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Terror der Zeichen Oder - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Film<br />

ihren Willen verbannte Titus die<br />

Königin Berenice, <strong>der</strong> er die Heirat<br />

versprochen hatte, aus <strong>der</strong><br />

Stadt". Rau I Ruiz hat nicht zufällig<br />

dieses Motto Racines wegfallen<br />

lassen. Seine Interpretation<br />

rückt Berenice in den Mittelpunkt<br />

: er zeigt sie als Opfer <strong>der</strong><br />

Macht, die von den männlichen<br />

Agenten an ihr exekutiert wird.<br />

Allein Berenice ist in je<strong>der</strong> ihr zu ­<br />

geordneten Einstellung des<br />

Films als reale, lebendige Person<br />

sichtbar, währenddessen Titus,<br />

Antiouchs und dessen Vertrauter<br />

Arsazes, Paul in, <strong>der</strong> Vertreter<br />

des Senats und Berenices Dienerin<br />

Phenice selten real sind. Sie<br />

erscheinen als Schattenwesen<br />

und Spiegelungen, voneinan<strong>der</strong><br />

und von Berenice getrennt durch<br />

geschlossene Fenster, und<br />

durch die Choreografie des<br />

Lichts, die die Personen an den<br />

Wänden <strong>der</strong> leeren Villa entstehen<br />

und wie<strong>der</strong> verschwinden<br />

läßt. Berenices beständiges unruhiges<br />

Wan<strong>der</strong>n durch die<br />

weitläufigen, leeren Zimmerfluchten<br />

und ihre Begegnungen<br />

mit den Schatten <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Personen erscheinen als Traum,<br />

als Suche nach einem vergangenen<br />

Leben, als Gefangenschaft<br />

und Isolation. Berenice ist von<br />

<strong>der</strong> Ein5amkeit ihrer Liebe, von<br />

<strong>der</strong> Einsamkeit ihrer Rede eingeschlossen,<br />

diebeidenur Phantome<br />

als Empfänger haben. Als<br />

Antiochus Berenice seine Liebe<br />

zu ihr gesteht, zeigt die Kamera<br />

Berenice in einer Naheinstellung.<br />

Antiochus ist aus dem Off<br />

zu hören. Lautlos sprechen die<br />

Lippen Berenices den Text von<br />

Antiochus mit. Doppelte Irritation<br />

in <strong>der</strong> Logik des Traumes:<br />

das Nachformen des Textes mit<br />

den Lippen verrückt den Text<br />

zum deja-vue und zeigt ihn als ri ­<br />

tuelles Abspulen eines Reglements,<br />

dem Berenices wegrükkende<br />

Augen im wahnsinnigen<br />

Akt entkommen wollen. Vom<br />

Schatten Antiochus' bleibt nur<br />

die Kontur seines Profils an <strong>der</strong><br />

Wand zurück, eine Kontur, die<br />

Berenice selbst an die Mauer<br />

zeichnet, als Spureines Körpers,<br />

dessen Sein an<strong>der</strong>swo, in den<br />

säulengetragenen Räumen und<br />

den repräsentativen Treppenaufgängen<br />

zu finden ist.<br />

DieVilla ist Metapher <strong>für</strong> Be ­<br />

renices Exil, <strong>für</strong> ihren fünfjähri ­<br />

gen, freiwilligen Aufenthalt in<br />

Rom, wo sie gerade wegen ihrer<br />

Liebe zu Titus immer Fremde,<br />

immer Nichtgeduldete bleibt.<br />

Titus : .. Sie, Fremdlingin in Rom,<br />

bei Hofe kaum genannt, verbrachte<br />

Tag <strong>für</strong> Tag, um einzig zu<br />

gewarten <strong>der</strong> Stunde des Gesprächs<br />

mit mir. Der Rest hieß<br />

warten."<br />

Die Transponierung des Ra ­<br />

cineschen Stoffes in das späte<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t ist bei Ruiz verknüpft<br />

