Terror der Zeichen Oder - Hochschule für bildende Künste Hamburg
Terror der Zeichen Oder - Hochschule für bildende Künste Hamburg
Terror der Zeichen Oder - Hochschule für bildende Künste Hamburg
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Film<br />
Die neuen Filme von Ulrike<br />
Ottinger und Ula Stöckl<br />
Zweimal ganz untersch iedl ich es Ki no von Frauen,<br />
zwei deutsche Filmemacheri nnen in nerha lb des Forums<br />
des Jungen Films <strong>der</strong> Berlin er Filmfestspiele,<br />
und beide M ale, das nehme ich vorweg, blieb <strong>der</strong><br />
Eindruck, um die Lust am Filmesehen gebracht w orden<br />
zu sein.<br />
Die neue Arbeit <strong>der</strong> Berliner Fil <br />
memacherin Ulrike Ottinger<br />
.. Dorian Gray im Spiegel <strong>der</strong><br />
Boulevardpresse" ist eine filmi <br />
sche Oper, die opulente ln-Szene-Setzung<br />
einer grotesken Fa <br />
bel in voll kommener Künstlichkeit.<br />
Der Film ist ein einziges Bil <br />
<strong>der</strong>labyrinth, dessen Ein - und<br />
Ausgang sich dem Zuschauer<br />
immer wie<strong>der</strong> entziehen.<br />
Dorian Gray (Veruschka v.<br />
Lehndorff). ,.jung, reich, schön",<br />
wird von <strong>der</strong> Chefin eines gigantischen<br />
Presseunternehmens,<br />
Frau Dr. Mabuse (Delphine Seyring)<br />
zum Objekt ihrer expansionistischen<br />
Unternehmensstrategie<br />
gemacht. Eine neue Titelstory<br />
um den Publikumsliebling<br />
Dorian und dessen Amouren soll<br />
Steigerung von A uflage und<br />
Umsatz international garantieren.<br />
Tatsächlich erliegt Dorian<br />
den verführerischen Reizen <strong>der</strong><br />
schönen Andamana (Tabea Blumenschein).<br />
von Frau Dr. Mabuse<br />
beauftragt. den jungen Mann<br />
zu betören und in ihrem Sinne<br />
verfügbar zu machen. - Neben<br />
dieser Fi lmgeschichte spiegeln<br />
zwei weitere Ebenen den Konfl<br />
ikt zw ischen Dorians unschuldigem<br />
aber verführbarem Narzißmus<br />
und <strong>der</strong> Geld-und<br />
Machtgier <strong>der</strong> Frau Dr. Mabuse.<br />
Eine Oper im Film zeigt die Liebesgeschichte<br />
von Andamana<br />
und Don Luis de Ia Cerda, versetzt<br />
in die Zeit <strong>der</strong> spanischen<br />
Conquistadores; ebenfalls von<br />
Dr. Mabuse arrangiert durchlebt<br />
Dorian eine alptraumhafte<br />
Nachtfahrt durch die Unterwelt<br />
einer Metropole : ein Zerrspiegel<br />
seines naiven Glaubens an Harmonie<br />
und Schönheit. Den wilden<br />
Exzessen dieser Weit entzieht<br />
Dorian sich im Opiumrausch<br />
.<br />
Bloß. was hat <strong>der</strong> Zuschauer<br />
mit dieser skurrilen, dem Ästhetizismus<br />
desfinde siecle entliehenen<br />
Fabel zu schaffen?! Der<br />
Reiz des Films kann wenn überhaupt<br />
nur in <strong>der</strong> Eigenart seiner<br />
Bil<strong>der</strong>sprache liegen, die an surrealistische<br />
Malerei und expressionistisch<br />
ausstaffierte Bühnenräume<br />
erinnert und darüber<br />
hinaus eine Affinität zum ' new<br />
w ave' hat.<br />
60<br />
Die schönsten Bildeinsteilungen<br />
und allerdings naivsten<br />
zugleich gelingen vielleicht in<br />
den Opernszenen. Die W eit wird<br />
zur Kulisse, denn hinter dem<br />
Bü hnenvorhang rauscht das<br />
Meer, an dessen Strand die Darstell<br />
er sich wie Märchenfiguren<br />
bewegen. Die Bil<strong>der</strong> hier sind<br />
/)rm{m<br />
Grr~ ) '<br />
reine Oberfläche, sie kommen<br />
auf den Zuschauer zu und bewahren<br />
die Illusion ihres Arrangements.<br />
Enttäuscht werden<br />
überhaupt alle Erwartungen an<br />
eine Auflösung <strong>der</strong> befremdlichen<br />
Bil<strong>der</strong>welt, die <strong>der</strong> Film als<br />
Ganzes ist.<br />
Die Komposition von Bild,<br />
Ton und <strong>der</strong> theatralischen Körpersprache<br />
<strong>der</strong> Darsteller ist<br />
zwar ausgeklügelt, doch wirken<br />
die Konstruktionen auf die Dauer<br />
viel zu angestrengt und dadurch<br />
langweilig. Insgesamt fehlt die<br />
Leichtigkeit, die <strong>der</strong> gefilmten<br />
Bewegung eignet, und das Fil <br />
mesehen seinerseits zu einem<br />
verführerischen Spektakel<br />
