10.09.2014 Aufrufe

LEUCHTTURM

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

27 <strong>LEUCHTTURM</strong><br />

Krise<br />

Schuldenfrage ist Verteilungsfrage<br />

Die Spardiktate gegen Griechenland und andere Staaten verschärfen nur die Lage<br />

Angela Merkel und Nikolas<br />

Sarkozy blasen zum Generalangriff<br />

auf die sozialen<br />

Errungenschaften der europäischen<br />

Arbeiterbewegung. Von<br />

Athen über Madrid bis Lissabon<br />

werden jetzt Löhne und Renten<br />

gekürzt, Staatsdiener entlassen,<br />

Tarifverträge zerschlagen und<br />

reguläre Beschäftigung wird<br />

entsichert. Für diese radikale<br />

Umverteilungspolitik bekommt<br />

die Kanzlerin großen Beifall.<br />

Endlich wird der griechische<br />

Augiasstall ausgemistet, jubeln<br />

die deutschen Stammtische.<br />

Merkel hat die Deutungshoheit<br />

über die Krise. Die CDU-Chefin<br />

verkauft der Bevölkerung die<br />

Krise erfolgreich als Staatsschuldenkrise.<br />

Schuld an den europäischen<br />

Schuldenbergen sind nach Merkels<br />

Lesart prassende Kassenwarte,<br />

maßlose Beschäftigte und<br />

Rentner. So werden Ursache und<br />

Wirkung der Krise verdreht.<br />

Merkels Märchenwelt ist ein<br />

Kassenschlager, da konkrete<br />

Alltagserfahrungen und tief<br />

verwurzelte rassistische Vorurteile<br />

bedient werden.<br />

Der Deutsche misstraut den<br />

staatlichen Institutionen und der<br />

politischen Klasse. Kaum jemand<br />

will den Wulffs und Sauerlands<br />

dieser Republik noch Steuergeld<br />

anvertrauen. Gleichzeitig dokumentieren<br />

unterfinanzierte Kitas<br />

und Schulen das alltägliche<br />

Staatsversagen. Da hilft es auch<br />

nicht, dass heute jeder deutsche<br />

Kassenwart auf die Tugenden der<br />

schwäbischen Hausfrau schwören<br />

muss.<br />

Nur im Club Med, in<br />

Südeuropa geht es angeblich<br />

noch schlimmer zu. Am Mittelmeer<br />

wurden bekanntlich Korruption<br />

und staatliche Misswirtschaft<br />

erfunden. Nach Recherchen<br />

von Bild, Welt & Co<br />

wanderten die Brüsseler Hilfsgelder<br />

schon immer in die Taschen<br />

der Angehörigen längst verstorbener<br />

Rentner, bestechlicher<br />

Staatsdiener oder der Mafia.<br />

Erst als Merkel, Sarkozy,<br />

Zapatero und Kollegen die<br />

Verluste der Banken sozialisierten,<br />

explodierten die öffentlichen<br />

Schulden<br />

Gegen Lug und Trug hilft nur<br />

Aufklärung. Die hohen Staatsschulden<br />

sind nicht das Ergebnis<br />

laxer Haushaltspolitik. Vor der<br />

großen Krise stiegen die<br />

Staatsausgaben europaweit nicht<br />

stärker als das Sozialprodukt. In<br />

den heutigen Krisenländern<br />

Spanien, Irland und Italien<br />

schrumpften sogar die Schuldenberge.<br />

Lediglich in Athen<br />

verursachte ein miserabler Steuervollzug<br />

gigantische Haushaltslöcher.<br />

Erst als Merkel, Sarkozy,<br />

Zapatero und Kollegen die<br />

Verluste der Banken sozialisierten,<br />

explodierten die öffentlichen<br />

Schulden. In Spanien und<br />

Irland verdreifachte sich die<br />

Schuldenquote. Hierzulande<br />

hinterließen die Glaspaläste eine<br />

Zeche von rund 400 Milliarden<br />

Euro. Ohne den Kollaps von<br />

Wall Street, Frankfurter City &<br />

Co würden die Retter nicht bis<br />

zum Hals im Schuldensumpf<br />

stecken.<br />

Doch damit nicht genug.<br />

Verantwortlich für die südeuropäischen<br />

Schuldenberge ist auch<br />

die deutsche Lohn- und Binnenmarktschwäche.<br />

In einem gemeinsamen<br />

Währungsraum entscheiden<br />

Löhne, Produktivität<br />

und Preise über die Wettbewerbsfähigkeit<br />

einer Nationalökonomie.<br />

Eine Abwertung der<br />

eigenen Währung ist nicht mehr<br />

möglich.<br />

Seit Euro-Einführung verteuerten<br />

sich spanische, italienische<br />

sowie griechische Waren und<br />

Dienstleistungen gegenüber<br />

deutschen Produkten. Durch<br />

„Besser und billiger“ wurde der<br />

Absatz deutscher Maschinen und<br />

Autos im europäischen Ausland<br />

gesteigert. Und da der Kaffee in<br />

Athen plötzlich teurer war als in<br />

Garmisch-Partenkirchen, machten<br />

immer weniger Menschen in<br />

Griechenland Urlaub. Das Geheimnis<br />

der kleinen deutschen<br />

Preise liegt in geringen Zuwächsen<br />

bei Lohnstückkosten und<br />

Löhnen. Im letzten Jahrzehnt<br />

sanken die Reallöhne um vier<br />

Prozent. Die deutsche Lohnschwäche<br />

förderte aber nicht nur<br />

den Export, sondern drosselte<br />

gleichzeitig die Einfuhr ausländischer<br />

Waren - zum Leidwesen<br />

unserer Nachbarn.<br />

Während Deutschland eine<br />

Exporteuropameisterschaft nach<br />

der anderen gewann, färbten sich<br />

die südeuropäischen Handelsbilanzen<br />

tiefrot. Um ihre Defizite<br />

zu finanzieren, mussten sich<br />

Athen, Madrid und Rom<br />

verschulden. Die Kredite kamen<br />

aus den Überschussländern.<br />

Nach Gründung der Währungsunion<br />

verdoppelten sich die<br />

Leistungsbilanzdefizite der Krisenländer.<br />

Spiegelbildlich kletterten<br />

die Überschüsse Deutschlands,<br />

Hollands und Österreichs.<br />

Jetzt ist Schluss mit lustig. Die<br />

Schuldner können nicht mehr<br />

zahlen. Spardiktate verschärfen<br />

nur die Lage.<br />

Damit ist klar: Nicht zwielichtige<br />

Kassenwarte und nimmersatte<br />

Arbeitnehmer, sondern lohndrückende<br />

Unternehmer, zokkende<br />

Banker und ihre politischen<br />

Helfer haben die öffentlichen<br />

Kassen geplündert. Unsere<br />

Antwort auf die Schuldenfrage<br />

sind höhere Löhne und gerechte<br />

Steuern.<br />

DIERK HIR-<br />

SCHEL ist<br />

Leiter des Bereichs<br />

Wirtschaftspolitik<br />

bei ver.di

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!