mit einer starken Betonung<br />

des im Stück enthaltenen<br />

psychologischen Konfliktpotentials.<br />

Den Erkenntnissen <strong>der</strong><br />

Wissenschaft des ausgehenden<br />

19.Jahrhun<strong>der</strong>ts, <strong>der</strong> Psychoanalyse<br />

und ihrem sich entwikkelnden<br />

Begriffsapparat ist die<br />

filmische Sprache Ruiz' verbunden.<br />

Mit Bedacht und großer<br />

Einfühlung wird das <strong>Zeichen</strong>repertoire<br />

eingebracht, das die<br />

Verwirrungen <strong>der</strong> Seele seit den<br />

ersten Stummfilmen am bewährtesten<br />

visualisiert : Schatten,<br />

Spiegel, Mehrfachbelichtungen,<br />

starke Betonung <strong>der</strong><br />

Raumdimensionen ... Vom Senat<br />

unter Druck gesetzt, sich <strong>für</strong><br />

die Gesetze Roms und gegen Berenice<br />

zu entscheiden, wirkt Ti ­<br />

tus eingekeilt zwischen die spitz<br />

zulaufenden Gelän<strong>der</strong> des Treppenhauses<br />

und <strong>der</strong>en überdimensionale<br />

Schattenverdoppelungen.<br />

Diese filmischen Mittel<br />

machen die inneren Konflikte<br />

<strong>der</strong> Personen sichtbar. Dennoch<br />

behält jede Einstellung dabei<br />

ihre schwarz/ weiße grafische<br />

Strenge, die Kamera bleibt die<br />

kühle Instanz.<br />

Der Kaiser repräsentiert die<br />

Geschichte und das Gesetz. Seine<br />

individuellen Neigungen und<br />

Leidenschaften müssen sich<br />

dem Gesetz ebenso unterordnen<br />

wie dem Ruhm und <strong>der</strong> Unsterblichkeit<br />

. mit denen er gegen das<br />

erbarmungslose Auslöschen al ­<br />

les Irdischen durch das Vergehen<br />

<strong>der</strong> Zeit ankämpft. Der<br />

Ruhm, den die Geschichte verzeichnen<br />

wird, läßt die Gegenwart<br />

<strong>der</strong> Leidenschaft, die ihrerseits<br />

die Zeit als geschichtslose<br />

auslöschen will, nicht zu . Der<br />

Souverän ist gespalten : in Herrscherpflicht<br />

und Herrschervermögen.<br />

Diese Spaltung zeigt <strong>der</strong><br />

Film in einem Verfahren vielfacher<br />

Überblendungen. in die<br />

Umrissevon Titus' Kopf und dessen<br />

Schattenriß wird sein Gesicht<br />

mehrfach projiziert. Wenn<br />

Titus Berenice seinen Entschluß,<br />

sie zu verlassen, mitteilt, ist die<br />

Spaltung zwar aufgehoben, dem<br />

Blick <strong>der</strong> Berenice ist er jedoch<br />

entzogen. Als scharf umrissener<br />

Schatten steht er außerhalb des<br />

Zimmers, in dem Berenice ganz<br />

im Bildvor<strong>der</strong>grund auf dem Bett<br />

sitzt. Zum ersten und einzigen<br />

Mal in einem ikonographischen<br />

Akt, <strong>der</strong> ihre Entehrung inszeniert,<br />

sehen wir sie, das Haar gelöst,<br />

ohne Schleier. Titus Schatten<br />

beherrscht den Raum Berenices<br />

und macht ihn sichtbar<br />

zum Ort <strong>der</strong> Verbannung. Die<br />

zentrale Position Berenices vor<br />

<strong>der</strong> Kamera rückt jedoch ihren<br />

Monolog in den Mittelpunkt.<br />

Auf die Entscheidung des Ti ­<br />

tus besteht <strong>für</strong> Berenice nicht<br />

mehr die Möglichkeit zu einer<br />

Handlung wie <strong>der</strong> Medeas, dienachdem<br />

sie Jason gefolgt war ­<br />

auf die Demütigung durch seine<br />

Hochzeit mit <strong>der</strong> korinthischen<br />

Königstochter auch nach langen<br />

Jahren in <strong>der</strong> Fremde zu den archaischen<br />

Formen ihrer Kultur<br />

zurückfindet und die gemeinsamen<br />

Kin<strong>der</strong> und die Nebenbuhlerin<br />

tötet. in <strong>der</strong> Tragödie Raci ­<br />

nes läßt die macchiavellistische<br />

Staatsräson nur eine Selbstzerstörerische<br />

Reaktion Berenices<br />

gegen sich selbst und eine sublimierte<br />

Rache gegen die Psyche<br />

des Geliebten zu : .. Erweckt die<br />

sterbende, verstoßene Berenice<br />

doch einen Rachegeist zu süh ­<br />

