektor.<br />
„Wichtig ist, dass mit<br />
dem Recyclingmaterial keine anderen<br />
Werkstoffe wie Holz, sondern<br />
nur Kunststoffe durch Kunststoffe<br />
ersetzt werden“, sagt Völl:<br />
„Das macht die Verwertung dann<br />
wirtschaftlich wie auch ökologisch<br />
interessant.“<br />
In anderen Bereichen wiederum<br />
geht es genau darum, andere Stoffe<br />
zu ersetzen –etwa bei kohlenstofffaserverstärkten<br />
Kunststoffen<br />
(CFK), die vielen als Material der<br />
Zukunft gelten. So sind etwa die<br />
Leitwerke des Airbus A380 komplett<br />
aus dem Leichtbauwerkstoff<br />
Foto: Imago<br />
gefertigt. Das Netzwerk CFK Valley<br />
Stade hat sich auf das komplizierte<br />
Recycling dieses Materials<br />
konzentriert. Immerhin 1500 Tonnen<br />
können im Recycling-Zentrum<br />
Wischhafen bisher jährlich<br />
verarbeitet werden.<br />
Als Vorbild für die fortschreitende<br />
Deckung des Bedarfs an einem<br />
wirtschaftlich unverzichtbaren<br />
Rohstoff durch Recycling mag<br />
Kupfer gelten: In Deutschland<br />
wird bereits mehr als die Hälfte<br />
der Produktion durch Wiederverwertung<br />
gedeckt. Jekomplizierter<br />
und aufwendiger indes die Aufbereitung<br />
eines Stoffes ist, desto<br />
mehr ist bei der Wiederverwertungsquote<br />
noch Luft nach oben.<br />
In Niedersachsen widmet sich –in<br />
dieser Form bundesweit einmalig<br />
–ein eigens gegründeter Verbund<br />
dem Thema. Dem „Recycling-Cluster<br />
wirtschaftsstrategische Metalle“<br />
(Rewimet) gehören Unternehmen,<br />
wissenschaftliche Einrichtungen<br />
und Kommunen an. Es befasst<br />
sich mit dem Thema Recycling<br />
in allen Facetten –zum Beispiel<br />
mit dem Potenzial bei den<br />
Seltenen Erden.<br />
Unter diesem Begriff werden 17<br />
Elemente zusammengefasst, die<br />
vor allem in elektronischen Geräten<br />
Verwendung finden. Es handelt<br />
sich um „kleine Mengen in<br />
vielen Produkten“, sagt Britta Kragert<br />
vom Cutec-Institut, einer zum<br />
Cluster gehörenden landeseigenen<br />
Forschungseinrichtung an der TU<br />
Clausthal – insgesamt gesehen<br />
komme da eine Menge zusammen.<br />
In Sachen Recycling gelte es, „die<br />
speziellen Eigenschaften der Seltenen<br />
Erden zu erforschen und<br />
Trennverfahren zu entwickeln“.<br />
Nicht zuletzt mit Blick auf die Versorgungssicherheit:<br />
Bislang werden<br />
mehr als 90 Prozent der Seltenen<br />
Erden in China gefördert –<br />
und als das sich rasant entwickelnde<br />
Land 2010 seine Exportmenge<br />
wegen des Eigenbedarfs<br />
massiv reduzierte, gingen die Preise<br />
steil nach oben. Abhilfe gegen<br />
solche Marktschwankungen könnte<br />
die Wiederverwertung schaffen<br />
– angesichts von Millionen Handys,<br />
die vergessen inSchubladen<br />
vor sich hin schlummern, oder<br />
den 150 000 Tonnen Elektroschrott,<br />
die jedes Jahr aus<br />
Deutschland exportiert werden,<br />
scheint das Potenzial enorm.<br />
Dass nicht nur der Abbau von<br />
„Schrott ist ein<br />
hochwertiger<br />
und intelligenter<br />
Wertstoff.“<br />
Iris-Kathrin Wilckens,<br />
GMH-Gruppe<br />
herkömmlichen Bodenschätzen,<br />
sondern auch die Verfügbarmachung<br />
von Recyclingmaterial in<br />
globalem Maßstab betrachtet werden<br />
