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Terror der Zeichen Oder - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Zeit <strong>Zeichen</strong> T error<br />

Stilltgart 1977<br />

weiter aus sich heraus. Auf unheimliche<br />

Weisesind sie gezwungen, in ihrem gewaltsamen<br />

Versuch einer Antwort alle Grenzen<br />

zu verwischen, die einmal Alltag und Normalität<br />

definierten und damit die Legitimation<br />

<strong>der</strong> Apparate selbst begründen sollten:<br />

Grenzen zwischen dem Spuk <strong>der</strong> Einbildung<br />

und <strong>der</strong> Realität <strong>der</strong> Tatsachen, zwischen<br />

dem Vergehen und <strong>der</strong> Sühne, zwischen<br />

<strong>der</strong> Strafe und dem Vergessen, zwischen<br />

den Lebenden und den Toten. Was<br />

die Maßlosigkeit, <strong>der</strong> die Logik <strong>der</strong> Macht<br />

verfallt, bezeugt, ist allein die Maßlosigkeit<br />

<strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong> sie mit aller Gewalt<br />

begegnet und <strong>der</strong> sie doch nicht begegnen<br />

kann, die sie im Gegenteil unterstreicht.<br />

Die Angst vor demunendlich Kleinen,<br />

dem nicht zu Diskutierenden <strong>der</strong><br />

Klammheimlichkeit, dem nicht zu registrierenden<br />

Funken.jener Ansteckung, die<br />

nicht aufzuzeichnen ist: "Das Geheimnis<br />

liegt darin, <strong>der</strong> Ordnung des Realen etwas<br />

absolut Imaginäres entgegenzusetzen, etwas<br />

auf <strong>der</strong> realen Ebene absolut \Virkungsloses,<br />

dessen implosive Energie jedoch<br />

das gesamte Reale absorbiert, die<br />

ganze Gewalt <strong>der</strong> realen Macht, die hier<br />

sich verliert." (Jean Baudrillard, Kool Killer<br />

o<strong>der</strong> Der Aufstand <strong>der</strong> <strong>Zeichen</strong>. S.l.f)<br />

Und das ist entscheidend. All dies<br />

macht es nämlich in je<strong>der</strong> Hinsicht unmöglich,<br />

von den Aktivisten <strong>der</strong> RAF, <strong>der</strong> Be-<br />

wegung 2.Juni und an<strong>der</strong>er als Krtimizellen<br />

zu sprechen. Es ist unmöglich, selbst wenn<br />

alle verfugbaren und neu geschriebenen<br />

Paragraphen ihre Aktion als Verbrechen<br />

definieren. Denn ein Verbreellen bleibt lokale<br />

o<strong>der</strong> regionale Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ordnung;<br />

es wird bestraft und damit gesühnt, es<br />

lebt mit dem Versprechen eines Vergessens.<br />

Dies ist <strong>der</strong> "Sinn" sowohl des Verbrechens<br />

wie <strong>der</strong> Justiz, ihres wechselseitigen<br />

Spiels, in dem sich die Realität, die Ordnung<br />

und <strong>der</strong> "Sinn" wie<strong>der</strong>herstellen. An <strong>der</strong><br />

terroristischen Aktion aber versagt dieses<br />

Spiel, denn sie ist das Verbredzen aller Verbreche<br />

II, <strong>der</strong> Anschlag auf den "Sinn" selbst.<br />

Kein Anschlag, <strong>der</strong> lediglich krisenhafte<br />

Unterbrechung des "Sinns" wäre; kein Einbruch,<br />

in dem sich <strong>der</strong> "Sinn" regenerieren<br />

könnte wie in <strong>der</strong> kapitalistischen Krise,<br />

dem Geburtsakt eines neuen Zyklus, o<strong>der</strong><br />

dem Chaos des imperialistischen Kriegs, in<br />

dem sich neue Einteilungen vorbereiteten<br />

und <strong>der</strong> daher "Chaos" nicht eigentlich ist;<br />

son<strong>der</strong>n ein Anschlag auf die Mechanismen<br />

selbst, die in den .,Sinn" zurückflihren.<br />

Deshalb ist <strong>der</strong> Mord ein Verbrechen, einer<br />

schwachen Metaphorik auch <strong>der</strong> Krieg,<br />

doch nicht <strong>der</strong> terroristische Anschlag.<br />

Auf seiner Ebene vermögen die Apparate<br />

nicht mehr zu antworten. Ein "Dialog"<br />

war so lange möglich, wie die Revolte<br />

.,kompatibel" war, wie sie etwa versuchte,<br />

mit <strong>der</strong> realen Macht durch die Etablierung<br />

einer Gegenmacht zu konkurrieren, <strong>der</strong> kapitalistischen<br />

"Anarchie" die sozialistische<br />

"Ordnung"• entgegenzusetzen, <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Beschneidung des "Sinns" seine proletarische<br />

Entfaltung usw., kurz, solange<br />

die Revolte gegen die Ordnung <strong>der</strong>en eigene<br />

Prämissen nicht grundsätzlich verließ.<br />

Im gleichen Moment aber, in dem sich das<br />

"Sinnlose" ereignet, das nicht mehr in den<br />

Codes <strong>der</strong> Macht zu Wort kommen kann,<br />

das nicht auf die Akkumulation von Macht.,<br />

"Sinn" und Ordnung, Aufschub, Geschichte<br />

und Perspektive berechnet ist, geraten<br />

die Apparate ins Taumeln. Sie antworten<br />

mit purer Gewalt und einem maßlosen<br />

Output an <strong>Zeichen</strong>: Die Inflation neuer<br />

Gesetzestexte etwa, mit denen sie auf die<br />

terroristische Herausfor<strong>der</strong>ung entg~gnen<br />

und ihr den "Sinn" einer kriminellen Ubertretung<br />

zuschreiben wollten, illustriert in<br />

nur einem kleinen Bereich den ebenso generellen<br />

wie hoffnungslosen Versuch, das<br />

Wirre, Sinnlose, Klammheimliche, Verschwiegene,<br />

Unvermittelte und nicht weiter<br />

Vermittelbare in die Ordnung eines<br />

"Sinns" zurückzuübersetzen und einzutragen.<br />

Irgendetwas ist also geschehen in den 70er<br />

Jahren, als die westeuropäischen Gesellschaften<br />

mit <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung des <strong>Terror</strong>ismus<br />

konfrontiert wurden, irgendetwas<br />

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