30.12.2013 Aufrufe

fdw Nr. 4 Dezember 2006 - Bund Freiheit der Wissenschaft eV

fdw Nr. 4 Dezember 2006 - Bund Freiheit der Wissenschaft eV

fdw Nr. 4 Dezember 2006 - Bund Freiheit der Wissenschaft eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

nicht fehlen. Seit einem runden halben<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t liegt mit dem Standardwerk<br />

„Die Konservative Revolution in<br />

Deutschland 1918–1932“ ein auf dem<br />

deutschen Buchmarkt beinahe einzigartiges<br />

Handbuch vor. Der Grund dafür<br />

ist wohl weniger in <strong>der</strong> gleichwohl profunden<br />

Darstellung des historiographischen<br />

Gegenstandes durch den gebürtigen<br />

Schweizer Politologen zu suchen<br />

als in <strong>der</strong> literarischen Fundgrube im<br />

zweiten Teil <strong>der</strong> in jedwe<strong>der</strong> Hinsicht<br />

grundlegenden Studie. Der Interessent<br />

findet dort eine große Fülle an<br />

Personen, Büchern (zeitgenössischen<br />

wie gegenwärtigen), Organisationen,<br />

Ideen, Strömungen usw. des ungemein<br />

reichen ideengeschichtlichen bzw. allgemeinhistorischen<br />

Phänomens versammelt.<br />

Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> biobibliograhische<br />

Teil des im wahrsten Sinn des<br />

Wortes bahnbrechenden Werkes macht<br />

die Abhandlung – beson<strong>der</strong>s nach <strong>der</strong>en<br />

Überarbeitung – zu einem auch in<br />

Zukunft kaum auszuschöpfenden Arbeitsmittel.<br />

Auch Mohler wußte, daß ein Handbuch<br />

immer auf dem neuesten Stand<br />

<strong>der</strong> Forschung sein muß. Deshalb legte<br />

er vor seinem Tod 2003 die notwendigen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen in die Hände von<br />

Karlheinz Weissmann, einem <strong>der</strong> bekanntesten<br />

Historiker <strong>der</strong> mittleren Generation,<br />

von dem er annehmen durfte,<br />

daß jener sich mit dem Gegenstand seiner<br />

Arbeiten hinreichend identifizieren<br />

konnte. Weissmann hat es geschafft,<br />

die komplexe Glie<strong>der</strong>ung des von<br />

Mohler mehrfach überarbeiteten Klassikers,<br />

insbeson<strong>der</strong>e im Handbuchteil,<br />

im wesentlichen beizubehalten und den<br />

bewährten Duktus mit neuerer und<br />

neuester Literatur anzureichern. So<br />

vereinigt <strong>der</strong> überarbeitete Band alte<br />

wie neue Gedankengänge.<br />

Epochenspezifische Erscheinung<br />

Obwohl die Konservative Revolution<br />

eine epochenspezifische Erscheinung<br />

war, die nur im Europa (vor allem im<br />

Deutschland) <strong>der</strong> Zwischenkriegszeit<br />

stärkere Verbreitung finden konnte,<br />

läßt sie Vorläufer erkennen. Weissmann<br />

arbeitet zwei frühe Strömungen<br />

des Konservatismus heraus: Die eine<br />

Richtung wollte die societas christiana<br />

gegen intellektuelle Neuerer und gegen<br />

rationalistische Tendenzen des Absolutismus<br />

verteidigen, die an<strong>der</strong>e wirkte<br />

aufklärungskritisch mit Mitteln <strong>der</strong><br />

Aufklärung, stellte sich also auf den<br />

Boden jener Strömung, die sie bekämpfen<br />

wollte. Wichtiger jedoch für die<br />

Entwicklung des „deutschen Son<strong>der</strong>bewußtseins“<br />

im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t waren<br />

die „Vorboten“ <strong>der</strong> „kulturrevolutionären<br />

Epoche“, für die Namen wie<br />

Lagarde, Wagner o<strong>der</strong> Treitschke stehen.<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Stellung nimmt<br />

