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Terror der Zeichen Oder - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Wehrlose Schriftsteller?<br />

Adam Zagafewskis Rede aif dem VDS-Kongn!ß<br />

Was s/ch da in Saarbn"icken aml.Apn7 bei<strong>der</strong> Jahresversammlung<br />

<strong>der</strong> .Deutschen Schrifisteller" abspielte,<br />

überstieg q/fens/chtkch auch das f/orstellungsvenniigen<br />

von Peministen und Zynikem. HallS C<br />

Buch resumiert 1iz e1i1em Gastkommentar <strong>der</strong> West­<br />

Berliner" Tageszeitung" am 5. 4.:. Ohneadmiizistrativen<br />

Dmck o<strong>der</strong>ganm7itiirische Intervent/on sllinmten<br />

die 1i11 fiS organisierten deutschen Schriftsteller<br />

dem zu, was ihren polnischen Kollegen mit Gewalt<br />

azflkezwungen werden mlfßte: Sü: sahenmehr o<strong>der</strong><br />

weniger tatenlos mit an, wie ihr unter großen Hqff<br />

mmgen a'!fkebrochener Verband sich zuerst in e1iwn<br />

Pseudo- und schHeßlich in e1iwz Nicht-Schnftstel/er­<br />

Verband verwandelte. Dazu waren mcht •. iunal<br />

Quisbizge nöcig: Werdie Literaturniegeliebt hat, <strong>der</strong><br />

kann sie auch mcht verraten. u<br />

Statt elizes neuerhchen Nachnifi azif demonllerte<br />

Hqffiumgenund eine westdeutsche Gewerkschqftsabteltung,<br />

d1e - kaum mehr kom"glerbar- den folschen<br />

Weg eingeschlagen hat, dmcken wireTiml Auszug aus<br />

Adam Zaga;ewskis Redebet"tragz,orden Delelfl"erlen<br />

<strong>der</strong> . Deutschen Schnjisteller" tiz Saarbrücken.<br />

Fne<strong>der</strong> Re1iuizghaus<br />

Adam Zagajewskis Rede auf dem Kongreß<br />

des Verbands Deutscher Schriftsteller<br />

Was geschieht in Polen? Geht etwas schief?<br />

Wieso? Die Schriftsteller haben doch ihren<br />

Verband. Der Verband hat seine Schriftsteller.<br />

Die Leser bekommen zwar nicht sehr<br />

viel zum Lesen, doch ist das ihre Schuld, da<br />

sie keinen Leserverband gegründet haben.<br />

ein, es gab einen Leserverband, er hieß<br />

"Solidarnosc". Er besteht nicht mehr. Die<br />

Leser verfugen über keinen Verband mehr.<br />

Da ich aber Gast eines Schriftstellerverbandes<br />

bin und nicht eines Leserbundes, soll<br />

ich, nehme ich an, Sorgen <strong>der</strong> Leser außer<br />

Acht lassen und stattdessen Probleme <strong>der</strong><br />

Autoren erörtern.<br />

Bitte, nehmen Sie die Anklagen nicht<br />

ernst, die polnische Parteizeitungen gegen<br />

den Verband gerichtet haben. Es war kein<br />

aggressiver und kämpferischer Verband,<br />

man hatte in seinen Büroräumen keine<br />

Handgranaten gefunden, nur Stempel,<br />

Schreibmaschinen und Bücher.<br />

Während <strong>der</strong> Verhandlungen, die mehr<br />

als ein Jahr dauerten, war <strong>der</strong> Vorstand des<br />

aufgelösten Verbandes sogar bereit, mehrere<br />

Konzessionen zu machen, um <strong>der</strong>weiteren<br />

Existenz willen. Aber <strong>der</strong> alte Verband<br />

konnte nicht ganz auf seine mindestens<br />

partielle Autonomie verzichten und<br />

das war <strong>der</strong> eigentliche Grund <strong>der</strong> Auflösung<br />

