Fallstudie Makedonien (Nr. 50) - Geschwister-Scholl-Institut für ...
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grundlegender Unterschied in der Wahrnehmung der Konfliktursachen: Kollektivrechtsvertreter<br />
erkennen den Ursprung eines ethnischen Konfliktes in der Nicht-Anerkennung von Ethnizität,<br />
die als <strong>für</strong> den Menschen grundlegende (– wenn nicht sogar primordial verstandene)<br />
Identität begriffen wird. Liberalisten dagegen sehen die Konfliktursache in einer (generell<br />
unnötigen) Politisierung ethnischer Identität.<br />
Letztere stehen aber zugleich Gruppenrechten egal welcher Form (also auch nichtethnischen)<br />
eher skeptisch gegenüber, denn Gruppenidentitäten seien nur eine <strong>für</strong> die Autonomie<br />
des Einzelnen notwenige Identität. 72 Das Argument der Kollektivrechtsvertreter, es<br />
gäbe doch in modernen Demokratien genau solche Gruppenrechte im nicht-ethnischen Bereich<br />
73 (z.B. Vereinigungsfreiheit), überzeugt Liberalisten keinesfalls. Im Gegenteil: Wieso<br />
sollten dann diese anderen, bereits vorhandenen Individual- oder Kollektivrechte <strong>für</strong> den<br />
Schutz und die Autonomie des Einzelnen (egal welcher ethnischen Couleur) nicht ausreichen?<br />
74 Be<strong>für</strong>worter von Kollektivrechten würden den Eindruck vermitteln (– so das Gegenargument),<br />
dass das ethnische Bewusstsein die alles überragende Identität des Einzelnen<br />
darstellt und ihr Schutz damit zur höchsten Staatspriorität gemacht wird:<br />
Die kollektivrechtliche Auffassung (...) argumentiert in Abgrenzung zum Gleichheitspostulat<br />
von der Basis einer grundsätzlichen Differenz zwischen den Menschen ausgehend,<br />
die diese aufgrund nicht-sozialer und nicht-politischer Kriterien – also solcher<br />
aus dem vorpolitischen Bereich – voneinander abgrenzbar mache. 75<br />
Zudem müsste die Anerkennung von Minderheitenanliegen von staatlicher Seite noch lange<br />
nicht die Anerkennung von kollektiven Minderheitenrechten bedeuten. 76<br />
Dass sich Liberalisten gegen Gruppenrechte wehren, hat sicherlich zudem auch mit der<br />
schwierigen Abgrenzbarkeit der Rechtssubjekte zu tun: Werden ethnische Gruppenrechte<br />
gewährt, müssen diese dann nicht nur nationalen Minderheiten, sondern auch anderen ethnischen<br />
Minderheiten wie z.B. Zuwanderern zugestanden werden. 77<br />
b) Der zweite große Kritikpunkt gegen Kollektivrechte besteht in der Möglichkeit, dass Gruppen,<br />
denen gewisse kollektive Selbstbestimmungsrechte gewährt werden, ihren Mitgliedern<br />
gegenüber illiberale Praktiken anwenden (z.B. Zwangsheiraten). Ob der liberale Staat sich<br />
dann einmischen müsste und dürfte, stellt ein großes Problem dar. Einige Vertreter von<br />
Gruppenrechten lehnen dann tatsächlich die Einmischung von staatlicher Seite ab 78 – was<br />
72 Vgl. Pfaff-Czarnecka 2004: 66f; Peled, Yoav/Brunner, Jose 2000: Culture is Not Enough: A Democratic Critique<br />
of Liberal Multiculturalism, in: Shlomo, Ben-Ami/Peled, Yoav/Spektorowski, Alberto (Hrsg.): Ethnic Challenges to<br />
the Modern Nation State, Basingstoke, S. 65-92 (hier: S. 88).<br />
73 Vgl. Offe, Claus 1996: „Homogenität“ im demokratischen Verfassungsstaat – Sind politische Gruppenrechte<br />
eine adäquate Antwort auf Identitätskonflikte?, in: Peripherie, 64, S. 26-64 (hier: S. 32ff).<br />
74 “Non-discrimination as a norm, when combined with specific human rights, offers significant protection for minorities<br />
from governments intent on discriminating against them; the necessity of additional protections for minorities<br />
is hardly obvious.” Ratner, Steven R. 2000: Does International Law Matter in Preventing Ethnic Conflict?, in:<br />
International Law and Politics, 32, S. 591-698 (hier: S. 600).<br />
75 Salzborn 2002: 607.<br />
76 Vgl. Pfaff-Czarnecka 2004: 65.<br />
77 Dieses Problem offenbart sich v.a. bei Kymlicka, vgl. Kymlicka 2000: 22.<br />
78 Vgl. dazu Peled und Brunners Kritik an Kymlickas Vorstellungen, Peled/Brunners 2000: 75ff.