Terror der Zeichen Oder - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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56<br />
Oper, M usik<br />
golesi und einigen Figuren Mozarts<br />
erneut gefeiert. Die Revolutions-<br />
und Schreckens-Stücke<br />
aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> franzöischen Re <br />
volution, ihre Wirkung auf die<br />
Literatur- und Musikgeschichte<br />
wurden ebenso ausgelassen wie<br />
die Vormärz-Tendenzen in den<br />
deutschen Opern; Beethovens<br />
Fidelio" erscheint unterm<br />
Äspekt <strong>der</strong> synphonischen Rolle<br />
des Orchesters, nicht unter dem<br />
<strong>der</strong> musikgewordenen Frei <br />
heitssehnsucht. Gerhartz sieht<br />
eine fortschreitende Entwicklung<br />
.. vom Singspiel zum Drama<br />
und weiter vom Drama zu einem<br />
Konzert, das als Ausdruck und<br />
Abbild von Gesellschaftsutopien<br />
die Grenzen des Individuums<br />
und seiner Gefühle<br />
sprengt", von da zu Wagner, bei<br />
dem <strong>der</strong> Einzelne .,immer auch<br />
als Ideenträger und Handlungen<br />
folgerichtig immer auch als Pa <br />
rabeln allgemeiner philosophischer<br />
Menschheits- und Gesellschaftsprobleme"<br />
erscheinen.<br />
Dem Rest <strong>der</strong> Gattungsgeschichte<br />
begegnet methodischer<br />
Notbehelf: Richard<br />
Strauss und Arnold Schönberg<br />
werden kurz gestreift, Alban<br />
Bergs .. Wozzeck" als .,<strong>der</strong><br />
Glücksfall einer Oper <strong>für</strong> das 20.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t" herausgehoben,<br />
die theoretische Leistung Kurt<br />
Weills im Anhang zitiert und die<br />
kompositorische mit <strong>der</strong> .,Dreigroschenoper",<br />
an <strong>der</strong>en Würdigung<br />
sich Gerhartz' Plädoyer<br />
(geschickt in W eiii-Zitate gekleidet)<br />
anschließt : daß die Oper tot<br />
Carmen, Carmen<br />
noch einmal<br />
sei und das Musiktheater lebe;<br />
daß ebenso wichtig wie die<br />
Kunst ihr Zweck sei; daß (Musik-)Theaterohne<br />
Publikum aufhör'e,<br />
Theater zu sein.<br />
Von dem, was in neuererZeit<br />
an Arbeiten des Musiktheaters<br />
abgeliefert wurde, hat Gerhartz<br />
generell keine beson<strong>der</strong>s hohe<br />
Meinung (und wohl, von einigen<br />
seiner Parade- Beispielen abgesehen,<br />
auch keine beson<strong>der</strong>s intensive<br />
Kenntnis). Mit weiteren<br />
Einwänden gegen manche These,<br />
verschiedene Folgerungen<br />
will ich den eiligen Rezensionen<br />
Leser aber nicht aufhalten. Leo<br />
Kar I Gerhartz' .,Opern"-Einfüh<br />
rung ist ein sehr empfehlenswertes<br />
Buch, eine Arbeit vorm<br />
Hintergrund fundierter Literaturkenntnis,<br />
<strong>der</strong> Wahrnehmung<br />
ästhetischer Kontroversen und<br />
<strong>der</strong> aufmerksamen Beobachtung<br />
vieler wichtigen Neuinszenierungen,<br />
ein offenes - kein<br />
hermetisches Buch. Und seinem<br />
Autor ist insbeson<strong>der</strong>e beizu <br />
pflichten, wenn er resumiert :<br />
.. Die Diskussion um die Möglichkeit<br />
von Opernkompositionen<br />
heute wird mehr als irgendwo<br />
sonst bei <strong>der</strong> notwendigen Verquickung<br />
des Opernkunstwerkes<br />
mi.t einer bestimmten Ge <br />
sellschaft, die seiner bedürftig<br />
ist, anzusetzen haben."<br />
Leo Kar! Gerhertz: OPER -<br />
Aspekte <strong>der</strong> Gattung. Laaber<br />
Verlag, Laaber 1983, 206 S.<br />
Frie<strong>der</strong> Reininghaus<br />
Noch ist Carlos Sauras Verfilmung einer Ballett-Inszenierung<br />
nicht restlos ausgemolken, Peter Brooks<br />
"Carmen" -Film aus dem ARD-Programm in frischer<br />
