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6 Individualtaktik - Volleyball-Training.de

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Katrin Meiershofer: Anfor<strong>de</strong>rungsprofil einer Zuspielerin<br />

Seite 87<br />

6 <strong>Individualtaktik</strong><br />

6.1 Be<strong>de</strong>utung für die Zuspielerin<br />

Die <strong>Individualtaktik</strong> ist <strong>de</strong>r Teilbereich <strong>de</strong>r Mannschaftstaktik, in <strong>de</strong>m je<strong>de</strong> Spielerin ihre<br />

eigenen konkreten Einzelmaßnahmen zur Erreichung <strong>de</strong>s jeweiligen Handlungsziels trifft,<br />

das heißt, „wenn ein Spieler in einer konkreten Situation gegen Partner mit entgegengesetzten<br />

Interessen (Gegner) ohne die direkte Einwirkung seiner Mitspieler eine zielgerichtete<br />

‚persönliche Handlung’ ausführt. Für diese durch persönliche Entscheidungen ausgelöste<br />

Handlung müssen ihm dabei zuvor mehrere (min<strong>de</strong>stens zwei) Möglichkeiten <strong>de</strong>s Verhaltens<br />

zur Verfügung stehen, unter <strong>de</strong>nen er im Hinblick auf die Erfolgsaussicht und<br />

Zweckmäßigkeit die günstigste auswählt“ (Kobrle/Neuberg/Olivier/Christmann 1990,<br />

33/34).<br />

Neben <strong>de</strong>r technischen und psychischen Leistungsfähigkeit spielt die individuelle Taktik<br />

eine herausragen<strong>de</strong> Rolle für die Zuspielerin, <strong>de</strong>nn Grundlage je<strong>de</strong>r erfolgsorientierten<br />

sportspieltaktischen Handlung ist das Treffen einer optimalen Entscheidung und an dieser<br />

taktischen Leistungsfähigkeit wird beson<strong>de</strong>rs die Zuspielerin gemessen. Zuspielhandlungen<br />

„unterschei<strong>de</strong>n sich von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Spielhandlungen durch einen <strong>de</strong>utlich höheren Anteil<br />

an taktischer Aufgabenbewältigung und taktischem Entschei<strong>de</strong>n.[...] Der Zuspieler übernimmt<br />

die Rolle <strong>de</strong>s aktiv gestalten<strong>de</strong>n Spielmachers und [...] ist viel mehr Agieren<strong>de</strong>r als<br />

Reagieren<strong>de</strong>r“ (Schulz/Henninger 1993, 14).<br />

Von <strong>de</strong>r Zuspielerin wird gefor<strong>de</strong>rt, die jeweilige Spielsituation situationsangemessen, erfolgreich<br />

und effektiv zu gestalten. Ausschlaggeben<strong>de</strong> Voraussetzungen dafür sind taktische<br />

Kenntnisse, die Fähigkeit zur genauen Situationswahrnehmung, Antizipation, Erfahrung<br />

und Entscheidungsfähigkeit auf <strong>de</strong>r Grundlage von konditionellen Fähigkeiten, beson<strong>de</strong>rs<br />

Reaktions- und Bewegungsschnelligkeit, sowie die Beherrschung <strong>de</strong>s technischen<br />

Repertoires. Für die sehr genau und unter hohem Zeitdruck zu treffen<strong>de</strong> Entscheidung<br />

sind hohe Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistungen erfor<strong>de</strong>rlich. Die Zuspielerin<br />

muss die Stärken <strong>de</strong>r eigenen Mannschaft, die Schwächen <strong>de</strong>s Gegners und taktische Renierbarkeit<br />

beson<strong>de</strong>rs hoch ist (vgl. Weineck 2000, 19).<br />

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Seite 88<br />

geln und Prinzipien kennen. Ihre Aufgabe ist es, die geplante Spielstrategie <strong>de</strong>s Trainers mit<br />

taktischer Disziplin spielgestaltend umzusetzen.<br />

Die taktische Handlung einer Zuspielerin ist ein hochkomplexer Prozess, in <strong>de</strong>m viele Aktionen<br />

parallel ablaufen können und müssen. Die Zuspielerin muss während motorischer<br />

Aktionen <strong>de</strong>n Ballflug und ihre Mitspielerinnen beobachten und gleichzeitig taktische Ü-<br />

berlegungen anstellen sowie technisch regelgerecht agieren. Dabei spielt die Wahrnehmungsfähigkeit<br />

<strong>de</strong>r Zuspielerin die größte Rolle. Relevant sind beson<strong>de</strong>rs die Informationen,<br />

die durch das periphere Sehen aufgenommen wer<strong>de</strong>n, aber auch die Aufmerksamkeitsleistung,<br />

ihr Wissen und das Gedächtnis.<br />

Nach Harre (1971) vollzieht sich die psychisch-motorischen Vorgänge einer taktischen<br />

Handlung in drei Hauptphasen:<br />

1. Wahrnehmung und Analyse <strong>de</strong>r Spielsituation<br />

2. Gedankliche Lösung <strong>de</strong>r taktischen Aufgabe<br />

3. Motorische Lösung <strong>de</strong>r taktischen Aufgabe<br />

Die einzelnen Phasen können zeitlich kaum getrennt wer<strong>de</strong>n und wirken eng zusammen.<br />

Durch die Wahrnehmung und Analyse <strong>de</strong>r Spielsituation erkennt die Zuspielerin die taktische<br />

Aufgabe 32 , die sie zuerst gedanklich und danach motorisch löst. Sobald die Zuspielerin<br />

die Spielsituation und damit ihre zu lösen<strong>de</strong> Aufgabe erkannt hat, sucht sie in <strong>de</strong>r zweiten<br />

Phase (gedankliche Lösung) nach einem System, das ihr unter <strong>de</strong>n vielen Möglichkeiten am<br />

geeignetsten erscheint, diese Aufgabe zu lösen (vgl. Harre 1971, 207). Auf <strong>de</strong>r Grundlage<br />

<strong>de</strong>r Wahrnehmung, aber auch aufgrund von Erfahrungswerten, Aufmerksamkeits-, Wissens-<br />

und Gedächtnisleistungen, wer<strong>de</strong>n die möglichen Alternativen bis auf eine Lösung<br />

reduziert und diese motorisch realisiert, als Ergebnis <strong>de</strong>r vorangegangenen produktiven<br />

und schöpferischen Denktätigkeit.<br />

32 Oberstes Ziel je<strong>de</strong>r Aufgabe ist, die eigenen Angreiferinnen zum Punktgewinn zu führen und die Chancen<br />

<strong>de</strong>s Gegners auf Erfolg zu minimieren. Doch die einzelne taktische Aufgabe, die sich dabei <strong>de</strong>r Zuspielerin<br />

stellt, kann sehr unterschiedlich sein. So kann sie beispielsweise ihren Pass nach <strong>de</strong>r gegnerischen Blockreihe<br />

o<strong>de</strong>r auch unabhängig vom Gegner nach <strong>de</strong>r Form ihrer Angreiferinnen wählen.<br />

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Seite 89<br />

Die drei Phasen von Harre (1971) wer<strong>de</strong>n aufgrund <strong>de</strong>r hohen Komplexität <strong>de</strong>r taktischen<br />

Handlung <strong>de</strong>r Zuspielerin in dieser Arbeit durch zwei weitere Phasen ergänzt und die taktische<br />

Handlung in folgen<strong>de</strong> fünf Phasen unterteilt:<br />

1. Überlegungen vor <strong>de</strong>r Aktion<br />

2. Wahrnehmung und Analyse <strong>de</strong>r Spielsituation<br />

3. Gedankliche Lösung <strong>de</strong>r taktischen Aufgabe<br />

4. Motorische Lösung <strong>de</strong>r taktischen Aufgabe<br />

5. Beurteilung <strong>de</strong>r gewählten Entscheidung<br />

Die taktische Handlung <strong>de</strong>r Zuspielerin ist gekennzeichnet durch eine schrittweise Reduktion<br />

<strong>de</strong>r möglichen Alternativen bis hin zur endgültigen Entscheidung für eine Lösung<br />

(und <strong>de</strong>r motorischen Realisierung dieser Entscheidung).<br />

Dieser Prozess <strong>de</strong>r Alternativenreduktion beginnt bereits mit taktischen Überlegungen vor<br />

<strong>de</strong>r eigentlichen Situation, die sich auf Erfahrungswerte, Wissens- und Gedächtnisleistungen<br />

beziehen und durch die bereits erste Alternativen reduziert wer<strong>de</strong>n können.<br />

Das Ergebnis <strong>de</strong>r motorischen Lösung wird zum Gedächtnis rückgekoppelt. Sobald <strong>de</strong>r<br />

Zuspielerin das Ergebnis bewusst gewor<strong>de</strong>n ist, entstehen bei ihr Erfahrungen praktischer<br />

Art. Diese Erfahrungswerte spielen bei <strong>de</strong>n Überlegungen und Entscheidungen, die vor<br />

<strong>de</strong>m nächsten Spielzug - bzw. sogar erst eine ganze Rotationsfolge später - angestellt bzw.<br />

getroffen wer<strong>de</strong>n, eine große Rolle. Die Zuspielerin sollte fähig sein, diese Erfahrungen im<br />

Gedächtnis zu speichern und in konkretes Wissen umzuwan<strong>de</strong>ln.<br />

Die einzelnen Phasen wer<strong>de</strong>n nun genauer erläutert.<br />

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Seite 90<br />

6.2 Phasen <strong>de</strong>r taktischen Handlung<br />

6.2.1 Überlegungen vor <strong>de</strong>r Aktion<br />

Hier muss grundsätzlich zwischen <strong>de</strong>r Annahme- (KI-) Situation und <strong>de</strong>r Abwehr- bzw.<br />

eigenen Aufschlag-Situation (KII) unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n 33 .<br />

Hat die eigene Mannschaft Annahme, ist die Aufstellung und die möglichen Kombinationen<br />

mehr o<strong>de</strong>r weniger festgelegt bzw. eingeschränkt. Durch die festgelegten Positionen<br />

sind einige Kombinationen wegen <strong>de</strong>r langen Laufwege nicht möglich o<strong>de</strong>r nicht sinnvoll.<br />

Der Zuspielerin bleiben also einige, meist im <strong>Training</strong> immer wie<strong>de</strong>r einstudierte Angriffskombinationen<br />

übrig.<br />

Diese wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Angreiferinnen von <strong>de</strong>r Zuspielerin entwe<strong>de</strong>r mündlich mitgeteilt o<strong>de</strong>r<br />

per Handzeichen angezeigt 34 . Die Entscheidung für diese Handlungsmöglichkeiten wird<br />

nach einigen Vorüberlegungen und in <strong>de</strong>r Annahme getroffen, dass <strong>de</strong>r erste Ball zielgenau<br />

zur Zuspielposition kommt. Ausschlaggebend sind die allgemeine Mannschaftsstrategie, die<br />

Tagesform <strong>de</strong>r einzelnen Angreiferinnen, die Art und Anzahl <strong>de</strong>r zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n<br />

Angreiferinnen (Schnell-, Außen- o<strong>de</strong>r Rückraumangreiferinnen) und die gegnerische<br />

Blockreihe. Die Zuspielerin sollte sich überlegen, mit welchem Pass <strong>de</strong>r Gegner aufgrund<br />

<strong>de</strong>s bisherigen Zuspiels rechnet und welcher Pass o<strong>de</strong>r welche Angreiferin zuvor bei <strong>de</strong>r<br />

gleichen Aufstellung erfolgreich war (vgl. Moculescu/Gasse in: <strong>Volleyball</strong>training 1/1989,<br />

