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der Seele, die zu Gott emporsteigen will;<br />

3. Als Liebeslied Israels, dessen Begehren<br />

auf Gott gerichtet ist; 4. Als Gleichnis aller<br />

Entzweiung auf Erden, die ihre Heilung<br />

in der Einswerdung sucht; 5. Als Zwiegespräch<br />

zwischen Leib und Seele, die den<br />

Weg zur vollen Synthese erstreben; 6. Als<br />

messianischer Gesang des Erlösers und seiner<br />

Heilsgemeinde.“<br />

Grenzen überschreiten<br />

Der Evangelist hat die jüdische Tradition,<br />

das Hohelied der Liebe am Paschafest<br />

vorzulesen, aufgegriffen. Er beginnt seine<br />

Ostererzählungen mit der Begegnung von<br />

Maria von Magdala mit dem Auferstandenen.<br />

Dabei bezieht er sich auf das 3.<br />

Kapitel des Hohenliedes der Liebe. Maria<br />

von Magdala macht sich früh morgens,<br />

als es dunkel war, auf, um den zu suchen,<br />

den ihre Seele liebt. Die Auferstehungsgeschichte<br />

ist für ihn eine Liebesgeschichte.<br />

Johannes 20,1–18 können wir nur lesen<br />

vor dem Hintergrund der Verse aus dem<br />

3. Kapitel des Hohenliedes: „Des Nachts<br />

auf meinem Lager suchte ich ihn, den meine<br />

Seele liebt. Ich suchte ihn und fand<br />

ihn nicht.“ Dreimal heißt es im Hohenlied,<br />

dass die Braut den sucht, den ihre Seele<br />

liebt, und dass sie ihn nicht fi ndet. Dreimal<br />

sagt Maria „Man hat den Herrn aus<br />

dem Grab weggenommen, und wir wissen<br />

nicht, wohin man ihn gelegt hat.“ Als die<br />

Braut ihren Bräutigam fi ndet, packt sie<br />

ihn und lässt ihn nicht mehr los. (Hld 3,4)<br />

Der Auferstandene sagt zu Maria: „Halte<br />

mich nicht fest; denn ich bin noch nicht<br />

zum Vater hinaufgegangen.“ (Joh 20,17)<br />

Pascha heißt: Hinübergehen. Die Liebe ist<br />

von ihrem Wesen her Hinübergehen. Mann<br />

und Frau gehen über ihre Grenze hinüber,<br />

um miteinander eins zu werden. In der<br />

Liebe übersteigen sie jedoch immer auch<br />

ihre menschliche Beziehung in Gott hinein.<br />

Jesus geht in der Auferstehung zum Vater<br />

hinüber. So verweist er unsere menschliche<br />

Liebe auf die göttliche Liebe. Auferstehung<br />

heißt, dass die Liebe stärker ist als der Tod,<br />

dass uns im Tod der erwartet, den unsere<br />

Seele liebt. Erst dann dürfen wir ihn für<br />

immer festhalten.<br />

Die Kirche hat das Hohelied schon seit Origenes<br />

– also schon kurz nach 200 – allegorisch<br />

ausgelegt und zwar als Beschreibung<br />

der Liebe zwischen Christus und der Kirche<br />

und zwischen Christus und der Einzelseele.<br />

In der Tradition des Origenes haben<br />

dann zahlreiche Kirchenväter und geistliche<br />

Schriftsteller – von Gregor dem Großen<br />

bis zu Bernhard von Clairvaux – das Hohelied<br />

mystisch ausgelegt als Beschreibung<br />

des mystischen Einswerdens zwischen Gott<br />

und der menschlichen Seele. Im Mittelalter<br />

entstand dann noch eine andere Deutung:<br />

Man hat die Lieder marianisch ausgelegt,<br />

als Beschreibung der Liebe zwischen Maria<br />

und ihrem Sohn Jesus. Diese Deutung hat<br />

dann vor allem die Liturgie übernommen.<br />

Noch heute werden an Marienfesten häufi<br />

