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170 •˜ 21 Die chemische Reaktivitat vom Standpunkt der Elektronentheorie<br />
Wenn immer Abweichungen von dieser Regel beobachtet<br />
wurden, konnte nachgewiesen werden, das es sich um eine Anderung<br />
des Reaktionsmechanismus handelt, bei welchem naturlich<br />
ganz andere Faktoren reaktionsbestimmend sind. In Gegenwart<br />
von Sauerstoff oder von Peroxyden findet die Hal~genaddit~ion<br />
nicht im Sinne der Markownikoffschen Regel am wasserstoffarmsten<br />
C-Atom, sondern gerade am wasserstoffreicheren statt, so<br />
das sich bei obiger Reaktion das normale Bromid bildet. Der Reaktionsmechanismus<br />
ist in diesem Falle ein anderer. Durch Einwirkung<br />
des Sauerstoffes oder des Peroxydes auf das HBr entsteht<br />
atomares Brom :<br />
HBr + 0, 4 (HO,) + Br<br />
das nach der allgemeinen Art von Radikalen an der Stelle mit der<br />
hochsten freien Valenz angreift. Das ist im Falle des Propylens das<br />
Kohlenstoffatom 3<br />
.<br />
CH,-CH = CH, + Br - CH,CH-CH,Br<br />
Das intermediar entstehende freie Radikal reagiert mit dem HBr<br />
unter Neubildung von Br-Atomen<br />
H<br />
CH,-C-CH,Br + HBr + CH3-CH,-CH,Br + Br,<br />
0<br />
die entweder erneut mit dem Propylen reagieren, wodurch die Reaktionskette<br />
weiter erhalten bleibt, oder sich miteinander unter<br />
Bildung eines Br,-Molekuls vereinigen, wodurch die Kette abbricht.<br />
Auch das Vinylchlorid<br />
CH,=CHCl<br />
addiert Sauren in Gegenwart von Sauerstoff oder von Peroxyden<br />
unter Bildung des symmetrischen Dihalogenides, und das Gleiche<br />
stellt man mit der Anlagerung des Merkaptans C,H,SH fest:<br />
Hingegen gelingt es nicht, die Anlagerung von HC1 und HJ mit<br />
Hilfe von 0, bzw. Peroxyden umzuleiten. Sie findet immer im<br />
Sinne der Markownikoffschen Regel statt.<br />
Ist das angreifende Agens elektrophil, so nennt man die gesamte<br />
Reaktion elektrophile Reaktion, und zwar elektrophile Substitution,<br />
wenn ein Atom oder eine Atomgruppe des Substrates<br />
•˜ 21 Die chemische Reaktivitat vom Standpunkt der Elektronentheorie 171<br />
gegen das angreifende Agens ausgetauscht wird. Sie wird mit dem<br />
Symbol SEI bzw. SE,, je nachdem sie eine elektrophile Substitution<br />
erster oder zweiter Ordnung ist, bezeichnet.<br />
Eine elektrophile Substitution ist eine Nitrierung von aroinatischen<br />
Kohlenwasserstoffen mit konzentrierter Salpetersaure. Das<br />
angreifende Agens ist das Nitroniumion, entstanden aus :<br />
HONO, 2 NO,+ + OHund<br />
die Nitrierung kann wie folgt formuliert werden :<br />
C6H,H + NO,+ + C,H,NO, + H+.<br />
Auch die Chlorierung des Benzols mit unterchloriger Saure HOC1<br />
lauft auf eine elektxophile Subst,itution hinaus, wenn sie in stark<br />
saurer Losung vorgenommen wird :<br />
Im Gegensatz zu den gesattigten Kohlenwasserstoffen, bei welchen<br />
nur a-Bindungen vorkommen, und die nur sehr ungern polare Reaktionen<br />
eingehen, unterliegen die aromatischen Kohlenwasserstoffe<br />
wegen der groseren Beweglichkeit der n-Elektronen leichter<br />
elektrophilen Reaktionen. Die Chlorierung von Benzol mit gasformigem<br />
Cl, in Gegenwart von als Katalysator, ist eine<br />
elektrophile Substitution, im Gegensatz zur Chlorierung der Paraffine<br />
bei hoheren Temperaturen, die der Gegenwart von Cl-Atomen<br />
bedarf. Diese erweist sich somit als eine nicht polare Radikalreaktion.<br />
Das Gleiche gilt fur die Nitrierung der Paraffine.<br />
Oft begegnet man Reaktionen, die ihren Charakter, je nach den<br />
auseren Bedingungen, andern. Die Bromierung des Naphthalins<br />
bei Temperaturen unterhalb 400•‹ ist hauptsachlich eine elektro.<br />
phile Substitution, die sich an der heterogenen Phase des zugegebenen<br />
Katalysators abspielt. Bei hoheren Temperaturen jedoch<br />
verwandelt sie sich zu einer homolytischen Reaktion, weil thermisch<br />
erzeugte Br-Atome zum angreifenden Agens werden und als Radikale<br />
mit dem Substrat reagieren. Auch sonstige Reaktionsbedingungen,<br />
die zu Bildung freier Halogenatome fuhren, wie etwa die<br />
Einwirkung von Licht, leiten einen Radikalmechanismus ein.<br />
Die unten angegebenen Reaktionsgleichungen beziehen sich auf<br />
weitere elektrophile Substitutionen, unter welchen die Friedel-<br />
Crafts-Reaktion und die Kuppelung mit Diazoniumionen hervorgehoben<br />
seien :