6). Auf <strong>de</strong>r Basis dieses Wissens legt sich die Zuspielerin schon vor <strong>de</strong>m eigentlichen Spielzugbeginn<br />

einen Plan zurecht.<br />

Sie muss aber auch überlegen, welche Möglichkeiten sie noch zur Verfügung hat, wenn die<br />

Annahme nicht optimal kommt. Sie muss wissen, welche Pässe sie unter Stress und Zeitdruck<br />

noch spielen und welche Angreiferin auch bei eventuellem ungenauem Zuspiel <strong>de</strong>n<br />

Punkt machen kann.<br />

33 Die Annahme-Situation wird als Komplex I (KI-Situation), die Abwehr-Situation als Komplex II (KII-<br />

Situation) bezeichnet.<br />

34 Je<strong>de</strong>r Pass bekommt eine Zahl, die von <strong>de</strong>r Zuspielerin mit <strong>de</strong>n Fingern angezeigt wird, z.B. „2“ (zwei<br />

Finger) für <strong>de</strong>n Aufsteiger über Kopf (n. Abb. 6, S. 52)<br />

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Seite 91<br />

Diese „Pläne“ vor <strong>de</strong>r eigentlichen Aktion entlasten die Zuspielerin sehr, setzen allerdings<br />

eine gewisse taktische Reife voraus. Sie muss nach je<strong>de</strong>r Aktion ihre Entscheidung beurteilen<br />

und speichern und sich auch nach einer kompletten Rotation noch an die Aktionen bei<br />

gleicher Aufstellung erinnern können. Außer<strong>de</strong>m darf sie sich nicht zu sehr von <strong>de</strong>n zurechtgelegten<br />

Plänen leiten lassen - sie stellen lediglich eine Erwartungshaltung dar -, son<strong>de</strong>rn<br />

immer auf alle Eventualitäten gefasst sein. Wer<strong>de</strong>n die Erwartungen nicht erfüllt (z.B.<br />

ungenaue Annahme, Angreiferin kommt zu langsam o<strong>de</strong>r zu schnell, usw.), muss die<br />

Zuspielerin in <strong>de</strong>r Lage sein, während <strong>de</strong>r Spielsituation neue Entscheidungen zu treffen.<br />

Die Vorüberlegungen dürfen nie dazu führen, dass die Zuspielerin an<strong>de</strong>re Merkmale, wie<br />

z.B. Blockbewegungen, Timing-Probleme <strong>de</strong>r Angreiferin o<strong>de</strong>r auch Unsicherheiten bezüglich<br />

<strong>de</strong>r eigenen Fähigkeiten nicht mehr wahrnimmt.<br />

Schwieriger gestalten sich die Vorüberlegungen bei eigenem Aufschlag, weil hier das erste<br />

Zuspiel nach einer Abwehraktion (KII-Situation) erfolgt. Das be<strong>de</strong>utet, dass es nach einem<br />

Angriff <strong>de</strong>s Gegners eine Vielzahl an möglichen Situationen geben kann (z.B. ein erfolgreicher<br />

Block, abgefälschte Bälle, Finten, harte Angriffe, usw.). In <strong>de</strong>r Regel ist nicht davon<br />

auszugehen, dass die Abwehr zielgenau zur Zuspielposition erfolgt. An<strong>de</strong>rerseits kann es<br />

passieren, dass <strong>de</strong>r Gegner Probleme hat (aufgrund eines druckvollen Aufschlages, Abstimmungsschwierigkeiten,<br />

Annahmefehler, usw.) und ein leicht anzunehmen<strong>de</strong>r Ball 35<br />

übers Netz gespielt wird. Im Normalfall wer<strong>de</strong>n schon vor <strong>de</strong>m Spielzug Angriffskombinationen<br />

ausgemacht, die bei einem leichten Ball o<strong>de</strong>r einer guten Abwehr gespielt wer<strong>de</strong>n.<br />

Aber auch hier können keine genauen Pläne gemacht wer<strong>de</strong>n, da die Möglichkeiten, wie<br />

sich die Situation schließlich für die Zuspielerin präsentiert, zu vielfältig sind. Trotz<strong>de</strong>m<br />

kann die Zuspielerin einige Vorüberlegungen anstellen, insbeson<strong>de</strong>re im Bereich <strong>de</strong>r gegnerischen<br />

Blockanalyse und im Bereich <strong>de</strong>r eigenen Angreiferinnen (Form, Fähigkeiten, usw.)<br />

Bei bei<strong>de</strong>n Situationen (KI- und KII-Situation) muss die Zuspielerin immer <strong>de</strong>n Spielstand<br />

und <strong>de</strong>n bisherigen Verlauf <strong>de</strong>s Spiels beachten.<br />

Die zweite Phase ist die Wahrnehmung <strong>de</strong>r unmittelbaren Spielsituation.<br />

35 Dazu zählen Bälle, die vom Gegner im oberen o<strong>de</strong>r unteren Zuspiel o<strong>de</strong>r mit einem Angriffsschlag aus<br />

<strong>de</strong>m Stand über das Netz gespielt wer<strong>de</strong>n wenn ein druckvoller Angriffsaufbau aufgrund von Fehlern in <strong>de</strong>r<br />

Annahme, Abwehr o<strong>de</strong>r im Zuspiel nicht mehr möglich ist. Diese Spielsituation nennt man auch „Dankeball“-Situation.<br />

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Seite 92<br />

6.2.2 Wahrnehmung und Analyse <strong>de</strong>r Spielsituation<br />

6.2.2.1 Begriffsbestimmung und Einordnung in die kognitiven Prozesse<br />

Wahrnehmung wird als aktive Auseinan<strong>de</strong>rsetzung <strong>de</strong>r Spielerin mit <strong>de</strong>m durch die peripheren<br />

Rezeptoren (Analysatoren) aufgenommenen Informationsangebot aus <strong>de</strong>r Umwelt<br />

verstan<strong>de</strong>n. Wahrnehmung ist also ein dynamischer Prozess, in <strong>de</strong>m Gegenstän<strong>de</strong>, Ereignisse<br />

o<strong>de</strong>r Situationen, die in räumlicher o<strong>de</strong>r zeitlicher Nähe <strong>de</strong>s Individuums auftauchen,<br />

Be<strong>de</strong>utung erhalten (vgl. Cratty 1975, 43). Im Verlauf eines Spielzuges nimmt die Zuspielerin<br />

eine Vielzahl von unterschiedlichen Objekten wahr: die Qualität <strong>de</strong>s ersten Passes, Höhe<br />

und Geschwindigkeit <strong>de</strong>s Balles, Bewegungen und Rufe <strong>de</strong>r Mitspielerinnen, usw..<br />

„Durch die sich ständig än<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Spielsituationen, die zahlreichen Freiheitsgra<strong>de</strong> hinsichtlich<br />

technisch-motorischer und taktischer Handlungen eines je<strong>de</strong>n einzelnen Spielers<br />

ergeben sich laufend neue Situationen, die zu erfassen sind“ (Schulz 1995, 17) und verarbeitet<br />

wer<strong>de</strong>n müssen. Wahrnehmung ist aber auch ein selektiver Prozess. Die wesentlichste<br />

Eigenschaft <strong>de</strong>r Sinnessysteme besteht nicht in <strong>de</strong>r Aufnahme, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Selektion<br />

und vor allem in <strong>de</strong>r Reduktion von Information (vgl. Ritzdorf 1982, 9).<br />

Die Wahrnehmung ist ein Teilbereich <strong>de</strong>r zentralen kognitiven Prozesse und nimmt innerhalb<br />

<strong>de</strong>r taktischen Handlung eine Son<strong>de</strong>rstellung ein. Sie kann zeitlich nicht von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

Phasen getrennt wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn erstreckt sich über <strong>de</strong>n gesamten Spielzug. Sie beginnt<br />

mit <strong>de</strong>n Wahrnehmungsprozessen im Zuge <strong>de</strong>r Vorüberlegungen und en<strong>de</strong>t erst nach<br />

<strong>de</strong>r Beurteilungs- und Kontrollphase. Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r Informationen, die durch die<br />

Wahrnehmungsprozesse geliefert wer<strong>de</strong>n, reduzieren sich nach und nach die Alternativen.<br />

Die Wahrnehmung ist nicht das einzige aber das wichtigste Kriterium, nach <strong>de</strong>m die endgültige<br />

Entscheidung getroffen wird. Die Extraktion und Verarbeitung von Information<br />

wer<strong>de</strong>n im wesentlichen von subjektiven Einflüssen bestimmt (vgl. Neumaier 1988, 35), die<br />

stark von <strong>de</strong>r Emotion, Motivation und Kognition <strong>de</strong>r Zuspielerin abhängig sind. Auf die<br />

emotionalen und motivationalen Prozesse wur<strong>de</strong> bereits in Kapitel 4 eingegangen, bei <strong>de</strong>n<br />

kognitiven Prozessen sind neben <strong>de</strong>r Wahrnehmung auch die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis,<br />

das Wissen und die Entscheidung von beson<strong>de</strong>rem Interesse. Diese wer<strong>de</strong>n im<br />

Verlauf dieses Kapitels noch näher untersucht.<br />

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Seite 93<br />

6.2.2.2 Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Analysatoren für die Wahrnehmung<br />

Die Analysatoren sind, wie schon erwähnt, für die Informationsaufnahme zuständig.<br />

Der kinästhetische, <strong>de</strong>r taktile und <strong>de</strong>r statico-dynamische Analysator spielen bei <strong>de</strong>r taktischen<br />

Entscheidung nur eine untergeordnete Rolle und sollen hier <strong>de</strong>shalb nicht noch einmal<br />

aufgegriffen wer<strong>de</strong>n. Wichtiger für die taktische Handlung <strong>de</strong>r Zuspielerin sind die<br />

Informationen, die <strong>de</strong>r akustische und <strong>de</strong>r optische Analysator liefern.<br />

Der akustische Analysator verarbeitet Reize, die über <strong>de</strong>n Rezeptor Ohr aufgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n. Im <strong>Volleyball</strong> bezieht sich die akustische Wahrnehmung einerseits auf Komponenten,<br />

die nicht unmittelbar zum Spielgeschehen gehören, wie z.B. das Zuschauerverhalten<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Pfiff <strong>de</strong>s Schiedsrichters. Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r sind die verbalen Informationen, die die<br />

Zuspielerin von ihren Mitspielerinnen erhält. Diese sind notwendig, wenn ausgemachte<br />

Kombinationen o<strong>de</strong>r Pässe aufgrund eines nicht optimalen ersten Balles geän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n<br />

müssen – man spricht dann vom „Auflösen“ <strong>de</strong>r ausgemachten Kombination -, o<strong>de</strong>r wenn<br />

Angreiferinnen bestimmte Blockbewegungen o<strong>de</strong>r -stellungen wahrnehmen und auf diese<br />

spontan mit <strong>de</strong>r akustischen For<strong>de</strong>rung nach einem an<strong>de</strong>ren Pass reagieren. Gibt es außer<strong>de</strong>m<br />

z.B. eine beson<strong>de</strong>rs kleine o<strong>de</strong>r schwache Blockspielerin auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>s Gegners, die<br />

ihre Blockposition verän<strong>de</strong>rt und sehr spät einnimmt, wird die Position von einer Hinterspielerin<br />

<strong>de</strong>r Zuspielerin zugerufen, sobald die Blockspielerin steht.<br />