nen ihren Tod, sucht ihn in Eurer<br />

Brust. - Da lebt, <strong>der</strong> Euch bedroht.<br />

Der Hauch <strong>der</strong> Neigung<br />

ist's, <strong>der</strong> ciennoch Euch verblieben.<br />

So werd' mein jetzig Leid,<br />

werd mein vergangnes Lieben,<br />

mein selbstvergossen Blut, das<br />

bald dies Haus befleckt, zum<br />

feindlichen Geleit, das euch verfolgt<br />

und schreckt." Als Titus seinerseits<br />

mit Selbstmord droht,<br />

entschließt sich Berenice aus<br />

Liebe zu ihm weiterzuleben. Da ­<br />

mit ist nicht nur das Leben des<br />

Geliebten, son<strong>der</strong>n vor allem die<br />

Herrschaft des zukünftige~_sou -<br />

veräns gerettet. Für Berenice<br />

bleibt nicht einmal <strong>der</strong> Tod. Sie<br />

beugt sich dem imperialen Gesetz,<br />

das ihre Neigung als Faktor<br />

<strong>der</strong> Machterhaltung einsetzt.<br />

in <strong>der</strong> Inszenierung Raul<br />

Ruiz' nimmt Berenice nicht Abschied<br />

von Titus und Antiochus<br />

als lebendiges Wesen, sie nimmt<br />

auch nicht Abschied von ihren<br />

Schatten, son<strong>der</strong>n von einer<br />

steinernen Büste und Gestalten,<br />

die unter weißen Tüchern vergraben<br />

sind, ähnlich denjenigen,<br />

mit denen man in den Sommervillen<br />

<strong>der</strong> letzten Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

die Möbel zu verhängen pflegte.<br />

Die Inszenierung <strong>der</strong><br />

Schlußszene in dieser Form<br />

nimmt <strong>der</strong> Racineschen Vorlage<br />

das Versöhnliche -, in ihrer Radikalität<br />

erinnert sie an die Verfilmung<br />

des gleichen Stoffes 1979<br />

durch Marguerite Duras. in .. Cesaree"<br />

erzählt die Stimme <strong>der</strong><br />

Duras die Geschichte von Berenice,<br />

o<strong>der</strong> Cesaree, <strong>der</strong> jüdischen<br />

Königin, während die Ka ­<br />

mera unaufhörlich eine steinerne<br />

Frauenstatue umkreist, die<br />

eingeschlossen ist von einem<br />

hölzernen Baugerüst.<br />

" Berenice" von Rau/ Ruiz wird<br />

voraussichtlich im Mai o<strong>der</strong> Juni<br />

im Metropoliskino Harnburg in<br />

<strong>der</strong> französischen Originalfassung<br />

zu sehen sein.<br />

Andrea v. d. Straeten, <strong>Hamburg</strong>,<br />

und Thomas Medicus, Berlin<br />

ln <strong>der</strong> Höhle des Löwen<br />

Jean-Marie Straub und Daniele Huillet gehören zu<br />

jenen Cineasten, <strong>für</strong> die sich ein Film, in dem gezoomt<br />

wird, sozusagen von selbst erledigt. Kamerakunststücke<br />

solcher Art, rasante Fahrten und<br />

Schwenke gelten als Bestandteile des Hollywood­<br />

Systems, das sie seit jeher unerbittlich bekämpfen.<br />

Denn wenn die Autoren von .,Moses und Aaron" Hollywood<br />

sagen, meinen sie im Grunde Bil<strong>der</strong>imperialismus,<br />

und wenn sie Fernsehen sagen: Bil<strong>der</strong>vernichtung.<br />

Gegen beides setzen sie ihre vielgepriesene<br />

und vielkritisierte strenge, fast schon asketisch<br />

schlichte Kunst, die sich zunächst einmal über Arbeit<br />

definiert. Kunst statt business, politische Aufklärung<br />

statt Unterhaltung: So verkürzt <strong>der</strong> Gegensatz zwischen<br />

ihrer strengen protestantischen Asthetik und<br />

<strong>der</strong> amerikanischen Kino-Kultur.<br />

Wenn sich die Straubs in ihrem begeben sich zwei in ihre eigene<br />

neuen Film mit einem Stoff be- Höhle des Löwen. Freilich ist die<br />

fassen, <strong>der</strong> Amerika zum Gegen- Auseinan<strong>der</strong>setzung ein wenig<br />

stand hat, so läßt das also auf ei - entschärft dadurch, daß sie sich<br />

ne harte Auseinan<strong>der</strong>setzung einer fremden Literaturvorlage<br />

schließen. Man könnte sagen, da bedienen : Kafkas Amerika-Ro-<br />

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