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deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...

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ANDREAS GRIESSINGER<br />

Abb. 5 Frauenbewegung: Demonstration aus Anlass des Internationalen Frauentags am 8. März 1982.<br />

© Klaus Rose, picture alliance<br />

Rücktritt und dem Ende seiner Reformpolitik 1974 verstärkte.<br />

Sein Nachfolger Helmut Schmidt verkörperte auch als Person das<br />

Ende der seit 1968 verbreiteten Aufbruchsstimmung, zumal seine<br />

Amtszeit im Zeichen von Ölkrisen, weltwirtschaftlicher Talfahrt<br />

und einer »neuen Eiszeit« in den internationalen Beziehungen<br />

stand.<br />

Politik des pragmatischen Krisenmanagements<br />

und neues Krisenbewusstsein<br />

An die Stelle kühner Zukunftsentwürfe trat seit Mitte der 70er<br />

Jahre eine Politik des pragmatischen Krisenmanagements, dem<br />

es angesichts der heraufziehenden globalen Gefahren und der<br />

schrumpfenden Verteilungsspielräume schon hinreichend, zunehmend<br />

sogar erstrebenswert erschien, den Status quo zu konsolidieren,<br />

um drohende Katastrophen zu vermeiden. Bücher mit<br />

hohen Verkaufszahlen trugen nun Titel wie »Ende oder Wende?«,<br />

»Ein Planet wird geplündert« oder »Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit«<br />

– unübersehbar spiegelten sie den Übergang wider<br />

von der Reform-Euphorie zu einem umfassenden Krisenbewusstsein,<br />

wenn nicht gar zu kollektiven Ängsten, die sich nach<br />

den apokalyptischen Warnungen des »Club of Rome« vor den<br />

»Grenzen des Wachstums« (1972) vor allem auf die Bedrohung der<br />

natürlichen Lebensgrundlagen durch den industriewirtschaftlichen<br />

Raubbau an der Umwelt und die durch ihn bedingte Verknappung<br />

der natürlichen Ressourcen richteten.<br />

Das sich damit andeutende Ende des »Goldenen Zeitalters« (Eric<br />

Hobsbawm) der Nachkriegszeit entmutigte bürgerschaftliches<br />

Engagement aber keineswegs, im Gegenteil: Mit der Gründung<br />

des »Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz« (BBU)<br />

1972 schufen sich ökologische Bürgerinitiativen, die sich bislang<br />

eher lokaler oder regionaler Umweltprobleme angenommen hatten,<br />

erstmals bundesweit eine Dachorganisation. Hervorgegangen<br />

aus der Idee Willy Brandts, durch eine breitere Partizipation<br />

der Bürger an politischen Entscheidungen »mehr Demokratie zu<br />

wagen«, wuchsen Bürgerinitiativen in den folgenden Jahren kontinuierlich<br />

an und erreichten Ende der 70er Jahre ca. 1,8 Millionen<br />

Mitglieder, was etwa der Mitgliederzahl in politischen Parteien<br />

entsprach.<br />

Ihr durch Demonstrationen und Bauplatzbesetzungen artikulierter<br />

Protest richtete sich zunächst gegen großtechnische Atomenergiekonzepte,<br />

insbesondere gegen die geplanten Kernkraftwerke<br />

in Wyhl 1975, Brokdorf 1976 sowie Gorleben, Grohnde und<br />

Kalkar 1977. Hinzu traten Bürgerinitiativen, die sich anderen Themen<br />

zuwandten: Im Mittelpunkt standen<br />

Probleme des Verkehrs (Lärm und Luftverschmutzung<br />

durch Straßen- und Flughafenausbau,<br />

Fahrpreiserhöhungen bei öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln), der Stadtentwicklung<br />