Unbedingte Voraussetzung für diese Kommunikation ist das entsprechen<strong>de</strong> Können und<br />

Zusammenspiel aller Spielerinnen. Im I<strong>de</strong>alfall fin<strong>de</strong>t die Kommunikation zwischen <strong>de</strong>r<br />

Zuspielerin und <strong>de</strong>n Angreiferinnen im Spiel nur per Blickkontakt statt, doch gera<strong>de</strong> bei<br />

Angriffen über Kopf ist die akustische Kommunikation für spontane Än<strong>de</strong>rungen unerlässlich.<br />

Natürlich wer<strong>de</strong>n auch Anweisungen <strong>de</strong>s Trainers akustisch übermittelt. Hier kommt <strong>de</strong>m<br />

Trainer die neue Regel zugute, die ihm erlaubt, während <strong>de</strong>s Spiels am Spielfeldrand hinter<br />

<strong>de</strong>r 3m-Linie zu stehen und sich mit <strong>de</strong>n Spielerinnen zu unterhalten 36 .<br />

36 Vor <strong>de</strong>r Regelän<strong>de</strong>rung musste <strong>de</strong>r Trainer während <strong>de</strong>m Spiel auf <strong>de</strong>r Bank sitzen.<br />

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Seite 94<br />

Im <strong>Volleyball</strong> und beson<strong>de</strong>rs für das Zuspiel stehen die Informationen über <strong>de</strong>n optischen<br />

Analysator und somit die visuelle Wahrnehmung an erster Stelle und spielen die zentrale<br />

Rolle. Die visuelle Wahrnehmung umfasst die Fähigkeit, als Vorbereitung für die weitere<br />

Verarbeitung und Entscheidungsfindung, optische Reize aufzunehmen, zu unterschei<strong>de</strong>n,<br />

zu selektieren und einzuordnen. Man unterschei<strong>de</strong>t dabei die Begriffe <strong>de</strong>s „Bewegungssehens“,<br />

als Prozess <strong>de</strong>r Entstehung eines visuellen Eindrucks einer Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Raumposition<br />

von Objekten, und <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r „Bewegungsbeobachtung“, das absichtliche,<br />

selektive Wahrnehmen von frem<strong>de</strong>n Bewegungsabläufen. Bei<strong>de</strong> Arten wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r<br />

Zuspielerin im Laufe <strong>de</strong>s Spielzuges genutzt, wenn sie die Bewegungen <strong>de</strong>r gegnerischen<br />

Blockspielerinnen „sieht“ o<strong>de</strong>r gezielt ihre Annahmespielerinnen beobachtet, um frühzeitig<br />

Informationen über <strong>de</strong>n voraussichtlichen Spielort zu erhalten.<br />

Die visuelle Wahrnehmung ist im <strong>Volleyball</strong>, beson<strong>de</strong>rs aber für das Zuspiel, eine leistungslimitieren<strong>de</strong><br />

Komponente, die es - wenn sie entsprechend geschult und ausgebil<strong>de</strong>t ist - <strong>de</strong>r<br />

Zuspielerin ermöglicht, mit Hilfe <strong>de</strong>r aufgenommenen Informationen eine genaue Analyse<br />

zu erstellen und eine Entscheidung zu treffen, die in dieser Situation die beste spieltaktische<br />

Entscheidung darstellt und zum Punktgewinn führt. Daher erscheint es sinnvoll, auf die<br />

visuelle Wahrnehmung noch näher einzugehen.<br />

6.2.2.3 Arten <strong>de</strong>r visuellen Wahrnehmung<br />

Insgesamt ermöglicht die visuelle Wahrnehmung <strong>de</strong>r Spielerin ein differenziertes und vielfältiges<br />

Erfassen <strong>de</strong>r gesamten Umwelt in Bezug zu Raum (Entfernung, Höhe, Tiefe, usw.),<br />

Zeit (Geschwindigkeit, Beschleunigung, usw.) und Bewegung (Eigenbewegung und<br />

Fremdbewegung).<br />

Die Raumwahrnehmung <strong>de</strong>finiert das Umfeld, in <strong>de</strong>m die komplexen Aktionen stattfin<strong>de</strong>n,<br />

und erfasst die räumlichen Eigenschaften und Entfernungen von und zwischen Mitspielern,<br />

Gegner, Ball, Netz, Spielfeld und Spielfeldlinien, sowie <strong>de</strong>n Bezug <strong>de</strong>r eigenen Position<br />

<strong>de</strong>r Spielerin zu diesen Komponenten.<br />

Die Zeitwahrnehmung ist ein in die Bewegungswahrnehmung integrierter Bestandteil, <strong>de</strong>r<br />

die zeitlich verän<strong>de</strong>rbaren Komponenten <strong>de</strong>r einzelnen Objekte zueinan<strong>de</strong>r und vor allem<br />

in Abhängigkeit vom Standort <strong>de</strong>r wahrnehmen<strong>de</strong>n Spielerin erfasst.<br />

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Seite 95<br />

Die Bewegungswahrnehmung wird unterteilt in Eigen- und Fremdbewegungen. Die Wahrnehmung<br />

<strong>de</strong>r Eigenbewegungen liefert Informationen über <strong>de</strong>n eigenen Bewegungsablauf,<br />

<strong>de</strong>r aber im <strong>Volleyball</strong> weitgehend unbewusst abläuft und durch ein hohes Maß an Automatisierung<br />

bestimmt ist.<br />

Die Wahrnehmung <strong>de</strong>r Fremdbewegungen spielt im <strong>Volleyball</strong> eine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>re Rolle,<br />

vor allem für die Zuspielerin. Diese Art <strong>de</strong>r Bewegungswahrnehmung umfasst das Erkennen<br />

<strong>de</strong>r Flugeigenschaften <strong>de</strong>s Balles und die Handlungen von Mit- und Gegenspielerinnen,<br />

sowie <strong>de</strong>n räumlichen Bezug <strong>de</strong>r eigenen Person zu <strong>de</strong>m Spielgerät Ball. Gera<strong>de</strong> die<br />

Zuspielerin muss möglichst frühzeitig erkennen, in welche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit<br />

sich <strong>de</strong>r Ball bewegt, ob und wie stark <strong>de</strong>r Ball rotiert. Neben <strong>de</strong>r Ballwahrnehmung<br />

muss sie auch die Laufwege ihrer Angreiferinnen und ihr Timing, sowie im I<strong>de</strong>alfall<br />

auch peripher die Bewegungen <strong>de</strong>r gegnerischen Blockspielerinnen beobachten.<br />

Die Arten <strong>de</strong>r visuellen Wahrnehmung wer<strong>de</strong>n in Abbildung 11 noch einmal dargestellt:<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen an die Raum- und Bewegungswahrnehmung im Sportspiel <strong>Volleyball</strong><br />

Raumwahrnehmungen:<br />

Wahrnehmung <strong>de</strong>r räumlichen<br />

Eigenschaften (Form,<br />

Größe, Gestalt) von Mit -<br />

spielern, Gegnern, Ball und<br />

Spielfeld<br />

Wahrnehmung <strong>de</strong>r Entfernungen<br />

zwischen Mitspielern,<br />

Gegnern und Ball auf<br />

<strong>de</strong>m Spielfeld sowie zu <strong>de</strong>n<br />

Spielfeldlinien<br />

Wahrnehmung <strong>de</strong>r eigenen<br />

Position zu Mitspielern,<br />

Gegnern, Ball und <strong>de</strong>m<br />

Spielfeld<br />

Wahrnehmung <strong>de</strong>r Eigenbewegungen<br />

<strong>de</strong>s Spielers:<br />

Geschwindigkeit<br />

Beschleunigung<br />

Richtung<br />

Frequenz<br />

Bewegungswahrnehmungen:<br />

Wahrnehmung von Fremdbewegungen<br />

Wahrnehmungen von Bewegungswahrnehmungen <strong>de</strong>s<br />

Mit- und Gegenspielern Balles:<br />

ohne und mit Ball:<br />

Art <strong>de</strong>r Bewegung Art <strong>de</strong>r Ballbewegung (Flugbahn,<br />

Rotation)<br />

Richtung<br />

Richtung<br />

Geschwindigkeit<br />

Geschwindigkeit und Beschleunigung Effet<br />

Beschleunigung<br />

Dauer<br />

Dauer und Umfang Bewegungswahrnehmungen <strong>de</strong>r<br />

sich verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Konstellation<br />

Aufeinan<strong>de</strong>rfolge und zwischen Mitspielern, Gegnern<br />

Frequenz<br />

und Ball<br />

Abb. 11: Anfor<strong>de</strong>rung an die optische Wahrnehmung im Sportspiel <strong>Volleyball</strong> (n. Krüger/Gasse/Fischer<br />

2000, 30)<br />

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Seite 96<br />

Die Anfor<strong>de</strong>rungen an die Wahrnehmungsfähigkeit sind hoch, da die Informationen bewertet<br />

und sortiert wer<strong>de</strong>n müssen. Informationsaufnahme und -verarbeitung erfolgen<br />

dabei in kürzester Zeit. „Das Auge muss in <strong>de</strong>r Lage sein, aus <strong>de</strong>m Informationsüberangebot<br />

<strong>de</strong>s Spiels die wichtigen Informationen aufzusuchen. Schnell ablaufen<strong>de</strong> Spielhandlungen<br />

verlangen darüber hinaus ein schnelles und auch antizipatives Han<strong>de</strong>ln auf <strong>de</strong>r Grundlage<br />

gut ausgebil<strong>de</strong>ter Sehtechniken und Blickstrategien.“ (Voigt/Westphal in: <strong>Volleyball</strong>training<br />

4/1995, 58).<br />

6.2.2.4 Sehtechniken<br />

Wesentliche Sehtechniken <strong>de</strong>r <strong>Volleyball</strong>spielerin sind antizipative Augenfolgebewegungen<br />

(<strong>de</strong>m Ball vorauseilen), Blicksprünge, das Tiefensehen und das ganzheitliche o<strong>de</strong>r periphere<br />

Sehen (vgl. Gasse/Westphal in: Dannenmann 1997, 177).<br />

Antizipative Augenfolgebewegungen treten auf, wenn die Geschwindigkeiten <strong>de</strong>s Balles<br />

und die Spielerin zu schnell sind und die Beobachtungsentfernung zu gering ist, um die<br />

Bewegung mit <strong>de</strong>n Augen stetig verfolgen zu können, das heißt, dass die Spielerin <strong>de</strong>n<br />

Endpunkt <strong>de</strong>s Ballfluges o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Spielerbewegung aufgrund ihrer Erfahrung antizipiert.<br />

Ist die Objektgeschwindigkeit zu hoch o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Betrachter zu dicht am Objekt, um es mit<br />

Blicknachfolgebewegungen zu verfolgen, treten sogenannte Sakka<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Blicksprünge<br />

auf. Die Informationsaufnahme fin<strong>de</strong>t dabei in <strong>de</strong>n kurzen Fixationen zwischen <strong>de</strong>n<br />

Sprüngen statt, das heißt es ist kein kontinuierlicher Vorgang wie bei <strong>de</strong>n Augenfolgebewegungen.<br />

Im <strong>Volleyball</strong> sind die Sakka<strong>de</strong>n die häufigsten anzutreffen<strong>de</strong>n Augenbewegungen<br />

(vgl. Ritzdorf 1982, 28).<br />

Für die Aufgabe <strong>de</strong>r Zuspielerin sind vor allem das Tiefensehen und das periphere Sehen<br />

von größerer Be<strong>de</strong>utung. Diese Sehtechniken sollen <strong>de</strong>shalb noch genauer erläutert wer<strong>de</strong>n.<br />

