Steirische Reise - Landentwicklung - Steiermark
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REZENSION<br />
Codo, der Dritte aus der<br />
Sternenmitte<br />
Zumindest die über Dreißigjährigen werden sich noch an diesen Popsong –<br />
Austro-Pop oder Neue deutsche Welle, je nachdem – der Gruppe DÖF erinnern<br />
können. Doch aus dem Spaß des „Deutsch-österreichischen Feingefühls“<br />
ist mittlerweile blutiger Ernst geworden. Nein, nicht zwischen uns<br />
und unseren Lieblingsnachbarn, sondern der „Hass“ ist, glaubt man zumindest<br />
dem französischen Philosophen André Glucksmann, als „elementare<br />
Gewalt“ zum bestimmenden Merkmal unserer Zeit, namentlich in der Entwicklung<br />
des globalen Terrors geworden.<br />
„Der Hass entsteht weder durch Zufall<br />
noch durch Irrtum. Es handelt sich um<br />
zerstörerischen Rachedurst, der einen<br />
dicht unter der Oberfläche liegenden<br />
Abgrund aufreißt. Er betrifft uns hautnah,<br />
liegt nicht hinter uns, sondern in<br />
uns und umgibt uns. Er ist subversiv, radikal<br />
verneinend, er steht am Anfang jedes<br />
Lebens und beweist seine Wirksamkeit,<br />
indem er hartnäckig an das Urchaos<br />
appelliert“ (Glucksmann: Hass. Die<br />
Rückkehr einer elementaren Gewalt. Nagel<br />
& Kimche, 2005. Seite 48). Und in<br />
der Tat, während diese Rezension geschrieben<br />
wird, laufen im Fernsehen die<br />
Bilder von der Hurrikan-Katastrophe in<br />
New Orleans, einem, so würde Glucksmann<br />
wohl schreiben, nicht nur elementaren<br />
Naturereignis, sondern einer zumindest<br />
ebenso verheerenden Entlarvung<br />
der conditio humana: Plünderungen,<br />
Vergewaltigungen und Mord gehören<br />
zum Leben nach „Katrina“ ebenso<br />
wie das Auffinden von Erschlagenen, Ertrunkenen<br />
und vor Erschöpfung Gestorbenen.<br />
Die logistische Unzulänglichkeit<br />
des Hilfseinsatzes spiegelt in entsetzlicher<br />
Weise den Verlust jeglichen moralischen<br />
Verhaltens.<br />
Es ist angesichts dieser Bilder fast<br />
unmöglich, Gluckmanns Thesen nicht<br />
auf das Geschehen in und um New Orleans<br />
zu extrapolieren. Doch das Thema<br />
des in seiner Heimat hochgeschätzten<br />
und vom bundesdeutschen Post-68er-<br />
Feuilleton zumindest ebenso heftig diskreditierten<br />
Denkers wird am Terrorismus,<br />
explizit an den Terroranschlägen<br />
vom 11. September 2001, den in die Luft<br />
gesprengten Zügen im Madrider Vorort<br />
Atocho (11. März 2004) sowie am Geiseldrama<br />
im tschetschenischen Beslan (3.<br />
September 2004) dargestellt. Nicht<br />
weltanschauliche Unterschiede, fundamentalistische<br />
Religiosität oder soziales<br />
Unrecht sind für Glucksmann die<br />
Wurzeln dieser exzessiven Gewalt.<br />
„Der Zünder für die menschliche<br />
Bombe ist der Hass.“<br />
Die Bedrohung durch die H-Bombe, so<br />
die Argumentation, wurde durch die der<br />
„humanen Bombe“ abgelöst: „Wenn<br />
ihm [dem Terroristen] irgendjemand zum<br />
Opfer fällt und er wahllos Unschuldige<br />
tötet, dann zahlt sich seine Aktion aus,<br />
nicht weil sie zu denken gibt, sondern<br />
weil sie das Denken verhindert“ (Seite<br />
13f). Der terroristische Hass ist allgegenwärtig<br />
geworden, niemand auf dieser<br />
Welt ist mehr davon ungefährdet:<br />
„Bin Laden mobilisiert keine klassischen<br />
Streitkräfte, sondern Hassgefühle.<br />
Ein von Hassgefühlen beseelter Attentäter<br />
ist, mit einem einfachen Taschenmesser<br />
bewaffnet, genauso wirkungsvoll<br />
wie moderne Waffentechnik“<br />
(Seite 247). „Bis zum 11. September<br />
2001 fanden die kalten und heißen Kriege<br />
immer an deutlich sichtbaren Frontlinien<br />
statt (S. 234). Terrorismus ist dagegen<br />
der „geplante Angriff Bewaffneter<br />
gegen eine unbewaffnete Bevölkerung“<br />
(S. 23).<br />
Zugrunde gelegt ist das den Terrorismus<br />
in Bewegung setzende „nihilistische<br />
Credo“ in der Natur des Menschen,<br />
Glucksmann erörtert dies luzide und<br />
eindringlich. Als Kronzeugen dafür analysiert<br />
er Schlüsseltexte der griechischen<br />
Mythologie. Freigelassen wurde<br />
dieser Ungeist bar jeder Hoffnung im<br />
doppelten Sündenfall des 20. Jahrhun-<br />
derts, in Auschwitz und in Hiroshima:<br />
„Hiroshima stand für die definitive Möglichkeit,<br />
eine absolute Wüste nach der<br />
anderen zu schaffen, Auschwitz für die<br />
geplante und gewollte totale Vernichtung.<br />
Die Verbindung dieser beiden Absichten,<br />
das Nichts zu erzeugen, brodelt<br />
in den schwarzen Löchern des modernen<br />
Hasses“ (Seite 41).<br />
Und Glucksmann an anderer Stelle,<br />
auf den Medea-Mythos rekurrierend:<br />
„Die ursprüngliche innere Leere, die der<br />
Hassende als Gipfel des Ruhmes erlebt,<br />
wird auf die anderen projiziert, die ihn<br />
als Gipfel des Unglücks erfahren. Medea<br />
bringt vor Jasons Augen die gemeinsamen<br />
Kinder um; sie triumphiert, er ist<br />
vernichtet. Je mehr er vor Schmerz die<br />
Fassung verliert, umso größer ihr Triumph.<br />
Hass ist stärker als Liebe, denn<br />
die Liebe ist die Gefangene ihres Objekts,<br />
das auf dem Spiel steht, sei es ein<br />
Kind, eine Frau, die Ehre, Geld. Die Liebe<br />
ist abhängig. Nachdem sich der Hass der<br />
Askese des Schmerzes unterworfen hat,<br />
ist er von allen Fesseln befreit. [...] Die<br />
Liebe hat immer einen Bezug. Der Hass<br />
bezieht sich immer nur auf sich selbst.<br />
[...] So funktioniert Medea. [...] So funktionieren<br />
die Selbstmordattentäter“ (Seite<br />
61). – Ein verstörendes, ein so manches<br />
zurechtgezimmerte Gedankengebäude<br />
zerstörendes und so manchen<br />
Adoranten der Political Correctness störendes<br />
Buch. Ein wichtiges eben.<br />
Mag. Hans Putzer ist Chefredakteur<br />
der Wochenzeitung „Neues Land“.<br />
E-Mail: hans.putzer@stbb.at<br />
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