g Texte aus dem Hohenlied vorgelesen<br />

oder in den Gesängen verwendet.<br />

Tiefendimension<br />

Mag bei der allegorischen Auslegung<br />

manchmal auch die Angst vor der erotischen<br />

Dimension dieser Lieder mit beteiligt<br />

gewesen sein, für mich zeigt sich<br />

darin doch auch etwas Wesentliches vom<br />

Geheimnis der Liebe. Die Liebe zwischen<br />

Mann und Frau hat eine Tiefendimension,<br />

die durch die rein psychologische Beschreibung<br />

nicht ausgelotet wird. In der<br />

erotischen und sexuellen Liebe zwischen<br />

Mann und Frau spielt immer auch die<br />

Ahnung von einem Einswerden mit dem<br />

Grund des Seins mit. Letztlich steckt in der<br />

Liebe zwischen Mann und Frau immer auch<br />

– wie der Eheberater Hans Jellouscheck<br />

sagt – ein Transzendenzpotenzial. Die Kirchenväter,<br />

die das Hohelied allegorisch<br />

ausgelegt haben, haben die erotischen<br />

Bilder als die treffendste Beschreibung<br />

unserer Beziehung zu Gott gesehen. Für<br />

sie war die Liebe immer auch offen für<br />

Gott. Von Johannes vom Kreuz, dem spanischen<br />

Mystiker, wird erzählt, dass er sich<br />

auf dem Sterbebett das Hohelied vorlesen<br />

ließ. Er wollte also keine Bußpsalmen hören,<br />

sondern diese wunderbare Liebeslyrik<br />

des Hohenlieds. Für ihn war das die treffendste<br />

Beschreibung dessen, was ihn im<br />

Tod erwartete.<br />

Zwei Wege<br />

Dabei haben sowohl Origenes als auch Johannes<br />

um die wörtliche Bedeutung dieser<br />

Lieder gewusst. Johannes hat beides in eins<br />

gesehen. Er hat die Erotik dieser Lieder<br />

nicht übersprungen, sondern sie meditiert<br />

und im Meditieren zugleich das Geheimnis<br />

der Liebe zu Gott gespürt. Dabei gibt<br />

es eben beide Wege: Die einen, die die<br />

sexuelle Liebe zwischen Mann und Frau<br />

körperlich leben, spüren in der Erfahrung<br />

dieser Liebe die Öffnung für das Geheimnis<br />

der göttlichen Liebe. Sie erfahren im<br />

Einswerden mit dem andern zugleich das<br />

Einswerden mit der ganzen Welt und letztlich<br />

auch mit Gott, dem Urgrund der Welt.<br />

Und es gibt den ehelosen Weg, den Weg,<br />

auf die körperliche Liebe zu verzichten, um<br />

die erotische Dimension, die in jeder Liebe<br />

steckt, und die Sehnsucht, die in der Sexualität<br />

verborgen ist, auf Gott zu lenken.<br />

Beide Wege sind möglich. Auf beiden Wegen<br />

kann man der Erotik und der Sexualität<br />

und dem Leibhaften der Liebe nicht aus<br />

dem Weg gehen. Auf beiden Wegen aber<br />

geht es auch darum, das Körperliche als<br />

Symbol für das Geistige zu sehen und mit<br />

der Sehnsucht des ganzen Leibes Gott zu<br />

lieben, der unsere tiefste Sehnsucht nach<br />

Liebe allein für immer zu erfüllen vermag.<br />

Auch die Liebe zu Gott braucht das Sinnliche<br />

und Ekstatische, wie es in diesen wunderbaren<br />

Liebesliedern anklingt.<br />

Jesus und Maria von Magdala<br />

P. Anselm Grün OSB<br />

Geboren 1945 in Junkershausen • Profess 1965<br />

• Priester 1971 • Seit 1977 Cellerar der Abtei<br />

Münsterschwarzach • Geistlicher Begleiter und<br />

Bestsellerautor christlicher Spiritualität

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