Das Tiefensehen, o<strong>de</strong>r räumliche Sehen, bezeichnet die Fähigkeit <strong>de</strong>r räumlichen Wahrnehmung<br />

und <strong>de</strong>s dreidimensionalen Sehens. Es ermöglicht, Entfernungen einzuschätzen<br />

und die Richtung <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Tiefe <strong>de</strong>s Fel<strong>de</strong>s ankommen<strong>de</strong>n Bälle zu erkennen. Da im<br />

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<strong>Volleyball</strong> alle Beteiligten und <strong>de</strong>r Ball auf engem Raum ständig die jeweiligen Positionen<br />

zueinan<strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rn, wer<strong>de</strong>n hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an das Tiefensehen gestellt (vgl.<br />

Voigt/Westphal 1995, 16). Diese Fähigkeit ist für die Zuspielerin wesentlich, muss sie doch<br />

einschätzen, wie weit die Bälle ans Netz fliegen wer<strong>de</strong>n, ob sie ihnen entgegengehen (weil<br />

sie zu kurz) o<strong>de</strong>r sie im Sprung spielen muss (weil sie zu nah ans Netz gespielt wur<strong>de</strong>n).<br />

Dabei spielt auch <strong>de</strong>r Bewegungszustand <strong>de</strong>r Spielerin eine Rolle. Agiert sie aus einer ruhen<strong>de</strong>n<br />

Position, sind die Aufgaben wesentlich einfacher zu bewältigen, als <strong>de</strong>n Ball aus <strong>de</strong>r<br />

Bewegung heraus zuzuspielen. Bei <strong>de</strong>r Ausführung selbst wird von <strong>de</strong>r Zuspielerin gefor<strong>de</strong>rt,<br />

dass sie aus einer ruhigen und immer gleichen Stellung zum Ball zuspielt. Voraussetzung<br />

dafür ist, dass die Zuspielerin die Ballflugbahn einschätzen kann und, wie bereits angesprochen,<br />

über eine gewisse Grund- und Reaktionsschnelligkeit sowie Orientierungsfähigkeit<br />

verfügt.<br />

Dagegen ist von peripherem o<strong>de</strong>r ganzheitlichem Sehen die Re<strong>de</strong>, wenn weiter auseinan<strong>de</strong>r<br />

liegen<strong>de</strong> Details interessieren. Es beschreibt die Nah- und Fernorientierung in einem<br />

Blickfeld von mehr als 180°. In diesen Fällen versucht die Spielerin, unter Verzicht auf das<br />

Erfassen von Details, aus <strong>de</strong>r Dynamik von Situationen Informationen abzuleiten (z.B. das<br />

Timing zwischen Angreiferin und Zuspielerin) (Voigt/Westphal 1995, 14). Beson<strong>de</strong>re Stärke<br />

<strong>de</strong>s peripheren Sehens ist die Ent<strong>de</strong>ckung von Bewegung und Helligkeitsverän<strong>de</strong>rungen.<br />

So konzentriert sich die Zuspielerin oft, während sie zum Ball läuft und in Spielstellung<br />

geht, auf Bewegungen und Aktionen, die sie aus <strong>de</strong>n Augenwinkeln wahrnimmt. „Im Bereich<br />

<strong>de</strong>s peripheren Sehens muss [die Zuspielerin] beson<strong>de</strong>rs gut ausgebil<strong>de</strong>t sein, um Ball,<br />

Mitspieler in Annahme, Angriff und Blockverhalten, vor allem <strong>de</strong>s Mittelblockers, im Blick<br />

zu haben“ (Papageorgiou/Spitzley 2000, 114). Voraussetzung ist allerdings, dass die motorischen<br />

Aktionen (laufen und spielen) soweit beherrscht wer<strong>de</strong>n, dass sie einen präzisen<br />

Pass spielen kann, auch wenn sie sich erst kurz vorher darauf konzentriert.<br />

Ein weiterer Vorteil <strong>de</strong>s peripheren Sehens liegt in <strong>de</strong>r absoluten Größe <strong>de</strong>s durch diese<br />

Art wahrnehmbaren Raums und <strong>de</strong>r darin ablaufen<strong>de</strong>n großräumigen Bewegungen und<br />

Interaktionen zwischen verschie<strong>de</strong>nen Spielerinnen, womit es wesentlich zur Raumorientierung<br />

beiträgt. Für die Zuspielerin ist diese Raumorientierung sehr wichtig, um die richtige<br />

Körperposition in Bezug zum Netz bestimmen zu können.<br />

Die Fähigkeit <strong>de</strong>s peripheren Sehens ist im allgemeinen (als Fähigkeit zur Raumorientierung<br />

und Bewegungswahrnehmung von Angreiferinnen und/o<strong>de</strong>r Gegenspielerinnen) eine<br />

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unabdingbare Voraussetzung für die Zuspielerin und sollte schon früh geschult wer<strong>de</strong>n. Im<br />

hochklassigen <strong>Volleyball</strong> wird es beson<strong>de</strong>rs bei <strong>de</strong>r Wahrnehmung <strong>de</strong>s gegnerischen Blockverhaltens<br />

verwen<strong>de</strong>t. Da <strong>de</strong>r Winkel in diesem Fall jedoch sehr groß ist und die Blockspielerin<br />

natürlich ihre Absicht möglichst lange zu verstecken versucht, ist es oftmals nicht<br />

mehr möglich, das Geschehen peripher zu beobachten, son<strong>de</strong>rn nötig, dass die Zuspielerin<br />

<strong>de</strong>n Blick vom Ball weg zum Gegner wen<strong>de</strong>t, um die Blockspielerinnen für kurze Zeit<br />

scharf zu sehen.<br />

Nach Ritzdorf (1982, 33) ist die Fähigkeit, peripher wahrzunehmen, alters- und erfahrungsabhängig.<br />

Die Netzhautperipherie ist sehr empfindlich für Bewegungen, das be<strong>de</strong>utet, dass<br />

die Zuspielerin in <strong>de</strong>r Lage sein muss, zwischen wertvollen und unwichtigen Informationen<br />

aus <strong>de</strong>r Peripherie zu unterschei<strong>de</strong>n und ihre Aufmerksamkeit <strong>de</strong>mentsprechend zu steuern.<br />

Unerfahrene, junge Spielerinnen geben unwichtigen Informationen oftmals zuviel Gewicht<br />

und wer<strong>de</strong>n dadurch vom eigentlichen Geschehen abgelenkt. Erfahrene Spielerinnen<br />

verfügen über genug Wissen, welche Informationen aus <strong>de</strong>r Peripherie wichtig sind, und<br />

können bewusst ihre Aufmerksamkeit in bestimmten Situationen auf die periphere Wahrnehmung<br />

lenken. So kann die Zuspielerin während <strong>de</strong>r Beobachtung z.B. <strong>de</strong>s Ballfluges<br />

auch das Verhalten von Mit- und Gegenspielern erkennen und berücksichtigen.<br />

6.2.2.5 Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Antizipation<br />

Für <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Antizipation gibt es keine allgemeingültige Definition. Im sportwissenschaftlichen<br />

Lexikon (1993) wird Antizipation als „auf Erfahrung und aktuelle Wahrnehmung<br />

gegrün<strong>de</strong>te gedankliche bzw. vorstellungsmäßige Vorwegnahme zukünftigen Geschehens“<br />

(Schnabel/Thiess 1993, 67) verstan<strong>de</strong>n. Die Fähigkeit, Handlungsabsichten und<br />

-verläufe an<strong>de</strong>rer Spielerinnen zu antizipieren, um <strong>de</strong>n für die Verwirklichung eigener Absichten<br />

notwendigen Zeitvorsprung zu erlangen, ist in allen Sportspielen von hoher Be<strong>de</strong>utung.<br />

Gera<strong>de</strong> im <strong>Volleyball</strong> ist die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Antizipation unumstritten. Neben <strong>de</strong>m<br />

mehrfachen Bezugssystem und <strong>de</strong>r Schnelligkeit <strong>de</strong>r Handlungsabfolge bestimmt die Regel<br />

<strong>de</strong>s „Volley Spielens“ die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Antizipation. Schnelles, direktes Spiel, das von<br />

einem hohen Grad an Unbestimmtheit in Form von unerwarteten Lösungen und neuen<br />

Aufgabenstellungen (Täuschungsmöglichkeiten, usw.) geprägt ist, verlangt ein ständiges<br />

Wachsein und Antizipieren <strong>de</strong>s Handlungsverlaufs. Doch in diesem Teil <strong>de</strong>r Arbeit wer<strong>de</strong>n<br />

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die kognitiven Anteile beim Zuspiel betrachtet und da gilt, dass bei <strong>de</strong>r Zuspielerin „die<br />

antizipatorischen Anteile [ihrer] Entscheidungshandlungen geringer [sind] als jene [ihrer]<br />

Mitspieler“ (Schulz 1995, 20). Sie antizipiert zwar die Flugbahn <strong>de</strong>s Balles aus <strong>de</strong>r Annahme<br />

o<strong>de</strong>r Abwehr (durch ein frühes Erlaufen <strong>de</strong>s Balles gewinnt die Zuspielerin Zeit für die<br />

darauffolgen<strong>de</strong> Aktion o<strong>de</strong>r für taktische Überlegungen), die Stellung <strong>de</strong>s gegnerischen<br />

Blocks aber und die Laufwege <strong>de</strong>r Angreifer nimmt sie über Blickbewegungen bzw. peripher<br />

wahr (vgl. Schulz 1995, 21). Die Antizipation nimmt somit beim Entscheidungshan<strong>de</strong>ln<br />

<strong>de</strong>r Zuspielerin eine weniger dominieren<strong>de</strong> Rolle ein als z.B. bei Abwehrleistungen<br />

und soll daher nicht näher erläutert wer<strong>de</strong>n.<br />

6.2.2.6 Aufmerksamkeit, Wissen und Gedächtnis<br />

Neben <strong>de</strong>r Wahrnehmung sind die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis und das Wissen weitere<br />

kognitive Prozesse. Der Zusammenhang besteht darin, dass die Wahrnehmungsleistung<br />

stark abhängig von <strong>de</strong>r Richtung <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit, <strong>de</strong>n Leistungen <strong>de</strong>s Gedächtnisses<br />

und <strong>de</strong>m vorhan<strong>de</strong>nen Wissen <strong>de</strong>r Zuspielerin ist.<br />

„Aufmerksamkeit, <strong>de</strong>r Zustand <strong>de</strong>r gesteigerten Wachsamkeit und Anspannung, liegt <strong>de</strong>r<br />

selektiven Orientierung <strong>de</strong>s Wahrnehmens, Denkens und Han<strong>de</strong>lns zugrun<strong>de</strong>“ (vgl.<br />

Schulz/Henninger 1993, 18). Da die Ausführung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Techniken sowohl<br />

sehr schnell als auch sehr genau erfolgen muss, sind hohe Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistungen<br />

erfor<strong>de</strong>rlich. Die Aufmerksamkeit ist zwar kein eigenständiger Prozess<br />

wie die Wahrnehmung, mit dieser aber eng verbun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn durch die gezielte Aufmerksamkeitslenkung<br />

auf relevante Informationen wer<strong>de</strong>n diese auf die wichtigen reduziert.<br />