macht. Hier jedoch wird <strong>der</strong> Zu <br />
schauer zum überrumpelten Betrachter<br />
von mit literarischen,<br />
malerischen und theatralischen<br />
Einfallen vollgestopften Bil<strong>der</strong>n.<br />
Die Manie überladene Bil<strong>der</strong> zu<br />
' machen' aber entspricht we<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> banalen Story, noch läßt sie<br />
<strong>der</strong> Lu st am Sehen einen Raum.<br />
Ula Stöckls in schwarz-weiß<br />
gedrehter ,. Schlaf <strong>der</strong> Vernunft"<br />
ist nach langen Jahren <strong>der</strong> erste<br />
ihrer Filme, <strong>der</strong> von einem Kinoverleih<br />
übernommen wurde und<br />
in Kürze in drei Städten parallel<br />
anlaufen wird. Er handeltvon <strong>der</strong><br />
Frauenärztin Dea (lda di Benedetto).<br />
die öffentlich gegen die<br />
Nebenwirkungen <strong>der</strong> Pille protestiert<br />
und den ortsansässigen<br />
Arzeneimittelkonzern vorgeht.<br />
Als in ihre Praxis eingebrochen<br />
wird, vermutet sie den Konzern<br />
hinter dem Einbruch. Weniger<br />
hierdurch als durch Konflikte mit<br />
ihren Töchtern und die Untreue<br />
ihres Mannes, <strong>der</strong> sie verläßt, um<br />
mit ihrer Assistentin zusammenzuleben,<br />
erschüttern das Enga <br />
gement dieser Frau . Sie ist immer<br />
konsequent und furchtlos<br />
<strong>für</strong> ihre Überzeugung und ihre<br />
Wissen eingetreten, doch<br />
scheint sie außer Acht gelassen<br />
zu haben, daß ihre Familie deswegen<br />
keineswegs nach ihren<br />
Wünschen handelt.<br />
Daß <strong>der</strong> Film nun wenig dazu<br />
animiert, sich mit diesen Problemen<br />
auseinan<strong>der</strong>zusetzen, liegt<br />
zum einen an <strong>der</strong> disparaten<br />
Szenerie. Südliche Lebensweise,<br />
die intime Beziehung von<br />
Müttern und Töcht ern, die hierin<br />
drei Generationen beisammenwohnen,<br />
ist in das triste Berliner<br />
Kreuzberg verlegt. Dea ist Italienerin<br />
und italienisch ist das Ambiente.<br />
Von Kreuzberger Hinterhöfen<br />
geht <strong>der</strong> Blick auf vermeintlich<br />
barocke Fassaden,<br />
und von <strong>der</strong> Straße tönt fremdländischer<br />
Großstadtlärm.<br />
Ula Stöckl sieht in <strong>der</strong> betrogenen<br />
und hintergangenen Dea<br />
eine mo<strong>der</strong>ne Medea. Die mythologische<br />
Medea war eine<br />
Fremde in dem Land, in welches<br />
sie dem später untreuen Mann<br />
folgte; ihre unmäßige Rache, die<br />
Vernichtung <strong>der</strong> gemeinsamen<br />
Kin<strong>der</strong>, ist die Rache <strong>der</strong> restlos<br />
Entwurzelten. Der Kin<strong>der</strong>mord<br />
wird nachempfunden in einer<br />
Traumsequenz des Films, in welcher<br />
Dea ihre Kin<strong>der</strong> und die untreue<br />
Mitstreiterin langsam unter<br />
den Schuttt einer Kohlenhal <br />
de eingräbt. - Die Durchdringung<br />
von realer und mythologischer<br />
Ebene sowie die Konfrontation<br />
mit dem Problem kultureller<br />
und sprachlicher Fremdheit<br />
scheinen mir nicht sehr gelungen.<br />
Sie führen nicht zur Intensivierung<br />
<strong>der</strong>gezeigten Probleme,<br />
son<strong>der</strong>n verstreuen die Perspektive<br />
durch eine letztlich willkürliche<br />
Verfremdung.<br />
Unerfreulicher noch ist, daß<br />
das letzte Drittel des Films sattsam<br />
bekannte Dialoge zwischen<br />
Dea und ihrem Mann über die<br />
sich auflösende Liebesbeziehung<br />
bis zum Überdruß in aller<br />
Dehnung des Konflikts zeigt. Offensichtlich<br />
leidet die Spannung<br />
unter <strong>der</strong> Verquickung von<br />
Spielhandlung, aktuellem sozia <br />
lem Konfliktstoff, Traumszenen<br />
und <strong>der</strong> Kontrastierung durch<br />
das südländische Ambiente von<br />
Deas Wohnung. Keine <strong>der</strong> verschiedenen<br />
Ebenen wird konsequent<br />
durchgehalten, so daß die<br />
Handlung insgesamt brüchig<br />
wird, obwohl das Spiel <strong>der</strong> drei<br />
Hauptdarsteller durchaus überzeugt,<br />
neben lda di Benedetto,<br />
Christoph Lin<strong>der</strong>t als ihr Mann<br />
und Christina Scholz als ihre Assistentin.<br />
Barbara Breysach, Berlin