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deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...

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kontrolliert werden, um ihren Einfluss besser<br />

untersuchen zu können als in einer natürlichen<br />

Situation, bei der immer sehr viele Störfaktoren<br />

vorhanden sind. Wenn sich Menschen<br />

z. B. zu Hause eine politische Talk-Show<br />

anschauen, dann sind sie vielleicht abgelenkt,<br />

weil nebenher jemand redet. Wenn<br />

man ihnen dann Verständnisfragen zur Talkshow<br />

stellen würde, dann würden sie vermutlich<br />

ziemlich schlecht abschneiden. Das muss<br />

aber nicht daran gelegen haben, dass sie die<br />

Politiker wirklich nicht verstehen konnten,<br />

sondern vielleicht einfach nur daran, dass sie<br />

abgelenkt wurden. Deshalb kontrolliert man<br />

die Versuchsbedingungen in einem Experiment<br />

und sorgt zum Beispiel dafür, dass solche<br />

Ablenkungsfaktoren nicht vorhanden<br />

sind. Wenn dann immer noch Verständnisprobleme<br />

auftreten, dann ist es sehr wahrscheinlich,<br />

dass diese wirklich dadurch zu<br />

erklären sind, dass sich die Politiker nicht<br />

verständlich genug ausdrücken. Oder dadurch,<br />

dass die Zuschauer zu wenig Vorwissen<br />

haben, das kommt auf den Standpunkt<br />

an. Das ist im Übrigen ein grundlegendes<br />

14,7<br />

67,2<br />

16,9<br />

Problem beim Thema Politik und Verständlichkeit: Wem gibt man<br />

die Schuld, wenn man auf Verständnisprobleme trifft? Den Bürgern,<br />

die zu wenig Vorwissen haben oder den Politikern, die sich<br />

nicht verständlich genug ausdrücken? Die Bürger selbst neigen<br />

natürlich dazu, den Politikern die Schuld zu geben, während diese<br />

häufig das Gefühl haben, sich gar nicht anders ausdrücken zu<br />

können, ohne das Thema zu stark zu vereinfachen. Das nennt<br />

man übrigens den »Fluch des Wissens«. Wenn man sehr viel über<br />

ein Thema gelernt hat und dieses Wissen auch schon eine ganze<br />

Weile besitzt, dann wird es immer schwieriger, sich noch in andere<br />

Leute hinein zu versetzen, die nicht dasselbe Vorwissen haben.<br />

In der Sprache führt das dann dazu, dass schwierige Wörter<br />

nicht mehr als solche wahrgenommen<br />

werden. Das ist aber ein ganz<br />

natürlicher Prozess und passiert<br />

nicht nur Politikern, sondern zum<br />

Beispiel auch Wissenschaftlern<br />

oder sonstigen Experten. Besonders<br />

problematisch ist das dann,<br />

wenn man nicht direkt mit den eigentlichen<br />

Adressaten der eigenen<br />

Botschaften konfrontiert ist, wie<br />

eben in einer Talkshow. Da richten sich die Teilnehmer ja eigentlich<br />

an die Fernsehzuschauer, nicht an die anderen Gäste. Aber<br />

von den Fernsehzuschauern kann ja niemand nachfragen, wenn<br />

er oder sie etwas nicht versteht. Allerdings: Das trauen sich viele<br />

auch dann nicht, wenn der Politiker oder die Politikerin direkt vor<br />

einem steht. Man will dann eben lieber nicht zugeben, dass einem<br />

viele Begriffe nicht geläufig sind und ärgert sich doch gleichzeitig<br />

über den abgehobenen Sprachstil des Politikers.<br />

D&E: Wie sah Ihre Untersuchung denn genau aus und zu welchen Ergebnissen<br />

sind Sie darin gekommen?<br />

Jan Kercher: Wir haben 134 junge Stuttgarterinnen und Stuttgarter<br />

im Alter von 16 bis 21 Jahren befragt und sie mit kurzen Politiker-Reden<br />

konfrontiert. Das waren etwa fünfminütige Video-Podcasts<br />

von Angela Merkel, Kurt Beck, Guido Westerwelle und<br />

Oskar Lafontaine. Vor dem Anschauen der Videos haben wir das<br />

politische Interesse und Wissen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