(Hausbesetzungen gegen Sanierung, Bodenund<br />

Wohnraumspekulation), des Lebensraums<br />

von Kindern (Spielplätze, Kinderläden)<br />

und Jugendlichen (selbstverwaltete<br />

Jugendzentren) sowie der Bildung (alternative<br />

Pädagogik, Elternmitbestimmung).<br />

Nach einer Anfangsphase, in der lokale »Ein-<br />

Punkt-Aktionen« dominiert hatten, strebten<br />

in der zweiten Hälfte der 70er Jahre »grüne<br />

Listen« den Einzug in Kommunalvertretungen<br />

und Landtage an: Ihr zunächst nur punktueller<br />

Protest gegen Formen friedlicher und<br />

militärischer Nutzung von Kernenergie erweiterte<br />

sich zusehends zu einem programmatischen<br />

Widerstand gegen industriegesellschaftliche<br />

Wachstumsideologien, gegen<br />

die Bürokratisierung und Bürgerferne der<br />

Parteien und Parlamente sowie – ab 1979 –<br />

gegen den NATO-Nachrüstungsbeschluss,<br />

was angesichts ihrer Unterstützung durch die Friedensbewegung<br />

(| M 16 |) schnell zu ersten Erfolgen bei Kommunal- und Landtagswahlen<br />

seit 1979 führte. Die 1980 als Bundespartei gegründeten<br />

»GRÜNEN« zogen mit ihrer Wahlkampfparole »ökologisch – sozial<br />

– basisdemokratisch – gewaltfrei« dann 1983 in den Bundestag<br />

ein und wurden von da an endgültig zu einem wesentlichen<br />

Faktor innerhalb der bundesrepublikanischen Demokratie<br />

(| M 17 |). Auch in den anderen westeuropäischen Ländern spielten<br />

die neuen sozialen Bewegungen eine wachsende Rolle, wenn<br />

auch der Einzug ökologisch-pazifistischer Protestparteien in die<br />

Parlamente länger dauerte als in der Bundesrepublik.<br />

Neue soziale Bewegungen in Mittel- und<br />

Ost<strong>europa</strong> bis zur Wende 1989<br />

Eine ganz neue Dynamik entstand hingegen in Ost<strong>europa</strong>, wo in<br />

den 70er Jahren die zivilgesellschaftlichen Bürgerbewegungen in<br />

erstaunlichem Tempo erstarkten, allerdings erkannte man im<br />

Westen nur langsam, welch grundlegende Veränderungen sich<br />

damit im Übergang zu den 80er Jahren vollzogen. So bedeuteten<br />

die u. a. von Vaclav Havel verfasste »Charta 77« (| M 18 |) in der<br />

CSSR sowie die Arbeiterunruhen auf polnischen Werften seit dem<br />

Sommer 1980, aus denen die unabhängige Gewerkschaft »Solidarnosc«<br />

hervorging, eine direkte Gefahr für die innere Stabilität<br />

des Ostblocks insgesamt und der DDR im Besonderen. Während<br />

in den folgenden Jahren verschiedene Ostblock-Staaten den Weg<br />

der Reform beschritten, so etwa Ungarn ab 1982 und die Sowjetunion<br />

mit Gorbatschow ab 1985, reagierte die SED mit einer strikten<br />

Abgrenzungspolitik und betrat damit den Weg in die Selbstisolierung,<br />

der sie wenige Jahre später in den Abgrund führen<br />

sollte.<br />

Denn mit der Kombination von wachsenden Wirtschafts- und Versorgungsproblemen<br />

einerseits und Liberalisierungstendenzen im<br />

Umfeld der verbündeten Ostblock-Staaten andererseits nahm der<br />

innenpolitische Druck auf die SED von Jahr zu Jahr weiter zu. Die<br />

Zahl oppositioneller Gruppen, die sich vor allem im Schutz der<br />

Kirchen formierten, wuchs weiter an (| M 19 |). Sie verstanden sich<br />

einerseits als Teil der gesamteuropäischen Friedensbewegung<br />

und protestierten gegen das neue Wettrüsten in Ost und West:<br />

Schon 1981 trugen 100.000 DDR-Jugendliche den von dem Jugendpfarrer<br />

Harald Brettschneider entworfenen Aufnäher »Schwerter<br />

zu Pflugscharen«. Andererseits wuchs – wie im Westen – auch die<br />

Ökologie-Bewegung in der DDR, insbesondere nach der Reaktorkatastrophe<br />

im ukrainischen Tschernobyl 1986 und der auf sie<br />

Zivilgesellschaft liche Bewegungen in Deutschland und Europa<br />

D&E<br />

Heft 65 · 2013

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