deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...
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BÜRGERBETEILIGUNG IN DEUTSCHLAND UND EUROPA<br />
1. Bürgerbeteiligung im europäischen<br />
Mehr ebenensystem – Chancen und<br />
Grenzen<br />
JÜRGEN KALB<br />
Die Europäische Union hat das Jahr 2013<br />
zum »Europäischen Jahr der Bürgerinnen<br />
und Bürger« erklärt. Verbunden damit<br />
ist die Aufforderung, sich über die Zukunft<br />
der EU, die »EU 2020«, auf allen exekutiven<br />
und legislativen Ebenen, aber auch in der<br />
Zivilgesellschaft und in der Geschäftswelt<br />
öffentlich auszutauschen. Zudem werden,<br />
so heißt es, die Bürgerinnen und Bürger<br />
auf den nationalen, regionalen oder lokalen<br />
Ebenen aufgefordert, sich zu artikulieren<br />
und sich zu beteiligen, sollen neue<br />
Wege der Bürgerbeteiligung gesucht, ausprobiert<br />
und etabliert werden. Dies geht<br />
einher mit Bestrebungen in einzelnen Bundesländern,<br />
wie z. B. Baden-Württemberg,<br />
und Kommunen, mehr »Bürgerbeteiligung<br />
zu wagen«. Doch was ist substantiell an<br />
dieser »Wende hin zu den Bürgerinnen und<br />
Bürgern«? Sind es gar nur Alibianhörungen<br />
in einem zu erstarren drohenden repräsentativ-demokratischen<br />
»europäischen<br />
Mehr ebenensystem«, das nicht selten als<br />
fernes »bürokratisches Monster Brüssel«<br />
karikiert wird? Das Ansehen der demokratisch gewählten Vertreterinnen<br />
und Vertreter ist jedenfalls, das zeigen nahezu<br />
alle nationalen sowie <strong>europa</strong>weiten Befragungen, auf einem<br />
Tiefpunkt angelangt. Ob sich durch mehr Bürgerbeteiligung<br />
eine Trendwende einleiten ließe, bleibt bislang sicher eine offene<br />
Frage. Optimisten sehen in der Etablierung von »formellen<br />
und informellen Formen der direkten Partizipation« bereits<br />
Alternativen bzw. Ergänzungen zum parlamentarischen<br />
System. Skeptiker warnen dagegen vor allzu viel Euphorie, ja<br />
sehen darin sogar die Gefahr, dass formelle und informelle<br />
Anhörungen der Bürgerinnen und Bürger das parlamentarische<br />
System und die Verantwortlichkeit der demokratisch legitimierten<br />
Repräsentanten aushöhlen und letzten Endes,<br />
fänden die Befragungen dann doch wenig Gehör, zu noch<br />
mehr Frustration und Misstrauen führen könnten. Letztlich<br />
sei die Partizipationsbereitschaft auch keineswegs auf alle<br />
Bevölkerungsgruppen gleichmäßig verteilt, was zu extremen<br />
Verzerrungen in der politischen Meinungs- und Willensbildung<br />
führen müsse. Andererseits sind sich alle Beteiligten<br />
schnell darin einig, dass ohne die Zustimmung seiner Bürgerinnen<br />
und Bürger ein so komplexes System wie das transnationale<br />
Mehrebenensystem der Europäischen Union auf Dauer<br />
nicht funktionieren kann. Das Anwachsen von Kräften, die<br />
sich für eine Renationalisierung einsetzen, lässt sich heute<br />
bereits in manchen Mitgliedstaaten beobachten.<br />
Warum ein »Europäisches Jahr<br />
der Bürgerinnen und Bürger«?<br />
Abb. 1 »Ist das nicht das Bürokratie-Monster? …« © Gerhard Mester, 20.1.2013<br />
Europakritische Stimmen melden sich nicht nur in den Medien<br />
und an den Stammtischen in zunehmendem Ausmaße. In zahlreiche<br />
Mitgliedstaaten sitzen heute bereits <strong>europa</strong>kritische Parteien<br />
in den Parlamenten. Dies sollte auch in Deutschland nicht<br />
bagatellisiert werden, auch wenn es hierzulande (noch) keine explizit<br />
populistisch-<strong>europa</strong>kritische Partei in den Parlamenten<br />
gibt. Schon in Großbritannien sieht es anders aus. So kündigte zu<br />
Beginn des Jahres 2013 der britische Premierminister David Cameron<br />
an, im Jahre 2017 ein Referendum über die weitere Mitgliedschaft<br />
des Vereinigten Königreichs in der EU durchführen zu<br />
lassen. Und Meinungsforscher sehen im Moment sogar eine<br />
Mehrheit bei jenen Briten, die einen Austritt aus der EU befürworten.<br />
In den Niederlanden, in Finnland, in Österreich, um nur einige<br />
Länder zu nennen, eroberten <strong>europa</strong>kritische Parteien<br />
längst enorme Prozentpunkte bei Parlamentswahlen.<br />
Insbesondere nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise<br />
sowie in der Folge der Staatsschuldenkrise in den PIIGS-Staaten<br />
(Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien), oft auch abgekürzt<br />
»Euro-Krise« genannt, scheinen jene Recht zu bekommen,<br />
die schon längst behaupten, dass die Problemlösungskapazität<br />
der Europäischen Union nicht ausreiche, die aktuellen<br />
Herausforderungen zu bewältigen. Als Krisenbewältiger erscheinen<br />
in den Medien und damit auch in den Augen der meisten Bürgerinnen<br />
und Bürger dabei auch in erster Linie die Staats- und<br />
Regierungschefs der großen EU-Mitgliedstaaten, die in nächtelangen<br />
Konferenzen um Kompromisse ringen. Als weiterer Agent<br />
neben dem Europäischen Rat erscheinen in den Medien höchstens<br />
noch die Vertreter der Europäischen Kommission. Vom Europaparlament<br />
war dagegen in diesen Krisenmonaten wenig zu lesen,<br />
zu hören oder zu sehen. Schon ist die Rede vom weiteren<br />
»Legitimationsverlust« der EU. Die »Effektivität« der beschlossenen<br />
Kompromisse wird schon länger angezweifelt.<br />
Umstrittene EU-Richtlinien aus den Reihen der EU-Kommission<br />
erzeugen zudem den Eindruck einer Regelungswut aus Brüssel,<br />
die an den Bedürfnissen der einzelnen Bürgerinnen und Bürger<br />
3<br />
D&E<br />
Heft 65 · 2013<br />
Bürgerbeteiligung im europäischen Mehr ebenensystem – Chancen und Grenzen