kann, zeigt ein anderes Projekt<br />
aus Niedersachsen und Hamburg:<br />
Ein Firmenverbund umdas<br />
Braunschweiger Entsorgungsunternehmen<br />
Keske entwickelt eine<br />
Methode zum mobilen Flugzeugrecycling.<br />
Dabei werden ausgediente<br />
Jets, statt auf abgelegenen<br />
Flugzeugfriedhöfen vor sich hin zu<br />
rotten und bestenfalls noch vereinzelt<br />
Ersatzteile zu liefern, vor<br />
Ort fachgerecht zerlegt und die gewonnenen<br />
Materialien wieder<br />
dem Produktionsprozess zugeführt.<br />
Ein Markt mit Zukunftsaussichten:<br />
Schätzungen zufolge werden<br />
inden kommenden zwei Jahrzehnten<br />
weltweit bis zu8500 große<br />
Passagiermaschinen ausrangiert;<br />
zurzeit sind es etwa 550<br />
Flugzeuge pro Jahr. Langfristig<br />
soll eine vollständige Wertschöpfungskette<br />
in Deutschland erreicht<br />
werden, heißt es.<br />
Bei den „klassischen“ Recyclingmaterialien<br />
wie Papier oder Glas<br />
werden schon heute Quoten von<br />
mehr als 80 Prozent erreicht,<br />
Stahlprodukte bestehen imSchnitt<br />
Rohstoffversorgung: Wiesich Unternehmen absichern<br />
LangfristigeLieferverträge<br />
Diversifizierung der Lieferanten<br />
Preisabsicherung<br />
Steigerung der Materialeffizienz<br />
Stärkung vonForschung und Entwicklung<br />
VerstärkterEinsatz vonErsatzrohstoffen<br />
Beteiligung an Recyclingmaßnahmen<br />
Nachfragebündelung<br />
Aufbau vonProduktionskapazitäten in Rohstoffländern<br />
Beteiligung an Rohstoffunternehmen<br />
Gar nicht<br />
Unternehmen bis<br />
1Million Euro Umsatz<br />
Alle Angaben in Prozent. Befragung von865 Unternehmen desverarbeitenden GewerbesimMärz/April 2013.<br />
0,7<br />
0,4<br />
9,5<br />
8,6<br />
6,4<br />
11,0<br />
8,3<br />
24,7<br />
31,9<br />
31,5<br />
38,4<br />
zu 44 Prozent aus wiederverwertetem<br />
Material. <strong>Die</strong> Weiterentwicklung<br />
aufwendigerer Verwertungsverfahren<br />
von Hochtechnologie-<br />
Werkstoffen oder schwer zu trennenden<br />
Verbundmaterialien erfordert<br />
ein enges Zusammenwirken<br />
von Politik, <strong>Wirtschaft</strong> und Verbrauchern<br />
– die genannten Firmen-<br />
und Kommunenverbünde<br />
sind erste Schritte in diese Zukunft.<br />
In die blickt der Nachhaltigkeitsrat<br />
übrigens optimistisch:<br />
„Grundsätzlich sind sich die Experten<br />
einig, dass die <strong>Wirtschaft</strong>lichkeit<br />
fast aller Recyclingtechnologien<br />
mittel- und langfristig positiv<br />
einzuschätzen ist.“<br />
Bei Plastikmüll etwa ist die<br />
Menge des Materials, das die Recyclingbetriebe<br />
erreicht, durchaus<br />
ausbaufähig –verschiedene Unternehmen<br />
beklagen eine teils wenig<br />
effiziente Ausbeute verarbeitungsfähiger<br />
Kunststoffe bei der Sortierung.<br />
Bislang werden noch zwischen<br />
40und 45 Prozent des Aufkommens<br />
als sogenannte Ersatzbrennstoffe<br />
verfeuert. Man könnte<br />
sagen, dass auch das eine Form<br />
von Nachverwendung ist – aber<br />
ökologisch und ökonomisch wohl<br />
kaum die nachhaltig sinnvollste.<br />
Unternehmen ab<br />
50 Millionen Euro Umsatz<br />
3,1<br />
1,4<br />
6,1<br />
18,6<br />
17,1<br />
16,7<br />
28,0<br />
Foto: Jörn Martens<br />
40,4<br />
47,7<br />
57,0<br />
69,2<br />
Quelle: IW-Zukunftspanel · Grafik: Matthias Michel