erfasst. Und nach dem Anschauen jedes Videos haben wir sie<br />

dann gefragt, wie verständlich sie die Podcasts subjektiv fanden<br />

und ihnen auch noch Verständnisfragen zu den Inhalten der Videos<br />

gestellt. Dabei haben wir auch erfasst, wie sicher sich die<br />

Befragten bei ihren Antworten waren. Entscheidend war, dass wir<br />

10,7<br />

62,1<br />

26,1<br />

8,4<br />

47,7<br />

42,9<br />

2,7<br />

35,5<br />

61,5<br />

14 Jahre 15 Jahre 16 Jahre 17 Jahre 18 Jahre<br />

bis 25%<br />

25%–50%<br />

50%–75%<br />

über 75%<br />

1.714 Befragte<br />

Abb. 2 Politisches Wissen von Jugendlichen, Rheinland-Pfalz 2005<br />

© Jens Tenscher/Philipp Scherer (2012): Jugend, Politik und Medien.<br />

Politische Orientierungen und Verhaltensweisen von Jugendlichen<br />

in Rheinland-Pfalz. Münster, S. 86<br />

»Einer Wahlaltersenkung<br />

sollte man eine Änderung der<br />

Bildungspläne voranstellen.«<br />

17,7<br />

77,8<br />

bei der Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gezielt unterschiedliche<br />

Bildungsgrade und Altersstufen abgedeckt haben.<br />

Zum einen haben wir 16- und 17-jährige Neuntklässler auf der<br />

Hauptschule und im Gymnasium befragt. Und zum anderen 18-<br />

bis 21-jährige Berufsschüler und Studienanfänger.<br />

Betrachtet man unsere Ergebnisse, so stellt sich heraus, dass das<br />

Alter tatsächlich einen deutlichen Einfluss auf das Abschneiden<br />

der Befragten bei den Wissens- und Verständnisfragen hatte. Und<br />

zwar unabhängig vom Bildungsgrad. Sowohl die volljährigen Berufsschüler<br />

als auch die Studienanfänger schnitten sehr viel besser<br />

ab als die Neuntklässler in der Hauptschule und auf dem Gymnasium.<br />

Das ist unserer Interpretation nach eine Folge der<br />

bisherigen Bildungspläne in Baden-<br />

Württemberg, die den Großteil der<br />

politischen Bildung erst in den höheren<br />

Schulstufen vorsehen und<br />

nicht schon vor Erreichen des 16.<br />

Lebensjahres. Mit anderen Worten:<br />

Sie sind offensichtlich ausgerichtet<br />

auf ein Wahlrecht ab 18, das ja bislang<br />

in Baden-Württemberg auch<br />

so gilt. Interessant war für uns aber<br />

auch, dass es beim politischen Interesse zwischen den älteren<br />

und den jüngeren Befragten kaum Unterschiede gab. Die Jüngeren<br />

interessierten sich also fast genauso stark für Politik wie die<br />

Älteren. Das bedeutet, dass sich die 16- und 17-Jährigen durchaus<br />

für Politik interessieren, aber bislang offensichtlich deutlich weniger<br />

von Politik verstehen als volljährige Schüler und Studienanfänger.<br />

D&E: Können Sie aus den Ergebnissen Ihrer Studie auch Konsequenzen<br />

für die politische Bildung junger Menschen sowie für die Bildungspläne<br />

der Schulen ableiten?<br />

Jan Kercher: Ja. An unseren Ergebnissen lässt sich ja recht deutlich<br />

der Effekt der bisherigen Bildungspläne in Baden-Württemberg<br />

ablesen. Da liegt die Vermutung sehr nahe, dass ein Vorziehen<br />

der politischen Bildung in den Schulen – und zwar in allen<br />

weiterführenden Schulen – dazu führen würde, dass sich die Altersunterschiede,<br />

die wir in unserer Studie feststellen konnten,<br />

deutlich verringern würden. Auf diese Weise könnte man eine<br />

Überforderung vieler Jugendlicher, wie man sie in Österreich beobachten<br />

konnte, vermutlich vermeiden. Ich finde, dass man das<br />

Ganze recht gut mit der Diskussion über die Einführung des Euro<br />

vergleichen kann. Damals gab es zwei Lager, die Anhänger der so-<br />

2,9<br />

59<br />

D&E<br />

Heft 65 · 2013<br />

»Wahlalter 16« – eine Chance zur Überwindung der Politikverdrossenheit?

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