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ZUM THEMA<br />

14<br />

Kann man lieben,<br />

die uns hassen?<br />

Die drei Strategien Jesu zur Ent-Feindung<br />

von Pinchas Lapide (+1997)<br />

Wir drucken diesen Beitrag aus<br />

seinem Nachlass ab.<br />

Einer der schönsten Abschnitte im Neuen<br />

Testament ist zweifelsohne die sogenannte<br />

Bergpredigt, die mit Recht auch zu den<br />

Meisterwerken der Weltliteratur gehört.<br />

Das Malheur dabei ist nur, dass sie ihren<br />

Lesern einen Weltrekord an Moralität zumutet<br />

und damit den Durchschnittsmenschen<br />

bei weitem zu überfordern scheint.<br />

Das gilt ganz besonders für jene Spitzenaussage<br />

jesuanischer Ethik, die gewöhnlich<br />

mit „Feindesliebe“ umschrieben wird. Der<br />

Originaltext beim Evangelisten Matthäus<br />

lautet in deutscher Übersetzung: „Ihr habt<br />

gehört, dass gesagt ist: Liebe deinen Nächsten<br />

und hasse deinen Feind! Ich aber sage<br />

euch: Liebet eure Feinde und betet für die,<br />

die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures<br />

Vaters im Himmel werdet.“<br />

Der erste Satz enthält ein alttestamentarisches<br />

Gebot aus dem Buch Leviticus: „Liebe<br />

deinen Nächsten wie dich selbst!“, das<br />

viele Christen dem Rabbi von Nazareth als<br />

Neueinführung zuschreiben. Dieser aber zitiert<br />

es lediglich aus seiner Hebräischen Bibel<br />

und betont seinen Stellenwert als „das<br />

vornehmste Gebot“. Hierauf folgt nun bei<br />

Matthäus eine Unwahrheit, die unmöglich<br />

von Jesus selbst stammen kann: „Hasse<br />

deinen Feind!“ Man nimmt an, dass derjenige,<br />

der die letzte Fassung des Evangeliums<br />

über 40 Jahre nach Jesu Tod niedergeschrieben<br />

hat, den damaligen politischen<br />

Umständen entsprechend diesen Satz über<br />

den Hass auf den Feind hinzugefügt hat.<br />

Das Gegenteil des Feindeshasses liegt<br />

jedoch dem Judentum viel näher: „Wenn<br />

dein Feind zu Fall kommt, freue dich nicht,<br />

und wenn er stürzt, frohlocke nicht dein<br />

Herz!“, heisst es in den Sprüchen Salomos.<br />

Und: „Wenn dein Feind hungert, so speise<br />

ihn mit Brot.“ In den fünf Büchern Mose<br />

gibt es zahlreiche Bestimmungen, die eine<br />

faire Behandlung des Gegners, beispielsweise<br />

des Ägypters, ja selbst der Tiere eines<br />

Feindes vorschreiben.<br />

Kurzum: Schadenfreude, Feindeshass und<br />

Vergeltung des Bösen mit Bösem werden in<br />

der Bibel ausdrücklich verboten, Großmut<br />

und Liebesdienste für den Feind in der Not<br />

immer wieder geboten. Aber Feindesliebe<br />

als moralisches Prinzip – das scheint normale<br />

Menschen denn doch zu überfordern.<br />

Taten statt Gefühle<br />

Mit Recht stellt sich daher die Frage nach<br />

der Erfüllbarkeit: Kann man die lieben, die<br />

uns hassen, uns Böses antun? Ist das nicht<br />

eine moralische Illusion? Eine Antwort tritt<br />

erst bei der Rückübersetzung der Worte<br />

Jesu in seine Muttersprache zutage: Hier<br />

wird weder Sympathie für Feinde noch<br />

Schwärmerei gefordert. Denn weder Gefühle<br />

noch das Martyrium können befohlen<br />

werden, wohl aber das Tun – das häufi gste<br />

Zeitwort im Sprachschatz Jesu. Und in der<br />

Tat heisst es im Gebot der Nächstenliebe<br />

nicht: „Liebe deinen Nächsten“ (im vierten<br />

Fall, Akkusativ), sondern im dritten Fall,<br />

dem sogenannten Dativus Ethicus – eine<br />

Wortfolge, die sich nicht übersetzen, sondern<br />

nur umschreiben lässt, etwa: „Erweise<br />

ihm Liebe“ – durch Handwerk, nicht durch<br />

Mundwerk! Oder auch: „Tue ihm Liebe<br />

an!“ Also: Nicht Herzensregungen oder<br />

Empfi ndungen werden hier gefordert, sondern<br />

praktische Liebeserweise – also etwa<br />

Krankenbesuche, das heimliche Geben<br />

von Almosen, Brot für die Hungernden<br />

– mit einem Wort: all die tausend wirksamen<br />

Liebestaten, die Vertrauen schaffen,<br />

Feindseligkeit abbauen und Liebe fördern.<br />

Es geht also um einseitige Vorleistungen<br />

an den Feind, die meine gute Absicht bezeugen,<br />

ohne mich selbst dabei aber zu<br />

schwächen.<br />

Jesus, der in parallelen Kontrastpaaren zu<br />

lehren pfl egte, muss auch die Steigerung<br />

„Liebet eure Feinde“ im ursprünglichen<br />

semitischen Wortlaut als „ethischen Dativ“<br />

verstanden haben. So wollte er keineswegs<br />

zu einer utopischen Feindesliebe<br />

auffordern, sondern zum versöhnlichen<br />

Umgang mit dem Gegner. Zweck dieser<br />

menschlichen Übung ist einzig und allein<br />

die Entfeindung des Feindes – eine Formulierung,<br />

die ich mir erlaubt habe zu prägen.<br />

Darum also geht es Jesus von Nazareth in<br />

der Bergpredigt!<br />

Nun werden spitzfi ndige Leserinnen und<br />

Leser auf Fälle von Feindesmisshandlungen<br />

im Alten Testament hinweisen. Gerade<br />

diese Aufrichtigkeit der Berichte aber<br />

macht das Alte Testament umso glaubwürdiger:<br />

Licht- und Schattenseiten, also alles<br />

Menschliche – auch von Seiten der Helden<br />

– werden offen erzählt. Die dem Alten Testament<br />

gegenüber durchaus kritische Fragestellung<br />

ist häufi g sehr ungerecht, denn<br />

sie scheut die Gegenfrage: Haben Christen<br />

eigentlich untereinander oder gegenüber<br />

anderen jemals die Bergpredigt praktiziert?<br />

Es geht nicht um<br />

Selbstentblößung<br />

Dass es Jesus um Entfeindung durch tatkräftige<br />

Versöhnlichkeit geht, bezeugt<br />

auch der Vers zuvor: „Wer dich nötigt, eine<br />

Meile weit zu gehen, mit dem gehe zwei!“<br />

Gemeint war hier der berüchtigte Frondienst<br />

der Römer, der es jedem Legionär<br />

erlaubte, sein Sack und Pack irgendeinem<br />

Juden aufzuladen, der gerade des Weges

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