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Hanno Richter - Boku

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Einleitung<br />

<strong>Hanno</strong> <strong>Richter</strong><br />

Der Wasserhaushalt der Pflanzen, VO 2<br />

(WS 2006/07)<br />

Die Vorlesung "Der Wasserhaushalt der Pflanzen" behandelt ein ganz zentrales Gebiet<br />

der Ökophysiologie der Pflanzen. Was ist nun die Ökophysiologie, und wodurch unter-<br />

scheidet sie sich von der "reinen" Physiologie? Nach KREEB stellt sich die botanische<br />

Ökophysiologie die Aufgabe, die funktionellen Beziehungen der pflanzlichen Organis-<br />

men zu ihrer Umwelt zu klären, also die Reaktionen von Pflanzen auf Umweltfaktoren<br />

und deren Schwankungen zu analysieren. Dabei stehen solche physiologische Vorgän-<br />

ge im Vordergrund, die für das Gesamtgeschehen im Ökosystem Bedeutung haben,<br />

also etwa die Biomasseproduktion beeinflussen. Daraus ergibt sich eine gewisse Aus-<br />

wahl der bevorzugten Themen: Photosynthese, Atmung, Wasserhaushalt und Wirkung<br />

von Hitze und Kälte sind typische Paradethemen. Es lassen sich aber für viele weitere<br />

Teilgebiete der Pflanzenphysiologie ökophysiologische Aspekte ausfindig machen. So<br />

ist etwa gerade derzeit die Spektralverteilung des Lichtes in Beständen sehr interessant<br />

geworden. Hormonverschiebungen unter Stressbedingungen sind dies schon länger.<br />

Und ein weiteres Phänomen macht sich immer stärker bemerkbar: Auch die relevanten<br />

Umweltfaktoren müssen vermehrt werden. Vorausschauende Arbeitsgruppen beschäfti-<br />

gen sich mit den Reaktionen jener Pflanzen auf UV-Stress, die derzeit noch nicht darun-<br />

ter zu leiden haben - es wird ja tatsächlich die Ozonschicht dünner! Und die intensiven<br />

Anstrengungen zur Untersuchung der "neuartigen Waldschäden", die in den Achtziger-<br />

jahren zu bemerkenswerten Geldflüssen und einigen brauchbaren Publikationen geführt<br />

haben, beweisen uns, dass wir die Reaktionen der Pflanze auch auf rein anthropogene,<br />

also vom Menschen in das Freiland getragene Stressfaktoren untersuchen müssen.<br />

Dazu gehören Schadgase (z.B. SO2, HF) ebenso wie etwa Stickstoffverbindungen mit<br />

düngender Wirkung, die vor allem Waldökosysteme destabilisieren. Deren Zusam-<br />

menspiel mit den seit Äonen wirkenden natürlichen Faktoren macht die Analyse des<br />

Verhaltens der Pflanze im Freiland sehr kompliziert. Es ergibt sich von selbst, dass hier<br />

Kontrollversuche im Labor unter standardisierten Bedingungen vorgenommen werden<br />

müssen; die Abgrenzung zur Laborphysiologie wird also an vielen Stellen fließend. Ich<br />

1


würde meinen, dass am Ende dieser Entwicklung eine einheitliche Pflanzenphysiologie<br />

stehen wird, die das Verhalten von Organismen (und nicht nur von Genen) unter natürli-<br />

chen wie unter künstlichen, vom Menschen geschafffenen Bedingungen beschreibt.<br />

Besonders fließende Übergänge finden sich dort, wo sich die Ökophysiologie mit<br />

dem Wasser beschäftigt. Hier sehen wir eine stete gegenseitige Beeinflussung, einen<br />

steten Austausch von Informationen zwischen mehr oder minder reinen Laborphysio-<br />

logen und denen, die vorwiegend im Freiland arbeiten. Das hängt damit zusammen,<br />

dass die moderne Messtechnik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts große Fort-<br />

schritte gebracht hat. Die haben zunächst zu unerwarteten Messergebnissen geführt<br />

und dann auch die theoretische Durchdringung des Gebietes, die bis etwa 1970 ziemlich<br />

vernachlässigt worden war, wieder in Schwung gebracht. Und dieser Prozess ist noch<br />

nicht zu Ende! Immer wieder tauchen neue Geräte auf, die bekannte Messgrößen einfa-<br />

cher oder präziser messen lassen, manchmal aber auch solche, die bisher völlig un-<br />

messbare Phänomene quantifizieren. Ein Beispiel: Es gibt seit dem Ende der Neunzi-<br />

gerjahre die Möglichkeit, den Sauerstoffgehalt in kleinen Volumina mit Miniatursensoren<br />

zu messen. Danach haben sich sehr bald neue Erkenntnisse über die Gasversorgung<br />

im Inneren von Baumstämmen eingestellt.<br />

Wir sehen hier sehr schön etwas, was oft von Naturwissenschaftlern und Techni-<br />

kern vergessen wird: Auch wenn uns die Theorie von irgend einem Phänomen vermuten<br />

läßt, dass es bedeutsam sein könnte, so beschäftigen wir uns doch erst damit, wenn wir<br />

ein geeignetes Messgerät haben, um es zu untersuchen. Selbst in den theoretischen<br />

Überlegungen werden jene Erscheinungen meistens unterbewertet, für die wir keine<br />

oder nur wenige experimentelle Daten haben. Der Naturwissenschaftler ist also von<br />

Geräten abhängig wie der Tiefseetaucher von der Sauerstoffflasche, das sollten wir nie<br />

vergessen. Es kann uns vor übertriebener Begeisterung über unsere eigene Klugheit<br />

schützen: Nicht sie hat die meisten Naturwissenschaften weitergebracht, sondern die<br />

verbesserten Geräte (hinter denen freilich andere kluge Köpfe stecken!).<br />

Da kann ich gleich noch etwas weiteres anbringen: Es ist auffällig, dass sehr viele<br />

jener Forscher, die weltweit auf höchstem Niveau Grundlagenfragen des Wasserhaus-<br />

haltes bearbeiten, ihrem Studium nach Landwirte, Forstwirte oder Kulturtechniker sind<br />

und an Instituten angewandter Richtung arbeiten. Natürlich fragt man sich, warum so<br />

viele Vertreter der angewandten Forschung sich mit dem Wasserhaushalt der Pflanzen<br />

2


eschäftigen. Die Antwort ist nicht so schwer, und sie wird am besten durch eine Karte<br />

gegeben, die uns die Biomasseverteilung auf der Erde zeigt. Wir sehen da, dass es zwei<br />

Hauptfaktoren gibt, die die Produktivität der Pflanzen auf der Landmasse der Erde be-<br />

grenzen: Im hohen Norden und im tiefen Süden (und natürlich auch im Hochgebirge,<br />

dessen Fläche aber nicht ins Gewicht fällt) ist es die Temperatur. In den weiten Berei-<br />

chen dazwischen aber ist der limitierende Faktor das Wasser, und mit dem wollen wir<br />

uns in dieser Vorlesung näher beschäftigen. Natürlich gibt es sehr viele wissenschaftlich<br />

legitime Fragestellungen an den Wasserhaushalt der Pflanzen, und infolge dieser weiten<br />

Streuung der Interessenten kommt man auch nicht mit den klassischen botanischen<br />

Zeitschriften aus, sondern muss auch "angewandte" Zeitschriften, wie "Agronomy Jour-<br />

nal", "Irrigation Science", "Forest Science" oder "Journal of Horticultural Science" regel-<br />

mäßig durchsehen.<br />

Ein Überblick über die Entwicklung der Wasserhaushaltsforschung zeigt uns,<br />

dass das Interesse an diesen Problemen großen Schwankungen unterworfen war.<br />

Zuerst war alles reine Wissbegier ohne Spur einer Anwendung, und untypischerweise<br />

haben nicht einmal die Griechen damit angefangen, die ja sonst eine Art Monopol auf<br />

erstmaliges Stellen von interessanten Fragen hatten. Als Geburtstermin der Wasser-<br />

haushaltsforschung an Pflanzen wird vielmehr allgemein das Jahr 1727 angesehen, als<br />

ein englischer Geistlicher und Privatgelehrter, Stephen Hales, der Kurat von Teddington,<br />

sein Buch "Vegetable Staticks" herausbrachte. Er behandelte darin schon Fragen, die<br />

auch heute noch sehr aktuelle Bedeutung haben. Das restliche 18. Jahrhundert war für<br />

die Pflanzenphysiologie ganz allgemein eine ziemlich unfruchtbare Zeit, da das<br />

Interesse der gebildeten Amateure mit Liebe zur Pflanzenwelt, die damals die Träger<br />

jeder Art von botanischer Forschung waren, durch LINNEs geniales System zur Ord-<br />

nung der pflanzlichen Vielfalt absorbiert wurde. Vereinzelt gab es natürlich auch damals<br />

die Beschäftigung mit physiologischen Fragen. So hat etwa Heinrich COTTA, der<br />

Gründer der Forstlichen Hochschule in Tharandt (Sachsen), im Jahre 1805 ein kleines<br />

Büchlein zur Klärung des Wasseraufstiegs in der Pflanze veröffentlicht.<br />

Erst nach der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurden die ersten Lehrstühle<br />

für Pflanzenphysiologie geschaffen (der allererste übrigens in Wien!), und das löste<br />

einen stürmischen Aufschwung auf vielen Gebieten der Forschung, so auch auf dem<br />

des Wasserhaushaltes aus. Wilhelm Pfeffer entdeckte die physikalischen Grundlagen<br />

3


der Osmose, also des Wasserdurchtrittes durch Membranen, die keine gelösten Stoffe<br />

durchlassen. Erst auf seinen experimentellen Grundlagen bauten dann der Chemiker<br />

van't Hoff und andere das theoretische Gebäude weiter. Josef Boehm, der erste Ordina-<br />

rius für Botanik an der damaligen Hochschule für Bodenkultur, beschäftigte sich mit<br />

Grundfragen der Wasserleitung im Pflanzenkörper, ebenso wie Strasburger und<br />

Askenasy in Deutschland oder Dixon und Joly in Irland. Zwischen 1910 und 1930 folgte<br />

dann eine Zeit der Hochblüte: Ursprung, Blum, Höfler und andere bauten die Zellphysio-<br />

logie des Wassers aus, Otto Renner und der Südtiroler Bruno Huber widmeten sich der<br />