Dieser notwendige Vorgang <strong>de</strong>r Informationsreduktion wird als „selektive Aufmerksamkeit“<br />

bezeichnet. Je nach situativer Anfor<strong>de</strong>rung können zusätzlich zwei Formen <strong>de</strong>r selektiven<br />

Aufmerksamkeit erfor<strong>de</strong>rlich sein. „Gilt es, eine eng umschriebene Reizquelle auf<br />

Kosten an<strong>de</strong>rer intensiv zu beachten, so spricht man von Konzentration <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit“<br />

(Christmann/Fago/DVV 1989, 76). Die Aufmerksamkeit wird hierbei ganz auf einen<br />

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Brennpunkt 37 gerichtet und während dieser Konzentration auf eine Tätigkeit wird das übrige<br />

Geschehen im Wahrnehmungsfeld kaum wahrgenommen. Zu beachten ist aber, dass<br />

<strong>de</strong>r visuelle Fixationspunkt nicht unbedingt <strong>de</strong>r Aufmerksamkeitsrichtung bzw. ihrem<br />

Brennpunkt entsprechen muss. Die konzentrative Aufmerksamkeit kann ebenso <strong>de</strong>m peripheren<br />

Bereich zugewandt sein.<br />

Die distributive Aufmerksamkeit dagegen „bezieht sich [...] auf das Problem von Mehrfachleistungen<br />

bzw. simultanen Aufmerksamkeitsleistungen“ (Neumaier in: Christmann<br />

1984, 177). Dies gelingt am besten, wenn Handlungen – beson<strong>de</strong>rs die Grundtechniken –<br />

automatisiert sind, <strong>de</strong>nn „automatisierte Tätigkeiten bedürfen nicht mehr <strong>de</strong>r ständigen<br />

Kontrolle“ (Neumaier in: Christmann 1984, 178) und die Aufmerksamkeit kann somit auf<br />

an<strong>de</strong>re Punkte gerichtet wer<strong>de</strong>n.<br />

(Persönliche Anmerkung: Diese Aussage wird von erfahrenen Experten in Frage gestellt.<br />

Auch automatisierte Techniken bedürfen einer ständigen Überprüfung – beson<strong>de</strong>rs im<br />

Wettkampf – und müssen mit Korrekturmaßnahmen in <strong>Training</strong> und Wettkampf kontrolliert<br />

wer<strong>de</strong>n.)<br />

Die Anfor<strong>de</strong>rungen an die Aufmerksamkeitsfähigkeit lassen sich für die Zuspielerin wie<br />

folgt charakterisieren (vgl. Christmann/Fago/DVV 1989, 76):<br />

• Die Spielerin muss zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen unterschei<strong>de</strong>n<br />

(selektive Aufmerksamkeit).<br />

• Sie muss ein weites Feld beachten, da in kürzester Zeit vorher irrelevante Teile zu<br />

wichtigen Informationsquellen wer<strong>de</strong>n (distributive Aufmerksamkeit).<br />

• Die Informationsaufnahme muss in kürzester Zeit erfolgen und die Aufmerksamkeit<br />

über einen langen Zeitraum aufrechterhalten wer<strong>de</strong>n.<br />

• Die Spielerin muss ihr Wahrnehmungsfeld situationsadäquat einschränken können<br />

(Konzentrative Aufmerksamkeit).<br />

• Sie muss sehr schnell zwischen konzentrativer und distributiver Aufmerksamkeit<br />

umschalten können (Umschaltfähigkeit).<br />

37 Als Brennpunkt wird das Zentrum <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit bezeichnet. Das Zentrum ist <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlichste und<br />

differenzierteste Wahrnehmungsbereich im gesamten Aufmerksamkeitsfeld. Der periphere Bereich <strong>de</strong>r<br />

Wahrnehmung wird als „Grund“ bezeichnet (vgl. Krech/Crutchfield 1992)<br />

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Der letzte Punkt geht auf empirische Untersuchungen von Konzag (1981, 44) zurück, in<br />

<strong>de</strong>nen er festgestellt hat, dass die Zahl <strong>de</strong>r zu beachten<strong>de</strong>n Objekte bei gleichzeitiger Ausführung<br />

einer Zielhandlung aus <strong>de</strong>r Bewegung im <strong>Volleyball</strong> sehr hoch ist und oft eine<br />

doppelte Zielkonzentration auf das Primärziel (Ball) und das Sekundärziel (Spielfeld bzw.<br />

Mitspielerin) erfor<strong>de</strong>rlich ist. „Das be<strong>de</strong>utet aber nicht nur erhöhte Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n<br />

Umfang, son<strong>de</strong>rn auch an das Umschalten <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit“ (Konzag 1981, 44).<br />

Christmann/Fago/DVV (1989) bezeichnen diese Umschaltfähigkeit zwischen distributiver<br />

und konzentrativer Aufmerksamkeit sogar als „Wahrnehmungsstil“<br />

(Christmann/Fago/DVV 1989, 77), <strong>de</strong>r unterschiedlich häufig von Spielerinnen bevorzugt<br />

wird und von <strong>Training</strong> und Schulung abhängig ist.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine gut ausgeprägte Konzentrations- und Distributionsfähigkeit<br />

unabdingbare Voraussetzungen für das Herausfiltern <strong>de</strong>r relevanten informationstragen<strong>de</strong>n<br />

Elemente <strong>de</strong>s komplexen und schnell ablaufen<strong>de</strong>n Spielgeschehens<br />

sind. Mängel in <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit können zu technisch-taktischen Fehlhandlungen führen,<br />

die nicht korrigierbar und kompensierbar sind. Somit ist eine möglichst optimale<br />

Aufmerksamkeitssteuerung Bedingung für <strong>de</strong>n Erfolg.<br />

Wissen dient dazu, Merkmale zu erkennen und zu klassifizieren, Ziele und Pläne auszuwählen<br />

sowie zwischen konkurrieren<strong>de</strong>n Alternativen zu wählen. Beispielsweise muss die<br />

Zuspielerin wissen, nach welcher Annahme o<strong>de</strong>r Abwehr ihr welche Zuspielmöglichkeiten<br />

überhaupt noch offen stehen und welche sich auf ihrem Spielniveau als effektiv erweisen<br />

(vgl. Voigt/Westphal 1995, 19). Unter Wissen wer<strong>de</strong>n die Kenntnisse verstan<strong>de</strong>n, die<br />

durch Lernen erworben wur<strong>de</strong>n. Das Wissen um Handlungszusammenhänge und typische<br />

Verläufe im Spiel, das Wissen um die Be<strong>de</strong>utung einzelner Bewegungsabläufe bzw. -bil<strong>de</strong>r<br />

für das Erkennen <strong>de</strong>r Handlungsabsicht <strong>de</strong>s Gegners bestimmt die Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r<br />

Zuspielerin im Spiel wesentlich mit. Im <strong>Volleyball</strong> erfolgt die Situationswahrnehmung unter<br />

Berücksichtigung externer (aktuell wahrgenommener) und interner (durch Aktualisierung<br />

<strong>de</strong>s gespeicherten Wissens) Daten. Eine solche erste Situationsorientierung stellt die Basis<br />

für die Handlungsplanung bzw. die gedankliche Lösung <strong>de</strong>r Aufgabe dar. Das Situationswissen<br />

kann über eine Hypothesenbildung die vermutliche Fortentwicklung <strong>de</strong>r Situation<br />

vorausahnen o<strong>de</strong>r die Handlungsplanung durch eine effektive Informationssuche – Aufmerksamkeitslenkung<br />

auf relevante Details – verbessern. Kenntnisse über Handlungsmöglichkeiten<br />

und ihre vermutliche Wirkung sind somit eine unabdingbare Voraussetzung für<br />

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die Zuspielerin und tragen – wie schon die Aufmerksamkeit - zur Reduktion <strong>de</strong>r Alternativen<br />

bei.<br />

Auch das Gedächtnis ist eng mit <strong>de</strong>r Wahrnehmung verbun<strong>de</strong>n. Es wirkt durch die in<br />

früheren Bewegungen gewonnenen, gespeicherten und wie<strong>de</strong>rerkannten Erfahrungen als<br />

Form <strong>de</strong>r Vergangenheit auf die in <strong>de</strong>r Situation vorherrschen<strong>de</strong> Gegenwart ein. Diese<br />

Erfahrungen beziehen sich auf das Wissen um motorische Vollzüge, taktische Situationen<br />

und allgemeine Kenntnisse (vgl. Schulz 1995, 33).<br />

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die kognitiven Prozesse <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit,<br />

<strong>de</strong>s Gedächtnisses und <strong>de</strong>s Wissens mit <strong>de</strong>r Wahrnehmung eng verbun<strong>de</strong>n sind. Die<br />

Wahrnehmungsleistung ist in starkem Maße abhängig von diesen Prozessen und zum Treffen<br />

<strong>de</strong>r optimalen Entscheidung von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung.<br />

6.2.3 Gedankliche Lösung <strong>de</strong>r taktischen Aufgabe<br />

6.2.3.1 Ziel und Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

Auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r Situationswahrnehmung muss die Zuspielerin aus <strong>de</strong>n zahlreichen Alternativen<br />

eine Entscheidung für eine bestimmte Handlung fällen. „Entscheidung meint hier<br />

die Reduzierung <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n Handlungsalternativen bis auf eine“<br />

(Schulz/Henninger 1993, 9). Diese Entscheidung wird <strong>de</strong>n Situationsbedingungen und<br />

<strong>de</strong>n übergeordneten Zielen (Mannschaftsstrategie) angepasst. Die Entscheidungsfindung ist<br />

ein Prozess, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Start <strong>de</strong>r Zuspielhandlung 38 beginnt und mit <strong>de</strong>r Realisierung <strong>de</strong>r<br />

getroffenen Entscheidung en<strong>de</strong>t.<br />

Übergeordnetes Ziel einer je<strong>de</strong>n taktischen Entscheidung ist es, <strong>de</strong>n Angriffsaufbau so zu<br />

organisieren und zu führen, dass die Angreiferin erfolgreich agieren kann, o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs ausgedrückt,<br />

die Chancen auf Erfolg <strong>de</strong>r gegnerischen Netz- und Feldabwehr zu minimieren<br />

38 Die Zuspielhandlung beginnt nicht, wie bei Schulz (1995), mit <strong>de</strong>m Loslaufen <strong>de</strong>r Zuspielerin son<strong>de</strong>rn<br />

bereits mit <strong>de</strong>n Überlegungen vor <strong>de</strong>r eigentlichen Aktion.<br />

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(vgl. Harre 1971, 208). Dabei wer<strong>de</strong>n neben <strong>de</strong>r Notwendigkeit, aus <strong>de</strong>n zahlreichen Alternativen<br />

die zweckmäßigste auszuwählen, noch weitere Anfor<strong>de</strong>rungen an die Zuspielerin<br />

gestellt. Zu <strong>de</strong>n zentralen Entscheidungsanfor<strong>de</strong>rungen zählen laut Schulz/Henninger<br />

(1993) die „Entscheidung unter Zeitdruck“, die „Entscheidung während motorischer<br />

Handlungen“ und „Beibehaltung <strong>de</strong>r Qualität über einen langen Zeitraum“<br />

