LEUCHTTURM
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<strong>LEUCHTTURM</strong><br />
30<br />
AG Jugendliteratur & Medien der GEW (AJuM)<br />
Vorbei, Vergessen?<br />
Nein, das wird schon nicht geschehen, das kann gar nicht sein, das ist Panikmache!<br />
Als es doch passiert, ist es zu spät. Wir sprechen von einer Szene von<br />
Homosexuellen ab dem Jahr 1932, deren strafrechtliche Verfolgung durch den<br />
§ 175 StGB, der sogar in die Bundesrepublik Deutschland übernommen wurde<br />
und offiziell erst 1994 abgeschafft wurde, und Stigmatisierung. Eine sehr eindringliche<br />
Bildergeschichte mit einer Rahmenhandlung ohne Happy End.<br />
Michel Dufranne & Milorad Vicanoviæ & Christian Lerolle:<br />
Rosa Winkel<br />
Aus dem Französischen von Edmund Jacoby<br />
Berlin: Jacoby & Stuart 2012<br />
www.jacobystuart.de<br />
ISBN 978-3-941787-79-7<br />
32 S * 12,90 Euro * ab 14 J<br />
Ulli Baselau<br />
Die kleine Rahmenhandlung<br />
im heutigen Paris ist<br />
koloriert: Der Urgroßvater von<br />
Alex soll für ein Referat befragt<br />
werden, denn Andreas Müller,<br />
inzwischen über 90 Jahre alt, ist<br />
«Überlebender» des KZ. Der<br />
Epilog, die letzten drei Seiten, ist<br />
übertitelt: «Pflicht der Erinnerung<br />
– Recht zu vergessen». In<br />
diesem Spannungsbogen lebt die<br />
Geschichte dazwischen, die nicht<br />
nur dieses Leben zerstörten –<br />
auch wenn Andreas gegen alle<br />
Annahmen – und nicht wie viele<br />
andere – die Zeit des Nationalsozialismus<br />
irgendwie körperlich<br />
überstand.<br />
Die knapp 140 Seiten<br />
zwischen fünf und zehn Bildern<br />
sind in Brauntönen gehalten.<br />
Wir verfolgen das Leben des<br />
jungen Mannes Andreas Müller,<br />
der von seiner verwitweten<br />
Mutter großgezogen wird, sehr<br />
erfolgreich als Werbegrafiker<br />
arbeitet und sich in einer, wir<br />
würden heute sagen, Schwulenszene<br />
zu Hause fühlt. Die<br />
Sprache ist sehr direkt, die<br />
Körper «gestählt». Man ist jung,<br />
man vergnügt sich mit Seinesgleichen.<br />
Angst muss man auch<br />
nicht nach 1933, dem Wahlsieg<br />
der NSDAP, haben, denn<br />
obwohl die Liebe unter Männern<br />
zwar (noch) nicht verboten<br />
ist, aber man befürchtet so etwas.<br />
Das Gegenargument ist Ernst<br />
Röhm und seine Sturmabteilung<br />
(SA), «weil niemand wärmer ist<br />
als er und seine süssen Truppen».<br />
Der erste Schreck kommt, als<br />
die SA-Truppen das Publikum<br />
zusammenschlagen, weil diese<br />
mitbekommt, dass ein Boxkampf<br />
«verschoben» wurde. Noch hat<br />
Andreas die Chance, mit einem<br />
Freund nach Amerika auszuwandern,<br />
aber er verpasst diesen<br />
Moment, wird von der Hausmeisterfrau<br />
denunziert, soll seine<br />
Freunde für seine eigene Freiheit<br />
verraten – aber es kommt noch<br />
viel schlimmer.<br />
Vom Beginn der Boxkampfszene<br />
an, also nach Seite 38,<br />
werden wir richtig in die<br />
Geschichte hineingezogen, die<br />
zu Beginn vor allem wegen<br />
fehlender Identifikation der<br />
Personen schleppend in Gang<br />
kommt. Das ist schade, denn die<br />
Vorteile der Graphic Novel, auch<br />
«Lesefaule» mit Literatur oder<br />
Sachbuch vertraut zu machen,<br />
werden hier zu Beginn verschenkt.<br />
Auf der Innenklappe<br />
des Broschurbuches ist hinten<br />
eine kurze Geschichte des § 175<br />
StGB abgedruckt, die die heutige<br />
Entwicklung in eine sehr<br />
aktuelle Geschichte stellt.<br />
Zum geschichtlichen Hintergrund<br />
des Titels: Jeder Häftling<br />
musste in den Konzentrationslagern<br />
ein Abzeichen an seiner<br />
Jacke tragen, dessen Farbe ihn<br />
einer der verfolgten Gruppen<br />
zuordnete. Dabei wurde unterschieden<br />
zwischen «Politischen,<br />
Berufsverbrechern, Emigranten,<br />
Bibelforschern, Homosexuellen<br />
und Asozialen». Besondere<br />
Abzeichen gab es z. B. für<br />
«Juden und Rasseschänder».<br />
Diese Rezension steht im Internet unter<br />
www.ajum.de (Datenbank)