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BÜRGERBETEILIGUNG IN DEUTSCHLAND UND EUROPA<br />

7. Soziale Medien und das Partizipationsparadox<br />

JAN-HINRIK SCHMIDT<br />

46<br />

In der öffentlichen Wahrnehmung werden mit dem Internet<br />

zahlreiche Hoffnungen und Befürchtungen verbunden.<br />

Ganz wesentlich sind in diesem Zusammenhang Vorstellungen<br />

darüber, welche Auswirkung die wachsende Verbreitung<br />

der digitalen vernetzten Medien auf gesellschaftliche Teilhabe<br />

und politische Partizipation hat. Positive Stimmen prophezeien,<br />

dass sie politische Prozesse transparenter machen,<br />

Macht- und Medienmonopole brechen und marginalisierten<br />

Gruppen Gehör verschaffen können. Kritiker warnen hingegen<br />

vor Vereinzelung und Desinformation, aber auch vor der<br />

bloßen Simulation von Teilhabe und Fehlformen wie dem<br />

»Clicktivism«, bei denen sich Partizipation im Anklicken eines<br />

Buttons erschöpfe, ohne wirkliche gesellschaftliche Veränderungen<br />

zu bewirken. Ein Blick in die Mediengeschichte zeigt,<br />

dass wohl alle neuen Medien jeweils in ihrer Zeit solche widerstreitenden<br />

Diagnosen und Annahmen über ihre Folgen<br />

hervor riefen (vgl. Schrape 2012). Hoffnung und Sorge sind gewissermaßen<br />

Ausdruck der Unsicherheit, auf welchen gesellschaftlichen<br />

Boden die neuen Informations- und Medientechnologien<br />

fallen: Welche Praktiken und Normen werden sich<br />

neu herausbilden, welche etablierten Verhaltensweisen und<br />

Routinen werden bestehen bleiben und welche verschwinden,<br />

wie greifen diese Veränderungen in Machtverhältnisse ein –<br />

wer gewinnt, wer verliert? Das Internet macht in dieser Hinsicht<br />

keine Ausnahme, ist dennoch aber etwas Besonderes: Es<br />

ist ein Universalmedium, das Funktionen der klassischen<br />

Massenmedien wie Rundfunk oder Presse genauso erfüllen<br />

kann wie den direkten oder zeitverzögerten Austausch, den<br />

wir vorher beispielsweise über Telefongespräche und Briefe<br />

geführt haben. Dadurch greift das Internet in nahezu alle Lebensbereiche<br />

ein – und es entwickelt sich zudem in einer bisher<br />

ungekannten Geschwindigkeit weiter, sodass sich beim<br />

Einzelnen wie auch gesellschaftlich das Gefühl verfestigen<br />

kann, mit den technischen Innovationen und Weiterentwicklungen<br />

nicht mehr Schritt halten zu können.<br />

Soziale Medien (»social media«)<br />

Als jüngste (aber sicher nicht letzte) Stufe dieser Entwicklung<br />

lässt sich das Aufkommen der »sozialen Medien« begreifen, also<br />

von Plattformen wie Facebook oder YouTube, von Wikipedia, Twitter<br />

oder Blogs (vgl. zum Folgenden u. a. Münker 2009; Schmidt<br />

2011). Sie sind überwiegend in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre<br />

entstanden und haben sich inzwischen – wenn auch auf unterschiedlichem<br />

Niveau – unter den Internetnutzern etabliert. Ein<br />

verbreiteter Sammelbegriff für die verschiedenen Angebotsgattungen<br />

ist das »Mitmachnetz«, in der sich bereits das Versprechen<br />

von gesteigerter Teilhabe und Partizipation ausdrückt. So böten<br />

Blogs und Twitter den Dissidenten in China oder Kuba die Möglichkeit,<br />

eine Gegenöffentlichkeit zu den staatlich gelenkten Medien<br />

aufzubauen. Über Video- und Fotoplattformen wie YouTube<br />

oder Flickr könnten Demonstrationen oder staatliche Übergriffe<br />

in autoritären Regimen dokumentiert und für ein weltweites Publikum<br />

zugänglich gemacht werden können. Beim arabischen<br />

Frühling 2011 oder den Demonstrationen im Iran 2009 dienten Internetplattformen<br />

sogar als Namensgeber für politische Proteste<br />

und sozialen Wandel, wenn von »Facebookrevolution« oder »Twitterrevolution«<br />

gesprochen wurde.<br />

Abb. 1 Social Media – Apps auf einem Smart-Phone © Jürgen Kalb, 2013<br />

Aber auch innerhalb von Deutschland haben die sozialen Medien<br />

in den letzten Jahren die politische Kommunikation beeinflusst.<br />

Im Jahr 2009 mündete der Protest gegen ein Vorhaben der Bundesministerin<br />

Ursula von der Leyen, kinderpornographische<br />

Inhalte durch ein Stoppschild zu kennzeichnen, in der bis dato<br />

größten Online-Petition, die mehr als 130.000 Personen unterzeichneten.<br />

Getragen und koordiniert wurde dieser Widerstand<br />

maßgeblich über netzpolitische Blogs und Twitter-Accounts, wo<br />

der Ministerin auch der Beiname »Zensursula« verpasst wurde. Jedoch<br />

beschränkte er sich nicht auf die sozialen Medien, sondern<br />

wurde auch in journalistisch-publizistischen Medien debattiert<br />

sowie auf Demonstrationen vertreten. Ähnliche Muster der Verschränkung<br />

unterschiedlicher medialer Öffentlichkeiten mit dem<br />

politischen Handeln »auf der Straße« zeigten sich auch bei den<br />

heftigen Debatten um den Bahnhofsumbau in Stuttgart. Auf Facebook<br />

entstanden zahlreiche Diskussionsgruppen für wie auch<br />

wider »S21«, auf denen über Protestaktionen informiert und –<br />

nicht immer zivilisiert – gestritten wurde. Über Demonstrationen<br />

vor Ort wurde wiederum in den journalistischen Medien berichtet,<br />

während man auf YouTube auch heute noch zahlreiche Amateuraufnahmen<br />

von den Blockaden im Schlossgarten findet, neben<br />

Werbevideos der Deutschen Bahn zum gleichen Projekt.<br />

Soziale Medien und das Partizipationsparadox D&E Heft 65 · 2013

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