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Das strafrechtliche Sanktionensystem und die ...

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<strong>Das</strong> <strong>strafrechtliche</strong> <strong>Sanktionensystem</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sanktionierungspraxis in Deutschland 60<br />

(BVerfGE 36, 264 [270]).<br />

Wegen <strong>die</strong>ser Abhängigkeit der Untersuchungshaftanordnung von der<br />

Sanktionsprognose war deshalb an sich zu erwarten, dass im Gefolge der<br />

Strafrechtsreform von 1969 sowohl <strong>die</strong> Untersuchungshaftraten als auch der Anteil der<br />

Untersuchungsgefangenen, der lediglich zu ambulanten Sanktionen verurteilt wird,<br />

deutlich zurückgehen würden. Eine derartige Erwartung war deshalb begründet, weil<br />

sonst durch <strong>die</strong> Untersuchungshaftpraxis <strong>die</strong> Wertentscheidung des im materiellen<br />

Strafrecht verwirklichten Reformprogramms vereitelt werden würde. Die Überzeugung,<br />

dass <strong>die</strong> kurze Freiheitsstrafe in aller Regel spezialpräventiv mehr schadet als nützt, hat<br />

den Gesetzgeber bewogen, <strong>die</strong> Verhängung <strong>und</strong> den Vollzug <strong>die</strong>ser Strafe soweit als<br />

möglich auszuschliessen. Diese Entscheidung würde durchkreuzt, würde gleichwohl<br />

gegen den Beschuldigten Untersuchungshaft angeordnet werden. Zwar haben<br />

Untersuchungshaft <strong>und</strong> Freiheitsstrafe verschiedene Aufgaben, <strong>die</strong> Eingriffsintensität<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Folgen sind bei Untersuchungshaft aber nicht selten stärker als bei der<br />

Freiheitsstrafe. Diese kennt vielfältige Möglichkeiten der Lockerung, <strong>die</strong> bei der<br />

Untersuchungshaft wegen ihrer Sicherungsfunktion in der Regel gerade nicht bestehen.<br />

Untersuchungshaft wirkt infolgedessen nicht selten persönlich destabilisierender <strong>und</strong><br />

sozial wie beruflich desintegrierender als Freiheitsstrafe.<br />

Die Erwartung, dass <strong>die</strong> Untersuchungshaftraten, d.h. <strong>die</strong> Anteile der Untersuchungsgefangenen<br />

an den jeweiligen Verurteilten eines Berichtsjahres, parallel zum Rückgang<br />

stationärer Sanktionen zurückgehen würden, hat sich nicht erfüllt. Die<br />

Untersuchungshaftraten der nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten blieben weitgehend<br />

konstant; erst Mitte der 80er Jahre erfolgte, nicht zuletzt unter dem Einfluss von<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Öffentlichkeit, ein deutlicher Rückgang auf zuletzt 3,7%; seit 1990<br />

sind, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Reaktion auf Ausländerkriminalität, <strong>die</strong><br />

Untersuchungshaftraten wieder deutlich angestiegen (1999: 5,0%), erst in den letzten<br />

beiden Jahren erfolgte ein leichter Rückgang (2004: 4,0%) (Schaubild 19a).<br />

Da Untersuchungshaft indes bei schweren Delikten häufiger angeordnet wird als bei<br />

leichten Delikten, werden bei zunehmendem Gebrauch von Diversion <strong>die</strong> auf Verurteilte<br />

bezogenen Untersuchungshaftraten im zeitlichen Längsschnitt zunehmend überhöht; im<br />

Vergleich von allgemeinem <strong>und</strong> Jugendstrafrecht sind <strong>die</strong> Untersuchungshaftraten bei<br />

jungen Menschen stärker als <strong>die</strong> der Erwachsenen verfälscht (Schaubild 19b).

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