"Makrophysiologie", also dem Transport des Wassers vom Boden durch den Pflanzen-<br />

körper in die Atmosphäre.<br />

Mit der Zeit, so etwa gegen Ende der Dreißigerjahre und knapp nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg, machte sich unter den Fachbotanikern die Meinung breit, dass man<br />

auf diesem Gebiet eigentlich nicht mehr viele Lorbeeren ernten könne. Selbst Bruno<br />

Huber, damals in München, der seinen wissenschaftlichen Ruhm der Wasserhaushalts-<br />

forschung verdankte, ließ sich anstecken: Er schrieb 1956 im "Handbuch der Pflanzen-<br />

physiologie" im Hinblick auf ein zu diesem Zeitpunkt noch völlig ungelöstes Messpro-<br />

blem, nämlich die exakte Messung der sogenannten Saugspannung: Es wäre ja wirklich<br />

ganz nett, wenn man hier einmal Messdaten in die Hand bekäme, aber das Wesentli-<br />

che, das, was man zum Verständnis benötige, habe man natürlich mit Hilfe anderer<br />

Messgrößen ohnehin im Griff. Ich möchte hier nur vorgreifend erwähnen, dass diese<br />

sogenannte Saugspannung, die man heute das Wasserpotential nennt, die zentrale<br />

Größe der ganzen Wasserhaushaltstheorie geworden ist. Man kann sie seit den frühen<br />

Sechzigerjahren tatsächlich messen, und man weiß heute, dass man ohne sie nichts<br />

weiß.<br />

Es gab jedoch auch damals Leute, die sich weiter mit dem Thema "Pflanze und<br />

Wasser" beschäftigten. Viele von ihnen waren Vertreter der angewandten Forschung,<br />

was natürlich kein Zufall ist. Ein Landwirt oder ein Forstwirt, der im Freiland arbeitet und<br />

sein Hauptinteresse dem Ertrag an Frucht oder dem Zuwachs an Holz zuwendet, kann<br />

es sich nämlich gar nicht leisten, den Wasserhaushalt zu ignorieren.<br />

Er kann dies umso weniger, je extremer die Umwelt in Hinblick auf den Wasser-<br />

faktor wird. Deshalb ist es wahrscheinlich auch kein Zufall, dass jene theoretischen und<br />

experimentellen Neuerungen, die die moderne Entwicklung einleiten, von Arbeits-<br />

4


gruppen in ausgesprochenen Trockengebieten ihren Ausgang genommen haben. Der<br />

Bodenphysiker S. A. Taylor aus dem sehr salzreichen und wasserarmen amerikani-<br />

schen Bundesstaat Utah und der australische Physiologe R.O. Slatyer legten im Jahre<br />

1961 mit einem Artikel in der Zeitschrift "Nature" die Grundlage zu einer neuen<br />

Betrachtung des Wasserhaushaltes. Slatyer stieß 1967 mit einem sehr einflussreichen<br />

Lehrbuch nach, das ich heute natürlich niemandem mehr empfehlen kann - es hat auch<br />

schon starke Patina angesetzt! Dazwischen lagen bedeutende methodische Neue-<br />

rungen, nämlich die Verbesserung des Thermoelement-Psychrometers und die<br />

Erfindung der Druckkammer, die auch heute noch die einzigen ernstzunehmenden<br />

Geräte für die Messung des Wasserpotentials sind. Wir haben also heute sowohl das<br />

praktische als auch das theoretische Arsenal, mit dem wir uns den Problemen des<br />

Wasserhaushaltes der Pflanze erfolgreich stellen können.<br />

Bedeutung des Wasserhaushaltes für die Pflanzen<br />

Warum nehmen wir aber überhaupt den Wasserhaushalt der Pflanze so ernst,<br />

dass ich eine eigene Vorlesung darüber halte und Sie dafür Ihre Zeit opfern? Gibt es<br />

nicht noch wichtigere Gebiete der Ökophysiologie? Wenn Sie die Lehrbücher der<br />

Pflanzenphysiologie und auch der Ökophysiologie ansehen, dann behandeln sie mit<br />

wenigen Ausnahmen den Wasserhaushalt durchaus nicht am Anfang und vorrangig. Die<br />

meisten widmen sich zunächst, ich möchte fast sagen "pflichtschuldig", der<br />

Photosynthese als der Grundlage allen Lebens auf Erden. Die überragende Bedeutung<br />

der Sonnenstrahlung und des Kohlenstoffhaushaltes, der durch sie ermöglicht wird,<br />

kann natürlich nicht bezweifelt werden. Die Photosynthese treibt eben den gesamten<br />

Stoff- und Energiekreislauf in der Biosphäre an. Nur sind derartig fundamentale<br />

Prozesse nicht sehr geeignet, für Zwecke der Differenzierung herangezogen zu werden.<br />

Die Grundform der Photosynthese, der C3 - Weg, ist von den Meeresalgen bis zu den<br />

höheren Landpflanzen ein recht einheitlicher Prozess. Die biochemischen Reak-<br />

tionsketten der Photosynthese im Chloroplasten sind nämlich gegen verschiedene<br />

Formen von Stress sehr resistent. Sie werden also selbst von recht extremen Werten für<br />

die Umweltparameter nur wenig beeinflusst. Das gilt auch für den Wasserstress, also<br />

z.B. für Fälle, in denen Pflanzen welken, weil ihr Turgor verloren geht. Umso wichtiger<br />

werden aber am natürlichen Standort jene Effekte des Wasserstresses, die als “Antwort“<br />

5


der Pflanze gedeutet werden können, mit der sie ihren Wasserhaushalt zu entlasten<br />

sucht. Solche Reaktionen, etwa der vom Wasser-Regelkreis induzierte Spaltenschluss,<br />

beeinflussen die Photosynthese sehr stark, aber nur sekundär, indem sie die Aufnahme<br />

von CO2 verhindern. Hier erweist sich die Regelung des Wasserhaushaltes als ein<br />

Prozess, der der Photosynthese gegenüber eindeutig Priorität hat und daher zum<br />

Verständnis der Stoffproduktion am Standort vorausgesetzt werden muss.<br />

Überhaupt scheint der Wasserhaushalt der Pflanzen ein fortgeschrittenes Sta-<br />

dium der Evolution zu kennzeichnen: Mag die Photosynthese meinetwegen die<br />

Grundlage allen Lebens sein - der Wasserhaushalt ist die Grundlage des Landlebens<br />

der höheren Pflanzen! Photosynthese und Zellstoffwechsel waren bereits hoch entwick-<br />

elt, als die Wasserpflanzen an Land stiegen - den Wasserhaushalt mussten sie erst neu<br />

erfinden. Ich will das ein wenig erläutern.<br />

Die biochemischen Lebensvorgänge, also die Stoffumsetzungen im Protoplasma,<br />

können nur in wäßriger Phase ablaufen. Entscheidend ist aber nicht die Menge an<br />

verfügbaren H2O-Molekülen, sondern der Zustand, in dem sie sich befinden. Wasser ist<br />

nicht gleich Wasser! Der Pazifik ist zweifellos nicht ganz arm an Wassermolekülen; das<br />

hilft aber einem Schiffbrüchigen nichts, der bei Tahiti auf einem kleinen Floß im Meer<br />

treibt. Er muss verdursten, wenn er keine Anlage zur Destillation, also zur Reinigung des<br />

Wassers von gelösten Stoffen, mit sich führt. Ebenso gehen Kulturpflanzen ein, die man<br />

mit Meerwasser gießt: sie verwelken. Das Molekül H2O liegt im Meerwasser in einem<br />

Zustand vor, der für die meisten höheren Pflanzen unbrauchbar ist; die Meeresalgen<br />

sind jedoch an diesen Wasserzustand ebenso angepasst wie die Süßwasseralgen an<br />

denjenigen des Süßwassers.<br />

Der Begriff des Wasserhaushaltes ist jedoch für submerse Pflanzen des Meeres<br />

oder des Süßwassers völlig sinnlos; sie leben in einem weitgehend unveränderlichen<br />

Milieu, dessen Gehalt an Wassermolekülen sehr hoch ist und in dem der Zustand des<br />

Wassers, der hier ganz von den osmotisch wirksamen gelösten Stoffen abhängt, kaum<br />

schwankt. Bekanntlich sind die typischen Wasserpflanzen, die Algen, ihrem Milieu<br />

gegenüber sehr "offen": Sie bilden keinerlei Abschlussschichten aus, die Zellen stehen<br />

vielmehr in engem Kontakt mit der umgebenden Lösung, der sie Mineralstoffe,<br />

Kohlendioxid und Sauerstoff für ihren Stoffwechsel entnehmen. Die Algen können sich<br />

diese Offenheit leisten, da sie stets auf dem Wasserpotential ihres Milieus bleiben.<br />

6


Es gibt riesengroße Vertreter unter den Algen, etwa die Tiefseetange aus der<br />

Gruppe der Braunalgen. Wir können uns vorstellen, dass wir eine solche Pflanze an<br />

Land ziehen und wie einen Baum aufrichten, aber ihren Unterteil, mit dem sie im Sub-<br />

strat verankert ist, im Meerwasser belassen. Was wird geschehen? Nun, der Oberteil an<br />

Land wird in recht kurzer Zeit vertrocknen! Der Grund dafür ist zweifach: Der Tang hat<br />

kein adäquates Leitsystem für Wasser, und er ist nicht darauf eingerichtet, von trockener<br />

Luft statt von Wasser umspült zu werden, er hat also auch keine Abschlussschicht ge-<br />

gen die Luft, keine Cuticula. Die Situation, die bei der Kolonisierung des Landes durch<br />

Meerespflanzen zunächst geherrscht haben muss, war folgende: Algen der hohen See<br />

sind besonders wenig auf Schwankungen des Wasserzustandes in ihren Zellen vorbe-<br />

reitet, da sie von einer Lösung konstanten Salzgehaltes umspült werden. Hingegen<br />

finden sich im Brackwasser der Flussmündungen und in der Gezeitenzone, vor allem an<br />

Felsküsten, Arten, die einem häufigen Wechsel von konzentriertem und verdünntem<br />

Salzwasser ausgesetzt sind; Ebbe und Flut oder die Eindickung von flachen Gezeiten-<br />

tümpeln durch Verdunstung und ihre Aussüßung durch Regen können zu sehr raschem<br />