(Schulz/Henninger 1993, 11).<br />

Entscheidung unter Zeitdruck:<br />

Der Spielerin steht für die Entscheidung und für die entsprechen<strong>de</strong> Realisierung nur eine<br />

sehr begrenzte Zeit zur Verfügung (siehe Abb. 12).<br />

Aufschlag - Annahme 1,2 – 1,5 Sek. (lang und von hinten 1,7 – 1,8)<br />

Annahme - Zuspiel 1,3 – 1,5 Sek. (flaches/schnelles ans Netz 1,0 – 1,2)<br />

Zuspiel - Angriff<br />

hoch 1,6 – 1,8<br />

halb 1,3 – 1,5<br />

schnell 1,1 – 1,2<br />

Meter 0,8 – 1,0<br />

Schuss 2 m 0,35 – 0,45<br />

Aufsteiger 0,3 – 0,4<br />

Angriff - Ball auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n<br />

Finte<br />

1,0 bei Abspiel nach oben bis zur 3 m-Linie<br />

0,5 – 0,6 nach unten gedrückte Bälle<br />

Schlag 4 m<br />

Schlag 6 m 0,3 – 0,6<br />

Schlag 9 m<br />

Abb. 12: Ballflugzeiten (eigene Darstellung, mod. n. Westphal/Gasse/Richtering 1987, 61)<br />

Fehlerhafte Entscheidungen wer<strong>de</strong>n getroffen, wenn die Zuspielerin entscheidungsrelevante<br />

Kriterien zu lange abwägt, wenn sie unentschlossen und ratlos ist, die Situationswahrnehmung<br />

mangelhaft war o<strong>de</strong>r das nötige taktische Verständnis fehlt. Hierbei spielt <strong>de</strong>r<br />

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Seite 104<br />

Faktor Erfahrung als optimales Verhalten in vergleichbaren Situationen eine große Rolle.<br />

Spielerinnen mögen noch so groß gewachsen und technisch perfekt sein, entschei<strong>de</strong>nd ist,<br />

in kritischen Situationen keine überhasteten Entscheidungen zu treffen son<strong>de</strong>rn die Bälle<br />

variabel und erfolgreich zu verteilen.<br />

Entscheidung während motorischer Handlungen:<br />

Die Auswahl einer Alternative und die vorangegangene Alternativenreduktion erfolgen<br />

zumeist parallel zu motorischen Handlungen. Die Steuerung und Regelung <strong>de</strong>r technischen<br />

Ausführung fin<strong>de</strong>n gleichzeitig zu ablaufen<strong>de</strong>n Denkprozessen bezüglich <strong>de</strong>r taktischen<br />

Handlungsentscheidung statt. Eine Automatisierung im technischen Bereich ist also enorm<br />

wichtig, damit die Zuspielerin und sich gar nicht o<strong>de</strong>r kaum auf die richtige technische und<br />

vor allem präzise Ausführung <strong>de</strong>s Passes konzentrieren muss und dafür taktische Überlegungen<br />

anstellen kann. Zusätzlich wer<strong>de</strong>n diese Denkprozesse auch durch Emotionen positiv<br />

o<strong>de</strong>r negativ beeinflusst. So kann das Lob von Trainer o<strong>de</strong>r Mitspielerinnen für das<br />

erfolgreiche Ausspielen <strong>de</strong>s gegnerischen Blockes o<strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Punktgewinn durch eine<br />

erfolgreich eingesetzte, schwierige und lang trainierte Kombination sich sehr positiv auf das<br />

Selbstbewusstsein und das weitere Spiel <strong>de</strong>r Zuspielerin auswirken, die ja nicht durch direkte<br />

Punktgewinne (wie die Angreiferin) Selbstvertrauen „tanken“ kann.<br />

Beibehaltung <strong>de</strong>r Qualität über einen langen Zeitraum:<br />

Die Klasse einer Zuspielerin kommt dadurch zum Ausdruck, dass sie über die gesamte<br />

Wettkampfdauer und beson<strong>de</strong>rs zum Satzen<strong>de</strong> gute Entscheidungen trifft. Die Fähigkeit,<br />

die Qualität <strong>de</strong>r Entscheidungen trotz hoher psychischer und physischer Belastungen hoch<br />

zu halten, zeichnet die Spitzenzuspielerin aus. Dafür ist eine – wie bereits angesprochen –<br />

gute Konzentrationsausdauer, sowie psychische Stabilität notwendig.<br />

6.2.3.2 Einflussfaktoren auf <strong>de</strong>n Entscheidungsprozess<br />

Der Prozess <strong>de</strong>r Entscheidungsfindung kann nun in mehrere einzelne Schritte unterteilt<br />

wer<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen sich die Alternativen nach und nach reduzieren. Zunächst muss die<br />

Zuspielerin die Qualität <strong>de</strong>s ersten Passes beurteilen, das heißt <strong>de</strong>n Ballflug genau beobach-<br />

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ten und durch Antizipieren <strong>de</strong>r Flugbahn schnell eine günstige Spielstellung einnehmen.<br />

Kommt <strong>de</strong>r erste Pass optimal auf die Zuspielposition sind alle Möglichkeiten offen. Muss<br />

die Zuspielerin allerdings von einem Ort im Feld zuspielen, fallen je nach Netzentfernung<br />

und Qualität (hoch, flach, schnell) schon einige Pässe weg, als erstes meist die Schnellangriffe.<br />

Zum Zweiten muss sie ihre eigenen Fähigkeiten richtig einschätzen können, ihre psychische<br />

und mentale Verfassung kennen und entsprechend ihrem technischen Können die<br />

möglichen von <strong>de</strong>n unmöglichen Alternativen trennen. Ist die Zuspielerin technisch nicht<br />

in <strong>de</strong>r Lage, einen hohen Pass aus neun Metern Entfernung auf die Position IV zu spielen,<br />

wird sie sich für <strong>de</strong>n kurzen Pass über Kopf o<strong>de</strong>r für ein Zuspiel ins Hinterfeld entschei<strong>de</strong>n.<br />

Sind <strong>de</strong>m Gegner solche Schwächen bekannt, ist sie natürlich leicht auszurechnen.<br />

Trotz<strong>de</strong>m ist es immer sinnvoller einen taktisch ungünstigen, aber technisch guten Pass zu<br />

stellen, als nur um <strong>de</strong>r besseren Taktik willen einen Pass zu versuchen, <strong>de</strong>r ein übergroßes<br />

Risiko darstellt.<br />

Der nächste Schritt ist, das Verhalten und die momentane Einsatzbereitschaft <strong>de</strong>r Mitspielerinnen,<br />

insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Angreiferinnen, wahrzunehmen. Laufwege und Timing erkennt<br />

die Zuspielerin peripher, aber sie muss auch auf die Rufe <strong>de</strong>r Spielerinnen hören, um auf<br />

etwaige kurzfristige Än<strong>de</strong>rungen (Auflösen, Timing- o<strong>de</strong>r Laufwegprobleme) reagieren und<br />

Fehlpässe vermei<strong>de</strong>n zu können.<br />

Bieten sich <strong>de</strong>r Zuspielerin nach diesem Auswahlverfahren immer noch Alternativen, unterliegt<br />

die Entscheidung nun weiteren Einflussfaktoren:<br />

• die übergeordnete und vor <strong>de</strong>m Spiel besprochene Strategie – auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r<br />

Gegner- und Eigenanalyse -,<br />

• allgemeine/grundlegen<strong>de</strong> Verhaltensregeln und<br />

• verschie<strong>de</strong>ne Möglichkeiten <strong>de</strong>n Block auszuspielen.<br />

Die Strategie, die bereits in Punkt 2.2.1 besprochen wur<strong>de</strong>, soll hier nicht weiter erläutert<br />

wer<strong>de</strong>n. Die grundlegen<strong>de</strong>n Verhaltensregeln wer<strong>de</strong>n in Tabelle 3 zusammengefasst. Sie<br />

wer<strong>de</strong>n oft als „Wenn-dann-Beziehungen“ bezeichnet (Meyndt/Peters/Schulz/Warm<br />

2001, 107; Meyndt/Beutelstahl 2001, 115). Diese Regeln haben keinen allgemeingültigen<br />

Anspruch, son<strong>de</strong>rn stellen lediglich taktische Regeln dar, die situativ und individuell unterschiedlich<br />

angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n sollen.<br />

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Regel<br />

Alle angriffsbereiten Spielerinnen einsetzen und<br />

im Spiel halten<br />

Gezielt eine erfolgreiche Spielerin im Angriff<br />

einsetzen<br />

Versuchen, rechtzeitig die Ausgangsposition zu<br />

erreichen, um so spät wie möglich ihren Pass<br />

durch vorbereiten<strong>de</strong> Bewegungen anzukündigen<br />

Zuspiel mit <strong>de</strong>r höchsten Präzision ausführen<br />

Überschaubar, klar und ruhig zuspielen<br />

Das Zuspielkonzept kritisch überprüfen und<br />

gegebenenfalls än<strong>de</strong>rn<br />

Einen eigenen Angriff (Zuspiel im Sprung) vortäuschen,<br />

um <strong>de</strong>n Block zu bin<strong>de</strong>n<br />

Konsequent über eine Netzposition spielen und<br />

Positionswechsel beim Gegner beobachten<br />

Kombinationen vereinbaren und nur das zweite<br />

Tempo spielen<br />

Die lange Flugbahn suchen<br />

Schnelle Pässe auf die Außenpositionen spielen<br />

Ein kombinationsreiches Spiel o<strong>de</strong>r Schnellangriffe<br />

über die Mitte planen<br />

Anzuwen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Situation<br />

Offenes Spiel, Beginn, bei erfolgreicher Spielanlage<br />

Bei engem Satzstand o<strong>de</strong>r Rückstand<br />

Trifft auf je<strong>de</strong> Spielaktion zu!!<br />

Nach schlechter Annahme/Abwehr und engem<br />

Satzstand/Rückstand, um durch einen guten<br />

Pass einer Angreiferin mehr Chancen auf Erfolg<br />

zu eröffnen<br />

Bei eigener Unsicherheit und/o<strong>de</strong>r Rückstand,<br />

um sich selbst und <strong>de</strong>r Mannschaft wie<strong>de</strong>r<br />

Selbstvertrauen und Ruhe zu geben o<strong>de</strong>r die<br />

Aktion vor <strong>de</strong>m Zuspiel schnell und hektisch ist<br />

Wenn <strong>de</strong>r Gegner sich auf ihr bisheriges Zuspiel<br />

einstellen konnte<br />

Wenn die Zuspielerin Vor<strong>de</strong>rspielerin ist<br />

Wenn die Mittelblockerin eine Richtung bei <strong>de</strong>r<br />

Bewegung bevorzugt o<strong>de</strong>r eine Außenblockerin<br />

eine schlechte Blockspielerin (Größe o<strong>de</strong>r Technik)<br />

ist; wenn eine schwache Blockspielerin spät<br />

ihre Blockposition verän<strong>de</strong>rt<br />

Wenn die Mittelblockspielerin grundsätzlich im<br />

1. Tempo mit <strong>de</strong>r Schnellangreiferin mitspringt<br />

Wenn die Mittelblockerin sich mit <strong>de</strong>r Zuspielerin<br />

bewegt (so hat sie keine Zeit mehr, einen<br />

Doppelblock zu bil<strong>de</strong>n)<br />

Bei Innenstartposition <strong>de</strong>r Blockspielerinnen<br />

Bei Außenstartposition <strong>de</strong>r Blockspielerinnen<br />

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Seite 107<br />

Tab. 3: Grundlegen<strong>de</strong> Verhaltensregeln (eigene Darstellung, mod. n. Eichinger/Gasse/Niemczyk/Ziegler<br />

