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deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...

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in den letzten Jahrzehnten wurden in 100<br />

Deutschland und anderen Demokratien vermehrt<br />

Möglichkeiten geschaffen, durch<br />

Volksbegehren und -entscheide politischen<br />

Einfluss auszuüben. Zu guter Letzt nutzt eine<br />

80<br />

wachsende, wenn auch immer noch relativ<br />

kleine, Gruppe von Bürgern das Internet als<br />

Mittel der politischen Beteiligung (vgl. ausführlich<br />

dazu: Gabriel/Völkl 2005; Gabriel/<br />

Völkl 2008; van Deth 2009).<br />

60<br />

Auch wenn die Beteiligung an der Wahl der<br />

politischen Führung für die meisten Bürger<br />

die wichtigste Form politischer Einflussnahme<br />

geblieben ist, zeigt die empirische 40<br />

Forschung mit großer Deutlichkeit, dass die<br />

vielfältigen Möglichkeiten zum politischen<br />

Engagement von einer wachsenden Zahl von<br />

Bürgern genutzt werden. Zwar ist die Wahlbeteiligung<br />

in den letzten zwanzig Jahren in<br />

20<br />

Deutschland stärker gesunken als es die Daten<br />

in Abbildung 2 erkennen lassen, jedoch<br />

handelt es sich dabei eher um eine Ausnahme 0<br />

als um die Regel im politischen Engagement:<br />

Entweder ist das politische Engagement gestiegen<br />

– wie im Fall der legalen Protestaktionen<br />

– oder es ist zumindest stabil geblieben.<br />

Außer der Wahlbeteiligung hat sich in<br />

Deutschland keine andere Form der politischen<br />

Partizipation rückläufig entwickelt.<br />

Insgesamt ist somit die Inklusivität des politischen Systems gewachsen.<br />

Dies bestätigen auch weitere empirische Studien (Hinweise<br />

bei: Gabriel 2011: 24–29).<br />

Welche Gruppen betätigen sich politisch und<br />

welche bleiben inaktiv?<br />

Ungeachtet des relativ breiten bürgerschaftlichen Engagements<br />

beteiligt sich jeder zweite Deutsche nicht aktiv am gesellschaftlichen<br />

bzw. politischen Leben, jedenfalls soweit das Engagement<br />

über die Stimmabgabe bei Wahlen hinausgeht. Solange man<br />

nicht die unrealistische Erwartung hegt, dass alle Bürger jederzeit<br />

ihre Partizipationsrechte wahrnehmen, ist dieser Sachverhalt<br />

für sich genommen nicht problematisch. Er kann aber dann zu<br />

einer Herausforderung für die Demokratie werden, wenn sich die<br />

aktiven und die inaktiven Bevölkerungsgruppen systematisch in<br />

ihrer sozialen Herkunft und in ihren politischen Wünschen und<br />

Ideen voneinander unterscheiden. Wie die empirische Forschung<br />

vielfach belegte, sind ressourcenstarke, sozial gut integrierte<br />

Menschen politisch aktiver als Personen, denen diese Merkmale<br />

fehlen (Burstein 1972; Marsh/Kaase1979; Nie/Powell/Prewitt 1969;<br />

Verba 2003; Verba/Nie/Kim 1978; Verba/Schlozman/Brady 1995).<br />

Dies stellt eine Herausforderung an ein demokratisches Regime<br />

dar, weil die politisch aktiven Teile der Öffentlichkeit die politische<br />

Führung möglicherweise mit Forderungen konfrontieren,<br />

die sich von denen der inaktiven Bevölkerung unterscheiden. Unter<br />

diesen Bedingungen kann die ungleiche Wahrnehmung von<br />

Partizipationsrechten in Konflikt mit den Forderungen nach politischer<br />

Gleichheit und nach einem gegenüber allen Gruppen verantwortlichen<br />

Handeln der politischen Führung geraten.<br />

Bevor man dieser Frage im Einzelnen nachgeht, ist es sinnvoll, die<br />

für das politische Engagement maßgeblichen sozialen Merkmale<br />

zu bestimmen, die dazu führen können, dass die politische Führung<br />

durch die Beschäftigung mit den von den Aktivisten artikulierten<br />