Wechsel des Wasserzustandes im Milieu führen. Die ersten vielzelligen Organismen, die<br />

an Land stiegen, waren Brackwasser-Grünalgen aus der Verwandtschaft der Charales<br />

(Armleuchter-Algen). Sie konnten sich zunächst wohl auf ihre protoplasmatische Resis-<br />

tenz gegen solche Schwankungen des Wasserzustandes verlassen, die auch schon in<br />

der Gezeitenzone vonnöten war. Da sie noch kein effizientes Leitsystem besaßen, konn-<br />

ten sie die Bodenwasservorräte schlecht ausbeuten. Sie und ihre ersten Abkömmlinge<br />

waren daher auf Niederschlagswasser angewiesen, das sie teilweise in ihrem Körper<br />

speichern konnten, und ihre Körpergröße war sehr beschränkt. In der heutigen Flora fin-<br />

den sich solche Lebensformen noch unter den Moosen (doch waren die ersten Land-<br />

pflanzen nicht so organisiert, dass wir sie heute unter die Moose einreihen würden,<br />

sondern eher sehr primitive Farne). Die Zahl der Lebensräume, die so besiedelt werden<br />

konnten, war jedenfalls klein, da nur die feuchtesten Bereiche in Frage kamen: Der<br />

größte Teil der Erde war im Silur noch Wüste, wenn auch ein "Feuchtwüsten" – Typ, der<br />

uns heute ziemlich unverständlich wäre.<br />

Höhere Pflanzen haben ihre Bedürfnisse nach Aufrechterhaltung eines gleich-<br />

mäßigen und günstigen Wasserzustandes auf drei parallelen Wegen zu erfüllen ver-<br />

sucht, die wir durchaus mit der Führung eines ordentlichen Haushalts vergleichen<br />

7


können:<br />

1) Sie haben die Ausgaben, also die Wasserabgabe an die Atmosphäre, durch einen<br />

ziemlich wasserundurchlässigen Überzug auf den oberirdischen Teilen eingeschränkt.<br />

Dieser Transpirationsschutz tritt uns in der Epidermis als Cuticula aus Cutin, im<br />

Periderm aber als Suberineinlage in den hintereinanderliegenden Zellen des Korks<br />

entgegen. Suberin und Cutin sind bekanntlich hochvernetzte Riesenmoleküle, die aus<br />

höheren Alkoholen und langkettigen Fettsäuren in Esterbindung bestehen. Eine<br />

Verhinderung der Transpiration durch eine solche Sperrschicht bedeutet aber auch eine<br />

starke Reduzierung des Durchtrittes anderer Gase. Davon ist auch das CO2 der Luft<br />

betroffen, das die Pflanze natürlich in großen Mengen benötigt, das aber nur in sehr<br />

geringer Konzentration in der Luft vorkommt. Die primären Hautgewebe, die Epidermen,<br />

verfügen daher über regulierbare Öffnungen im Cuticula-Überzug, die Stomata, sodass<br />

die Abgabe von Wasser und die CO2-Aufnahme optimiert werden können.<br />

2) Die Einnahmen an Wasser, also die Wasseraufnahme aus dem Boden, mussten<br />

gesteigert werden. Dazu wurden die Wasservorräte des Bodens durch ein weit- und<br />

tiefreichendes Wurzelsystem erschlossen. Diese Entwicklung erkauft die höhere Pflanze<br />

mit beträchtlichem Stoff- und Energieaufwand, da ja die Wurzeln selbst garnichts zur<br />

Photosynthese beitragen, aber große Mengen an organischem Material für ihren Aufbau<br />

und für ihren Energiestoffwechsel benötigen.<br />

3) Schließlich musste das Kapital an Wasser dort zum Einsatz gebracht werden, wo es<br />

am dringendsten benötigt wurde. Es wurde daher von den Kormophyten ein spezielles<br />

Fernleitsystem entwickelt, das eine Verteilung des Wassers im Körper und daher den<br />

Nachschub an Stellen erhöhten Bedarfs ermöglicht. Dieses Fernleitsystem ist das Xy-<br />

lem, und auch hier war wie bei der Cuticula der Einsatz eines neuartigen biochemischen<br />

Materials, nämlich des Lignins, erforderlich. Hochpolymere Lignine treten erstmals bei<br />

den Moosen auf, wo sie sich in lebenden Zellen finden. Ihre wahre Bedeutung haben<br />

diese Substanzen aber erst bei den Kormophyten erlangt.<br />

Ohne alle diese Maßnahmen sind Gewebe höherer Pflanzen an der Luft nicht<br />

lebensfähig. Man kann das einfach zeigen: Ein Zylinder aus fleischigem Gewebe, etwa<br />

aus dem Fruchtfleisch des Apfels oder aus der Kartoffelknolle, wird von der Basis her<br />

mit Wasser versorgt, indem man ihn in ein Potometer eindichtet, ein sehr altes Messin-<br />

strument zur Bestimmung der Wasseraufnahme.. Man könnte nun erwarten, dass sich<br />

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dieser Gewebezylinder wie eine intakte Pflanze verhält. Dann würde die Oberfläche<br />

Wasser abgeben, dieses würde von unten her nachgesaugt werden und der Meniskus in<br />

der engen Röhre würde sich verschieben. Als der Engländer Weatherley etwa 1965<br />

diesen kleinen Versuch beschrieb, war sein Erstaunen bemerkbar über das, was tat-<br />

sächlich passierte: Der obere Teil des Zylinders war nach 24 Stunden total verschrum-<br />

pelt und abgestorben; der untere Teil, der direkt ins Wasser eintaucht, war hingegen<br />

weiter turgeszent. Der Meniskus hatte sich kaum verschoben, es wurde also sehr wenig<br />

Wasser aus dem Gefäß entnommen. Facit: Die freigelegten Zellen des Parenchyms, die<br />

nicht mehr von der Hautschicht geschützt sind, geben in kurzer Zeit sehr viel Wasser an<br />

die trockenen Luft ab, können dieses aber nicht durch Nachleitung ersetzen. Obwohl<br />

also eine unserer "Maßnahmen", nämlich die gute Wasserversorgung, vorhanden ist,<br />

kann das Gewebe der höheren Pflanze ohne die beiden anderen, nämlich ausreichen-<br />

den Transpirationsschutz und effiziente Nachleitung, nicht überleben. Wenn man Gewe-<br />

beproben in einer "feuchten Kammer" mit 100% relativer Luftfeuchte aufbewahrt, dann<br />

überdauern sie lange Zeit; die Wasserabgabe und die Notwendigkeit der Nachleitung<br />

fallen ja dabei weg.<br />

Der Weg des Wassers<br />

Wasseraufnahme, Wassertransport und Wasserabgabe sollen uns zunächst<br />

beschäftigen. Sie sind die Grundlage für die Besprechung des Wasserzustandes im<br />

Inneren der Pflanze und der Reaktion von Zellen und Geweben auf Änderungen in die-<br />

sem Wasserzustand. Sie werden Lehrbücher finden, die diese drei Prozesse erst nach<br />

der Darstellung der Zellphysiologie des Wasserhaushaltes behandeln, also der Frage,<br />

was sich im Inneren des lebenden Protoplasten tut. Ich halte das aus zwei Gründen für<br />

verfehlt:<br />

1) Der Weg des Wassers durch den Pflanzenkörper verläuft sehr weitgehend aus-<br />

serhalb des Protoplasten, also durch den sogenannten Apoplasten; dabei ändert sich<br />

der Energieinhalt des Wassers, und das hat entscheidende Bedeutung für die Verwert-<br />

barkeit des Wassers durch lebende Zellen.<br />

2) Dieser veränderte Wasserzustand der Gesamtpflanze prägt sich den lebenden Zellen<br />

in Form seiner Messgröße, des Gesamtwasserpotentials Ψt, auf, wird aber nur wenig<br />

von ihnen beeinflusst.<br />

9


Die Reise der Wassermoleküle durch das Kontinuum aus Boden, Pflanze und At-<br />

mosphäre, das "soil-plant-atmosphere continuum" (oder SPAC) beginnt im Boden. Der<br />

Wasserhaushalt des Bodens ist ein eigenes, sehr kompliziertes Forschungsgebiet,<br />

dessen Ergebnisse wir hier nur kurz berühren können. Der Boden enthält ein System<br />

aus kleineren und größeren Kapillaren, das von oben her, durch Regen und schmel-<br />

zenden Schnee, mit Wasser versorgt wird. Das Wasser folgt der Schwerkraft und si-<br />

ckert in tiefere Schichten ab, bis es den Grundwasserspiegel erreicht. Die kapillaren<br />

Hohlräume halten aber einen Teil des Niederschlagswassers als Haftwasser fest. Wie-<br />

viel das prozentuell ist, und wieviel andererseits als Senkwasser zum Grundwasser<br />

durchsickert, hängt von der Porenart und der Porengrößenverteilung des Bodens ab.<br />

Larcher gibt eine Faustregel an: Poren mit einem Durchmesser bis zu 0.01 mm (ein<br />

hundertstel Millimeter, 10 μm) halten das Wasser fest, auch wenn sie senkrecht ste-<br />

hen, gröbere Poren über 0.06 mm lassen es rasch durchsickern. Das Speicherungs-<br />

vermögen für Wasser wird also je nach der Bodenart verschieden sein. Man kann nun<br />

jene Wassermenge messen, die ein bestimmtes Bodenvolumen gegen die Schwerkraft<br />

zurückhalten kann, die also in den Kapillaren gebunden ist. Man nennt diese Größe die<br />

Wasserkapazität des Bodens und gibt sie in g H20 pro 100 ml Bodenvolumen an. Je<br />

feinkörniger ein Boden ist und je mehr kolloide und organische Substanzen er enthält,<br />

desto mehr Wasser speichert er so. Die Wasserkapazität wächst also in der Reihen-<br />

folge vom Sand über den Lehm zum Ton und zum Moorboden. Je trockener ein be-<br />

stimmter Boden ist, desto fester hält er das Wasser; mit den dabei auftretenden Er-<br />

scheinungen wollen wir uns aber erst später befassen. Uns geht es zunächst rein qua-<br />

litativ um den Weg des Wassers. - Wir können also jetzt einmal annehmen, dass sich<br />

die Pflanzenwurzel in einem wassergesättigten Boden oder in einem Gefäß mit Nähr-<br />

lösung befindet, wo auch der Ersatz von Wasser, das die Wurzeln aufnehmen, rasch<br />

und weitgehend "reibungslos" vor sich geht.<br />

Dieses Wasser tritt nun in den Pflanzenkörper ein, und zwar überwiegend in der Ab-<br />

sorptionszone der Wurzel, die sich in den ersten Zentimetern nach der Spitze befindet.<br />

