Terror der Zeichen Oder - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Edztorial<br />
"Gibt es <strong>Zeichen</strong>, die nichts beabsichtigen?<br />
Sind sie noch <strong>Zeichen</strong> o<strong>der</strong> nur<br />
Spiegel? Leere <strong>Zeichen</strong> mit dem Spray<br />
Graffitti ohne Inhalt - aber in bezug auf<br />
eine gesellschaftliche Situation, aus <strong>der</strong>en<br />
einseitigen Verhältnissen heraus sie<br />
tatkräftig entstanden sind. Ihr Sinn liegt<br />
in dieser Spannung, Differenz, so wirken<br />
sie als <strong>Zeichen</strong>."<br />
(Christian Münzer und Gesche-M Cordes, rn<br />
diesem Hift azifS. 44)<br />
Wenige Tage, bevor dieses Heft in Druck<br />
ging, wurde Harald aegeli an die Schweizer<br />
Behörden ausgeliefert. Gegen den Protest<br />
im In- und Ausland befand es ein<br />
schleswig-holsteinischer Minister namens<br />
Schwarz fur richtig, dem Auslieferungsbegehren<br />
<strong>der</strong> Schweiz zu entsprechen. iemand,<br />
schon gar nicht aegeli, hatte wirklich<br />
an<strong>der</strong>es erwartet; und doch, vielleicht<br />
umso deutlicher: was hier geschah, ist noch<br />
keineswegs erläutert, erklärt o<strong>der</strong> begriffen,<br />
ist in keiner Hinsicht erledigt. Das Rätsel<br />
dieser <strong>Zeichen</strong>, die Naegeli hinterlassen hat<br />
und weiter hinterlassen wird, die zwei Staaten<br />
und ihre Justizapparate in Bewegung<br />
brachte und zugleich einer gewissen Lächerlichkeit<br />
preisgab, hat in noch keinem<br />
Kommentar, in keiner Äußerung selbst<br />
aegelis ihren Begriff gefunden. Und so<br />
beunruhigen und irritieren diese <strong>Zeichen</strong><br />
unvermin<strong>der</strong>t weiter.<br />
Wir ford~rn Naegelis Freilassung, und<br />
vielleicht wird es eine gewisse Einsicht in<br />
Zürich sogar so weit bringen, ihn vorzeitig<br />
zu entlassen. Genug Angebote an "goldenen<br />
Brücken" hatte man ihr ja gebaut- etwa<br />
das Angebot, diese <strong>Zeichen</strong> als Phänomene<br />
<strong>der</strong> "Kunst" zu interpretieren, fur die<br />
<strong>der</strong> Staatsanwalt nun mal nicht kompetent<br />
sei. Eine "goldene Brücke" war dies, weil<br />
Naegelis <strong>Zeichen</strong> über den gängigen und<br />
eingegrenzten Begriff <strong>der</strong> Kunst, <strong>der</strong> sie<br />
stets mit Museen und Archiven, amen<br />
und Märkten in Verbindung bringt, weit<br />
und erfreulich deutlich hinausgeht. Doch<br />
nichts, nicht einmal dieser Vorschlag zur<br />
Güte, konnte die Schweizer und nun auch<br />
den Herrn Dr. Schwarz daran hin<strong>der</strong>n, in eine<br />
merkwürdige Falle zu laufen: gerade indem<br />
sie auf die Differenz dieser <strong>Zeichen</strong><br />
und Ornamente mit allen zu Gebote stehenden<br />
Mitteln ihrer Macht reagierten, unterstrichen<br />
sie nur, daß sie auf die Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
dieser Ornamente keine wirkliche<br />
Antwort geben können; daß die Mittel<br />
dieser Macht, je massiver sie eingesetzt<br />
werden, an einem bestimmten Punkt dieser<br />
Revolte von <strong>Zeichen</strong> auf merkwürdige<br />
Weise kraftlos werden und versagen können.<br />
'"?f 2' C\1<br />
Cti- JV~iif~,<br />
