P.T MAGAZIN 01/2010
Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung
Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Wirtschaft<br />
Mehrweggetränke schmieren ab<br />
Lenkungswirkung einer Kennzeichnungspflicht wird nach Ansicht des Wirtschaftsministeriums<br />
verpuffen<br />
Jetzt ist es amtlich: Die Mehrwegquote ist abgesackt. Der Verbraucher geht den<br />
bequemen Weg und kauft beim Discounter Einwegprodukte. Die Folgen für den<br />
Mittelstand sind dramatisch.<br />
Die Bundesregierung hat jetzt nach<br />
Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums<br />
(BMWi) das Zahlenwerk<br />
für die Entwicklung der Mehrweggetränke<br />
für den Zeitraum von 2004 bis<br />
2007 beschlossen. In diesem Zeitraum<br />
ist die Mehrwegquote von 71 auf 55<br />
Prozent abgesackt.<br />
Als Hauptgrund für den Trend zu<br />
Einweg gab die Ministerialbeamtin<br />
Andrea Jünemann den gestiegenen<br />
Marktanteil der Discounter an. „Aus<br />
meiner Sicht bestätigen die vorgelegten<br />
Zahlen die ursprüngliche Position<br />
des Wirtschaftsministeriums,<br />
dass die Pfandpflicht für Einweg-Getränkeverpackungen<br />
kein geeignetes<br />
Instrument zur Stabilisierung der<br />
Mehrwegquote darstelle“, sagte Jünemann<br />
bei einer Fachveranstaltung der<br />
Stiftung Initiative Mehrweg und der<br />
Beratungsgesellschaft Ascon in Bonn.<br />
Zweifel<br />
Die Initiative des BMU sollte daher<br />
kritisch hinterfragt werden. Letztlich<br />
sei die Kennzeichnungspflicht, wie<br />
sie auch im Koalitionsvertrag der<br />
schwarz-gelben Regierung verankert<br />
Pleite für Mehrweg<br />
ist, das geringere Übel. In der Expertendiskussion<br />
bestätigte die Ministerialbeamtin,<br />
dass auch mit der Kennzeichnung<br />
die Mehrwegquote weiter<br />
abschmieren werde. „Verbraucher<br />
werden auch weiterhin den bequemen<br />
Weg gehen und beim Discounter<br />
Einwegprodukte kaufen“, erklärte<br />
Jünemann.<br />
„Die Politik hat ein<br />
funktionierendes System ohne<br />
Not kaputt gemacht und damit<br />
ein Desaster angerichtet.“<br />
Werner Witting, Hauptgeschäftsführer<br />
der Wirtschaftsvereinigung<br />
Alkoholfreie Getränke (WAFG)<br />
Wasserstandsmeldung<br />
n Wachstumsrate von Einweg-Getränken 7,3%<br />
n 52% über Discounter<br />
n 2000: Mehrwegquote: 80%<br />
n Aldi, Lidl, Norma verweigern Mehrweg, Kampfpreis: 19 Cent für 1,5 Liter-Flasche und<br />
Pflichtpfand 25 Cent<br />
n 2009: Discount-Anteil 65% allein bei Süßgetränken<br />
(Quelle: Markus Wolff, Vorstand der Genossenschaft Deutscher Brunnen)<br />
(Foto: © Daniela B./PIXELIO)<br />
„Die Folgen für unsere Mitgliedsbetriebe<br />
sind dramatisch. Der Mittelstand<br />
schmilzt ab, die Regionalität<br />
und die Produktvielfalt geht verloren.<br />
Es steigen die Insolvenzen und Unternehmensschließungen.<br />
Alleine im<br />
Raum Bonn haben wir Reginaris verloren,<br />
wir haben Artus in Bad Hönningen<br />
verloren, und wir haben vor<br />
zwei Wochen den Bad Honnefer Mineralbrunnen<br />
verloren. Das sind die<br />
jüngsten Wasserstandsmeldungen“,<br />
sagte Marcus Wolff, Vorstand der Genossenschaft<br />
Deutscher Brunnen.<br />
Er verlangt eine Unterbindung der<br />
Quersubventionierung von Getränken<br />
durch die Discount-Konzerne.<br />
Das sei zwar schwierig zu ermitteln.<br />
Die Gewinne über das nicht eingelöste<br />
Pfand könnten in die Rückstellungen<br />
der Handelspartner fließen.<br />
Hier seien die Finanzämter gefordert,<br />
um auf diese Summen Zugriff zu bekommen.<br />
Pfandschlupf<br />
Bislang würden keine validen Aussagen<br />
über die Höhe des Pfandschlupfes<br />
vom Handel vorgelegt. Die Genossenschaft<br />
geht von 330 Mio. Euro aus, die<br />
von den Discountern jährlich in die<br />
Quersubventionierung von Einweg-<br />
Getränken gesteckt werden.<br />
Die Pfandgewinne werden auf 62,5<br />
Mio. Euro, Recyclingerlöse auf rund<br />
40 Mio. und die Ersparnisse durch<br />
den Wegfall der Gebühren für den<br />
Grünen Punkt auf 226 Mio. Euro<br />
geschätzt. „Man müsste eigentlich<br />
die Investitionen für Rücknahmeautomaten<br />
gegenrechnen. In der Realität<br />
holen sich die Discounter diese<br />
Kosten bei den Lieferanten wieder<br />
zurück“, so Wolff.<br />
Policy mix erforderlich?<br />
Handlungsbedarf zur Rettung von<br />
Mehrweg sieht auch der Ökoinstitut<br />
e.V. Der Mehrweganteil gerate an<br />
eine kritische Untergrenze, bei der<br />
Mehrweg grundsätzlich in Frage<br />
gestellt wird. Eine Materialsteuer sei<br />
die geeignete Maßnahme, um die<br />
Kostendifferenzen zu Gunsten von<br />
Mehrweg zu verändern. Erforderlich<br />
sei ein policy mix verschiedener<br />
Instrumente, dazu zähle die Einführung<br />
einer Verpackungssteuer, die<br />
Beibehaltung von Pfandpflicht und<br />
den Regelungen der Verpackungsverordnung<br />
sowie eine Kennzeichnungsverordnung.<br />
n<br />
Gunnar Sohn<br />
39<br />
P.T. <strong>MAGAZIN</strong> 1/2<strong>01</strong>0