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deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...

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ANDREAS GRIESSINGER<br />

42<br />

M 8<br />

M 9<br />

In München demonstrierten 1962 Studenten gegen die Polizei-Maßnahmen<br />

in der Hamburger »SPIEGEL«-Redaktion. Etwa 300 Teilnehmer marschierten<br />

mit Spruchtafeln von der Universität zum Königsplatz, wo ein<br />

Sprecher die Forderung der Studenten nach Pressefreiheit unterstrich. Im<br />

Zuge der »SPIEGEL«-Affäre mussten sich Mitarbeiter des Nachrichtenmagazins<br />

»Spiegel« wegen eines kritischen Artikels gegen eine Anklage wegen<br />

Landesverrats zur Wehr setzen, zeitweise waren der Herausgeber Rudolf<br />

Augstein und mehrere Redakteure inhaftiert. Am Ende musste der damalige<br />

Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß, CSU, der die Verhaftungen<br />

veranlasst hatte, zurücktreten. © Klaus-Dieter Heirler, picture alliance<br />

»Römerbergrede« des SDS-Bundesvorstandsmitglieds<br />

Hans-Jürgen Krahl am 27.5.1968 in Frankfurt am Main<br />

vor 12.000 Menschen angesichts der bevorstehenden<br />

Bundestagsdebatte zu den Notstandsgesetzen<br />

Wir haben nur eine einzige Antwort auf die Notstandsgesetze zu<br />

geben: wenn Staat und Bundestag die Demokratie vernichten,<br />

dann hat das Volk das Recht und die Pflicht, auf die Straße zu gehen<br />

und für die Demokratie zu kämpfen. Wenn die Volksvertreter<br />

die Interessen des Volkes nicht mehr vertreten, dann wird das<br />

Volk seine Interessen selbst vertreten. […]<br />

Eine soziale Demokratie lebt nur durch die aufgeklärte Selbsttätigkeit<br />

der mündigen Massen. Daraus haben die Studentenbewegung<br />

und die außerparlamentarische Opposition die politische<br />

Konsequenz gezogen: auf die Bürokratien der Parteien und der<br />

Gewerkschaften können wir uns nicht verlassen, wenn wir nicht<br />

selbst anfangen zu handeln. Erst die oft herausfordernden Demonstrationen<br />

der Studenten haben viele Themen, welche die<br />

Herrschenden lieber verschwiegen hätten, zur öffentlichen Diskussion<br />

gestellt; so den Krieg in Vietnam […]. Unsere Aufklärungs-<br />

und Machtmittel sind geradezu lächerlich gering, gemessen<br />

an den gewaltigen Funk- und Fernseheinrichtungen sowie<br />

den mächtigen Staats- und Parteiverwaltungen. Aber mit den<br />

Mitteln des Flugblatts, der ständigen Diskussion und unseren Demonstrationen<br />

haben wir erreicht, dass immer mehr Menschen<br />

lernten, wie notwendig es ist, für seine Interessen selbst und aktiv<br />

einzutreten. Entgegen der Manipulation von Presse und Regierung,<br />

die uns von der Bevölkerung mit aller Gewalt isolieren wollen,<br />

hat die außerparlamentarische Opposition ihre Basis ständig<br />

erweitert: zunächst waren es die Studenten, dann die Schüler,<br />

jetzt sind es junge Arbeiter und auch immer mehr ältere Kollegen.<br />

Unsere Demokratie ist direkt und unmittelbar. Es gibt keine Sprecher<br />

und keine Gruppen, die sich nicht den Entscheidungen der<br />

Anwesenden unterwerfen müssten; es gibt keine Funktionäre, die<br />

einen Posten auf Lebenszeit einnehmen; alle unmittelbar Beteiligten<br />

entscheiden in direkter Abstimmung über die politischen<br />

Aktionen und Ziele. […]<br />

Mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze steht die Uhr auf<br />

fünf Minuten vor 12. […] Die Losung für die nächsten Tage kann<br />

M 10<br />

nur sein: Politischer Streik! Nur eine Welle von Streiks ermöglicht<br />

schließlich den Generalstreik. Politischer Streik am Dienstag, politischer<br />

Streik am Mittwoch, politischer Streik in den Betrieben,<br />

an der Universität und in den Schulen. Es lebe die praktische Solidarität<br />

der Arbeiter, Studenten und Schüler!<br />

© D. Claussen/R. Dermitzel (Hg.), Universität und Widerstand. Frankfurt/Main (Europäische<br />

Verlagsanstalt) 1968, S. 34–41<br />

M 11<br />

Eine der Initialzündungen der 68er-Bewegung in der Bundesrepublik<br />

Deutschland war der »Internationale Vietnamkongress« des SDS 1968 in<br />

Berlin, bei dem u.a. Herbert Marcuse, Peter Weiss und Erich Fried als<br />

Referenten auftraten. Am Rednerpult der SDS-Vorsitzende Rudi<br />

Dutschke. © Klaus Rose, picture alliance, 17.2.1968<br />

Regierungserklärung des Bundeskanzlers Willy Brandt,<br />

SPD, 28.10.1969<br />

I. Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise<br />

öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information<br />

Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, dass durch Anhörungen<br />

im Bundestag, durch ständige Fühlungnahme mit den<br />

repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende<br />

Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die<br />

Möglichkeit erhält, an der Reform vom Staat und Gesellschaft<br />

mitzuwirken.<br />

Wir wenden uns an die im Frieden nachgewachsenen Generationen,<br />

die nicht mit den Hypotheken der Älteren belastet sind und<br />

belastet werden dürfen; jene jungen Menschen, die uns beim<br />

Wort nehmen wollen – und sollen. Diese jungen Menschen müssen<br />

aber verstehen, dass auch sie gegenüber Staat und Gesellschaft<br />

Verpflichtungen haben. Wir werden dem Hohen Hause ein<br />

Gesetz unterbreiten, wodurch das aktive Wahlalter von 21 auf 18,<br />

das passive von 25 auf 21 herabgesetzt wird. Wir werden auch die<br />

Volljährigkeitsgrenze überprüfen.<br />

Mitbestimmung, Mitverantwortung in den verschiedenen Bereichen<br />

unserer Gesellschaft wird eine bewegende Kraft der kommenden<br />

Jahre sein. Wir können nicht die perfekte Demokratie<br />

schaffen. Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet<br />

und mehr Mitverantwortung fordert. Diese Regierung sucht das<br />

Gespräch, sie sucht kritische Partnerschaft mit allen, die Verantwortung<br />

tragen, sei es in den Kirchen, der Kunst, der Wissenschaft<br />

und der Wirtschaft oder in anderen Bereichen der Gesellschaft.<br />

Dies gilt nicht zuletzt für die Gewerkschaften, um deren<br />

vertrauensvolle Zusammenarbeit wir uns bemühen. Wir brauchen<br />

ihnen ihre überragende Bedeutung für diesen Staat, für seinen<br />

weiteren Ausbau zum sozialen Rechtsstaat nicht zu bescheinigen.<br />

Wenn wir leisten wollen, was geleistet werden muss, brauchen wir<br />

Zivilgesellschaft liche Bewegungen in Deutschland und Europa<br />

D&E<br />

Heft 65 · 2013

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