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Terror der Zeichen Oder - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Zeit -<strong>Zeichen</strong>-<strong>Terror</strong><br />

Boris Effenberger<br />

Andre hat nicht<br />

in Drachenblut gebadet<br />

Louis Malles Ftlm .,Mein Essen nui Andre" und Clm:ftop/7 He1i1s Buch "Drachenblut"<br />

"Wenn <strong>der</strong> Liebende das geliebte Wesen<br />

nicht besitzen kann, denkt er manchmal<br />

daran, es zu töten: Oft würde er es lieber<br />

töten als verlieren. In an<strong>der</strong>en Fällen<br />

wünscht er sich selbst den Tod." (Georges<br />

Bataille, Der heilige Eros, 1963)<br />

Wenn <strong>der</strong> Mensch sich undWeltnicht in<br />

Besitz nehmen kann, denkt er manchmal<br />

daran, sich zu töten. Oft würde er sich<br />

lieber töten als verlieren.<br />

Andre sagt zu seinem Freund in Louis<br />

Malles Film "Mein Essen mit Andre": "Ich<br />

glaube, wir leben im Nebel. Tot innerlich<br />

und im bewußtlosen Rausch <strong>der</strong> Gewohnheit<br />

und <strong>der</strong> Gewalt. Keiner sieht uns und<br />

wir sehen uns selber auch nicht. Weil wir<br />

nicht mehr sehen können."<br />

Andre und Wally sprechen über den<br />

täglichen Tod, nicht über den abrupten<br />

o<strong>der</strong> langsamen, <strong>der</strong> am Ende das Herz stehen<br />

