Terror der Zeichen Oder - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Theater<br />
kommt und geht nach Belieben, und lsolde: sie schmachten da <br />
ungerufen, ungebunden und hin in einem nicht endenwollenden<br />
frei. Sie hat ihre Wurzeln im Matriarchat<br />
und ist darum nicht nur Vorspiel, schleppen sich von<br />
Interruptus zu Interruptus und<br />
faszinierend, son<strong>der</strong>n auch gefährlich<br />
ersticken letztendlich im<br />
- Zigeunerin und Hexe,<br />
das Flintenweib im Lumpenrock<br />
mit den durchlöcherten Strümpfen.<br />
Wenn sie liebt, muß Mann<br />
sich in Acht nehmen: Carmen ist<br />
rot und schwarze Aggression,<br />
vielleicht gar die Anarchie, denn<br />
sie führt selbst das Messer,<br />
macht die Männer zu Opfern, ka <br />
striert die Moral <strong>der</strong> Truppe und<br />
stellt so die göttliche Ordnung<br />
auf den Kopf. Letztere wird na <br />
türlich am Ende wie<strong>der</strong> hergestellt,<br />
<strong>der</strong> kleine Sergeant ermannt<br />
sich und sticht zu - aber<br />
er bleibt dennoch Sklave seiner<br />
Leidenschaft, und so triumphiert<br />
noch im Tode letztlich das Weib.<br />
Schwelbrand ungestillten Verlangens,<br />
in vermin<strong>der</strong>ter Vorhaltsharmonik.<br />
Carmen dagegen<br />
ereilt <strong>der</strong> Tod mitten im rau <br />
schenden Leben, wie ein Herzschlag<br />
auf dem Höhepunkt erfüllter<br />
Leidenschaften, zu dem<br />
jubelnd ausgehaltenen Tremolo<br />
<strong>der</strong> Streicher in sattem Fis -Dur.<br />
Vorhang. Und man fühlt sich danach<br />
als besserer Mensch, wie<br />
neugeboren und dazu ermuntert,<br />
selbst auch die äußerste<br />
Bosheit o<strong>der</strong> was sonst immer<br />
auszuschütten.<br />
Alsbald drängt sich die Frage<br />
auf: wie mag es dann bloß in den<br />
letzten Jahren um die Orgasmen<br />
Die Damen <strong>der</strong> Wagnersehen <strong>der</strong>jenigen bestellt gewesen<br />
Dramen sind dagegen allesamt<br />
bie<strong>der</strong>e Hausfrauen, im Grunde<br />
sein, die jetzt scharenweise, und<br />
wie weiland Nietzsche zum wohl<br />
ihres Herzens, tugendsam, zwanzigsten Male zu Carmen<br />
pflichtbewußt und opferbereit.<br />
gleichviel, ob sie als zimperliche<br />
Göttinnen, als reine Jungfrauen<br />
in weiß und pasteil o<strong>der</strong> als be <br />
waffnete Emanzen daherkommen:<br />
das blondbezopfte Evchen<br />
ebenso wie die unbedarfte Eisa,<br />
pilgern? Ein bekanntes <strong>Hamburg</strong>er<br />
Magazin hat bereits vor einiger<br />
Zeit besorgt den Verlust <strong>der</strong><br />
Lust in deutschen Landen registriert<br />
und die Schuld daran vorschnell<br />
den Lilalatzhosenfrauen<br />
in die Roots geschoben. So ein <br />
die tapfere Senta und auch die fach ist es nun auch wie<strong>der</strong> nicht.<br />
Herrin lsolde mit dem Giftbecher,<br />
ja - selbst sündige Hexen<br />
und streitbare Walküren werden<br />
Schließlich zeigt sich jetzt auch<br />
das sogenannte schwache Geschlecht<br />
heilsam vom Carmenfieber<br />
infiziert, die Röcke sind<br />
schließlich geläutert, erlöst und<br />
zur Ordnung gerufen. Und wie<br />
an<strong>der</strong>s läßt Wagner lieben und<br />
kürzer geworden, die Hosen en <br />
ger, die Dekolletes tiefer und die<br />
sterben! Wenn es nicht gerade Absätze höher. Es waren ja auch<br />
Witwenverbrennung o<strong>der</strong> gebrochene<br />
nicht nur die sanften Märchen<br />
Herzen sind, dann ist prinzen und beflissenen Freunde<br />
es <strong>der</strong> Liebestod wie bei Tristan <strong>der</strong> Frauenbewegung, die sich in<br />