Nietzsche ein. Einflußreiche Phänomene<br />

um die Jahrhun<strong>der</strong>twende, etwa Lebensreform,<br />

Jugendbewegung o<strong>der</strong> diverse<br />

völkische wie nationalistische<br />

Bewegungen, konnten sich auf die genannten<br />

Vordenker berufen.<br />

Erst die Umwälzungen im Vorfeld<br />

(„Ideen von 1914“!), während und nach<br />

dem Ersten Weltkrieg bewirkten die<br />

Voraussetzungen für die „verkehrte<br />

Welt“ nach 1918: Für die Neu- o<strong>der</strong><br />

Jungkonservativen, die alles an<strong>der</strong>e als<br />

Reaktionäre waren, mußten erst jene<br />

Verhältnisse geschaffen werden, die zu<br />

erhalten lohnte. Auf diese Weise entstand<br />

<strong>der</strong> Wurzelboden für jenes kaum<br />

übersehbare Gedankengebäude, dessen<br />

Paradoxien bereits Zeitgenossen wie<br />

Thomas Mann o<strong>der</strong> Hugo von Hoffmannsthal<br />

mit <strong>der</strong> Bezeichnung „Konservative<br />

Revolution“ ausdrückten. Es<br />

behielt auch nach 1945 seine Faszination,<br />

gerade deshalb, weil spätere Zeiten<br />

keine Anknüpfungsmöglichkeiten mehr<br />

hatten.<br />

Bandbreite <strong>der</strong> Konservativen<br />

Revolution<br />

Welche Bandbreite die Konservative<br />

Revolution umfaßte, belegt die bunte,<br />

schier unabsehbare Schar ihrer Vertreter.<br />

Bis heute ist in vielen Fällen die<br />

Frage kaum zu klären: Wer gehörte zu<br />

ihr und wer nicht? Ernst Niekisch, Nationalist<br />

wie Bolschewist, sah das Heil<br />

Deutschlands in Moskau. Er wirkte<br />

nach 1945 zeitweise in <strong>der</strong> SED. Ein<br />

an<strong>der</strong>er, einflußreicherer Teil <strong>der</strong> Protagonisten<br />

<strong>der</strong> Konservativen Revolution<br />

optierte nach 1933 für die neuen<br />

Machthaber. Exemplarisch stehen dafür<br />

Intellektuelle wie Ernst Krieck o<strong>der</strong> Alfred<br />

Bäumler. Die meisten Angehörigen<br />

dieser Richtung verblieben indes –<br />

trotz aller generationellen und biographischen<br />

Affinitäten – in kritischer Distanz<br />

zum Nationalsozialismus. Ernst<br />

Jünger steht stellvertretend für viele an<strong>der</strong>e.<br />

Manche fanden sogar den Weg in<br />

den aktiven Wi<strong>der</strong>stand. Franz von Papens<br />

Redenschreiber Edgar Jung war<br />

eines <strong>der</strong> frühen Opfer aus den Reihen<br />

<strong>der</strong> Jungkonservativen.<br />

Eine ausführlichere Besprechung für<br />

sich allein verdienten die umfangreichen<br />

bibliographischen Passagen <strong>der</strong><br />

Abhandlung. Der erste Teil dieser Abschnitte<br />

präsentiert die „Literatur über<br />

die Konservative Revolution“. Die eher<br />

harmlos klingende Überschrift umfaßt<br />

detaillierte Angaben über Darstellungen<br />

zu zahlreichen Themen im Umfeld<br />

<strong>der</strong> Strömung (Imperialismus, Kolonialismus,<br />

„Ideen von 1914“, Massenpolitik,<br />

Lebensreform etc.), aber auch Hinweise<br />

auf ihre europäische Bedeutung<br />

und führende Vertreter (Spengler,<br />

Mann, Schmitt, Blüher, die Gebrü<strong>der</strong><br />

Jünger). Jungkonservatives und nationalrevolutionäres<br />

Gedankengut sowie<br />

<strong>der</strong>en Protagonisten werden genau beschrieben.<br />

Ausführliche Berücksichtigung<br />

findet die bündische Bewegung.<br />

Unübersehbare „Eigenliteratur“<br />

Der zweite Teil <strong>der</strong> Bibliographie beschäftigt<br />

sich mit <strong>der</strong> unübersehbaren<br />

„Eigenliteratur <strong>der</strong> Konservativen Revolution“.<br />

Sammelwerke, Buchreihen,<br />

Zeitschriften und an<strong>der</strong>e Periodica werden<br />

mit großer Sorgfalt vorgestellt,<br />

weiterhin die „Philosophen im Umkreis“,<br />

die ein breites Spektrum einschließen,<br />

das von Max Scheler bis<br />

Erwin Liek reicht. Gleiches gilt für die<br />

„Dichter im Umkreis“ sowie die „herausragenden<br />

kategoriensprengenden<br />

Autoren“. Die Fülle an – heute meist<br />

vergessenen – völkischen, jungkonservativen<br />

und bündischen Autoren sowie<br />

die Überläufer zum Nationalsozialismus<br />

vermitteln einen Eindruck von <strong>der</strong><br />

Komplexität <strong>der</strong> deutschen „Weltalternative“<br />

(Armin Mohler). Es ist nachvollziehbar,<br />

wenn gelegentlich nur<br />

Auswahlbibliographien vorgelegt werden<br />

konnten.<br />

Mit Recht weist Weissmann jedwede<br />

Verbindung des großen ideengeschichtlichen<br />

Komplexes <strong>der</strong> Konservativen<br />

Revolution mit <strong>der</strong> Tagespolitik als eine<br />

Methode zur Desavouierung des politischen<br />

Gegners zurück – ein Vorgehen,<br />

wie es in einseitigen Publikationen<br />

Armin Pfahl-Traugbers o<strong>der</strong> Friedbert<br />

Pflügers beobachtet werden kann. Unbestritten<br />

ist jedoch auch: Die Kritik an<br />

fehlerhaften Mechanismen und Strukturen<br />

demokratischer Systeme schafft<br />

immer wie<strong>der</strong> einen Bedarf an geistesgeschichtlichen<br />

Wi<strong>der</strong>lagern und Alternativen,<br />

zu denen auch jene Strömung<br />

gehört, <strong>der</strong>en epochale Relevanz über<br />

70 Jahre zurückliegt.<br />

4/<strong>2006</strong> <strong>fdw</strong> 33

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!