1995, 14/15 und Meyndt/Beutelstahl 2001, 115)<br />

Über die Erarbeitung dieser Grundregeln lernt die Zuspielerin, zu erkennen, welcher Pass<br />

in welcher Situation <strong>de</strong>r erfolgversprechenste ist, wann sie ihre effektivsten Angreiferinnen<br />

einsetzen muss, mit welchen Varianten <strong>de</strong>r Gegner die größten Schwierigkeiten hat und<br />

wann sie eine Finte spielen kann.<br />

Es soll noch einmal darauf hingewiesen wer<strong>de</strong>n, dass diese Regeln situativ befolgt wer<strong>de</strong>n<br />

müssen, und nicht allgemein und prinzipiell gültig sind. Die Kunst einer guten Zuspielerin<br />

ist, die Regeln situativ richtig anwen<strong>de</strong>n zu können, im Zusammenspiel mit Kreativität und<br />

einer kalkulierbaren Risikobereitschaft.<br />

Mit steigen<strong>de</strong>m Spiel- und Lernniveau lernt die Zuspielerin, einerseits die Gegenspielerinnen<br />

– insbeson<strong>de</strong>re die gegnerische Blockreihe – vor <strong>de</strong>m Spielzug zu analysieren und an<strong>de</strong>rerseits<br />

Blockbewegungen während <strong>de</strong>s Spiels wahrzunehmen und entsprechend darauf<br />

zu reagieren. Den Block auszuspielen erfor<strong>de</strong>rt von <strong>de</strong>r Zuspielerin eine enorme technische<br />

Sicherheit, ein sehr gutes peripheres Sehen und genügend Erfahrung, um das „Gesehene“<br />

bewerten und die entsprechen<strong>de</strong> Reaktion darauf umsetzen zu können.<br />

Die Möglichkeiten, <strong>de</strong>n Block auszuspielen, sind sehr vielfältig.<br />

Die einfachste Form ist das Prinzip <strong>de</strong>s langen Ballweges. Es besagt, dass die Zuspielerin<br />

<strong>de</strong>n Pass wählt, <strong>de</strong>r für die gegnerischen Mittelblockerin <strong>de</strong>n weitesten Weg zum Blockort<br />

be<strong>de</strong>utet. Dieses Prinzip ist sehr erfolgreich, wenn die Spielerin auf Position III zum Aufsteiger<br />

anläuft und abspringt und die gegnerische Mittelblockerin dadurch zum Block <strong>de</strong>r<br />

Angreiferin bezwungen wird, die Zuspielerin dann aber <strong>de</strong>n langen Pass auf die Außenposition<br />

spielt.<br />

Ein weiteres Prinzip, das ebenfalls schon sehr früh im Lernprozess angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n<br />

kann und soll, ist das Angriffsspiel konsequent über sehr kleine o<strong>de</strong>r bekannt schwache<br />

Blockspielerinnen aufzuziehen. Oft sind das Spielerinnen, die auf <strong>de</strong>n Außenpositionen<br />

stehen (v.a. die Zuspielerinnen). Um ihren „Schwachpunkt“ nicht so einfach sichtbar zu<br />

machen, reagieren solche Mannschaften mit späten Positionswechseln am Netz. Das heißt,<br />

dass die schwache Blockspielerin nicht immer auf die gleiche Position wechselt (z.B. Posi-<br />

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Seite 108<br />

tion II), son<strong>de</strong>rn ihren Standort verän<strong>de</strong>rt. Dieser Wechsel erfolgt dann beispielsweise auf<br />

die (für die Spielerin) eher ungewohnte Position IV und sehr spät, um zu vermei<strong>de</strong>n, dass<br />

die Zuspielerin schon vor ihrer Aktion <strong>de</strong>n aktuellen Blockort erkennen kann. Die Zuspielerin<br />

muss genau aufpassen und gegebenenfalls kurz vor <strong>de</strong>m Abspiel die Position dieser<br />

Spielerin peripher o<strong>de</strong>r durch gezieltes Hinsehen ausmachen, um ihren Pass auf die entsprechen<strong>de</strong><br />

Angreiferin spielen zu können. Oftmals wird die Information <strong>de</strong>s aktuellen<br />

Standorts auch von einer eigenen Hinterspielerin zugerufen. Die Zuspielerin muss zu<strong>de</strong>m<br />

in <strong>de</strong>r Lage sein, diese Hilfe umzusetzen.<br />

Auf höherem Könnensstand wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Zuspielerin gezielte Täuschungshandlungen<br />

angewandt. Die Täuschung ist eine taktische Maßnahme, um <strong>de</strong>n sportlichen Gegner im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r Wettkampfregeln durch Scheinhandlungen zu täuschen, über die eigenen Absichten<br />

im Unklaren zu lassen und ihn zu falschen Bewertungen und Entscheidungen zu<br />

veranlassen (vgl. Schnabel/Thiess 1993, 834). Täuschungshandlungen beziehen auch die<br />

Angreifer mit ein, die durch Lauftäuschungen – angetäuschte Antritte, plötzliche Richtungsän<strong>de</strong>rungen,<br />

usw. – und Sprungtäuschungen – sogenannte Stopps – die Blockspielerinnen<br />

zu falschen Entscheidungen zwingen sollen. Auch die Zuspielerin kann <strong>de</strong>n Gegner<br />

durch Körpertäuschungen zu Entscheidungsfehlern verleiten. Durch gezieltes Absenken<br />

<strong>de</strong>s Körpers täuscht sie einen langen Pass vor, durch Sprungpässe hält sie sich die Möglichkeit<br />

offen, in Form einer Finte selbst anzugreifen und/o<strong>de</strong>r durch anfängliches ausschließliches<br />

Einsetzen <strong>de</strong>r Außenangreiferinnen kann sie die gegnerischen Mittelblockspielerinnen<br />

dazu verleiten, bei <strong>de</strong>r Schnellangreiferin nicht mehr mitzuspringen, um diese<br />

dann vermehrt einzusetzen.<br />

In Zusammenhang mit <strong>de</strong>n Sprung- und Lauftäuschungen wird <strong>de</strong>r Block von <strong>de</strong>r Zuspielerin<br />

ausgespielt, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Block springt entwe<strong>de</strong>r im falschen Moment (meist zu früh)<br />

o<strong>de</strong>r am falschen Ort. Das geschieht im Rahmen von Angriffskombinationen mit unterschiedlich<br />

getimten Pässen, z.B. können <strong>de</strong>r Aufsteiger vorne mit <strong>de</strong>m Meterball vorne, <strong>de</strong>r<br />

2m-Schuss mit <strong>de</strong>m überspielten Schuss o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Aufsteiger über Kopf mit <strong>de</strong>m Meterball<br />

vorne o<strong>de</strong>r hinten kombiniert wer<strong>de</strong>n. Die Pässe sind so zusammengestellt, dass es immer<br />

einen Schnellangriff gibt (Pass <strong>de</strong>r ersten Welle) und einen Kombinationsball (Pass <strong>de</strong>r<br />

zweiten Welle). Die Kombinationen laufen so schnell hintereinan<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r so weit entfernt<br />

voneinan<strong>de</strong>r ab, dass die Blockspielerin mit <strong>de</strong>r Entscheidung für eine Möglichkeit, die<br />

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an<strong>de</strong>re Angriffsspielerin nicht mehr blocken kann. Der Block springt am falschen Ort o<strong>de</strong>r<br />

zum falschen Zeitpunkt und die Zuspielerin verhin<strong>de</strong>rt durch einen schnellen Ball auf die<br />

Kombinationsspielerin die Bildung eines effektiven Einer- o<strong>de</strong>r Zweierblocks. Die Zuspielerin<br />

muss dabei erkennen, für welche Möglichkeit sich <strong>de</strong>r Block entschei<strong>de</strong>t. Nicht immer<br />

entschei<strong>de</strong>t sich die Blockspielerin für die Schnellangreiferin, son<strong>de</strong>rn „wartet“ auf die<br />

Kombinationsspielerin. In diesem Fall sollte die Zuspielerin sehen, dass die Blockspielerin<br />

nicht mitspringt und die Schnellangreiferin einsetzen.<br />

Dieses Prinzip stellt das anspruchsvollste von allen dar und ist nur erfolgreich, wenn folgen<strong>de</strong><br />

vier Voraussetzungen gegeben sind:<br />

• Grundlage je<strong>de</strong>r Handlung ist die Technik. Präzision, Breite und Variabilität <strong>de</strong>s<br />

technischen Repertoires ist eine <strong>de</strong>r Grundbedingungen für die Leistungsfähigkeit<br />

einer Zuspielerin (siehe Kapitel 5). Beson<strong>de</strong>rs hervorgehoben sei an dieser Stelle<br />

noch einmal das Spielen aller Pässe aus einer weitgehend gleichen Ausgangshaltung<br />

39 .<br />

• Weitere Voraussetzung ist die Kombinationsvielfalt als Informationsüberflutung<br />

und Verschleierung. Mit einer steigen<strong>de</strong>n Variabilität <strong>de</strong>s Spielaufbaus, die aber nur<br />

dann gewährleistet ist, wenn sich die Angreifer situationsgerecht anbieten, ihr Anlauf<br />

die angedrohte Angriffsvariante tatsächlich ermöglicht und die Zuspielerin ihre<br />

Angreiferinnen in etwa gleich häufig einsetzt, sinken die Chancen <strong>de</strong>r gegnerischen<br />

Abwehr enorm. Wenn alle Spielerinnen in Bewegung sind und in die Laufwege Variationen<br />

und Finten eingebaut haben, wer<strong>de</strong>n die Abwehrspielerinnen mit Informationen<br />

überhäuft, die sie nicht alle verarbeiten können. Die Situation <strong>de</strong>r Abwehr<br />

verschlechtert sich noch mehr, wenn die Zuspielerin durch ihre neutrale<br />

Spielposition und/o<strong>de</strong>r bewusste Täuschungen ihre Zuspielabsicht lange verstecken<br />

kann.<br />

• Die Chance <strong>de</strong>r Abwehrspielerin kann auch durch zwei gleichrangige Angriffsmöglichkeiten,<br />

die sich gegenseitig ausschließen, verringert wer<strong>de</strong>n. Die Passvarianten<br />

wer<strong>de</strong>n so zusammengestellt, dass <strong>de</strong>r Abwehrspielerin (in Block- o<strong>de</strong>r Feldabwehr)<br />

mit <strong>de</strong>r Entscheidung für eine Alternative die Möglichkeit genommen wird,<br />

auch die zweite abzu<strong>de</strong>cken. Der Zuspielerin muss es natürlich gelingen, die Ent-<br />

39 Diese Voraussetzung ist für alle Prinzipien gültig.<br />

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scheidung <strong>de</strong>s Blocks zu erkennen und entsprechend zuzuspielen. Beispiel für diese<br />

Variante ist <strong>de</strong>r „Aufsteiger“, kombiniert mit <strong>de</strong>m „Schuss“ nach außen 40 .<br />

• Die vierte Voraussetzung ist eine ausgeglichene Häufigkeitsverteilung <strong>de</strong>r Zuspielerin,<br />

das heißt, sie sollte stereotypes Entscheidungshan<strong>de</strong>ln vermei<strong>de</strong>n. Wählt sie bei<br />

relativ i<strong>de</strong>ntischen Entscheidungssituationen stets die gleiche Alternative, sind ihre<br />

Handlungen für <strong>de</strong>n Gegner leicht vorauszuahnen (vgl. Schulz 1995, 14). Die Abwehr<br />

sollte aber nicht die Zeit fin<strong>de</strong>n, sich auf eine Angriffsvariante einzustellen.<br />

