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fdw Nr. 4 Dezember 2006 - Bund Freiheit der Wissenschaft eV

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B c h e r revue<br />

Ann-Katrin Kaufhold:<br />

Die Lehrfreiheit – ein verlorenes<br />

Grundrecht? Zu Eigenständigkeit<br />

und Gehalt<br />

<strong>der</strong>Gewährleistung freier<br />

Lehre in Art. 5 Abs. 3 GG<br />

(Schriften zum Öffentlichen<br />

Recht, 1021)<br />

Berlin: Duncker& Humblot <strong>2006</strong>,<br />

360 S., ISBN 3-428-11942-8<br />

Euro 74,–<br />

Die Autorin <strong>der</strong> vorliegenden Freiburger<br />

Dissertation vertritt die Auffassung,<br />

daß im Bereich <strong>der</strong> Rechtswissenschaft<br />

und Rechtsprechung die Lehrfreiheit<br />

aus dem Blick verloren worden sei.<br />

Zwar finde sich die Lehrfreiheit im Zusammenhang<br />

mit Erörterungen <strong>der</strong> Forschungs-<br />

und <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit,<br />

doch friste die Lehrfreiheit selbst ein eigentümliches<br />

Schattendasein, dessen<br />

Berechtigung geprüft werden soll. Dabei<br />

zeigt sich nach Auffassung <strong>der</strong> Autorin,<br />

daß die Rede von einem „Grundrecht<br />

<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit“ nicht<br />

sinnvoll ist. Die Lehrfreiheit erweise<br />

sich als eigenständiges Grundrecht, das<br />

dementsprechend einer eigenen Grundrechtsdogmatik<br />

bedürfe. Die Arbeit<br />

glie<strong>der</strong>t sich in zwei komplementäre<br />

Teile. Im ersten geht es um den von <strong>der</strong><br />

Autorin behaupteten „Abschied von <strong>der</strong><br />

<strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit“, im zweiten um<br />

die „Wie<strong>der</strong>entdeckung <strong>der</strong> Lehrfreiheit“.<br />

Ein historischer Abriß legt die<br />

Vermutung nahe, daß die einseitige Fokussierung<br />

auf die Forschungsfreiheit<br />

zu Lasten <strong>der</strong> Lehrfreiheit gehen könnte.<br />

Jedenfalls sieht die Autorin ihre<br />

Skepsis bestätigt, „daß Lehr- und Forschungsfreiheit<br />

mit einem einheitlichen<br />

Grundrecht und einer einheitlichen<br />

Dogmatik <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit zugleich<br />

und gleichermaßen gewährleistet<br />

werden können“ (S. 99).<br />

Lehrfreiheit als Grundrecht<br />

Der zweite Teil unternimmt die anspruchsvolle<br />

Aufgabe, die Lehrfreiheit<br />

als eigenständiges Grundrecht neben<br />

<strong>der</strong> Forschungsfreiheit zu entfalten und<br />

dabei auch zu klären, für wen sie von<br />

welchem Wert ist und welche Konfliktpotentiale<br />

mit ihr verbunden sind. ‚Eigenständig‘<br />

meint hier, daß dieses<br />

Grundrecht sich in irgendeiner Form<br />

von <strong>der</strong> Garantie freier Lehre unterscheidet,<br />

die als Element <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit<br />

anzusehen ist. Die Autorin<br />

kommt zu dem Ergebnis, daß die<br />

„strukturellen Unterschiede <strong>der</strong> Normbereiche<br />

von Lehr- und Forschungsfreiheit“<br />

dazu führen müßten, die Lehrfreiheit<br />

als selbständiges Grundrecht neben<br />

<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit zu qualifizieren.<br />

Die Lehrfreiheit, so ihre Behauptung,<br />

stehe heute nicht mehr im Dienst<br />

von <strong>Wissenschaft</strong> und <strong>der</strong>en Fortschritt<br />

an Erkenntnis. Dies werde vielmehr<br />

durch den Forschungsdiskurs geleistet.<br />

Die Funktion <strong>der</strong> Lehrfreiheit<br />

Die Funktion <strong>der</strong> Lehrfreiheit bestehe<br />

demgegenüber in <strong>der</strong> „Gewährleistung<br />

eines freiheitlichen Bildungs- und Ausbildungssystems“.<br />

Ein eigenständiges<br />

Grundrecht <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit<br />

sieht die Autorin als nicht mehr gegeben<br />

an, da <strong>der</strong> Lehrfreiheit die Forschungsfreiheit<br />

zur Seite trete. Die Lehrfreiheit<br />

aber genieße auch <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> selbst<br />

nicht forscht und institutionell nicht eingebunden<br />

sei, aber doch wissenschaftliches<br />

Wissen vermittle. Tragend für die<br />

These <strong>der</strong> Autorin ist die Beobachtung,<br />

daß Lehre nicht länger in den Erkenntnisprozeß<br />

eingebunden sei (was allerdings<br />

problematisch ist und dem Selbstverständnis<br />

vieler <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

kaum gerecht werden dürfte). Der geringe<br />

Wert <strong>der</strong> Lehre für den Erkenntnisfortschritt<br />

wird damit begründet, die<br />

Forschungsergebnisse würden nicht<br />

mehr in <strong>der</strong> Lehre, son<strong>der</strong>n in an an<strong>der</strong>e<br />