nächtlichen Debatten zwischen<br />
Reich und Fromm, Bornemann<br />
und Beauvoir aufrieben bis zum<br />
.. rien ne vas plus". Auch so manche<br />
beredte Emanze ging stumm<br />
und kalt zu Bette, besseren Wissens,<br />
aber mit schlechtem Gewissen,<br />
weil sie wie Tristan <strong>der</strong><br />
Maulheld nicht mehr wollte,<br />
wagte, durfte - und erst recht<br />
nicht mehr konnte, wie sie wollte.<br />
Nicht nur <strong>der</strong> Schlaf <strong>der</strong> Vernunft,<br />
auch ihr Erwachen, so<br />
scheint es, kann Ungeheuer gebären<br />
: das helle Licht <strong>der</strong> Aufkl<br />
ärung, welches nach 1968<br />
auch den Krieg <strong>der</strong> Geschlechter<br />
neu ausleuchtete, hat offenbar<br />
finstere Schlagschatten geworfen<br />
auf die anfangs so emphatisch<br />
aufgerissene .. Sex-Front".<br />
Wo <strong>der</strong> Kampfruf erschallt :<br />
.. Wer zweimal mit <strong>der</strong>selben<br />
pennt, gehört schon zum Estab-<br />
1 ishment"; wo Eifersucht als ,;<strong>der</strong><br />
sexuelle Nie<strong>der</strong>schlag des Privateigentums"<br />
entlarvt worden<br />
ist, Penetration als chauvinistische<br />
Landnahme und Hingabe<br />
als Unterwerfung, regelten wie<strong>der</strong>um<br />
Dogmen, eine gehörige<br />
Portion Moral von links und ein<br />
aufgeklärter Puritanismus den<br />
Verkehr. Liebeslust und -leid<br />
wurden durchrationalisiert, in<br />
kühle, blonde Beziehungskisten<br />
verpackt, vernagelt, verhandelt.<br />
ln besagten Schlagschatten<br />
aber vegetierten nicht nur Frust,<br />
Impotenz und Orgasmusstörungen,<br />
da blühten auch im Verborgenen<br />
die Mythen weiter- Kinomythen<br />
wie Marilyn und Bogie,<br />
aber auch <strong>der</strong> Commandante<br />
Che Guevara auf dem Poster<br />
schlottriges, verkommenes<br />
Männchen, Borzow, <strong>der</strong> frühere<br />
Gutsbesitzer (Willem Menne).<br />
<strong>der</strong> inständig um ein Glas Wodüberm<br />
Bett war mehr als nur politische<br />
ldentifi kationsfig ur .. .<br />
Mittlerweile ist <strong>der</strong> deutsche<br />
Herbst und W inter ins Land gegangen,<br />
man ist über die aufgeklärten<br />
Kopfrevolutionen von<br />
einst aufgeklärt und ernüchtert,<br />
und die ersten Früchtchen <strong>der</strong><br />
antiautoritären Avantgarde sind<br />
längst eingeschult. Jetzt feiern<br />
in <strong>der</strong> Provinz <strong>der</strong> Kohlköpfe<br />
wie<strong>der</strong> die niedrigsten Instinkte<br />
fröhliche Urständ, es wackeln<br />
die Ärsche, es locken blutrote<br />
Lippen, und Mann steht wie<strong>der</strong><br />
dazu, daß es ihm steht, es darf<br />
wie<strong>der</strong> zugestoßen werden und<br />
die Carmens, ob sie sich so nen <br />
nen o<strong>der</strong> so heißen, werden<br />
flambiert o<strong>der</strong> erdolcht, gleichviel.<br />
Aber es ist nicht das, verehrte<br />
Leserin, geneigter Leser, was<br />
mich beunruhigt: nicht je<strong>der</strong>,<br />
<strong>der</strong> es sein möchte, ist gleich ein<br />
Don Jose, und um mich abschlachten<br />
zu lassen, dazu fehlt<br />
es mir an Fatalismus. Son<strong>der</strong>n,<br />
daß das helle Licht <strong>der</strong> Aufklärung<br />
mit den Trieben <strong>der</strong> Liebe<br />
so unvereinbar erscheint; daß<br />
wie<strong>der</strong>um über den neuen Moden<br />
die alten· Weisheiten so<br />
gründlich vergessen sind; o<strong>der</strong>,<br />
noch schlimmer: daß das Carmenfieber<br />
möglicherweise nur<br />
ein exotischer Voyeurismus<br />