I<strong>de</strong>altypisch sollte je<strong>de</strong> Situation neu überraschen, sowohl aufgrund ihrer Konstellation<br />

als auch aufgrund <strong>de</strong>s variablen Angriffsabschlusses. Aber es darf nicht vergessen<br />

wer<strong>de</strong>n, dass viele Alternativen schon durch einen schlechten ersten Ball, Timing-Probleme<br />

(um einen Schnellangriff nicht mehr spielen zu können, reicht<br />

schon ein Bruchteil einer Sekun<strong>de</strong>, die <strong>de</strong>r Angreifer zu spät kommt), eigene Fähigkeiten,<br />

usw. nicht mehr gespielt wer<strong>de</strong>n können. Der „I<strong>de</strong>alfall“ wird also dadurch<br />

entschärft, dass nur mehr ein Wechsel <strong>de</strong>r Angriffsvariante gefor<strong>de</strong>rt wird, sobald<br />

sich <strong>de</strong>r Gegner darauf eingestellt hat. Solange eine Variante erfolgreich ist, sollte<br />

sie auch weiterhin gespielt wer<strong>de</strong>n.<br />

6.2.3.3 Die Finte als taktische Handlung <strong>de</strong>r Zuspielerin<br />

Die technische Ausführung <strong>de</strong>r Finte wur<strong>de</strong> bereits in Punkt 5.3.5 erläutert. Nun soll die<br />

Finte unter <strong>de</strong>m Aspekt <strong>de</strong>r Taktik näher betrachtet wer<strong>de</strong>n. Die Finte erweitert das Repertoire<br />

an Möglichkeiten <strong>de</strong>r Zuspielerin um ein wertvolles Mittel, <strong>de</strong>n Gegner zusätzlich<br />

unter Druck zu setzen.<br />

Der Einsatz <strong>de</strong>r Finte sollte nach genauen Überlegungen erfolgen. Sie sollte gezielt eingesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Gegner völlig überraschen. Einige Zuspielerinnen spielen, wenn<br />

möglich, gleich im ersten Spielzug eine Finte. Ziel ist es, <strong>de</strong>n Gegner zu überraschen (<strong>de</strong>r<br />

mit Finten zu so einem frühen Zeitpunkt vielleicht nicht rechnet) und ihn zu veranlassen,<br />

die Zuspielerin von nun an genau zu beobachten. Dadurch kann die Zuspielerin eine<br />

40 Zu <strong>de</strong>n Bezeichnungen siehe Flugbahnenspiegel in Abbildung 6, S.52.<br />

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Blockspielerin bin<strong>de</strong>n. Eine an<strong>de</strong>re Möglichkeit wäre, die Finte am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Satzes erstmalig<br />

zu spielen. Der Gegner rechnet aufgrund <strong>de</strong>s Verlaufs <strong>de</strong>s Satzes nicht mit Finten <strong>de</strong>r<br />

Zuspielerin und ist <strong>de</strong>mentsprechend nicht darauf vorbereitet.<br />

Generell muss je<strong>de</strong> Zuspielerin selbst entschei<strong>de</strong>n, wann sie Finten einsetzt. Dies hängt<br />

auch stark vom Selbstvertrauen, vom Verlauf <strong>de</strong>s Spiels und von <strong>de</strong>r Qualität <strong>de</strong>s ersten<br />

Balles aus <strong>de</strong>r Annahme o<strong>de</strong>r Abwehr ab. Die Zuspielerin sollte während <strong>de</strong>s Spiels immer<br />

beobachten, wie sich <strong>de</strong>r gegnerische Block in Bezug auf Täuschungshandlungen verhält,<br />

um <strong>de</strong>n richtigen Zeitpunkt für eine erfolgreiche Finte zu nutzen.<br />

Vor <strong>de</strong>m Ballwechsel muss die Zuspielerin immer genau wissen, welche Blockspielerin ihr<br />

gegenüber steht, sie muss ständig das Blockverhalten beobachten und auch die gegnerischen<br />

Abwehrformationen kennen. Dafür muss die Zuspielerin im Bereich <strong>de</strong>s peripheren<br />

Sehens entsprechend geschult sein und über Beobachtungsfähigkeit und Antizipationsfähigkeit<br />

für Ballflug und -richtung verfügen.<br />

Mit <strong>de</strong>r Aufhebung <strong>de</strong>r Alternativstruktur durch Reduzierung auf eine Lösungsvariante<br />

wird die Ausführung <strong>de</strong>r Handlung möglich. Die Entscheidung ist <strong>de</strong>r Parameter für die<br />

Qualität <strong>de</strong>r kognitiven Prozesse <strong>de</strong>r Wahrnehmung, <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit, <strong>de</strong>s Wissens und<br />

<strong>de</strong>s Gedächtnisses. Die Entscheidung für eine Lösungsvariante steht am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Prozesses,<br />

ob sie erfolgreich ist o<strong>de</strong>r nicht, spielt an dieser Stelle noch keine Rolle.<br />

6.2.4 Motorische Lösung <strong>de</strong>r taktischen Aufgabe<br />

Die taktische Handlung wird erst in ihrer motorischen Lösung sichtbar. Diese ist eine<br />

komplexe Tätigkeit, die sich sowohl aus intellektuellen als auch aus physischen Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten zusammensetzt (vgl. Harre 1971, 207). Sie ist <strong>de</strong>r sichtbare Prozess <strong>de</strong>r<br />

Spieltätigkeit und das Produkt <strong>de</strong>r Wahrnehmungs- und Denkprozesse <strong>de</strong>r ersten drei Phasen.<br />

Sie ist das Ergebnis produktiver und schöpferischer Denktätigkeit (taktische Überlegungen)<br />

verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m optimalen Einsatz physischer Fähigkeiten (konditionelle und<br />

koordinative Fähigkeiten) und technischer Fertigkeiten (oberes Zuspiel) sowie psychischer<br />

Eigenschaften (Selbstbewusstsein, Disziplin, usw.) (vgl. Harre 1971, 207).<br />

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Seite 112<br />

6.2.5 Beurteilung <strong>de</strong>r gewählten Entscheidung<br />

Der motorische Vollzug sollte zu einer unmittelbaren Ergebnisbeurteilung führen. Die<br />

Zuspielerin analysiert die Ursache für Erfolg o<strong>de</strong>r Misserfolg <strong>de</strong>r Angreiferin direkt nach<br />

<strong>de</strong>m Spielzug. Die Informationen über die Ursache – schlechte Qualität <strong>de</strong>s Zuspiels, Angreiferfehler,<br />

Blocksituation, u.v.m. – wer<strong>de</strong>n bewertet und gespeichert. Sie dienen als<br />

Grundlage für die Vorüberlegungen vor <strong>de</strong>m nächsten Spielzug bzw. für die Aktion bei<br />

gleicher Aufstellung eine Rotation später. Diese Rückkopplung zum Gedächtnis ist gleichbe<strong>de</strong>utend<br />

mit einer praktischen Erfahrung. Es ist sehr wichtig, dass die Zuspielerin lernt,<br />

diese Informationen zu speichern und vor allem für an<strong>de</strong>re Aktionen und Spiele zu nützen.<br />

Eine gemeinsame Beurteilung nach <strong>de</strong>m Spiel anhand einer Vi<strong>de</strong>oaufzeichnung o<strong>de</strong>r eines<br />

Gesprächs mit <strong>de</strong>m Trainer wäre sinnvoll und wünschenswert. Es verbessert nicht nur das<br />

taktische Spiel <strong>de</strong>r Zuspielerin, son<strong>de</strong>rn auch die wichtige Verständigung zwischen ihr und<br />

<strong>de</strong>m Trainer.<br />

6.2.6 Zusammenfassung<br />

Die Entscheidung ist die tragen<strong>de</strong> Säule <strong>de</strong>r taktischen Fähigkeiten. Sie ist neben <strong>de</strong>r Technik<br />

<strong>de</strong>r wichtigste Faktor <strong>de</strong>r Spielfähigkeit <strong>de</strong>r Zuspielerin. „Je höher die Qualität und<br />

Quantität seiner Zuspielarten sind, <strong>de</strong>sto größer ist sein individualtaktischer Handlungsrahmen.<br />

Sein taktisches Wissen, seine physische und psychische Verfassung stellen individualtaktische<br />

Faktoren dar, <strong>de</strong>ren Qualität für die Erweiterung seines individualtaktischen<br />

Han<strong>de</strong>ls unabdingbar sind“ (Papageorgiou/Spitzley 2000, 112). Die Zuspielerin übernimmt<br />

die Kontrolle und Ausführung <strong>de</strong>r vom Trainer vorgegebenen taktischen Konzeption, soll<br />

aber mit Hilfe ihrer Intuition und Kreativität die taktischen Maßnahmen beim Spielaufbau<br />

<strong>de</strong>n situativen Erfor<strong>de</strong>rnissen anpassen o<strong>de</strong>r wechseln. „Eine i<strong>de</strong>ale Verknüpfung von vorgegebener<br />

Spielkonzeption und Spielkunst macht die sehr gute Zuspielerin aus“ (Schulz<br />

1995, 21).<br />

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6.3 Folgerungen für die Lehr- und Übungspraxis<br />

Das taktische Verständnis einer Zuspielerin entwickelt sich in einem langen Lernprozess.<br />

Gleichzeitig mit <strong>de</strong>n ersten Ballkontakten in <strong>de</strong>r Technikschulung erfolgt die Schulung <strong>de</strong>r<br />

individuellen Taktik. In <strong>de</strong>r Anfangsphase beschränkt sie sich als Wahrnehmungsschulung<br />

darauf, die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Spielerin auch auf die Umgebungsbedingungen zu lenken,<br />

um so von Beginn an ein großes Blickfeld und die aktive Informationssuche <strong>de</strong>r Zuspielerin<br />

zu för<strong>de</strong>rn. Der Weg geht von einfachen taktischen Handlungsmöglichkeiten hin zu<br />

einer Entscheidung für einen Pass nach Abwägung mehrerer vielfältigster und unterschiedlichster<br />

Faktoren. Die Wahrnehmungsfähigkeit spielt dabei eine wichtige Rolle, insbeson<strong>de</strong>re<br />

im Bereich <strong>de</strong>s peripheren Sehens muss die Zuspielerin ausgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Mit Hilfe<br />

ihres Wissens und ihrer Erfahrung kann sie diese Informationen dann taktisch umsetzen.<br />

Die Zuspielerin sollte ihre Entscheidungen situativ selbständig treffen können, wenn sie die<br />

Bewegungen ihrer Mit- und Gegenspielerinnen zu lesen versteht. Aus diesem Grun<strong>de</strong> müssen<br />

im <strong>Training</strong> Situationsbedingungen und Entscheidungsalternativen ein<strong>de</strong>utig miteinan<strong>de</strong>r<br />

verbun<strong>de</strong>n sein.<br />

Darüber hinaus sollte <strong>de</strong>r Trainer mit seiner Zuspielerin intensive Gespräche führen, ihr<br />

Rückmeldung geben, alternative Lösungsmöglichkeiten für Spiele o<strong>de</strong>r einzelne Spielsituationen<br />

theoretisch erarbeiten und praktisch umsetzen lassen. Die Gespräche tragen dazu<br />

bei, dass die Zuspielerin in die Rolle <strong>de</strong>r Spielgestalterin hineinwächst und durch ständiges<br />

Reflektieren und Bewerten ihrer Spielentscheidungen schneller eigenständig das erarbeitete<br />

Spielkonzept tragen kann.<br />

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