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j,l,, .....-a. 4~~~. 2.2<br />
,hoo ~;vv_,M".r<br />
Harald Naegeh; Hennann Götzstr.22, CH-8400 Wtnterthur<br />
Im Umfeld dieser Frage, die über den<br />
Fall aegelis natürlich weit hinausreicht,<br />
bewegen sich die Texte des vorliegenden<br />
Heftes. Zeit- <strong>Zeichen</strong>-<strong>Terror</strong>, ein vielfach<br />
assoziationsfähiges und variables Thema,<br />
wie zu sehen ist : Zeit und <strong>Zeichen</strong>; <strong>Zeichen</strong><br />
und <strong>Terror</strong>ismus; Zeit des <strong>Terror</strong>ismus;<br />
<strong>Terror</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeichen</strong>: Einbruch unverständlicher<br />
und sinnloser <strong>Zeichen</strong> in die Umlaufbahnen<br />
ausgemünzten "Sinns"; Ende also<br />
dieses "Sinns", Ende seiner "Zeit", Ende seiner<br />
"Geschichte" im Augenblick einer Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
und Verfuhrung, die den<br />
"Sinn" und die Macht absorbieren können <br />
diese Figuren ziehen sich durch alle Texte<br />
wie auch durch die Fotoserie dieses Heftes<br />
als zentrales, und das heißt hier : dezentrierendes<br />
Motiv.<br />
Als die ,,Spuren"-Redaktion sich darauf<br />
einigte, ein Heft im Umfeld dieser Thematik<br />
zu machen, waren es an<strong>der</strong>e Anlässe als<br />
die <strong>der</strong> Graffitti, die diese Entscheidung bestimmten;<br />
Wolfgang Pohrts listiger Vorschlag<br />
etwa, eine Amnestie fur die Aktivisten<br />
von RAF, Bewegung 2.Juni und an<strong>der</strong>er<br />
zu verlangen, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> große Einschnitt,<br />
<strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> Digitalisierung und Computerisierung<br />
des öffentlichen Lebens und<br />
<strong>der</strong> Sicherheitsapparate <strong>der</strong> Republik vollzieht.<br />
Dies wird jetzt auch behandelt, in Alltagsminiaturen,<br />
Beschreibungen, Kommentaren,<br />
Analysen. theoretischen Versuchen<br />
und Entwürfen. Und doch fallt auf:<br />
viele <strong>der</strong> Figuren, die bereits mit den Ansätzen<br />
einer Diskussion um Naegeli o<strong>der</strong> allgemeiner:<br />
<strong>der</strong> subversiven Kraft eines Aufstands<br />
<strong>der</strong> <strong>Zeichen</strong>, beschrieben worden<br />
sind, wie<strong>der</strong>holen sich in den Texten dieses<br />
Heftes, bereichern und präzisieren sich -<br />
im Sinne von Denkmodellen, in denen<br />
Konturen künftigen Wi<strong>der</strong>stands, künftiger<br />
Revolte, künftiger Subversion gedacht werden<br />
könnten.<br />
Wie wir von Sarah Kirsch erfuhren, erhielt<br />
sie vor einiger Zeit von <strong>der</strong> Stadt Zürich<br />
die Einladung zu einer Lesung, <strong>der</strong> sie<br />
arn 6.Mai folgen wolle. Sie wird diese Gelegenheit<br />
nicht nur dazu wahrnehmen,<br />
aegelis Freilassung zu verlangen, son<strong>der</strong>n<br />
diese Lesung selbst als eine "fur Harald<br />
aegeli" gestalten.<br />
Wir möchten unsere Leser bitten,<br />
ebenfalls dazu beizutragen, daß die For<strong>der</strong>ung<br />
nach einer Freilassung aegelis nicht<br />
verstummt, und grüßen ihn, <strong>der</strong> diese Zeilen<br />
jetzt im Gefängnis liest.<br />
Hans-Joachim Lenger<br />
Jochen Hrltmann