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LEUCHTTURM

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<strong>LEUCHTTURM</strong><br />

20<br />

Lohndrücker<br />

Lohndumping per Werkvertrag<br />

Annette Jensen,<br />

ver.di publik<br />

Kaum gilt in der Zeitarbeit ein<br />

Mindestlohn - schon haben die<br />

Arbeitgeber eine neue Methode<br />

gefunden, um ihre Lohndumpingpolitik<br />

fortzusetzen. Und die Bundesregierung<br />

schaut tatenlos zu.<br />

Der neueste Kniff heißt<br />

offiziell „Werkvertrag“. Und<br />

der geht so: Ein Supermarkt<br />

beauftragt ein anderes Unternehmen,<br />

Dosen in Regalen nachzufüllen<br />

oder im Lager Chargen zu<br />

stapeln. Bezahlt wird jetzt nicht<br />

mehr wie bei der Leiharbeit pro<br />

Arbeitnehmerstunde, sondern<br />

pro „Werk“. Das besteht in<br />

diesem Fall beispielsweise aus<br />

zehn leer geräumten Paletten.<br />

Das beauftragte Unternehmen<br />

bekommt dafür eine vereinbarte<br />

Summe, und die dort Angestellten<br />

verdienen im Westen<br />

lediglich 6,50 Euro pro Stunde<br />

und im Osten sogar nur sechs<br />

Euro. Das ist deutlich weniger als<br />

in der Zeitarbeit, wo seit dem 1.<br />

Januar Mindestlöhne von 7,89<br />

Euro im Westen und 7,01 Euro<br />

im Osten gelten. Würde ein fest<br />

Angestellter des Supermarkts die<br />

Regale einräumen, müsste die<br />

Ladenkette für diese körperlich<br />

anstrengende Arbeit zum Beispiel<br />

in NRW einen Tariflohn in<br />

Höhe von etwa zwölf Euro<br />

zahlen.<br />

In vielen Fällen handelt es<br />

sich bei den Werkvertragsfirmen<br />

faktisch um dieselben Unternehmen,<br />

die vorher für die gleichen<br />

Tätigkeiten Leiharbeiter geschickt<br />

haben. Als sich der<br />

staatlich festgesetzte Mindestlohn<br />

abzeichnete, haben sie nur<br />

rasch ein neues Standbein<br />

aufgebaut. So gründete Teamwork<br />

beispielsweise eine Tochterfirma<br />

namens „4U@work“ und<br />

preist sich den Arbeitgebern nun<br />

an: „Wir erfüllen Ihren Bedarf<br />

ganz nach Ihren Wünschen, ob<br />

im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung<br />

oder in Form eines<br />

Werkvertrages.“ Etablierte Zeitarbeitsfirmen<br />

wie Adecco werben<br />

ebenfalls dafür, personalintensive<br />

Bereiche ganz auszulagern.<br />

„Irgendwelche rechtlichen Risiken<br />

sind für den Einsatzbetrieb<br />

als Auftraggeber nicht ersichtlich“,<br />

beschreibt Arbeitsrechtsprofessor<br />

Wolfgang Däubler die<br />

Lage. Hinzu kommt, dass der<br />

Betriebsrat in dieser Konstruktion<br />

- anders als bei Zeitarbeitnehmern<br />

- keinerlei Mitbestimmungsrechte<br />

hat: Werkverträge<br />

gelten nicht als Teil der<br />

Personalplanung, sondern fallen<br />

unter „Sachkosten“. Und während<br />

Leiharbeitnehmer seit dem<br />

1. Dezember 2011 gleiche<br />

Rechte wie Festangestellte beim<br />

Zugang zu Kantine oder<br />

Kitabetreuung haben und über<br />

frei werdende Arbeitsplätze<br />

informiert werden müssen, trifft<br />

das alles auf die Beschäftigten der<br />

Werkvertragsfirmen nicht zu.<br />

Systematischer<br />

Missbrauch<br />

Niemand weiß wirklich, wie<br />

viele Menschen mittlerweile in<br />

Werkvertragsfirmen arbeiten. Offizielle<br />

Daten dazu gibt es nicht,<br />

und die Bundesregierung<br />

schreibt in einer Antwort auf<br />

eine kleine Anfrage der Linken-<br />

Fraktion, sie sähe keine Veranlassung,<br />

sie zu erheben. „Hinweise<br />

oder Informationen über eine<br />

weit verbreitete, systematisierte<br />

missbräuchliche Nutzung von<br />

Werkverträgen zur Umgehung<br />

von tariflichen oder arbeitsrechtlichen<br />

Standards liegen nicht<br />

vor“, heiß es in der Stellungnahme,<br />

die das Bundesarbeitsministerium<br />

verfasst hat. Doch diese<br />

Position belegt vor allem die<br />

Wahrnehmungslücken der Regierenden.<br />

Die Lebensmittelzeitung<br />

schätzt, dass heute etwa 350.000<br />

Menschen in 120 derartigen<br />

Subfirmen beschäftigt sind. Die<br />

dortigen Arbeitgeber haben im<br />

Mai mit dem „Deutschen<br />

Handelsgehilfen-Verband“<br />

(DHV) einen Tarifvertrag abgeschlossen,<br />

der ganz nach ihrem<br />

Gusto ausgefallen ist: Die<br />

Organisation unter dem Dach<br />

des christlichen Gewerkschaftsbundes<br />

vereinbarte Minilöhne<br />

von 6,50 Euro bzw. sechs Euro<br />

pro Stunde. Auch Informationen<br />

für Einsatzort und -zeit können<br />

noch kurzfristiger festgelegt<br />

werden als in der Zeitarbeit.<br />

Vor allem im Einzelhandel<br />

und in der Metall- und<br />

Elektroindustrie grassiert die<br />

neue Form des Lohndumpings.<br />

Rossmann, Ikea, Real und Rewe<br />

sind nur vier Beispiele unter<br />

vielen. Formal geht es bei<br />

Werkverträgen darum, dass der<br />

Markt- oder Fabrikleiter den<br />

Beschäftigten keine unmittelbaren<br />

Anweisungen gibt. Die<br />

bekommen sie stattdessen von<br />

einem Vorarbeiter, der sie zur<br />

Eile antreibt - denn je schneller<br />

das „Werk“ beendet ist, desto<br />

höher ist der Gewinn seines<br />

Unternehmens. „Nur dort, wo<br />

selbst den kreativsten Juristen<br />

keine Konstruktion einfällt, die<br />

den Anschein eines Werk- oder<br />

Dienstvertrags hat, wird notgedrungen<br />

weiter auf die Leiharbeit<br />

zurückgegriffen“, hat Rainer<br />

Kuschewski beobachtet, der in<br />

der verdi-Bundesverwaltung im<br />

Fachbereich Handel tätig ist. Das<br />

treffe beispielsweise auf die<br />

Arbeit an der Kasse oder hinter<br />

der Wursttheke zu, denn hier sei<br />

der unmittelbare Einfluss des<br />

Supermarktleiters unbestreitbar.<br />

Gedeckt durch die<br />

Regierung<br />

Juristisch ist es nicht einfach,<br />

gegen diese neue Entwicklung<br />

vorzugehen, bedauert Kuschewski:<br />

Die Arbeitgeber haben aus<br />

ihren juristischen Niederlagen<br />

bei der Zeitarbeit gelernt und die<br />

damaligen Formfehler vermieden<br />

- und die Bundesregierung<br />

scheint ihr Vorgehen zu decken.<br />

Nur wenn Beschäftigte oder

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