Forscher gerichteten Publikationen veröffentlicht<br />

– auch dies eine dichotomische<br />

Unterscheidung, die sicher nicht<br />

durchgängig haltbar ist.<br />

Lehrfreiheit als Sachbereichsgarantie<br />

Die Lehrfreiheit wird als Sachbereichsgarantie<br />

verstanden, <strong>der</strong> eine Gewährleistungspflicht<br />

des Staates entspricht,<br />

<strong>der</strong> die bildende Lehre umfassend mit<br />

den nötigen Mitteln auszustatten habe.<br />

Ein potentielles Konfliktfeld sieht die<br />

Autorin darin, daß heute zwar nicht<br />

mehr <strong>der</strong> Staat bestimmte wissenschaftliche<br />

Positionen vorschreibe, wohl aber<br />

könne im Zuge des Privatisierungstrends<br />

im Hochschulbereich „eine Einschränkung<br />

nicht nur <strong>der</strong> thematischen<br />

und methodischen, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> inhaltlichen<br />

<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> Lehrenden durch<br />

die privaten Financiers“ einhergehen.<br />

Hier wäre <strong>der</strong> Staat zum Eingreifen verpflichtet.<br />

Weitere Konflikte könnten mit<br />

den Einschränkungen <strong>der</strong> Lehrfreiheit<br />

auftreten, die durch die Schaffung eines<br />

sogenannten europäischen Hochschulraums<br />

verbunden sind, u.a. durch Akkreditierungsverfahren<br />

und an<strong>der</strong>e Lehrevaluationen.<br />

Die Autorin sieht in <strong>der</strong><br />

von ihr begründeten eigenständigen<br />

Stellung <strong>der</strong> Lehrfreiheit als Grundrecht<br />

eine Einschränkung <strong>der</strong> Möglichkeit des<br />

Staates, „die <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> Lehre im Zuge<br />

<strong>der</strong> Hochschulreformprozesse mittels<br />

einer Vielzahl von Regelungen, die als<br />

einzelne zulässig sein mögen, im Wege<br />

<strong>der</strong> Summation gleichsam unbegrenzt<br />

einzuschränken“.<br />

Die Autorin hat eine lehrreiche, spannende<br />

Arbeit geschrieben, die eine Fülle<br />

lesenswerter Überlegungen und scharfsinniger<br />

Distinktionen enthält. Gerade<br />

angesichts <strong>der</strong> vielfältigen Lehraufgaben,<br />

die vielen Dozenten an Hochschulen<br />

auch ohne Forschungsauftrag obliegen,<br />

also gerade angesichts des häufig<br />

starken Übergewichts <strong>der</strong> Lehre über<br />

die bloße Möglichkeit <strong>der</strong> Forschung<br />

lohnt es sich, Kaufholds Arbeit sehr<br />

ernst zu nehmen und die praktischen<br />

Konsequenzen ihrer Grundrechtsauslegung<br />

genau zu bedenken. Dabei ist indes<br />

auch stets zu bedenken, ob und in<br />

welcher Weise es grundsätzlich statthaft<br />

sein kann, grundgesetzliche Regelungen<br />

im Sinne einer gewandelten Wirklichkeit<br />

abzuän<strong>der</strong>n. Gehört die Idee <strong>der</strong><br />

Einheit von Forschung und Lehre wirklich<br />

endgültig zum alten Eisen? Zumindest<br />

aber sollte die vorliegende Arbeit<br />

dazu beitragen, <strong>der</strong> Lehrfreiheit das ihr<br />

gebührende (auch rechtswissenschaftliche)<br />

Interesse zukommen zu lassen.<br />

Till Kinzel<br />

Armin Mohler,<br />

Karlheinz Weissmann:<br />

Die Konservative Revolution<br />

in Deutschland 1918–1932.<br />

Ein Handbuch<br />

6., vollst. überarb. u. erw. Auflage,<br />

Graz: Stocker2005, 643 Seiten,<br />

ISBN 3902475021<br />

Euro 49,90<br />

Zählt man die durchaus wenigen Klassiker<br />

<strong>der</strong> deutschen Geschichtsschreibung<br />

nach 1945 auf, so darf <strong>der</strong> „Mohler“<br />

32 <strong>fdw</strong> 4/<strong>2006</strong>

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