Man hat allerdings festgestellt, dass auch die verkorkten älteren Teile der Primärwurzeln<br />

und sogar Wurzeln im sekundären Dickenwachstum sich an der Wasseraufnahme betei-<br />

10


ligen können. Besonders bei Bäumen kann der Beitrag älterer Wurzelabschnitte trotz<br />

der Verkorkung sehr bedeutend sein. Natürlich ist die Wasserdurchlässigkeit weit gerin-<br />

ger und der Widerstand gegen den Wassertransport daher viel höher, doch ist anderer-<br />

seits auch die Oberflächentwicklung aller verkorkten Teile des Wurzelsystems zusam-<br />

men weit größer als die Gesamtoberfläche der frischen, jungen Wurzelspitzen. Sie kann<br />

über 99% der Gesamtoberfläche betragen! Daher ist auch die Summationswirkung ge-<br />

ringer Wassermengen pro Flächeneinheit beträchtlich, und man schätzt den Beitrag der<br />

älteren Oberflächenteile zur gesamten Wasserabsorption in Extremfällen, etwa bei alten<br />

Föhren in nassen Böden, auf weit über 50%. Es ist allerdings nicht ganz klar, ob das<br />

Wasser hier wirklich direkt durch die verkorkten Zellwände diffundiert, oder ob nicht<br />

Störstellen, wie etwa die Durchbruchstellen von Seitenwurzeln oder sonstige Löcher,<br />

den Hauptweg bieten.<br />

Wie dem auch sei, ob das Wasser nun zunächst die Wurzelhaare der Rhizodermis<br />

erreicht oder die dünne Schicht verkorkter Zellen an der älteren Wurzeloberfläche durch-<br />

quert: Auf jeden Fall folgt eine Wegstrecke durch ein parenchymatisches Gewebe, näm-<br />

lich die Wurzelrinde einschließlich der Endodermis. Der Transportweg durch Paren-<br />

chyme ist nicht leicht zu studieren und wird daher immer wieder diskutiert.<br />

Im Prinzip kommen die folgenden drei Wege in Frage:<br />

1) Der Vakuolenweg: Hier dringt das Wasser aus den Zellwänden in die Vakuolen der<br />

Epidermiszellen ein, indem es das Plasmalemma und den Tonoplasten durchquert.<br />

Dann tritt es auf der anderen Seite durch Tonoplast und Plasmalemma wieder aus.<br />

Beim Weg von Vakuole zu Vakuole quert jedes Wassermolekül auf diesem Weg zwei-<br />

mal das Protoplasma einschließlich der beiden Hautschichten, und einmal die Zellwand.<br />

Der Weg führt auf diese Weise bis in den Zentralzylinder, und schließlich aus den Leit-<br />

parenchymzellen in die Gefäße. Auf diesem Weg würden wohl die Biomembranen, also<br />

Plasmalemma und Tonoplast, die größten Widerstände darstellen.<br />

2) Der Zellwand-Endodermis-Weg: Hier wandert das Wasser durch die Wände der Rhi-<br />

zodermis und der Wurzelrinde. Wie wir uns erinnern, sind die Radialwände der Endoder-<br />

mis durch den Casparyschen Streifen undurchlässig für Wasser geworden, hier muss<br />

das Wasser also durch das Plasmalemma treten und in das Protoplasma eindringen.<br />

Nach der Endodermis könnte dann wieder der Zellwandweg für den Weitertransport<br />

11


enützt werden. Auf dem gesamten Weg würden entweder die lange Leitstrecke durch<br />

die Wand oder das Plasmalemma der Endodermiszellen den Hauptwiderstand darstel-<br />

len.<br />

3) Der Symplasten-Weg: Unter dem Symplasten versteht man bekanntlich die Gesamt-<br />

heit des Protoplasmas, das durch Plasmodesmata (also Plasmastränge, die die Wand<br />

durchsetzen) über die Zellgrenzen hinweg verbunden ist. Das Wasser würde auf diesem<br />

Weg zuerst einmal aus der Wand in das Protoplasma der Epidermis oder einer Zelle des<br />

Rindengewebes eindringen. Sobald es die Plasmalemma-Barriere überwunden hat,<br />

bleibt es im Protoplasma-Wandbelag der Zellen zwischen Plasmalemma und Tonoplast<br />

und strömt durch die Plasmodesmata von einer Zelle in die andere. Die Endodermis<br />

kann auf diese Weise ohne Behinderung durch den Casparyschen Streifen gequert wer-<br />

den, und das Wasser erreicht die letzten Parenchymzellen, die um die Gefäße liegen.<br />

Hier tritt es wieder aus dem Plasmalemma aus und geht in das Lumen der toten Tra-<br />

cheen oder Tracheiden über. Für den Sitz des Hauptwiderstandes gibt es hier drei Alter-<br />

nativen: Die beiden Biomembranen, die beim Ein- und Austritt gequert werden müssen,<br />

die dünne und von zähem Protoplasma erfüllte Wegstrecke in den Protoplasten, und die<br />

Plasmodesmen, die ja nur ungefähr 1% der Zellwandfläche einnehmen.<br />

Welche Bedeutung hat nun jeder der drei Wege? Im Prinzip sind zweifellos sowohl<br />

der Weg durch die Vakuolen als auch der durch den Symplasten und der durch Zell-<br />

wand und Endodermis gangbar. Überall finden sich ja Wassermoleküle. Und da sich auf<br />

jedem dieser Wege Wasser bewegen kann, so muss es das auch tun. Die Gesetze der<br />

Hydrodynamik entsprechen nämlich denen beim Fluss von elektrischem Strom. In die-<br />

sem Fall beschäftigen wir uns mit einem Wasserstrom, der von einer einheitlichen Quel-<br />

le, dem Boden, auf drei parallelen Wegen zu einem einheitlichen Endpunkt, dem Xylem,<br />

führt. Dafür gilt eine einfache Regel, die sich aus den Kirchhoff'schen Sätzen der Elektri-<br />

zitätslehre ableiten läßt: Die Stromstärken (f) in den Ästen einer Stromverzweigung ver-<br />

halten sich umgekehrt proportional zu den Widerständen (r):<br />

F (Gesamtfluss, V.t -1 ) = f1 + f2 + f3 (Teilflüsse)<br />

f1 : f2 : f3 = 1/r1 : 1/r2 : 1/r3<br />

12


Welche Experimente sind nun gemacht worden, um die Teilflüsse oder die Widerstän-<br />

de zu messen und damit eine Entscheidung über den Hauptweg des Wassers in den<br />

Parenchymen zu treffen? Man hat zunächst sehr rasch festgestellt, dass der Wasser-<br />

fluss quer durch die Wurzel an irgendeiner Stelle durch das Protoplasma gehen muss.<br />

Die einfachste Methode zum Nachweis dieser Tatsache ist es, Wasser quer durch eine<br />

Wurzel zu bewegen und die Temperatur zu variieren. Man hat also Wurzeln abgeschnit-<br />

ten und einen Druckunterschied zwischen der Außenlösung und dem Xylem erzeugt,<br />

etwa durch Saugung. Wenn man die Lösung außen abkühlte, nahm die transportierte<br />

Menge ab. Das ist auch bei leblosen Systemen so, da die Viskosität oder Zähigkeit des<br />

Wassers bei tiefer Temperatur steigt; damit erhöht sich auch die Reibung, und der Was-<br />

serfluss nimmt ab. Nun zeigt sich aber, dass eine Temperaturabnahme im lebenden<br />

System der Wurzel weit stärker wirkt, als durch die Viskositätserhöhung allein erklärbar<br />

wäre. Statt einem Rückgang auf die Hälfte bei Absenkung der Temperatur von 20 Grad<br />

auf 5 Grad (als Folge einer Steigerung der Viskosität auf das Doppelte) ergaben die<br />

Experimente einen Rückgang des Flusses auf ein Drittel oder ein Viertel. Das läßt sich<br />

nur mit dem Vorhandensein von lebendem Protoplasma an irgendeiner Stelle des We-<br />

ges erklären. Auch Stoffwechsel-Hemmstoffe (Inhibitoren), etwa CO2 oder andere At-<br />

mungshemmer, zeigen eine starke Wirkung, die Transportgeschwindigkeit nimmt unter<br />

ihrem Einfluss scharf ab.<br />

Diese Ergebnisse sind wichtig, aber sie beantworten leider unsere Frage nicht wirk-<br />

lich. Alle drei alternativen Wege gehen ja an mindestens einer Stelle durch Plasma-<br />

membranen, nämlich in den Zellen der Endodermis. Es kamen also recht bald Versu-<br />

che, den Hauptweg durch Markierung zu kennzeichnen, und zwar mit Hilfe von Farbstof-<br />

fen, durch die Ionen eines Schwermetalles (meist Pb) oder durch radioaktive Substan-<br />

zen.<br />

Einer der ersten Forscher auf diesem Gebiet war der Kärntner Siegfried STRUGGER,<br />

der in Deutschland Professor war und in den frühen Dreißigerjahren mit Fluoreszenz-<br />

farbstoffen experimentierte. Er konnte in Blättern direkt beobachten, wie sich Farbstoffe,<br />

die über den abgeschnittenen Blattstiel angeboten werden, rasch entlang der Wände<br />

ausbreiten. Sie dringen aber nicht in die Zellen ein. Man hat diese Ergebnisse lange für<br />

13


einen eindeutigen Beweis zu Gunsten des Zellwandtransportweges gehalten; das ist<br />

aber ein Denkfehler! Das bloße Verteilungsmuster beweist in Wirklichkeit herzlich wenig.<br />

Die Markierungssubstanzen sind sehr große Farbstoffionen mit Säuregruppen, Schwer-<br />

metallionen oder radioaktiv markierte organische Moleküle. Alle diese Substanzen sind<br />

hydrophil, also gut wasserlöslich, und lipophob, also wenig löslich in fettartigen Substan-<br />

zen. Nun sind aber Plasmamembranen für lipophobe Stoffe sehr schwer zu durchdrin-<br />

gen, eine Aufnahme in den Symplasten kommt für sie gar nicht in Frage. Sie bleiben<br />

also in der Zellwand zurück, auch wenn die Wassermoleküle in das Protoplasma ein-<br />

dringen. Wenn dann irgendeine Wasserbewegung, und sei sie noch so klein, in den<br />

