21.10.2014 Aufrufe

Das strafrechtliche Sanktionensystem und die ...

Das strafrechtliche Sanktionensystem und die ...

Das strafrechtliche Sanktionensystem und die ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Das</strong> <strong>strafrechtliche</strong> <strong>Sanktionensystem</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sanktionierungspraxis in Deutschland 103<br />

allerdings nur im Bereich der Jugendstrafe unter 12 Monaten. Der Anteil der<br />

Jugendstrafen zwischen 12 Monaten <strong>und</strong> 2 Jahren ist indes leicht gestiegen.<br />

Im Jugendstrafrecht werden - auch bei Berücksichtigung der höheren Diversionsrate im<br />

Jugendstrafrecht als im allgemeinen Strafrecht - häufiger freiheitsentziehende<br />

Sanktionen verhängt als im allgemeinen Strafrecht. Offenbar vertrauen Jugendrichter in<br />

höherem Masse auf <strong>die</strong> - empirisch allerdings nicht gestützte - Annahme einer<br />

rückfallmindernden Wirkung freiheitsentziehender Sanktionen. Durch Art <strong>und</strong> Schwere<br />

der Kriminalität dürfte <strong>die</strong>ser Unterschied jedenfalls kaum erklärbar sein, ist doch<br />

Jugendkriminalität im Schnitt weniger schwer als <strong>die</strong> Kriminalität von Erwachsenen.<br />

10. Die Untersuchungshaftpraxis ist dysfunktional zu den spezialpräventiven<br />

Konzeptionen des Reformgesetzgebers. Dies betrifft sowohl <strong>die</strong> Häufigkeit der<br />

Anordnung von Untersuchungshaft als auch <strong>die</strong> Anordnung in Verfahren, <strong>die</strong> mit<br />

Verurteilung zu einer ambulanten Sanktion abgeschlossen werden. Jeder zweite nach<br />

allgemeinem Strafrecht verurteilte Untersuchungsgefangene erlebt den Freiheitsentzug<br />

nur in seiner resozialisierungsfeindlichsten Form, nämlich als Untersuchungshaft.<br />

11. Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland bezüglich der Gefangenenraten nur<br />

einen Mittelplatz ein. <strong>Das</strong> eigentliche Ziel der Strafrechtsreform, <strong>die</strong> nachhaltige<br />

Entlastung des Strafvollzugs, ist demnach nicht erreicht worden. Dies beruht auf einem<br />

Anstieg der registrierten Kriminalität. Dies beruht ferner darauf, dass <strong>die</strong> Erwartung,<br />

auch <strong>die</strong> Verhängung mittel- <strong>und</strong> langfristiger Freiheitsstrafen würde zurückgehen, sich<br />

nicht erfüllt hat: Deutschland zählt im europäischen Vergleich zu den Ländern, <strong>die</strong> eher<br />

von Strafen mit langer Dauer Gebrauch machen. Die hohe Gefangenenrate in<br />

Deutschland beruht schliesslich auf einem "Vollzug durch <strong>die</strong> Hintertür": Ein erheblicher,<br />

allerdings nicht exakt quantifizierbarer Teil des Freiheitsentzugs erfolgt nicht aufgr<strong>und</strong><br />

der Verurteilung zu unbedingter Freiheitsstrafe, sondern in Form der<br />

Untersuchungshaft, von Ersatzfreiheitsstrafen wegen uneinbringlicher Geldstrafen oder<br />

nach Widerruf von Straf- oder Strafrestaussetzung.<br />

Dementsprechend steht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen <strong>und</strong> kriminalpolitischen–<br />

sowohl der- internationalen als auch der deutschen - Diskussion <strong>die</strong> Fortentwicklung<br />

des <strong>strafrechtliche</strong>n <strong>Sanktionensystem</strong>s, insbesondere der weitere Ausbau von Alternativen<br />

zu stationären Sanktionen. Gr<strong>und</strong> dafür sind nicht zuletzt <strong>die</strong> hohen Rückfallraten,<br />

wie sie zuletzt durch <strong>die</strong> Rückfallstatistik (Jehle, Jörg-Martin; Heinz, Wolfgang; Sutterer,<br />

Peter (unter Mitarbeit von Sabine Hohmann, Martin Kirchner <strong>und</strong> Gerhard Spiess):<br />

Legalbewährung nach <strong>strafrechtliche</strong>n Sanktionen - Eine kommentierte Rückfallstatistik.<br />

Mönchengladbach 2003 auch für Deutschland<br />

erneut belegt worden sind. "<strong>Das</strong> Nachdenken über <strong>die</strong> Alternativen zur Freiheitsstrafe<br />

beherrscht auch deshalb in verstärktem Masse <strong>die</strong> internationale Diskussion, weil<br />

der Strafvollzug <strong>die</strong> in ihn gesetzten Erwartungen offenbar nicht erfüllt. Rückfallquoten<br />

von mehr als 60 Prozent bescheinigen ihm Versagen; Haftschäden <strong>und</strong> Stigmatisierungswirkungen<br />

lassen ihn im Hinblick auf das Ziel der Resozialisierung geradezu als<br />

kontraindiziert erscheinen. Kosten-Nutzen-Analysen belegen das krasse Missverhältnis<br />

von Aufwand <strong>und</strong> Erfolg. Selbst der Behandlungsvollzug lässt sich mit dem Anspruch,<br />

derartige Mängel zu vermeiden, nur selten verwirklichen <strong>und</strong> schon gar nicht<br />

breitenwirksam anwenden. Es bestehen deshalb Zweifel, ob der Strafvollzug den an ihn<br />

gerichteten Anspruch überhaupt erfüllen kann. Ansätze, welche <strong>die</strong> Institution des<br />

Gefängnisses in Frage stellen, haben dort ihren Ausgangspunkt" (Kaiser, Günther:<br />

Kriminologie - ein Lehrbuch, 3. Aufl., Heidelberg 1996, S. 1032.)<br />

12. Eine rationale Kriminalpolitik muss <strong>die</strong> tatsächlichen Gr<strong>und</strong>lagen, <strong>die</strong> Wirkungen<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> (etwaigen) Zielabweichungen rechtlicher Regelungen beobachten. Sie ist

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!