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Das strafrechtliche Sanktionensystem und die ...

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<strong>Das</strong> <strong>strafrechtliche</strong> <strong>Sanktionensystem</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sanktionierungspraxis in Deutschland 24<br />

Teil 1, DVJJ-Journal 1999, 245 ff., Teil 2, DVJJ-Journal 1999, 11 ff., Teil 3, DVJJ-<br />

Journal 1999, 131 ff., Teil 4, DVJJ-Journal 1999, 261 ff.).<br />

Innerhalb der durch das Prinzip der Unschuldsvermutung, durch den Schuldgr<strong>und</strong>satz<br />

<strong>und</strong> durch das Legalitätsprinzip bestimmten deutschen Rechtsordnung hielt der<br />

Gesetzgeber bislang nur solche Diversionsstrategien für zulässig, <strong>die</strong> entweder auf eine<br />

möglichst geringe staatliche Sanktion (z.B. Ersetzung stationärer durch ambulante<br />

Sanktionen) oder auf Alternativen zur Anklage oder zur Verurteilung (Ersetzung<br />

formeller durch informelle Sanktionen) hinauslaufen. Hierzu wurden <strong>die</strong> prozessualen<br />

Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung im staatsanwaltschaftlichen Vorverfahren, im<br />

gerichtlichen Zwischen- oder im Hauptverfahren genutzt. Die deutsche Variante von<br />

Diversion besteht demnach in Verfahrenseinstellungen, <strong>die</strong> - bei hinreichendem Tatverdacht<br />

<strong>und</strong> bei Vorliegen der Prozessvoraussetzungen - an <strong>die</strong> Stelle einer Anklage<br />

(staatsanwaltliche Diversion) oder einer Verurteilung (richterliche Diversion) treten.<br />

Bei der ohne Auflagen/Weisungen erfolgenden Einstellung (§§ 153, 153b StPO, §§ 45<br />

Abs. 1, 47 Abs. 1 Nr.1 JGG) handelt es sich - strafrechtlich gesehen - um einen<br />

spezialpräventiv orientierten Sanktionsverzicht. Im sozialwissenschaftlichen Sinne<br />

handelt es sich indes um eine informelle Sanktionierung, <strong>und</strong> zwar schon wegen des<br />

durchgeführten Ermittlungsverfahrens, des damit regelmässig verb<strong>und</strong>enen<br />

Bekanntwerdens der Tat in der Familie <strong>und</strong> im sozialen Umfeld, vor allem wegen der<br />

faktisch bestehenden Belastung für den Beschuldigten, weiterhin als hinreichend<br />

tatverdächtig zu gelten. Einstellungen unter Auflagen/Weisungen (§ 153a StPO, §§ 45<br />

Abs. 2, 3, 47 Abs.1 Nr. 2, 3 JGG) sind im <strong>strafrechtliche</strong>n Sinne ebenfalls keine Strafen,<br />

es handelt sich vielmehr um eine einverständliche Sanktionierung, weil der Tatverdächtige<br />

<strong>die</strong> Auflagen oder Weisungen freiwillig erfüllt, so dass deren Verhängung<br />

durch Urteil überflüssig wird. Insofern kann nicht nur im sozialwissenschaftlichen,<br />

sondern auch im <strong>strafrechtliche</strong>n Sinne von einer Sanktionierung gesprochen werden.<br />

Erst bei <strong>die</strong>ser Betrachtung der Funktionen der §§ 153, 153a, 153b StPO, §§ 45, 47<br />

JGG wird deutlich, dass es sich nicht bloss um Verfahrensvorschriften handelt. Sie<br />

gehören vielmehr (auch) zur Rechtsfolgenseite. Dementsprechend reicht das<br />

(jugend)<strong>strafrechtliche</strong> Reaktionsspektrum von der - aus justitieller Sicht - folgenlosen<br />

Reaktion (§§ 153, 153b StPO, §§ 45 Abs. 1, 47 Abs. 1 Nr. 1 JGG) bis zur nicht ausgesetzten<br />

Freiheits- bzw. Jugendstrafe.<br />

Als Diversionsmöglichkeiten sieht <strong>die</strong> deutsche Rechtsordnung derzeit vor:<br />

Diversion durch Staatsanwaltschaft (StA) oder Gericht in Verfahren wegen leichterer<br />

<strong>und</strong> mittlerer Kriminalität (§§ 153 ff. StPO). Praktisch bedeutsam sind vor allem zwei<br />

Einstellungsgründe:<br />

Bagatellsachen: Bei Vergehen, d.h. bei Straftaten, <strong>die</strong> nicht im Mindestmass mit<br />

Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind, kann das Verfahren<br />

eingestellt werden, "wenn <strong>die</strong> Schuld des Täters als gering anzusehen wäre <strong>und</strong><br />

kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht" (§ 153 Abs. 1 StPO). Die<br />

StA kann das Verfahren ferner in Fällen einstellen, bei denen das Gericht von<br />

Strafe absehen kann (§ 153b StPO). In beiden Fallgruppen bedarf <strong>die</strong> StA der<br />

Zustimmung des Gerichts, es sei denn, es handelt sich bei § 153 StPO um ein<br />

Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmass erhöhten Strafe bedroht ist, (wie<br />

z.B. einfacher Diebstahl oder Betrug), <strong>und</strong> „bei dem <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Tat<br />

verursachten Folgen gering sind„. Entsprechende Befugnisse hat das Gericht in<br />

jeder Lage des Verfahrens (§ 153 Abs. 2 StPO).<br />

Einstellung bei Erfüllung von Auflagen <strong>und</strong> Weisungen: Handelt es sich um keine<br />

Bagatellsache, so dass gr<strong>und</strong>sätzlich ein öffentliches Verfolgungsinteresse<br />

besteht, so kann bei Vergehen <strong>die</strong> StA mit Zustimmung des Gerichts dennoch

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