Forderungen einseitige oder verzerrte Informationen über<br />

die in einer Gesellschaft vorherrschenden Bedürfnisse und Probleme<br />

erhält.<br />

1988 1998 2008<br />

Wählen<br />

Petition/<br />

Unterschrift<br />

An Diskussion<br />

teilnehmen<br />

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Demonstration<br />

In Bürgerinitiative<br />

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In einer Partei<br />

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Nicht angemeldete<br />

Demonstration<br />

Abb. 2 Die Entwicklung ausgewählter Formen politischer Beteiligung in Deutschland, 1988–2008<br />

(Angaben: Prozentanteile).<br />

© Oscar W. Gabriel, Quelle: Allbus, eigene Auswertung. 1988 wurden nur in<br />

West<strong>deutschland</strong> Daten erhoben, für 1998 und 2008 sind die Daten für Ost- und<br />

West<strong>deutschland</strong> entsprechend Bevölkerungsverteilung repräsentativ gewichtet.<br />

Sozioökonomischer Status und Partizipation<br />

An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang die sozioökonomische<br />

Stellung von Individuen zu nennen, die sich aus ihrem Bildungsniveau,<br />

ihrem Einkommen, der Art ihrer Berufstätigkeit und ihrer<br />

subjektiven Schichteinstufung ergibt. Die empirische Politikwissenschaft<br />

interessiert sich seit ihren Anfängen für die politische<br />

Bedeutung der soziökonomischen Schichtung und konnte zeigen,<br />

dass die gesellschaftliche Stellung von Individuen ihr politisches<br />

Verhalten und damit das politische Leben in modernen Gesellschaften<br />

in vielfältiger Weise prägt. In der Sozialstruktur angelegte<br />

Interessen und Wertvorstellungen führten in der Mitte des<br />

19. Jahrhunderts zur Bildung politischer Parteien, die sich der Vertretung<br />

der politischen Interessen bestimmter sozioökonomischer<br />

Gruppen widmeten und bei diesen bis zum heutigen Tage<br />

überdurchschnittlich starke Unterstützung finden (Lipset/Rokkan<br />

1967; neuere empirische Daten hierzu bei Elff/Roßteutscher<br />

2009). Auch das aktive politische Engagement der Menschen<br />

hängt stark von ihrer sozio-ökonomischen Position ab. Wie<br />

Schattschneider schon vor einem halben Jahrhundert anmerkte,<br />

singt der Chor im Himmel der pluralistischen Demokratien mit<br />

einem starken Oberschichtakzent (Schattschneider 1960).<br />

Unter den sozioökonomischen Charakteristika wird dem Bildungsniveau<br />

traditionell eine besonders wichtige Rolle als Antriebskraft<br />

politischen Engagements zugeschrieben. Im Laufe<br />

ihrer Bildungskarriere erwerben die Menschen diejenigen Wissensbestände,<br />

Kompetenzen, Wertorientierungen und Einstellungen,<br />

die sie zu einem sozialen und politischen Engagement<br />

befähigen oder motivieren. Zugleich öffnet eine qualifizierte Bildung<br />

den Zugang zu sozialen Netzwerken, was ebenfalls das politische<br />

Engagement erleichtert. Aus diesen Gründen erwies sich<br />

das Bildungsniveau in zahlreichen Studien als der wichtigste Bestimmungsfaktor<br />

der politischen Beteiligung. Je höher ihr formales<br />

Bildungsniveau ist, desto stärker engagieren sich Bürger in<br />

der Politik.<br />

Diese Annahme bestätigt sich auch für Deutschland. Wie | Abb. 3 |<br />

zeigt, steigt die Beteiligung an sämtlichen hier untersuchten politischen<br />

Aktivitäten mit dem formalen Bildungsabschluss. Allerdings<br />

stellt sich dieser Zusammenhang bei einzelnen Arten der<br />

Beteiligung unterschiedlich dar. Am schwächsten beeinflusst das<br />

21<br />

D&E<br />

Heft 65 · 2013<br />

Bürgerbeteiligung und soziale Gleichheit

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