Zellwänden stattfindet, dann wird sie die Markierungssubstanzen mitschleppen müssen.<br />

Diffusionsvorgänge können sogar gegen die Hauptrichtung der Wasserausbreitung<br />

verlaufen. Tatsächlich ist schon sehr früh, nämlich 1944 durch Maria HÜLSBRUCH, der<br />

Nachweis geführt worden, dass sich ein Farbstoff selbst gegen den Wasserstrom aus-<br />

breiten kann. Die Autorin bot einer Wurzel den Fluoreszenzfarbstoff Berberinsulfat an<br />

und beobachtete die Geschwindigkeit der Ausbreitung im Rindenparenchym. Es waren<br />

keine Unterschiede festzustellen, wenn durch die Wurzel kein Wasser floss, wenn Was-<br />

ser in die Wurzel strömte und sogar, wenn Wasser aus der Wurzel (in Richtung einer<br />

Zuckerlösung) ausströmte. M.J. CANNY hat 1990 eine gründliche Studie über die Was-<br />

serbewegung in den Parenchymen von Blättern veröffentlicht, die diese Probleme bei<br />

der Verwendung von Markierungssubstanzen genau analysiert. Auch er findet die Sub-<br />

stanz, in diesem Fall den Farbstoff Sulforhodamin, nur in den Zellwänden. Er beobachtet<br />

jedoch, dass die Konzentration des Farbstoffes in den Zellwänden an bestimmten Stel-<br />

len sehr hoch wird, so dass sogar Farbstoffkriställchen ausfallen, und nimmt an, dass<br />

dort der Wasserstrom in Symplasten verschwindet, während die gelösten Stoffe in den<br />

Zellwänden verbleiben. Er postuliert daher, dass ein beträchtlicher symplasmatischer<br />

Transport von Wasser möglich ist, und bringt dafür eine Anzahl von schönen Beweisen.<br />

Die gelösten Stoffe, also auch die Nährstoffionen, hingegen sollen sich durch Diffusion<br />

auf dem bekannten Zellwandweg ausbreiten. In letzter Zeit zeigt sich, dass die Aquapo-<br />

rine (Membranproteine, die eine hohe Wasserpermeabilität ermöglichen) besonders in<br />

der Wurzel sehr stark exprimiert werden (Javot und Maurel 2002). Sie könnten das<br />

Wasser an ganz bestimmten Stellen in den Symplasten eindringen lassen.<br />

14


Man könnte vielleicht fragen, warum man nicht das Wasser selbst radioaktiv markiert;<br />

tatsächlich ist das auch versucht worden. Tritiiertes Wasser mit dem Isotop 3 H, kurz<br />

THO, wurde den Wurzeln angeboten. Herausgekommen ist für unser Problem nicht viel:<br />

Wenn man die Wurzel aus der Lösung nimmt, um sie zu fixieren, hört zwar der Massen-<br />

strom auf, aber die Diffusion der Moleküle geht weiter. Und diese Diffusion, die Vertei-<br />

lung der Moleküle unter dem Einfluss der Wärmebewegung, ist sehr rasch, weil ja das<br />

normale und das tritiierte Wasser infolge ihrer niedrigen Molekulargewichte leicht durch<br />

die Zellmembranen treten. Die ursprünglichen Wege, auf denen sich der Hauptstrom<br />

des Wassers bewegt, bleiben also nicht erkennbar, Zellwand, Protoplasma und Vakuole<br />

werden überall gleichmäßig radioaktiv markiert.<br />

Man hat neben direkten Versuchen zur Markierung des Wasserstromes auch indirek-<br />

te Argumente herangezogen. Man hat berechnet, welche Widerstände von typischen<br />

Plasmamembranen oder Zellulosewänden eigentlich zu erwarten wären und das mit den<br />

Widerstandswerten der Wurzel, die man messen kann, verglichen. Um es kurz zu ma-<br />

chen: Nur wenige Leute halten heute noch die Widerstandswerte auf dem Vakuolenweg<br />

für so gering, dass er einen bedeutenden Beitrag zum Wassertransport in Parenchymen<br />

liefern könnte, die Berechnungen bevorzugen den Zellwand-Endodermis-Weg, aber der<br />

Symplastenweg (der Weg innerhalb des Protoplasmas und durch die Plasmodesmen)<br />

scheint auch nach diesen Überlegungen durchaus in der Lage, quantitativ bedeutsame<br />

Beiträge zu liefern. Ich möchte nochmals betonen, dass es hier nicht um Gegensätze<br />

von Typ "Alles oder nichts" geht! Das Wasser bewegt sich (zum Unterschied von den<br />

darin gelösten Stoffen) sicher auf allen drei parallelen Wegen. Fraglich ist nur der quan-<br />

titative Beitrag jedes der drei Wege, und vielleicht müssen wir hier sogar mit Unterschie-<br />

den zwischen unterschiedlichen Wurzelbautypen, zwischen Pflanzen verschiedener<br />

systematischer Stellung und zwischen verschiednen ökologischen Situationen rechnen.<br />

Das Wasser hat also nun unter Benützung dieser drei Wege die Leitparenchymzellen<br />

erreicht und tritt aus ihnen in Tracheiden und Tracheen des Wurzelxylems über. Be-<br />

kanntlich erfüllen diese Leitelemente ihre Rolle im allgemeinen im toten Zustand, also<br />

erst nach der Degeneration des Protoplasten am Ende der völligen Ausdifferenzierung.<br />

Nun ist aber gerade die Zone der stärksten Wasseraufnahme, die die Wurzelhaare trägt,<br />

auch jene Zone, in der erst die Ausdifferenzierung von Xylemelementen stattfindet. Ihr<br />

15


Name ist ja sogar "Differenzierungszone"! Da die Differenzierung der Leitelemente im<br />

Zentralzylinder von außen nach innen fortschreitet, müssen wir annehmen, dass neben<br />

toten, bereits voll ausgebildeten Leitelementen in der Zone der Wurzelhaare auch noch<br />

lebende Tracheiden und Gefäßglieder mit protoplasmatischem Wandbelag vorhanden<br />

sind. Ob sich diese unreifen Elemente irgendwie am Transport des Wassers beteiligen,<br />

ist nicht ganz klar. Manche Leute vermuten, dass sie eine spezielle Rolle bei der Ein-<br />

schleusung der Nährionen in den Wasserstrom des Xylems spielen. Das könnte sich so<br />

abspielen: Der Transport von essentiellen Mineralstoffen, der ja symplasmatisch erfolgt,<br />

könnte bis in die noch lebenden Tracheiden und Gefäßglieder gehen. Wenn dann der<br />

Protoplast abstirbt, befinden sich diese Nährelemente ohne Aufwand von zusätzlicher<br />

Energie für aktives Ausschleusen durch das Plasmalemma im Apoplasten.<br />

Wir sind jetzt an einer wichtigen Stelle im Transportweg angelangt: Der Radialtrans-<br />

port in der Wurzel ist zu Ende, er geht bei Erreichen der Tracheen und Tracheiden des<br />

Xylems in einen Axialtransport über. Dieser findet in toten Elementen statt, in denen das<br />

Wasser unter Zugspannungen von erstaunlicher Höhe steht, wie Sie ja wissen. Eine<br />

technische Saugpumpe kann maximal einen Sog von 1 bar herstellen, während in den<br />

toten Xylemelementen viele Dutzend bar an Unterdruck herrschen. Sie wissen sicher,<br />

was passiert, wenn man an einem zu dünnen Schlauch mit einer Vakuumpumpe saugt:<br />

Er kollabiert, und die Leitung wird unterbrochen. Und das geschieht, obwohl die Druck-<br />

differenz nur die zwischen äußerem Luftdruck und einem Vakuum ist, also rund 1 bar<br />

beträgt! Nun ist ja die Struktur von lebenden Pflanzenzellen durchaus auf Festigkeit<br />

gegen Druck angelegt, jedoch gegen Überdruck. Die Zellulosewand ist gebaut wie ein<br />

Netz, gegen das von innen ein "Ballon" (der prall mit Wasser gefüllte Protoplast) drückt.<br />

Um hieraus eine Struktur mit Festigkeit gegen Unterdruck zu entwickeln, musste etwas<br />

entscheidend Neues erfunden werden, nämlich das Prinzip der Lignifizierung. Das drei-<br />

dimensionale Netzwerk dieser hochpolymeren Substanz verleiht den Wänden hohe<br />

Druckfestigkeit.<br />

Welche Drücke können aber eigentlich im Xylem auftreten? Lange war es unbe-<br />

stritten, dass negative Drücke, also Spannungen von vielen Dutzend bar möglich sind.<br />

Erst im Jahre 1994 sind (wieder einmal) gegenteilige Ansichten geäußert worden. A. M.<br />

SMITH publizierte eine Arbeit, in der er auf Grund theoretischer Überlegungen die Mei-<br />

16


nung vertritt, dass die Wassersäule im Xylem noch bei einer Spannung von weniger als<br />

1 MPa (10 bar) abreißen müßte. Seine Argumente sind aber nicht überzeugend, und<br />

Experimente hat er nur an Glaskapillaren mit einem Durchmesser von 3 mm durchge-<br />

führt. Wir wollen einstweilen annehmen, dass die alte Ansicht stimmt. Später werden wir<br />

uns noch mit dieser Frage beschäftigen.<br />

Die eigentliche Xylemleitung findet, wie schon gesagt, in den toten Tracheen und Tra-<br />

cheiden statt. Das Xylem enthält aber bekanntlich daneben auch noch lebende Holzpar-<br />

enchymzellen, die bei den Dikotylen oft wie ein Mantel um die einzelnen Gefäße oder<br />

um Gefäßgruppen liegen. Man hat am Ende des 19. Jahrhunderts längere Zeit ange-<br />

nommen, dass sich diese lebenden Zellen am Wassertransport beteiligen. Der Grund<br />

lag darin, dass man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, wie Wasser rein passiv in<br />

Höhen von über 10 m gesaugt werden könnte; man forderte also eine Druckpumpe, und<br />

die hätte wohl nur von lebenden Zellen aufgebaut werden können. Nun zeigte aber<br />