Erinnerung, da kündigen sich schon neue "Carmen"<br />
Verwerter am Medienhorizont an: die wohl bekannteste<br />
und weltweit bestgehende Oper erlebt einen<br />
neuen Boom. Die modische Macht <strong>der</strong> Gefühle<br />
scheint fast keine Grenzen mehr kennen zu wollen.<br />
Der ansonsten eher kopflastige Teil des bundesdeutschen<br />
Mittelstandes ist aus dem Häuschen.<br />
1 n Sauras Arbeit vermischen sich<br />
das Leben einer artistischen Inszenierung<br />
und die Inszenierung<br />
des artistischen Lebens. Prosper<br />
Merimees Novellevon 1845, mit<br />
routiniertem Geschick von Jacques<br />
Offenbachs Librettisten<br />
Meilhac und Halevy dramatisiert<br />
und von George Bizet 1875 in<br />
Musik gesetzt, diente nur zur<br />
knappen Hälfte als Material <strong>für</strong><br />
diesen Film. Ein Kunststück über<br />
Kunststücke in umstrittener<br />
Qualität: die Carmen-Vorlagen<br />
des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurden<br />
strikt reduziert, umgekrempelt.<br />
Peter Brooks 'Tragödie <strong>der</strong><br />
Carmen' hielt sich etwas näher<br />
am Libretto und an <strong>der</strong> Musik Bi <br />
zets (von <strong>der</strong> bei Saura nur die<br />
Highlights zur Filmmusik arrangiert<br />
wurden); doch auch hier<br />
wurde die Handlung entschieden<br />
verknappt, die Musik reduziert<br />
(vgl. SPUREN 3/1983, S.<br />
51). Eine Opern-Verfilmung aus<br />
dem Geiste des Regie-Theaters;<br />
die Reduktion <strong>der</strong> Musik erfolgt<br />
auf doppelte Weise: aus <strong>der</strong>fast<br />
vierstündigen Operwird ein Film<br />
von knapp eineinhalb Stunden;<br />
statt <strong>der</strong> statt! ichen Opern<br />
Stimmen erster Wahl wurden<br />
die Gesangspartien jungen<br />
Künstlern mit schauspieleri <br />
schen Qualitäten, mit Begeisterung<br />
<strong>für</strong> die Erarbeitung eines<br />
ehrgeizigen und genauen Regie<br />
Projekts übertragen und das<br />
große Opernorchester auf ein<br />
Kammer- Ensemble von 15 Instrumenten<br />
zurückgenommen.<br />
Brooks Regieleistung rückt die<br />
tausendfach abgenutzte Geschichte<br />
<strong>der</strong> Carmen wie<strong>der</strong> näher,<br />
führt Momente <strong>der</strong> destruktiven<br />
Kraft vor Augen, die dem<br />
historischen Kunstwerk innewohnt<br />
und die das Publikum <strong>der</strong><br />
Uraufführung verschreckt, irritiert<br />
und erregt hat.<br />
in Köln wird nun stürmisch<br />
gefeiert, daß die städtische Oper<br />
gemäß eines vor vier Jahren gefaßten<br />
Plans wie<strong>der</strong> 'das Original'<br />
zeigt- kein Ragout, son<strong>der</strong>n<br />
die vollständige Speisefolge<br />
nach dem vom frühverstorbenen<br />
Komponisten hinterlassenen<br />
Rezept (französische Küche,<br />
versteht sich) : Keine das Detail<br />
ausleuchtende Interpretation,<br />
son<strong>der</strong>n große ruhige Bil<strong>der</strong>; das<br />
Ganze in erhabener Beschaulichkeit.<br />
Das Stadttheater antwortet<br />
<strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
in vieler Hinsicht überlegenen<br />
Medien : genießt es doch den<br />
Vorteil, Frisches zu bieten und<br />
.nicht Tiefgefrorenes. Jean- Pierre<br />
Ponnelle, <strong>der</strong> Berühmte, hat<br />
nach den erfolgreichen und eingespielten<br />
Mustern (und nurwenig<br />
variiert gegenüber seiner<br />
früheren .,Carmen"-lnszenierung<br />
in Frankfurt) eine opulente<br />
Ausstattung herstellen lassen<br />
und sich zugleich als Regisseur<br />
betätigt.<br />
Joachim Kaiser, Feuilleton<br />
