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13<br />

Der ‘Filocolo’<br />

Der gräzisierende Titel wird im allgemeinen mit einem Fehler erklärt: Boccaccio habe sich<br />

beim zweiten Bestandteil des Worts verlesen und -colo statt -pono verstanden. Ein<br />

venezianischer Druck des Jahres 1527 korrigiert auch tatsächlich den Titel in diesem Sinne.<br />

Er bedeutet, wie vom Protagonisten am Ende des dritten Buchs selbst erläutert wird,<br />

„Liebesmühe―, also wohl als „den sich verzweifelt abmühenden Liebenden― zu verstehen.<br />

Florio wählt selbst diesen Namen unmittelbar vor den sich dramatisch zuspitzenden<br />

Ereignissen, und erst gegen Ende des Werks wird er wieder mit seinem eigentlichen Namen<br />

bezeichnet. Es heißt dort:<br />

„Filocolo è da due greci nomi composto, da 'philos' e da 'colon': e 'philos in greco<br />

tanto viene a dire in nostra lingua quanto 'amore' e 'colon' in greco similmente<br />

tanto in nostra lingua risulta quanto 'fatica': onde congiunti insieme, si può dire,<br />

trasponendo le parti, ‘fatica d'amore’.― (III,75)<br />

Was Boccaccios Vorlage oder Vorlagen waren, ist noch weitgehend ungeklärt. Es scheint<br />

sich jedoch um eine recht freie Bearbeitung oder Nacherzählung zu handeln, für die er<br />

möglicherweise auch eine toskanische Bearbeitung in Ottavarima benutzt hat. Man geht<br />

dazu von einer verlorengegangenen franko-italienischen Fassung der ‘version populaire’ aus,<br />

sowie von mündlicher Überlieferung. Es ist jedoch mehr als naheliegend, betrachtet man<br />

Boccaccios Kenntnis der französischen höfischen Literatur, daß ihm auch die<br />

Originalfassung in der Bibliothek zu Neapel zur Verfügung gestanden hat, vielleicht sogar<br />

auch die ‘version aristocratique’.<br />

Die Kritik hat sich bis heute wenig Mühe um den ‘Filocolo’ gegeben. Man hält ihn für<br />

geschwätzig, weitschweifig, ohne straffe Komposition, unterstellt Boccaccio, seine<br />

beachtlichen Kenntnisse der griechischen und römischen Literatur und der höfischchristlichen<br />

Traditionen als Lesefrüchte wahllos über das Werk gestreut zu haben. Am<br />

stärksten wiegt das Verdikt, sich noch nicht, anders als im fast gleichzeitig entstandenen<br />

‘Filostrato’, vom mittelalterlichen Menschenbild losgelöst zu haben. Der Mensch sei hier<br />

noch nicht das nur seinen eigenen Empfindungen und dem eigenen Willen unterworfene<br />

Individuum, sondern noch immer der Willkür der Götter unterstellt. Dieses Urteil müßte<br />

wohl bei einer Untersuchung seines hier schon zentralen fortuna-Begriffs revidiert werden,<br />

doch ist es unbestreitbar, daß, anders als beim ‘Decamerone’, ein neuzeitlicher Leser nur<br />

schwer Gefallen an diesem Werk finden kann.<br />

Boccaccios eigenwillige Konstruktion wird nicht nur an seiner metaphernreichen Sprache,<br />

seiner gewiß den Publikumswünschen entgegenkommenden Fabulierlust, seinen zahlreichen<br />

klassischen und modernen literarischen Anleihen und seiner besonderen Akzentuierung der<br />

Geschichte erkennbar, sondern auch in einem durchaus innovativen Versuch der<br />

Psychologisierung seiner Helden. Wollte man diesem Werk gerecht werden, sollte man nicht<br />

nur die Distanz oder, seltener, Nähe zum ‘Decamerone’ benennen, sondern den ‘Filocolo’

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