STRASBURGER bereits 1891, dass der Wassertransport im Xylem ohne lebende Zellen<br />

vor sich geht: Er schnitt einen ganzen Baum ab und ließ ihn eine hochgiftige Lösung von<br />

Kupfersulfat aus einem Kübel aufsaugen. Das Gift stieg bis zu den transpirierenden<br />

Blättern auf und tötete diese, obwohl natürlich die lebenden Zellen des Holzes im unte-<br />

ren Teil des Baumes schon weit früher abgestorben sein mussten. Ebenfalls am Anfang<br />

der Neunzigerjahre des vorvorigen Jahrhunderts ging Josef BOEHM noch radikaler vor:<br />

Er tötete große Koniferenzweige und Zweige von hartlaubigen Dikotylen durch Über-<br />

brühen mit Wasser von 95 Grad und stellte sie dann mit ihrem unteren Ende in Wasser.<br />

Und siehe da, die toten Blätter gaben Wasser ab, und zwar mehr und durch längere Zeit<br />

als die lebenden Kontrollen, die daneben standen. Warum? Weil die lebenden Äste<br />

Wundreaktionen erleiden, welche die Leitfähigkeit herabsetzen, etwa Thyllenbildung bei<br />

den Dikotylen, und weil auch die Stomata auf die unnatürliche Situation reagieren. So<br />

etwas gibt es in den abgetöteten Zweigen und Blättern natürlich nicht mehr.<br />

Der Fluss im Xylem ist also ein rein physikalischer Massenstrom, der den Gesetz-<br />

mäßigkeiten für die Bewegung von Flüssigkeiten in engen Kapillaren gehorchen muss.<br />

Zur Charakterisierung des Leitweges brauchen wir daher Informationen über<br />

a) seine Längenerstreckung und die entlang ihr auftretenden Abzweigungen und<br />

Verschmelzungen von Seitenwegen<br />

17


) seine Querschnittsfläche an verschiedenen Stellen und<br />

c) den Bau der leitenden Elemente und die damit verbundenen Widerstände.<br />

Beginnen wir mit den krautigen Pflanzen. Hier ist der Leitweg durch die Wurzel im<br />

Normalfall ziemlich problemlos. Das Xylem ist in zentral gelegenen Strängen angeord-<br />

net; die äußere Länge der Wurzel ist daher gleich der Gesamtlänge des Xylems. Der<br />

Leitweg, der aus den dünnen Haarwurzeln kommt, vereinigt sich zu immer dickeren<br />

Röhren mit einer größeren Zahl von Xylemelementen. Jede dieser Verzweigungsstellen<br />

bildet eine Diskontinuität, eine Störstelle, mit der möglicherweise auch besondere Wider-<br />

stände verbunden sind. Dafür sprechen analoge Erscheinungen an den Stamm-<br />

verzweigungen, über die wir gute Messungen haben. Leider gibt es solche Messungen<br />

an der Wurzel, dem unbekannten Wesen, noch nicht!<br />

Schließlich erreicht das Wasser auf diesem Weg die Hauptwurzel und tritt am Wur-<br />

zelansatz in den Stamm über. In diesem Bereich des Pflanzenkörpers gruppieren sich<br />

bei krautigen Pflanzen die Gefäßbündel radikal um. Das zentral gelegene radiäre Bündel<br />

wird aufgelöst, die Xylemstränge werden auf peripher gelegene oder zumindest ziemlich<br />

gleichmäßig über den Querschnitt verteilte kollaterale Bündel aufgeteilt. Wieder ist dies<br />

zweifellos eine Diskontinuität, aber der Einfluss auf die Leitfähgkeit des Xylems ist nicht<br />

untersucht worden. Es gibt also noch viele Aufgaben für eine "funktionelle Anatomie",<br />

besonders in Hinblick auf den Wasserhaushalt der Wurzel und des krautigen Stammes.<br />

Wir werden noch sehen, dass man hier bei der Analyse der Verhältnisse im Holz von<br />

Bäumen schon weiter ist.<br />

In Pflanzen ohne sekundäres Dickenwachstum, also in vielen Kräutern und auch in<br />

den baumförmigen Monokotylen, etwa den Palmen, liegen die Einzelbündel in das<br />

Grundgewebe eingebettet und bilden ein dreidimensionales Netzwerk, das meist sehr<br />

kompliziert ist. Zum Beispiel hat der Querschnitt der Kokospalme mehrere zehntausend<br />

Gefäßbündel! Es ist leicht einzusehen, dass die klassischen Methoden der Unter-<br />

suchung, etwa die Mikroskopie von Serienschnitten, hier versagen müssen. Man kann ja<br />

damit weder den vertikalen Verlauf der Bündel über lange Strecken verfolgen, noch gar<br />

feststellen, ob in den komplizierten Verzweigungs- und Verschmelzungsvorgängen der<br />

Bündel irgendeine Regelmäßigkeit herrscht. Martin ZIMMERMANN und Peter TOMLIN-<br />

SON entwickelten hier völlig neue Methoden. Sie spannten einen Stamm in ein Mikro-<br />

18


tom und begannen mit der Herstellung von Schnitten. Nach jedem Schnitt photogra-<br />

phierten sie die neu hergestellte Schnittfläche mit einer Kamera, die fix über dem Mikro-<br />

tom montiert war, und zwar auf einem Kinofilm. Alternativ kann man so auch die abge-<br />

tragenen Schnitte im Durchlicht photographieren, nachdem sie in einem Mikroskop ge-<br />

nau justiert wurden. In beiden Fällen erhält man schließlich einen Film, der zwar wenig<br />

Handlung zeigt, aber dennoch für den Liebhaber recht aufregend ist. Hier wird eine der<br />

drei Dimensionen des Raumes in die Dimension der Zeit verwandelt: Man sieht Struktu-<br />

ren, die in der Vertikalen über- oder untereinander liegen, zeitlich nacheinander. Man<br />

erhält auf diese Weise den zwingenden Eindruck, in die innere Landschaft eines Stam-<br />

mes hineinzufahren. Das ergibt völlig neue Einsichten in den Bau des Stammes und<br />

besonders (was uns hier natürlich am meisten interessiert) der Leitwege. Es zeigt sich<br />

dabei, dass ein solches Palmenbündel auf seinem Wege in sehr regelmäßiger Weise<br />

Brücken zu anderen Bündeln ausbildet und mit wieder anderen Bündeln, nämlich vor<br />

allem den von außen her einmündenden Blattspurbündeln, verschmilzt. Es ist nur zu<br />

bedauern, dass derartige Analysen, die ja trotz aller technischen Hilfsmittel sehr müh-<br />

sam sind, bis jetzt nur von Monokotylen und von dikotylen Bäumen vorliegen, nicht aber<br />

von dikotylen Kräutern. Die Stellen, wo Bündel verschmelzen oder sich verzweigen, vor<br />

allem die Knotenbereiche, in denen die Blattspurbündel abzweigen, scheinen nämlich<br />

eine ziemliche Wichtigkeit für den Wassertransport zu besitzen. Hier geht anscheinend<br />

nicht alles so glatt wie im unverzweigten Bereich des Bündels: Die Verzweigungs- und<br />

Verschmelzungsstellen enthalten oft keine Tracheen, sondern kurze und dünne Proto-<br />

xylemtracheiden, die natürlich einen weit größeren Widerstand für die Wasserleitung<br />

bedeuten. Wir werden später Experimente kennenlernen, die die Wichtigkeit dieser<br />

Übergangsstellen vom Stamm zum Blatt beweisen.<br />

Man könnte nun annehmen, dass diese im Stamm der krautigen Pflanzen so kom-<br />

plizierte Situation höchst einfach wird, sobald einmal das sekundäre Dickenwachstum<br />

eingesetzt hat. Dann haben wir ja nicht mehr zahlreiche, vielfältig verzweigte und mitein-<br />

ander verschmelzende Bündel vor uns, sondern einen einheitlichen Zylindermantel aus<br />

Holz. Man könnte sich vorstellen, dass hier das Wasser völlig unproblematisch auf-<br />

steigen kann, indem es einfach den kürzesten, senkrechten Weg von unten nach oben<br />

nimmt. Dem ist aber nicht so.<br />

19


Es gibt bereits Untersuchungen über den Weg des Wassers im Holzkörper aus sehr<br />

frühen Tagen der Wasserhaushaltsforschung. Dabei kommt eine Technik zu Ehren, die<br />

ich früher bei der Untersuchung des Wassertransportes in der Wurzelrinde als un-<br />

brauchbar bezeichnet habe, nämlich die Markierung des Wasserstromes durch beige-<br />

mischte Farbstoffe. Im Holz gibt es ja für das Wasser keine Wahl zwischen Wegen, die<br />

innerhalb und außerhalb von Biomembranen verlaufen. Der Farbstoff kann also nicht an<br />

der Benützung von Wegen gehindert werden, die der Wasserstrom benützen kann,<br />

sondern er markiert alle Wege, durch die das Wasser geht. Meist wird heute der rote<br />

Farbstoff Säurefuchsin oder eine im UV fluoreszierende Substanz, zum Beispiel Berbe-<br />

rinsulfat, verwendet. Man löst eine entsprechende Menge davon in Wasser und bringt<br />

die Lösung in den Pflanzenkörper. Dafür eignen sich zwei Verfahren:<br />

1) Man injiziert mit einer groben Injektionsnadel die Farbstofflösung in den Stamm, oder<br />

(was eleganter ist)<br />

2) man legt eine Wurzel frei, taucht sie in die Farblösung und schneidet sie unter der<br />

Oberfläche ab.<br />

Nach einigen Tagen der Markierung wird der Stamm in dezimeterdicke Scheiben zer-<br />

schnitten und man studiert die Verteilung des Farbstoffes oberhalb der Injektionsstelle<br />

oder der Einmündung der markierten Wurzel. In den letzten Jahrzehnten wurden mit<br />

dieser Technik einige größere Arbeiten durchgeführt, und zwar von Arbeitsgruppen um<br />