b~eibt und verebbt in Mittelmaß<br />
und schlechtem Gewissen- das<br />
vor allem <strong>für</strong>chte ich aufrichtig.<br />
Denn ich will gestehen, auch in<br />
mir bewegt sich ab und zu ein<br />
tiefer, tiefer Grund.<br />
E!isabeth E/eonore Bauer, Berlin<br />
Erinnerung an die Gemeinschaft<br />
Im Schatten <strong>der</strong> Berliner Filmfestspiele und <strong>der</strong><br />
großzügigen Tschechow-lnszenierung von Peter<br />
Stein am Leniner Platz zeigt die Berliner Schaubühne<br />
noch einen zweiten, einen an<strong>der</strong>en Tschechow.<br />
Gespielt wird in Kreuzberg, in<br />
den sonst als Probebühne eingesetzten·<br />
Räumlichkeiten in <strong>der</strong><br />
Cuvrystraße nahe <strong>der</strong> Berliner<br />
Mauer. Klaus Michael Grüber<br />
inszenierte Tschechows frühe<br />
dramatische Skizze .. An <strong>der</strong><br />
Grossen Straße" , bestehend aus<br />
nur einem Akt mit einem einzigen<br />
Bild. Dem nämlich einer erbärmlichen,<br />
sinnestoten, möglicherweise<br />
halbverfrorenen Ansammlung<br />
von armen Viehtreibern,<br />
Wallfahrern, Wan<strong>der</strong>arbeitern,<br />
einem Landstreicher -<br />
62<br />
und - einem .. ruinierten Gutsbesitzer"<br />
(so auch wird er in Tschechows<br />
Personenregister in <strong>der</strong><br />
Übersetzung von Peter Urban<br />
aufgeführt). mitlei<strong>der</strong>regende<br />
Gestalten, die sich in <strong>der</strong> Schenke<br />
aufwärmen und hier ihre<br />
Nacht verbringen.<br />
Wenn die Zuschauer ihre<br />
Plätze einnehmen, befinden sie<br />
sich bereits im Bühnenraum. Gil <br />
les Aillaud hat auf nahezu jegliche<br />
Ausstattung <strong>der</strong> Bühne verzichtet<br />
und beließ es bei den<br />
kahlen, weiß-schmuddeligen<br />
Betonwänden, die lediglich von<br />
einigen Kerzenlichtern und einer<br />
Ikone geschmückt sind. Hier sitzen,<br />
liegen, hängen und kauern<br />
schon auf Bänken und Boden die<br />
Schauspieler, sämtlich von <strong>der</strong><br />
Kostümbildnerin Dagmar Niefind<br />
in helle Gewän<strong>der</strong> eingehüllt<br />
und verhüllt, in denen sie<br />
unidentifizierbar bleiben und so<br />
auf engem Raum eine unstrukturierte<br />
Ansammlung, einen 'Haufen<br />
Menschen' bilden. Bewegung<br />
gibt es hier nur, wenn einer<br />
dem an<strong>der</strong>en den Platz streitig<br />
macht. gesprochen wird kaum,<br />
und wenn, dann unartikuliertes,<br />
beliebiges Zeug.<br />
Am einzigen Tisch <strong>der</strong> Inhaber<br />
<strong>der</strong> Schenke (Mathias Gnä <br />
diger) und mit ihm im Ha<strong>der</strong> ein<br />
ka wie um den letzten Segen bittet.<br />
lgor Merik (Udo Samel)<br />
bricht rn diese trübe Versammlung<br />
ein, ein übler, ein unberechenbarer<br />
Bursche. Demonstrativ<br />
trägt er seine große Axt, bereit,<br />
selbst gebrechlichen, alten<br />
Frauen Schrecken einzujagen :<br />
ein Angeber und Großmaul in einer<br />
ansonsten dumpfen Versammlung<br />
von Schwachen.<br />
Nichts passiert, die Gegenwart<br />
<strong>der</strong> Menschen ist freudlos,<br />
Vergangenheit und Zukunft<br />
scheint es nicht zu geben. Der<br />
abgewiesene Trinkfreund bietet<br />
schließlich seinen Mantel, den er<br />
auf bloßem Leib trägt und zuguterletzt<br />
seinen einzigen Besitz,<br />
eine goldene Uhr, als Bezahlung<br />
<strong>für</strong> einen Wodka. Mit dieser Uhr<br />
aber, die das Bildnis einer jungen<br />
Frau enthält, beginnt sich die<br />
Geschichte des ruinierten Mannes<br />
zu enthüllen. Auch wird <strong>der</strong>