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Jugend - Partnerschaft Ruanda

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P OLITIK<br />

Das Ende der Gacaca-Justiz<br />

in <strong>Ruanda</strong><br />

Fotos und Text von Dr. jur. Gerd Hankel, Leiter des Projekts „Die Aufarbeitung des Völkermords in <strong>Ruanda</strong>“<br />

am Hamburger Institut für Sozialforschung<br />

Wer im letzten Sommer am Flughafen von<br />

Kigali ankam, konnte hinter den Schaltern,<br />

an denen das Einreisevisum erteilt wird, ein<br />

Plakat sehen, das – in deutscher Übersetzung<br />

– verkündete: „Gacaca: Grundlage für<br />

eine nachhaltige Gerechtigkeit und Versöhnung“.<br />

Das Plakat, das auch noch an anderen<br />

Stellen in <strong>Ruanda</strong> zu sehen war, war gedacht<br />

als deutliche und zugleich einprägsame Bilanz<br />

der Gacaca-Justiz, die am 18. Juni 2012,<br />

auf den Tag genau zehn Jahre nach ihrem<br />

Beginn, in einem Festakt im ruandischen Parlament<br />

beendet wurde. Dort hatte Staatspräsident<br />

Paul Kagame eine ganz ähnliche Botschaft<br />

verkündet. „Wir kennen den Wert und<br />

die Rolle von Gacaca“, hatte er gesagt, und<br />

dann hinzugefügt: „Was diese Gerichte erreicht<br />

haben, geht weit über jede Erwartung<br />

hinaus. Sie sprachen Recht und gleichzeitig<br />

einigten sie die Ruander. Diese Gerichte waren<br />

der Beweis unserer Fähigkeit, Lösungen<br />

für Herausforderungen zu finden, die unüberwindbar<br />

schienen.“<br />

In der Tat ist das, was die Gacaca-Justiz in<br />

den vergangenen zehn Jahren geleistet<br />

hat, eindrucksvoll. Etwa 13.000 Gerichte<br />

urteilten über Taten, die zwischen dem 1.<br />

Oktober 1990, dem Beginn des Krieges gegen<br />

das Habyarimana-Regime, und dem<br />

31. Dezember 1994, dem offiziellen Ende<br />

des Krieges, begangen wurden. Fast zwei<br />

Millionen Tatvorwürfe kamen zur Sprache,<br />

etwa eine Million Menschen wurde angeklagt,<br />

die große Mehrheit von ihnen (90<br />

Prozent) war männlichen Geschlechts. Die<br />

mit Abstand größte Zahl der Verfahren (67<br />

Prozent) bezog sich auf Verbrechen der dritten<br />

Kategorie, das heißt auf Diebstähle und<br />

Sachbeschädigungen, gefolgt von den Verfahren<br />

wegen Taten zweiten Kategorie, also<br />

Mord, Totschlag oder gefährliche Körperverletzung<br />

(29 Prozent) und von den Verfahren<br />

der ersten Kategorie, nämlich Planung und<br />

Organisation des Völkermords oder die Zufügung<br />

sexueller Gewalt wie beispielsweise<br />

durch Vergewaltigung (4 Prozent). Die Strafen,<br />

die die Gacaca-Gerichte verhängten,<br />

bewegten sich zwischen der Verpflichtung<br />

zur Leistung von Schadensersatz (Regelstrafe<br />

bei Taten der dritten Kategorie) und<br />

lebenslanger Freiheitsstrafe. Wie viele Angeklagte<br />

freigesprochen wurden, ist nicht<br />

genau bekannt. Schätzungen zufolge sollen<br />

es, von Tatkategorie zu Tatkategorie variierend,<br />

im Durchschnitt rund 15 Prozent gewesen<br />

sein.<br />

Justiziell ist damit die Vergangenheitsaufarbeitung<br />

zum allergrößten Teil abgeschlossen.<br />

Zwar wird <strong>Ruanda</strong> in den nächsten<br />

Jahren noch einige Strafverfahren wegen<br />

Völkermordverbrechen durchführen, doch<br />

handelt es sich dabei um Verfahren, die<br />

der ruandischen Justiz vom Internationalen<br />

Strafgerichtshof in Arusha, dessen Mandat<br />

2014 ausläuft, zugewiesen werden. Sie finden<br />

gewissermaßen unter internationaler<br />

Aufsicht statt und haben vom Verhandlungsgegenstand<br />

her – es geht um Anklagen<br />

gegen Vertreter oder Handlanger des<br />

früheren Völkermord-Regimes – wenig bis<br />

gar nichts mit dem Geschehen auf lokaler<br />

Ebene gemein, das die Gacaca-Gerichte<br />

beschäftigte. Vor allem dort sollte das Fundament<br />

für ein neues, sozial geeintes und<br />

friedliches <strong>Ruanda</strong> geschaffen werden.<br />

Ist dieses Ziel – oder zumindest dessen Voraussetzung<br />

– erreicht worden, und zwar<br />

jenseits feierlicher Erklärungen, die bekanntlich<br />

oft mehr dem Anlass geschuldet<br />

sind und nicht die Realität spiegeln müssen?<br />

Sind die Ruander heute gar versöhnt,<br />

wie es die nationale Kommission für Einheit<br />

und Versöhnung als eine Art Mischung aus<br />

Bilanz und Auftrag propagiert?<br />

Sind die Ruander heute versöhnt?<br />

Sind die Ruander<br />

heute gar versöhnt,<br />

wie es die Nationale<br />

Kommission für<br />

Einheit und Versöhnung<br />

als eine<br />

Art Mischung aus<br />

Bilanz und Auftrag<br />

propagiert?<br />

RUANDA REVUE · 02/2012 49

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