VITÉ, KOZLOWSKI und WAISEL, sowie von Martin ZIMMERMANN und seiner Schule.<br />

Auch Prof. SCHÖNTHALER an unserer Universität hat sich mit dieser Methode beschäf-<br />

tigt. Wir kommen darauf zurück.<br />

Es zeigt sich, dass die Aufwärtsbewegung des Wassers bestimmten Mustern folgt,<br />

die von Art zu Art verschieden sind. Es lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden: der<br />

sektorielle Aufstieg des Wassers (sectorial ascent) und der spiralige Aufstieg (spiral<br />

ascent). Beim sektoriellen Typ bleibt der Farbstoff auf jene Jahrringe beschränkt, in die<br />

er eingebracht wurde. Flache Einstiche oder junge Wurzeln markieren also nur wenige<br />

Jahrringe. Die Farbe steigt entweder ganz gerade auf, oder die Bahn windet sich in<br />

engeren oder weiteren Schraubenlinien um den Stammumfang. Die schmale Zone der<br />

Infiltration kann sich dabei seitlich im Jahrring ausbreiten, so dass ein immer größerer<br />

Teil des Umfanges von ihr erfasst wird; dies kann soweit gehen, dass es schließlich zum<br />

20


ingförmigen Aufstieg der Farbstofflösung kommt, die aber immer noch auf die injizierten<br />

Jahrringe beschränkt bleibt. Der spiralige Typ hingegen zeigt eine allmähliche Verteilung<br />

der Färbung über die Querschnittsfläche des Splintholzes.<br />

Was haben diese Typen nun in physiologischer und ökologischer Hinsicht zu bedeu-<br />

ten? Physiologisch ist eines klar: Die Hauptmenge des Wassers folgt von einem be-<br />

stimmten Punkt des Holzes her immer dem Weg des geringsten Widerstandes hin zur<br />

transpirierenden Blattfläche. Wenn der injizierte Farbstoff daher auf bestimmte Teile der<br />

Querschnittsfläche in einem Stamm beschränkt bleibt, denn bedeutet das, dass der Aus-<br />

tausch von Wasser zwischen aneinandergrenzenden Tracheen- und Tracheidenbahnen<br />

gar nicht so leicht ist. In der Tat sind die Widerstände für den Quertransport etwa 50x<br />

größer als für den Längstransport! Die Diffusion durch die Längswände der langen Röh-<br />

ren ist daher quantitativ viel kleiner als der Strom in axialer Richtung. Selbst dort, wo<br />

schließlich eine allmähliche Umverteilung des Farbstoffes stattfindet, also am aus-<br />

geprägtesten beim spiraligen Typ, scheint eher eine Verzweigung und Umgruppierung<br />

der individuellen Leitbahnen einzutreten, als dass der bloße Wasseraustausch zwischen<br />

aneinanderstoßenden Bahnen anzunehmen wäre. Der so einheitlich aussehende Holz-<br />

körper eines Baumes ist also in Wirklichkeit überhaupt nicht simpel: Er entspricht viel-<br />

mehr einer Ansammlung kompliziert angeordneter, verzweigter und untereinander wie-<br />

der verbundener Röhren in dichter Packung.<br />

Ökologische Faktoren scheinen Einfluss auf die Standortsverteilung der Typen des<br />

Wasseraufstieges zu haben. WAISEL und seine Mitarbeiter untersuchten die in Israel<br />

vorkommenden Holzpflanzen. Dabei fanden sie, dass sämtliche Sträucher, die ja unter<br />

mediterranen Bedingungen oder gar an Wüstenstandorten an Wassermangel angepasst<br />

sein müssen, einen sektoriellen Wasseraufstieg zeigen. Der Vorteil ist nach Meinung der<br />

Autoren darin zu sehen, dass hier das Wasser, das von einer Wurzel kommt, einem<br />

ganz bestimmten Ast zugeleitet wird. Sobald eine Wurzel auf Wasser stößt, geht es<br />

"ihrem" Ast gut, er kann kräftig wachsen und sich verzweigen; findet die Wurzel nichts,<br />

dann stirbt der Ast rasch ab und verbraucht kein Wasser, das von anderen Wurzeln<br />

beigesteuert werden müßte. Auch die Nährstoffversorgung des Astes hängt im wesent-<br />

lichen von "seiner" Wurzel ab. Für Notzeiten kann das durchaus Vorteile haben: Der<br />

Mangelzustand verbreitet sich nicht diffus durch die ganze Krone, sondern unterver-<br />

21


sorgte Teile sterben rasch ab, während die Vitalität anderer Kronenteile nicht beein-<br />

trächtigt wird. Kümmernde Bereiche werden also rasch und schmerzlos eliminiert. Ande-<br />

rerseits fand VITÉ an mesophilen Koniferen ein Überwiegen des Spiralsystems. Dieses<br />

sichert die gleichmäßigste Verteilung des Wassers, das durch verschiedene Wurzeln in<br />

unterschiedlicher Menge aufgenommen werden kann, auf die gesamte Krone. Vielleicht<br />

kann man hier wirklich die günstigere Strategie für Holzgewächse auf mittleren Standor-<br />

ten sehen: Es hätte nicht viel Sinn, einer vorübergehenden Dürreperiode in einem klei-<br />

nen Bodenbereich einen Teil der Krone zu opfern, der bei der bald wieder nachfolgen-<br />

den Besserung der Versorgung aus Konkurrenzgründen schwer zu entbehren wäre. -<br />

Dass freilich auch bei heimischen Laubbäumen offenbar bestimmte Äste von einzelnen<br />

Bereichen des Stammquerschnittes bevorzugt (wenn auch nicht ausschließlich) bedient<br />

werden, zeigen die Ergebnisse von SCHÖNTHALER an der <strong>Boku</strong>. Er injizierte Farbstof-<br />

fe mit einem kommerziell erhältlichen Apparat in den Stamm von Linden, um zu überprü-<br />

fen, ob sich (unsichtbare) systemische Insektizide gleichmäßig in der Krone verteilen<br />

würden, wie das die Erzeuger des Gerätes behaupteten. Tatsächlich war die Verteilung<br />

sehr ungleichmäßig, und der Farbstoff reicherte sich bevorzugt in einzelnen Ästen an.<br />

Zu ähnlichen Ergebnissen konnte man kommen, wenn man die Verteilung von Salz-<br />

schäden in den Kronen unserer Wiener Alleebäume studierte: Man sah hier nebenein-<br />

ander Äste mit kleinen, kümmernden Blättern und solche mit normal entwickelten. Da<br />

die Salzstreuung in Wien wieder vermehrt wurde, sind derzeit wieder stark geschädigte<br />

Baumkronen in der Innenstadt zu sehen. Das ist also ein "Großexperiment unter wenig<br />

kontrollierten Bedingungen", das früher noch viel eindrucksvoller war.<br />

Wir sehen also, dass der Aufstieg des Wassers im Stamm und sein Übertritt in die<br />

Äste hinaus bereits manche Überraschung bietet. Gerade diese Übertrittsstellen sind<br />

aber auch ganz zwangsläufig anatomisch abweichend gebaut, da hier ja Tracheen- und<br />

Tracheidenbahnen umgruppiert werden müssen. Weitere dieser Diskontinuitäten folgen<br />

dann noch beim Übergang von den Ästen in die Seitenzweige und von diesen in die<br />

Blätter. Wir werden uns später noch mit Messungen beschäftigen, die einen bedeuten-<br />

den Widerstand an diesen Stellen nachweisen.<br />

Wir haben also jetzt einen kurzen Überblick über die Längserstreckung des Leitweges<br />

und einige seiner beachtenswerten Besonderheiten gewonnen. Als zweiter Punkt unse-<br />

22


er Aufstellung wäre der Querschnitt des Leitweges zu diskutieren. Erste Informationen<br />

darüber lassen sich offenbar sehr leicht gewinnen: Man nimmt einfach einen Stengel<br />

oder einen Baumstamm her und bestimmt die Fläche des Xylems oder des gesamten<br />

Holzkörpers. Dafür gibt es bereits großartige Geräte mit Computerunterstützung, und<br />

diese Vermessung ist daher nicht mehr besonders aufwendig, zum Unterschied von der<br />

Situation in den Zwanzigerjahren, als Bruno HUBER mit diesen Untersuchungen be-<br />

gann. Allerdings ist eine solche Bestimmung bei näherem Hinsehen nicht sehr befriedi-<br />

gend. Das Holz besteht ja aus mehreren Elementen (Tracheen, Tracheiden, Holzparen-<br />

chym, Markstrahlparenchym, Libriformfasern) oder, bei den einfachsten Koni-<br />

ferenhölzern, zumindest aus Tracheiden unterschiedlicher Dimension nebst Holzparen-<br />

chymzellen. Die Anteile an diesen verschieden dimensionierten und zur Wasserleitung<br />

keineswegs gleich gut befähigten Elementen hängen nicht nur von der systematischen<br />

Stellung der Arten, sondern auch von der Position der Untersuchungsstelle im Pflanzen-<br />

körper und ganz stark von den Umweltbedingungen ab, unter denen das Individuum auf-<br />

gewachsen ist.<br />

Was soll man nun eigentlich messen, um zu vergleichbaren Zahlen zu kommen? Den<br />

Gesamtquerschnitt? Dann erfasst man auch jene Zellen, die für den Massenstrom des<br />

Wassers nur sehr untergeordnete Bedeutung haben können, wie die Libriformfasern<br />

oder das lebende Holzparenchym. Die Gesamtfläche der Lumina von Tracheen und Tra-<br />

cheiden? Das scheint zunächst eine Lösung zu sein: Damit hätte man ja wirklich jene<br />

Querschnittsfläche, durch die das Wasser strömt. Dennoch ist das eine logische Falle,<br />

und um das zu verstehen, brauchen wir wieder eine sehr berühmte physikalische For-<br />

mel:<br />

Das sogenannte Hagen-Poiseuille'sche Gesetz lautet:<br />

dV = r 4 π Δp r: Radius der Kapillare<br />

dt 8ηl η (eta): Viskosität der Lösung<br />

l: Länge der Kapillare<br />

Das heißt also, dass die Flüssigkeitsmenge, die in der Zeiteinheit von einer be-<br />

stimmten Druckdifferenz durch eine Röhre getrieben wird, der vierten Potenz des Radi-<br />

us proportional ist; der leitende Querschnitt ist aber bekanntlich nur dem Quadrat des<br />

23


Radius proportional. Selbst kleine Unterschiede im Durchmesser der Leitelemente müs-<br />

sen also gewaltige Unterschiede in der Fähigkeit zur Wasserbeförderung bewirken.<br />

