neurologisch - Ãsterreichische Gesellschaft für Neurologie
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NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neuroonkologie<br />
Zusammengestellt von<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold<br />
Kaiser-Franz-Josef-Spital Wien<br />
Chemotherapieinduzierte Neuropathien<br />
Chemotherapieinduzierte Neuropathien<br />
(CIPN) gewinnen zunehmend an Bedeutung.<br />
Im US-amerikanischen NIH (National Institutes<br />
of Health, Washington) fand eine Sitzung<br />
mit ca. 80 internationalen ExpertInnen zu diesem<br />
Thema statt, bei der die Bedeutung, klinische<br />
Aspekte, Differenzialdiagnosen und<br />
Grundlagen in Workshops bearbeitet wurden.<br />
Das NIH investiert jährlich 120 Mio. Euro<br />
die Erforschung von Neuropathien wie neuropathischer<br />
Schmerz, Trauma der peripheren<br />
Nerven, systemische Polyneuropathien wie<br />
Diabetes und HIV und hereditäre Neuropathien.<br />
Bisher wurden noch keine Mittel für<br />
die Erforschung der CIPN bereitgestellt.<br />
Die CIPN werden aufgrund der immer häufiger<br />
angewandten Tumortherapie zunehmend<br />
wichtiger. Es handelt sich um dosislimitierende<br />
Nebenwirkungen, die einerseits<br />
zu Gefühlsstörungen und Schmerzen, andererseits<br />
zu Funktionseinschränkungen führen.<br />
Es ist davon auszugehen, dass etwa 25 %<br />
der ca. 1 Million Krebspatienten in den USA<br />
betroffen sind. Daten aus den USA zeigen,<br />
dass jährlich zwischen 390.500 und 465.400<br />
PatientInnen eine CIPN entwickeln, die Kosten<br />
belaufen sich auf 2,39–2,73 Milliarden<br />
Dollar.<br />
Ein wichtiger Beitrag beschäftigte sich mit<br />
den Fragen der Therapie, einerseits im Sinn<br />
der Prophylaxe, andererseits symptomatisch.<br />
Während die Prophylaxe weiterhin ungelöst<br />
ist, sind zahlreiche symptomatische Therapien<br />
bei Schmerzen oder Parästhesien möglich.<br />
Auch die Behandlung der Akuttoxizität von<br />
Oxaliplatin hat Fortschritte gemacht. Ein nicht<br />
zu unterschätzender und wenig bearbeiteter<br />
Aspekt ist die potenzielle Reversibilität der<br />
CIPN und das Fortdauern der Beschwerden<br />
auch über Jahre nach Beendigung der Chemotherapie.<br />
Klinische Aspekte<br />
Die Erfassung der CIPN ist ein großes ungelöstes<br />
Problem. Bei den verfügbaren Skalen<br />
bestehen große Unterschiede, wobei auf der<br />
einen Seite die onkologischen Toxizitätsskalen,<br />
auf den <strong>neurologisch</strong>en Seite komplexere<br />
Skalen wie der TNS (Total Neuropathy Score)<br />
stehen. Eine sehr intensive Entwicklung wird<br />
durch ein europäisches Konsortium im Rahmen<br />
des Projektes „Perinoms“ durchgeführt.<br />
Die Verbesserung der derzeitigen Erfassung<br />
und Einführung von gut verwendbaren und<br />
leicht anwendbaren Skalen sollte auch von<br />
OnkologInnen leicht durchführbar sein.<br />
Eher kritisch wird die Rolle der Elektrophysiologie<br />
gesehen, die nur sehr ungenau mit<br />
den klinischen Symptomen korreliert. Nervenbiopsien<br />
sind ausschließlich im Rahmen von<br />
Studien möglich, die Rolle der Hautbiopsie<br />
könnte zunehmen.<br />
Einige der verwendeten Substanzen können<br />
auch mit neuropathischen Schmerzen einhergehen.<br />
Besonders bei der akuten Oxaliplatin-<br />
Nebenwirkung scheint die Aufregulierung<br />
von TRP-Rezeptoren eine Rolle zu spielen.<br />
Substanzen wie spezifische Rezeptorantagonisten<br />
könnten therapeutisch eingesetzt werden.<br />
Anhand von hereditären neuropathischen<br />
Schmerzsyndromen und damit verbundenen<br />
nachgewiesenen Kanalerkrankungen<br />
wird die Problematik verglichen.<br />
Experimentell werden von zahlreichen Zentren<br />
Tierversuche (vorwiegend mit Ratten, nunmehr<br />
zunehmend mit Mäusen) durchgeführt.<br />
Es wurde auch hingewiesen, dass Versuchstiere<br />
mit definierten Tumoren zunehmend verwendet<br />
werden. Von den Tiermodellen ist das<br />
wlds/C57BL/Ola-Mausmodell („slow wallerian<br />
degeneration“) zu erwähnen, bei dem auch<br />
nach der klassischen Nervendurchtrennung<br />
zunächst keine distale Wallersche Degeneration<br />
auftritt, sondern die distalen Axone als<br />
auch Mitochondrien längere Zeit überleben.<br />
Eine andere Richtung sind Drosophila-Tiermodelle,<br />
bei denen sowohl die Toxizität als auch<br />
mutagene Veränderungen analysiert werden<br />
können. Auch Laboruntersuchungen wie Mikrofluid-Kammern<br />
machen es möglich, Stoffwechselvorgänge<br />
an Axonen zu erforschen<br />
und Tierversuche zu reduzieren.<br />
Die Rolle der Mitochondrien scheint eine der<br />
Entwicklungsrichtungen der geplanten Forschungen<br />
zu sein. Besonders bei Bortezomib,<br />
Paclitaxel und Vincaalkaloiden kommt es experimentell<br />
bald zu einer Reduktion der Beweglichkeit<br />
der Mitochondrien. Strukturelle<br />
Veränderungen wie Vakuolisierung und<br />
Membrandefekte werden bei Platin-Derivaten<br />
beschrieben. Andererseits kommt es mit<br />
zunehmendem Alter auch zu zunehmenden<br />
DNA-Veränderungen der Mitochondrien.<br />
Auch wird beschrieben, dass die Mitochondriopathien<br />
in den distalen Abschnitten der<br />
peripheren Nerven besonders ausgeprägt ist.<br />
Bortezomib hingegen hat einen deutlichen<br />
Effekt auf die Mikrotubuli. Die Transportmechanismen<br />
von Chemotherapien in und aus<br />
den Neuronen und Axonen sind nicht geklärt,<br />
und es werden mehrere Transportmechanismen<br />
diskutiert (MDR P, CTR, OCT, CTR-1).<br />
Dieses erste Treffen zum Thema der CIPN im<br />
NIH unterstrich die Wichtigkeit dieser substanzabhängigen<br />
Krankheitsbilder und verdeutlichte<br />
auch, dass trotz klinisch guter Charakterisierung<br />
der verschiedenen Typen der<br />
CIPN wichtige Grundlagen zu deren Entstehung<br />
fehlen, welche die Grundlage zur Prophylaxe<br />
und Therapie sein sollten. Ein Grundlagenpapier<br />
zum Thema CIPN wird vom NIH<br />
erstellt und soll die Basis für weitere Entwicklungen<br />
sein.<br />
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