Fürst <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung,<br />
for<strong>der</strong>te 1983 angesichts des<br />
Wende-.. Rings" von Peter Hall in<br />
Bayreuth, man solle von den Re <br />
gisseuren des Musiktheaters<br />
um des ästhetischen Genusses<br />
willen doch nicht fortdauernd<br />
zwingende Ideen und durchdachte<br />
Konzepte erwarten und<br />
einfor<strong>der</strong>n. Nun schlägt die Provinz-Presse<br />
in dieselbe Kerbe :<br />
es war bei Pannelies .. Carmen"<br />
halt einfach so schön, so<br />
.. fabelhaft", so .. wahrlich sensationell",<br />
daß .,es kaum noch <strong>der</strong><br />
ausgeklügelten Konzepte" bedürfe<br />
(Kölner Stadtanzeiger).<br />
Die Polemik richtet sich dagegen,<br />
daß sich bei den Carmenlnszenierungen<br />
.,Ideologien zu<br />
verselbständigen" begannen<br />
und .,Teilaspekte o<strong>der</strong> Verfremdungen<br />
übermächtig" wurden:<br />
.. Solcherart ist Carmen bei Ponnelle<br />
kein Stück über Frauen<br />
Emanzipation o<strong>der</strong> Männlichkeits-Wahn,<br />
keine Abhandlung<br />
über rassische o<strong>der</strong> soziale Min<strong>der</strong>heiten,<br />
kein Traktat über die<br />
Lust am Untergang, keine Moritat<strong>der</strong>animalischen<br />
Gelüste und<br />
unkontrollierbar-dumpfen Triebe,<br />
kein Genre-Bild <strong>der</strong> ausgelassenen,<br />
verruchten, leichtlebigen<br />
und -sinnigen und was auch<br />
immer Frauen". Aber was, bittesehr,<br />
soll es dann sein? Eine Vorführung,<br />
die vergessen lassen<br />
soll - vor allem das kritische<br />
Nachdenken. Denn : .. Wer nun<br />
aber in <strong>der</strong> Kölner Oper Jean<br />
Pierre Pannelies Neuinszenierung<br />
<strong>der</strong>'Carmen' erlebte, durfte<br />
alle theoretisierenden Erwägungen<br />
über dieses mehrfach fluchbeladene<br />
Werk sehr schnell vergessen."<br />
Schön war vor allem die Dekoration.<br />
Ponnelle zeigt eine Kasernenwand,<br />
eine Fabrikwand,<br />
die Wand einer Stierkampf-Arena,<br />
die <strong>der</strong> nordeuropäischen<br />
Sehnsucht nach <strong>der</strong> idealisierten<br />
Schönheit südeuropäischer<br />
Stadtbil<strong>der</strong> bruchlos entgegenkommt.<br />
Die Weinstuben-Einrichtung<br />
ist <strong>der</strong> Phantasielosigkeit<br />
bundesdeutscher Restaurant-Ketten<br />
abgeschaut - auch<br />
das ein Bild anheimeln<strong>der</strong> Gemütlichkeit.<br />
Alles gerade und ordentlich,<br />
glattgehobelt und<br />
symetrisch. Selbst die Gebirgslandschaft<br />
<strong>der</strong> Schmuggler,<br />
einesteile Plastik-Weit, ist so<br />
geschönt und symmetrisch, daß<br />
sie kaum an die durstigen Mühen<br />
und verwegene Schießereien<br />
gemahnt, eher an einenfeudalen<br />
Park, in dessen Kunstlandschaft<br />
ein wenig gezähmte Natur integriert<br />
wurde. Die Stilisierung <strong>der</strong><br />
Bil<strong>der</strong> auf .,romantischen Realismus"<br />
gehört zuvor<strong>der</strong>st zu dem,<br />
was die Kontinuität <strong>der</strong> Ponnel <br />
leschen Oper-Bebil<strong>der</strong>ungen<br />
ausmacht; und die Wie<strong>der</strong>kehr<br />
des Anerkannten und ., Bewährten"<br />
ist Kern <strong>der</strong> Marketing<br />
Strategie des Allraund-Talents<br />
Ponnelle.<br />
Die bis ins kleinste Detail<br />
ausgeführten bühnenfüllenden<br />
Bil<strong>der</strong> Pannelies tun ihre Wirkung,<br />
auch wenn solcherart<br />
Kunsthandwerk nicht je<strong>der</strong>mann<br />
Geschmack trifft. Doch wo<br />
die Bil<strong>der</strong> die Zuschauer nicht in<br />
ihren Bann schlagen, tritt die<br />
Einfallslosigkeit und die bie<strong>der</strong>e