25.12.2013 Aufrufe

Mai 2010

Mai 2010

Mai 2010

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

11<br />

rahmen gibt und das auch von der Schwere<br />

des Verlustes abhängig ist – kann es sein,<br />

dass tieferliegende Gründe, die für das<br />

Scheitern der Beziehung mitverantwortlich<br />

sind, sich bemerkbar machen.<br />

Im Falle von Berthold wird mit Hilfe therapeutischer<br />

Begleitung deutlich, dass es<br />

bei ihm nicht nur um den Verlust von Petra<br />

geht. Das Scheitern der Beziehung bringt<br />

ihn in Berührung mit seiner alten Wunde<br />

des Ungeliebtseins, dem Gefühl nicht liebenswert<br />

zu sein, von anderen nicht gewollt<br />

zu sein oder geschätzt zu werden.<br />

Durch die Beziehung mit Petra war diese<br />

Wunde neutralisiert worden. Allein die<br />

Wunde schwelte weiterhin vor sich hin, da<br />

sie noch nicht geheilt war. Berthold stellte<br />

sich nicht seiner eigenen Unfähigkeit, sich<br />

anzunehmen und lieben zu können, bekam<br />

er doch – anscheinend – von Petra, was<br />

er sich selbst nicht geben konnte. Doch<br />

jetzt, da sie nicht mehr da war, spürte er<br />

deutlicher als zuvor das Gefühl, nicht liebenswert<br />

zu sein.<br />

Wenn Liebe scheitert, werde ich auf mich<br />

selbst zurückgeworfen. Ich komme dabei,<br />

wenn ich nach einer Zeit der Trauer, der Enttäuschung,<br />

der Erfahrung von Ärger, Wut,<br />

auch Hass, dazu bereit bin, mit mir, meinen<br />

Bedürfnissen, meinen Unzulänglichkeiten<br />

und Defi ziten in Berührung. Auch solchen,<br />

die ich glaubte über die andere Person, die<br />

ich liebte, ersetzt oder erfüllt zu bekommen.<br />

Es hängt dann von mir ab, wie ich<br />

mich in einer solchen Situation verhalte.<br />

Mich selbst annehmen und<br />

lieben können<br />

Berthold beispielsweise kann versuchen, in<br />

eine neue Beziehung zu fl üchten. Auch, um<br />

seinem Gefühl, nicht liebenswert zu sein<br />

und seiner Einsamkeit zu entfl iehen. Oder<br />

aber er nimmt die Trennung zum Anlass,<br />

sich seiner Wunde des Ungeliebtseins zu<br />

stellen und sich mit seinem Gefühl des Alleinseins<br />

auseinanderzusetzen. Er entscheidet<br />

sich für eine Therapie. Diese hilft ihm<br />

zunächst einmal, die schwere Zeit nach der<br />

Trennung auszuhalten, so sehr er manchmal<br />

auch an den Rand der Verzweifl ung<br />

gerät und es Augenblicke gibt, in denen er<br />

am liebsten nicht mehr leben will. Im weiteren<br />

Verlauf seiner Therapie verändert sich<br />

sein Selbstbild. Das Bild, das er bisher von<br />

sich hatte, war vergleichbar mit einem wenig<br />

attraktiven, nur halb fertigen Gebäude,<br />

unverputzt und eher spärlich eingerichtet.<br />

Kein Ort, an den es einen hinzieht, wo man<br />

sich gerne niederlässt. An die Stelle dieses<br />

Bildes tritt nach vielen Therapiesitzungen<br />

das Bild von sich als einem attraktiven,<br />

wohnlichen und einladenden Haus, in dem<br />

vor allem auch er selbst sich wohlfühlt.<br />

Wenn Liebe scheitert, ich zunächst meine,<br />

nicht länger existieren zu können, ein Leben<br />

ohne den geliebten Menschen sinnlos<br />

sei, muss ich in mühevollen Schritten erst<br />

wieder dahin kommen, dass ich mich spüre,<br />

mir bewusst wird, dass ich unabhängig<br />

von der anderen Person bin, existiere und<br />

liebenswert bin. Dass es mich auch ohne<br />

die andere Person gibt. Der Titel eines Bestsellers<br />

lautet Liebe dich selbst und es ist<br />

egal, wen du heiratest. Das hat nichts mit<br />

einem ungesunden Narzissmus oder Egotrip<br />

zu tun. Wir sind dann eine reife und beziehungsfähige<br />

Person, wenn wir zunächst<br />

auch in Beziehung zu uns selbst treten und<br />

wir uns selbst gegenüber eine positive,<br />

wohlwollende, liebevolle Einstellung und<br />

Haltung einnehmen können. Doch dieses<br />

Ja zu uns selbst als Ausdruck unserer Liebe<br />

zu uns selbst versagen wir uns oft, auch<br />

weil es mit zu dem Schwersten gehören<br />

kann, das uns aufgetragen oder auch zugemutet<br />

wird. Doch wie kann ich einen anderen<br />

lieben, wenn ich mich selbst nicht zu<br />

lieben vermag? Und kann die Liebe eines<br />

anderen mich je in meiner Tiefe, in meinem<br />

Herzen erreichen, solange ich mich selbst<br />

nicht zu lieben vermag?<br />

Berthold ist am Ende der Therapie offen<br />

und bereit zu einer neuen Beziehung. Es<br />

drängt ihn aber nicht danach. Er führt inzwischen<br />

ein abwechslungsreiches Leben,<br />

geht auf Reisen, besucht Ausstellungen<br />

und Seminare über Kunst und Literatur,<br />

belebt alte, über lange Zeit brachgelegene<br />

Beziehungen. Berthold braucht keine Petra<br />

mehr, um glücklich zu sein. Er braucht kein<br />

anderes Haus, um sich wohlzufühlen, da er<br />

sich in seinem eigenen Haus wohlfühlt. Die<br />

Welt, die er sich geschaffen hat, ist jetzt<br />

seine Welt. Zugleich ist er reif geworden<br />

für eine Beziehung, in der er und seine<br />

Partnerin sich gegenseitig bereichern und<br />

wirklich lieben können.<br />

Dr. Wunibald Müller<br />

Geboren 1950 in Buchen/Odenwald<br />

• verheiratet, zwei Kinder •<br />

wohnhaft in Würzburg • Diplom-<br />

Psychologe und Psychotherapeut<br />

• tätig als Leiter des therapeutisch-spirituellen<br />

Zentrums „Recollectio-Haus“ der Abtei Münsterschwarzach

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!