25 Jahre - Alsdorfer Stadtmagazin
25 Jahre - Alsdorfer Stadtmagazin
25 Jahre - Alsdorfer Stadtmagazin
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ein Butterbrot und drückte es dem<br />
Mann in die Hand. Als mein Vater davon<br />
erfuhr, tobte er: »Das ist verboten!<br />
Wenn das rauskommt, bin ich meine<br />
Pension los. Wovon sollen wir dann<br />
leben?« »Angst machen gilt nicht«<br />
dachte Mutter und verschenkte weiterhin<br />
täglich ihr Butterbrot. »Was sein<br />
muss, muss sein« so ihr Aussage.<br />
Geboren wurde ich am 13.02.19<strong>25</strong><br />
in Westfalen, mitten im Herzen des<br />
Ruhrgebietes. Meine Eltern waren<br />
fürsorglich und stets bedacht, uns<br />
Kinder – meine älteren Geschwister,<br />
Bruder Hannes und Schwester Suse,<br />
und mich - gut auf das Leben vorzubereiten,<br />
uns Stärke, Kraft und<br />
Optimismus zu vermitteln. Ich er -<br />
innere mich an meine Mutter, die<br />
wie ein Fels in der Brandung mit<br />
beiden Beinen fest im Leben stand.<br />
Sie wusste was gut und was böse<br />
ist und machte sich zum Motto:<br />
»Wenn Jemand meine Hilfe braucht,<br />
bin ich da und helfe«. Mein Vater<br />
war ein typischer Beamter. Durch<br />
seinen Charme und Witz eroberte<br />
er die Sympathien in seinem Um -<br />
feld. Bei Kollegen wurde er ge -<br />
schätzt, von uns geliebt. Was ihn<br />
auszeichnete, war sein heiteres<br />
Wesen. Er hatte oft den Schalk im<br />
Nacken sitzen, aber er war absolut<br />
korrekt in allem was er machte.<br />
An meine Kindheit erinnere ich mich<br />
gerne zurück. Wir lebten friedlich zu -<br />
sammen, verstanden uns gut, waren<br />
füreinander da. Wir Geschwis ter stritten<br />
auch manchmal miteinander, aber<br />
wenn es darauf ankam, hielten wir<br />
zusammen wie Pech und Schwefel.<br />
Während der Schulzeit kam die Zeit<br />
der Boxkämpfe. Mein Bruder wählte<br />
in der Schule als AG »BOXEN« und<br />
ich wurde sein Trainingspartner. Allerdings<br />
war es mit unserer Boxkarriere<br />
bald vorbei. Bei einem Kampf haute<br />
mein Bruder mit so viel Wucht gegen<br />
den Kronleuchter, dass dieser durch<br />
das offene Fenster auf die Straße fiel<br />
und in tausend Stücke zerbrach. Halleluja,<br />
was werden unsere Eltern dazu<br />
sagen. Es war nicht viel, die Aussage<br />
meiner Mutter war kurz und klar:<br />
»Mit dem Boxen ist es jetzt vorbei!«<br />
Mein Vater sagte kein einziges Wort<br />
und grinste in sich hinein.<br />
Und dann kam der fürchterliche Krieg,<br />
der unser Leben total auf den Kopf<br />
Grit<br />
Wirtz<br />
Mein Leben: Eine glückliche,<br />
geschenkte Zeit<br />
stellte. Mein Vater blieb Beamter,<br />
meine Mutter versuchte mit Ruhe<br />
unsere Familie zu beschützen und ich<br />
arbeitete in einem Lazarett in Bad<br />
Oeynhausen auf der chirurgischen<br />
Station. Einmal, ich assistierte bei<br />
einer Operation, wurde einem jungen<br />
Soldaten das Bein abgenommen. Am<br />
nächsten Tag lag der arme Tropf mit<br />
Schmerzen in seinem Bett und bat<br />
mich, ein Lied für ihn zu singen, weil<br />
ihn das an sein Zuhause erinnere.<br />
Diesen Wunsch erfüllte ich ihm gerne.<br />
Andere Patienten hörten mich und<br />
baten, ob ich nicht jeden Abend für<br />
sie singen könnte. Die Patienten hörten<br />
mir zu und konnten ihre Schmerzen,<br />
für einen Augenblick vergessen.<br />
Am besten kann ich meine Eltern an<br />
zwei Beispielen aus dem Krieg beschreiben.<br />
Meine Mutter sah jeden Tag<br />
einen Kriegsgefangen, der an unserer<br />
Haustür vorbei schlich und elend aussah.<br />
Sie wurde gleich aktiv, schmierte<br />
Mein Vater arbeitete bei der Stadt<br />
und erfuhr durch seinen Beruf als<br />
einer der ersten, wann in den folgenden<br />
Wochen die Lebensmittel für alle<br />
rationiert werden sollten. Das bedeutete,<br />
jeder Bürger bekam nur noch<br />
eine festgelegte Lebensmittelration.<br />
Mein Vater teilte ihr dies jedoch nicht<br />
mit, er bat sie lediglich beim nächsten<br />
Einkauf eine Dauerwurst mitzubringen.<br />
Als der Tag kam, an dem die Lebensmittelkarten<br />
jedem zugeteilt wurden,<br />
war sie stock sauer: »Warum hast du<br />
nichts gesagt? Du wusstest doch was<br />
passieren wird? Wir hätten die Vorratskammer<br />
voll machen können.«<br />
»Ja, stimmt« sagte er, »wir ja und die<br />
Anderen?«<br />
Diejenigen, die den Krieg erlebt haben,<br />
werden sich noch erinnern… Die Fenster<br />
mussten oft mit Decken und<br />
Tüchern verhängt werden, die Straßen -<br />
laternen wurden abgeschaltet. Kein<br />
Licht sollte nach außen dringen, um<br />
dem Gegner möglichst kein Ziel zu<br />
bieten, in der Hoffnung, einem Bombenangriff<br />
zu entgehen. In solch einer<br />
Nacht bekam mein Vater eine schmerzvolle<br />
Gallenkolik. Irgendjemand musste<br />
ein Schmerzmittel besorgen. Mutig,<br />
mit zitternden Knien, erklärte ich mich<br />
bereit, zur Apotheke zu laufen, das<br />
heißt, laufen ist hier der falsche Ausdruck.<br />
Sind Sie schon einmal in stockdunkler<br />
Nacht umher gelaufen? Keine<br />
Silhouette ist zu sehen, kein Orientierungspunkt<br />
erkennbar, alles ist eingetaucht<br />
in einem Schwarz, völlig konturenlos.<br />
Mir fiel ein Lebensspruch<br />
meiner Großmutter ein: »Zähne zu -<br />
sammen beißen und durch«. Und das<br />
tat ich auch. Ich hatte zwar nachher<br />
Kieferschmerzen, aber… mein Vater<br />
hatte seine Tabletten. In solchen<br />
Momenten schaffen wir oft viel mehr,<br />
als wir uns eigentlich zutrauen.<br />
Einmal, ich war bei meinen Eltern und<br />
wie so oft gab es Bombenalarm und<br />
ALSDORFER STADTMAGAZIN 4/2013<br />
36<br />
September / Oktober / November