und des Plagiats.<br />

Wie Sie bestimmt wissen, hat eine überwiegende<br />

Mehrheit <strong>der</strong> polnischen Autoren-<br />

und vor allem die besten unter ihnendas<br />

Plagiat verurteilt und boykottiert den<br />

neuen Verband. Infolgedessen erleben sie,<br />

die polnischen Autoren und Übersetzer, eine<br />

große Unsicherheit. Sie haben keinen<br />

Verband, sie sind wehrlos geworden. Ich<br />

weiß nicht, ob Sie genug Vorstellungskraft<br />

haben, um zu verstehen, wie hart es ist, in<br />

einem totalitären Staat als Künstler außerhalb<br />

des Verbands zu leben. Manchmal<br />

träumen wir, daß wiruns nackt auf<strong>der</strong> Straße<br />

befinden würden und wir erwachen mit<br />

Angst. Die Schriftsteller, die dem neuen<br />

Verband nicht angehören, sind wehrlos,<br />

sind wie nackt auf <strong>der</strong> Straße. Und die Bedrohung<br />

wächst ständig, kommt näherund<br />

näher.<br />

Diese Bedrohung kann bedeuten, daß<br />

jemand -wie zur Zeit Marek owakowski<br />

-inhaftiert wird, weil er die Zustände nüchtern<br />

und realistisch in seinen Erzählungen<br />

schil<strong>der</strong>t und veröffentlichen läßt. Sie kann<br />

bedeuten, daß das breite Publikum je<strong>der</strong><br />

wertvollen Literatur beraubt werden wird<br />

(was im Februar ein hoher Parteifunktionär<br />

schon angekündigt hat); sie kann die Gestalt<br />

materieller Sorgen annehmen o<strong>der</strong><br />

sich als schwierige Rechtslage zeigen: alle<br />

jüngeren Schriftsteller können, wenn sie<br />

dem neuen Verband nicht angehören, als<br />

Sozialparasiten, als Rowdys betrachtet<br />

werden. Für Wiktor Woroszylski kann dies<br />

eine vielstündige Hausdurchsuchung bedeuten,<br />

während <strong>der</strong> Kameraleute des<br />

Fernsehens seine Speisekammer aufnehmen<br />

und in ihr Tee- und Kaffeebüchsen,<br />

Geschenke, die vielleicht auchjemand <strong>der</strong><br />

hier Anwesenden nach Warschau geschickt<br />

hat.<br />

Für einen jungen und unbekannten<br />

Poeten, fur den neunzehnjährigen Grzegorz<br />

Przemyk, <strong>der</strong> im Mai '83 von den Polizisten<br />

totgeschlagen wurde, war dieselbe<br />

Bedrohung sogar tödlich.<br />

Wie Sie sehen, die Skala <strong>der</strong> Bedrohung<br />

ist weit und breit und dementsprechend ist<br />

auch die Unsicherheit groß. Ständige Bedrohung,<br />

starke Unsicherheit, ja, aber zugleich<br />

auch eine innere, fast freudige Entschlossenheit,<br />

innere Sicherheit. Denn<br />

wenn Schriftsteller in meinem Land zu dem<br />

neuen, falschen Verband nicht gehören<br />

wollen, tun sie es nicht aus Trotz, nicht weil<br />

sie geborene Rebellen sind. Es ist eben diese<br />

fast freudige Entschlossenheit, eine<br />

Treue sich selber und dem Publikum, dem<br />

Leserverband gegenüber, die es ihnen<br />

nicht erlaubt, plötzlich zu konvertieren.<br />

Diese innere Sicherheit könnte sogar, glaube<br />

ich, den Neid vieler westlicher Autoren<br />

wecken. Die innere Sicherheit kommt daher:<br />

daß sie, die Schriftsteller Polens, aber<br />

auch an<strong>der</strong>er Län<strong>der</strong> Mitteleuropas, eine<br />

feste Wirklichkeit entdeckt haben, die<br />

Wirklichkeit <strong>der</strong> Gewalt und des Leidens,<br />

aber auch <strong>der</strong> Solidarität und <strong>der</strong> Wahrheit,<br />

die manchmal wie<strong>der</strong> mit dem Leid bezahlt<br />

werden muß.<br />

Warum, könnte mich jemand fragen,<br />

warum betone ich nicht nur die Schattenseite,<br />

warum will ich nicht nur das Schwere,<br />

das Düstere erwähnen, son<strong>der</strong>n zugleich<br />

auch das Positive? Ich wollte bei Ihnen<br />

nicht Mitleid erwecken, son<strong>der</strong>n Interesse.<br />

Sympathie, ja, selbstverständlich, aber<br />

eine gut motivierte Sympathie, eine, sozusagen,<br />

objektiv motivierte Sympathie. Die<br />

Lage <strong>der</strong> polnischen Schriftsteller bezeichnet<br />

das Wort "Verfolgung" nicht genügend<br />

genau. Es ist auch ein Kampf, mehr geistiger<br />

als politischer atur. In diesem Kampf<br />

müssen Schriftsteller geistreich und ideenreich<br />

sein, um zu überleben, als Künstler<br />

und als private Leute.<br />

Ich weiß, je<strong>der</strong> behauptet, er kenne die<br />

Wirklichkeit, er habe sie, er drücke sie aus.<br />

Aber neben <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong> politischen<br />

Parteien und <strong>der</strong> Aufteilungen gibt es<br />

auch eine Wirklichkeit des Leidens und <strong>der</strong><br />

Kunst. Sie zu bemerken und darüber zu berichten,<br />

könnte bedeuten, ein wenig freier<br />

zu werden. Eben das meine ich, wenn ich<br />

an intellektuelle Redlichkeit appelliere und<br />

wenn ich sage, daß Ihre wache Beobachtung<br />

<strong>der</strong> Lage in Polen eine Hilfe nicht nur<br />

fur die polnischen, son<strong>der</strong>n zugleich auch<br />

fur die deutschen Schriftsteller wäre.<br />

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