läßt. Der Tod, den sie meinen, läßt das<br />

Fühlen hinter sich stehen, das schmerzhafte<br />

Lebendigsein, das Aufbegehren, das<br />

Staunen, das Entdecken ... Der Tod, <strong>der</strong> das<br />

Licht über dem Subjekt, in dem es sich erkennen<br />

will, löscht.<br />

Die Freunde, die sich lange nicht gesehen<br />

haben, sitzen in einem formidablen<br />

New Yorker Restaurant und verspeisen bei<br />

gedämpftem Licht und diskreter Bedienung<br />

gebratene Wachteln.<br />

Andre erzählt von den Variationen seines<br />

Suchens. Ein Gespräch in Stunden, in<br />

denen nichts geschieht als Sprache, die Bil<strong>der</strong><br />

und Visionen entstehen läßt, fur denjenigen,<br />

<strong>der</strong> an die Worte Wirklichkeiten zu<br />

knüpfen vermag.<br />

"Ich versuche mein Leben zu leben,"<br />

reagiert Wally, "weißt Du, ich bezahle meine<br />

Miete, mein Essen, meine Versicherungen,<br />

mal schreibe ich ein Stück, mal gehe<br />

ich mit Debbie aus. Und ich bin froh, richtig<br />

froh, wenn ich morgens in meinem Kaffee,<br />

<strong>der</strong> über Nacht stehen blieb auf meinem<br />

Schreibtisch, keine Kakerlaken finde. Und<br />

wenn ich dann noch ein Stück Rosinenkuchen<br />

zu meinem Kaffee habe, <strong>der</strong> über<br />

Nacht auf mich gewartet hat, dann bin ich<br />

einfach glücklich ... Woran soll ich glauben,<br />

was soll ich hoffen? Ist das Glauben nicht<br />

ein Rückfall ins mittelalterliche Denken?"<br />

"Es geht mir gut." So steht es auf <strong>der</strong><br />

letzten Seite des Buches "Drachenblut" des<br />

DDR-Schriftstellers Christoph Hein. Die in<br />

Ich-Form geschriebene Novelle erzählt<br />

vom Leben einer Ärztin. Ein Ausschnitt aus<br />

einer Lebensgeschichte, mit Rückblicken,<br />

und mit Anmerkungen zum Gegenwärtigen.<br />

Mit einer Beerdigung beginnt das Erzählen,<br />

mit <strong>der</strong> Beerdigung des Freundes<br />

von Claudia, <strong>der</strong> Ärztin. Er teilte wenige<br />

Tage in <strong>der</strong> Woche Zeit, BettundTisch mit<br />

ihr.<br />

"Es geht mir gut. Heute rief Mutter an,<br />

und ich versprach, bald vorbeizukommen.<br />

Mir geht es glänzend, sagte ich ihr. Ich bin<br />

ausgeglichen. Ich bin einigermaßen beliebt.<br />

Ich habe wie<strong>der</strong> einen Freund. Ich<br />

kann mich zusammennehmen, es fallt mir<br />

nicht schwer. Ich habe Pläne. Ich arbeite<br />

gern in <strong>der</strong> Klinik. Ich schlafe gut, ich habe<br />

keine Alpträume. Im Febmar kaufe ich mir<br />

ein neu es Auto. Ich sehe jünger aus als ich<br />

bin. Ich habe einen Friseur, zu dem ich<br />

unangemeldet kommen kann, einen Fleischer,<br />

<strong>der</strong> mich bevorzugt bedient, eine<br />

Schnei<strong>der</strong>in, die einen Nerv fur meinen Stil<br />

hat... Und ich würde, gegebenenfalls, in eine<br />

ausgezeichnete Klinik, in die beste aller<br />

möglichen Heilanstalten eingeliefert werden,<br />

ich wäre auch schließlich dann noch<br />

Kollegin. Ich bin mit meiner Wohnung zufrieden.<br />

Meine Haut ist in Ordnung. Was<br />

mir Spaß macht, kann ich mir leisten. Ich<br />

bin gesund. Ich wüßte nicht, was mir fehlt.<br />

Ich habe es geschafft. Mir geht es gut."<br />

Die Wünsche sind erfullt. Gefuhle werden<br />

nicht verschwendet. Wozu glauben,<br />

wozu hoffen. Es geht ihnen gut. Was ist<br />

mehr zu wollen. Glauben und Hoffen<br />

macht anfechtbar, verletzbar, enttäuschbar.<br />

"Ich habe eine Wärmedecke," berichtet<br />

Wally stolz. "Seit ich sie habe, schlafe ich<br />

besser. Im Appartment ist es kalt in <strong>der</strong><br />

acht und die Decke wärmt mich immer.<br />

Das ist gut." Und Andre schau<strong>der</strong>t: "Eine<br />

elektrische Wärmedecke läßt mich einen<br />

elektrischen Stuhl erinnern. Wie willst Du<br />

noch Kälte und Wärme in Dir fi.ihlen , wenn<br />

Du unter einer Wärmedecke lebst?"<br />

,Je<strong>der</strong> von uns steckt in einem Panzer,<br />

dessen Aufgabe es ist, die <strong>Zeichen</strong> abzuwehren.<br />

<strong>Zeichen</strong> geschehen uns unablässig,<br />

leben heißt angeredet zu werden, wir<br />

brauchten nur uns zu stellen, nur zu vernehmen.<br />

Aber das Wagnis ist uns zu gefährlich,<br />

die lautlosen Donner scheinen uns mit<br />

Vernichtung zu bedrohen, und wir vervollkommnen<br />

von Geschlecht zu Geschlecht<br />

den Schutzapparat." (Martin Buber, Das<br />

dialogische Prinzip, 1979,4. Aufl.) Wärmedecken,<br />

Schutzhi.illen, Panzer. Innen die<br />

Stille und <strong>der</strong>Trugschluß, die Wissenschaft<br />

wird es schon richten. "Ich bin auf alles eingerichtet,<br />

ich bin gegen alles gewappnet,<br />

mich wird nichts mehr verletzen. Ich habe<br />

in Drachenblut gebadet, und kein Lindenblatt<br />

ließ mich irgendwo schutzlos. Aus dieser<br />

Haut komme ich nicht mehr heraus. In<br />

meiner unverletzbaren Hülle werde ich<br />

krepieren an Sehnsucht nach Katharina."<br />

Henry, Claudias Freund, <strong>der</strong> bei einer eigentlich<br />

nebensächlichen wie vermeidbaren<br />

Schlägerei vor einer Kneipe ums Leben<br />

kam, war Architekt. Er wünschte sich,<br />

Stuntman fur Verfolgungsjagden zu sein<br />

und liebte gefahrliehe Autofahrten. Er<br />

furchtete sich nicht davor, zu sterben, wie<br />

er sagte, nein schlimmer sei es, nicht zu leben.<br />

Er d;trchbrach das Traumleben <strong>der</strong><br />

Gewohnheit durch den Wunsch nach<br />

Abenteuern und starb durch Totschlag.<br />

Ohne große Anteilnahme berichtet<br />

Claudia von seinem Tod. Sie hatte sich davor<br />

gehütet zu lieben mehr als es sie aus ihrer<br />

Sicherheit heraus hätte bringen können<br />

- und trotzdem - es war angenehm mit<br />

ihm.<br />

"Sein" ist im Sanskrit bedeutungsgleich<br />

mit "Werden", "Wachsen". Und Andre<br />

fragt zweifelnd seinen genügsamen<br />

Freund: "Wo ist heute etwas, was wächst,<br />

was wird? Alles passiert, ohne daß wir genau<br />

hinsehen müssen. Wenn alles wiejeden<br />

Tag geschieht, braucht man auch nicht genau<br />

hinsehen, es passiert ja auch so. Die<br />

Wirklichkeit gleicht einem regelmäßigen<br />

Raster <strong>der</strong> Langen-Weile, in <strong>der</strong> sich nichts<br />

als das Regelmäßige vollzieht. Sie macht<br />

schläfern und wer schläft, <strong>der</strong> sagt nicht:<br />

Nein!" Sein Freund Wally weiß nicht, wovon<br />

er spricht.<br />

Seine Wärmedecke ist wirklich, sein<br />

Kaffee ohne Kakerlaken auch, sein Zufrie-<br />

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