Sehen wir und das einmal quantitativ an:<br />

Tabelle ( aus Zimmermann 1983, p. 14)<br />

relativer Druchmesser 1 2 4<br />

relative Querschnittsfläche 1 4 16<br />

relativer Durchfluss 1 16 256<br />

% des Gesamtdurchflusses (von 100%) 0,4 5,9 93,7<br />

Wenn ein so kleiner evolutionärer Schritt wie die Erweiterung des Gefäßdurchmes-<br />

sers so viel zur Effizienz der Wasserleitung beiträgt, warum haben dann nicht alle heute<br />

lebenden Pflanzen Gefäße mit möglichst großen Durchmesser? Die Antwort darauf ist,<br />

dass die Effizienz ihren Preis hat, sie verringert nämlich Sicherheit und Stabilität der<br />

Wassersäule. Wir kommen etwas später darauf zurück.<br />

Es scheint eine Obergrenze für den vertretbaren Gefäßdurchmesser zu geben, der<br />

bei etwa 0,5 mm liegt. Diese Grenze wurde im Zuge der Evolution häufig erreicht, und<br />

zwar in verschiedenen Gruppen der Angiospermen, die untereinander nicht näher ver-<br />

wandt sind (bei uns etwa Fagaceae: Quercus, Ulmaceae: Ulmus, Fabaceae: Robinia<br />

und Oleaceae: Fraxinus). Man bezeichnet solche Arten als ringporig. Andererseits gibt<br />

es unter nahe verwandten Arten oft solche mit extrem großen und mit kleinen Gefäß-<br />

durchmessern. Ein Beispiel wären die Eichen: Die vier bei uns heimischen Arten sind<br />

ringporig und haben sehr weite Gefäßdurchmesser, während die immergrünen Arten<br />

des Mediterrangebietes, etwa Quercus ilex (Steineiche) oder Quercus coccifera (Ker-<br />

meseiche), sehr enge Gefäße besitzen. Es scheint, dass weite Gefäße nur auf feuchten<br />

oder mittleren Standorten vertretbar sind, wo die Wasserpotentiale nicht allzu negativ<br />

sind und daher die Spannungen in der Wassersäule im Inneren der Gefäße nicht allzu<br />

groß werden können.<br />

Wie sollte man also die Leitflächen bestimmen? Eine bloße Aufsummierung der<br />

Querschnittsflächen wird infolge der Gültigkeit des Hagen-Poiseuille'schen Gesetzes<br />

24


keine sinnvollen Resultate bringen. Man hätte vielmehr die Aufgabe, jede einzelne Röh-<br />

re zu vermessen und ihre Dimensionen gemäß dem Gesetz in Rechnung zu stellen. Das<br />

ist natürlich äußerst mühsam, und ich kenne nur wenige Arbeiten, die das wenigstens<br />

für Bündel in Blattstielen oder krautigen Stämmen versucht haben (LARSON und I-<br />

SEBRANDS 1978, CORNISH 1981, GIBSON et al. 1985, LO GULLO 2000). Verglei-<br />

chende Untersuchungen an einer größeren Zahl von Pflanzen könnten allerdings mit<br />

den modernen Methoden der Bildanalyse leichter werden.<br />

Außerdem darf man nicht vergessen, dass das Hagen-Poiseuille'sche Gesetz von<br />

idelen Kapillaren mit kreisrundem Querschnitt ausgeht. In Wirklichkeit haben Gefäße<br />

und Tracheiden eine elliptische bis fast rechteckige Querschnittsform. LEWIS and<br />

BOOSE (1995) haben Korrekturfaktoren berechnet, um diese Formen mit der idealen<br />

Hagen-Poieuille-Gleichung in Beziehung zu setzen. Sie waren nicht die ersten, und auch<br />

ihre Lösung ist noch nicht perfekt. Es gibt nämlich noch andere Hindernisse für die<br />

Wasserbewegung: Das Wasser muss viele Male von einem Element in das andere<br />

übertreten, wobei die Wände im Bereich der Tüpfel durchdrungen werden. Das ergibt<br />

zusätzliche Widerstände, die natürlich in den kurzen Tracheiden größer sind als in den<br />

langen Tracheen. Auch bei diesen finden wir aber Abweichungen von der idealen Kapil-<br />

larform, etwa Reste der ursprünglichen Querwände zwischen den Gefäßgliedern in<br />

Form von Leitersprossen oder Ringen, oder warzenartige Vorsprünge und andere Un-<br />

regelmäßigkeiten an den Längswänden. Kurzum, vergleicht man Gefäße mit Kapillaren<br />

gleicher Länge und gleichen Durchmessers, dann kommt man auf eine Leitfähigkeit, die<br />

nur 30 bis 60 % des Ideals beträgt. Man kann das messen, indem man die Menge an<br />

Wasser bestimmt, die unter einer bekannten Druckdifferenz durch ein Stammstück mit<br />

genau vermessenen Leitelementen tritt.<br />

Und dann kommt noch eines dazu: Nicht alle Leitelemente, die man am Querschnitt<br />

findet, sind auch tatsächlich mit Wasser gefüllt und leiten es. Wir haben schon davon<br />

gesprochen, dass ein gewisser Höchstdurchmesser von Tracheen nicht überschritten<br />

werden kann. Warum ist das so? Nun, die Spannungen in der Wassersäule, die ja un-<br />

vermeidlich sind, könnten sonst zu gefährlichen Konsequenzen führen. Diese Spannun-<br />

gen können nämlich tatsächlich bewirken, dass der Wasserfaden in den Xylemelemen-<br />

ten abreißt. Der Engländer John MILBURN hat das schon in den Sechzigerjahren de-<br />

25


monstriert. Er befestigte den Stiel eines abgeschnittenen Blattes an der Nadel eines<br />

alten, mechanischen Grammophons (die alten Schellacks wurden ja bekanntlich mit<br />

Stahlnadeln und nicht mit Diamanten abgespielt). Der Lautsprecher gab dann von Zeit<br />

zu Zeit "Klicks" von sich, die um so häufiger wurden, je welker das Blatt war und je leb-<br />

hafter es transpirierte. Gab man aber einen Tropfen Wasser auf die Schnittstelle, dann<br />

hörten diese "Klicks" sofort wieder auf. Die Interpretation dieser akustischen Emissionen<br />

als Geräusche, die vom Abreißen der Wassersäule und den damit verbundenen Schwin-<br />

gungen der Gefäß- und Tracheidenwände stammen, ist heute nicht mehr umstritten. Die<br />

Nachteile dieser frühen Versuchsanordnung MILBURNS waren jedoch ziemlich groß<br />

(auch wenn sie verfeinert wurde): Man konnte nur abgeschnittene Pflanzenteile unter-<br />

suchen, und man benötigte ein schallisoliertes Labor, da selbst das leiseste Störge-<br />

räusch von dem Mikrophon aufgenommen und verstärkt werden konnte. Untersuchun-<br />

gen unter einigermaßen natürlichen Bedingungen oder gar solche im Freiland waren<br />

also nicht möglich.<br />

Ende der 80er Jahre hat Melvin T. TYREE eine durchgreifende Verbesserung der<br />

Methodik vorgeschlagen. (Mel TYREE ist ein amerikanischer Biophysiker, der uns in<br />

dieser Vorlesung noch öfter begegnen wird, da er auf verschiedenen Gebieten der Was-<br />

serhaushaltsforschung bahnbrechende Arbeiten publiziert hat. 2002 hat er den schwedi-<br />

schen Marcus-Wallenberg-Preis erhalten, der als international wichtigster Preis für die<br />

Waldwissenschaften gilt). Zu unserem heutigen Thema ist er davon ausgegangen, dass<br />

die natürliche Umgebung zwar voll von hörbarem Lärm, aber bemerkenswert ruhig in<br />

weiten Frequenzbereichen des Ultraschalles ist. Geräte zur Zählung und Analyse von<br />

Ultraschallemissionen gibt es aber schon länger, und sie sind sogar kommerziell erhält-<br />

lich. Sie werden in der Materialprüfung benötigt, da etwa von Metallträgern oder Kesseln<br />

bei Überlastung und Rissbildung hochfrequente Geräusche ausgesandt werden. Durch<br />

Differenzmessung mit mehreren Aufnehmern lassen sich Lage und Größe der Störstel-<br />

len genau orten. Die Kosten für moderne, computergestützte Messgeräte liegen jedoch<br />

sehr hoch, jedenfalls über 50.000 Euro. Viele ihrer Möglichkeiten lassen sich freilich in<br />

der Wasserhaushaltsforschung gar nicht ausnützen, da man Schallfortpflanzung und<br />

Reflexe im inhomogenen Holz nicht so gut interpretieren kann wie in Metallkörpern.<br />

TYREE ist es gelungen, eine führende amerikanische Herstellerfirma, die Physical<br />

26


Acoustics Corporation, zur Erzeugung eines vereinfachten Messgerätes zu veranlassen,<br />

das etwa 7.000 Euro kostet. Dieses Gerät zählt nur die einzelnen getrennten Schall-<br />

emissionen über einem niedrigen Schwellenwert. Durch Vermittlung eines Kollegen vom<br />

Institut für Holzforschung bin ich schon vorher an ein österreichisches Institut geraten,<br />

das mir 1992 für etwa 40 000 S ein entsprechendes Gerät baute. Mit dem haben wir<br />

unsere ersten Ergebnisse erhalten, es war aber relativ unempfindlich. Daher haben wir<br />

inzwischen drei Geräte der Physical Acoustics Corp. gekauft, die uns (hauptsächlich Dr.<br />

Kikuta und mich) seit 1993 sehr intensiv beschäftigen. Ich werde auf diese eigenen<br />

Messsungen später eingehen.<br />

Zunächst wollen wir uns einige Ergebnisse ansehen. So konnten etwa TYREE und<br />

sein Mitarbeiter John SPERRY, aber auch Sebastiano SALLEO in Italien und John<br />

GRACE in Schottland beweisen, dass das Auftreten von Ultraschallemissionen im Holz<br />

von der inneren Spannung der Wassersäule abhängt. Als Beispiel zeige ich Messungen<br />

von Sebastiano SALLEO an dreijährigen Johannisbrotbäumen (Ceratonia siliqua) im<br />

Botanischen Garten der Univerisität Messina. Je länger die Bäume unbewässert gelas-<br />

sen worden waren, also je höher die innere Spannung in der Wassersäule war, desto<br />

größer war die Gesamtzahl der akustischen "Ereignisse" im Tagesgang. Dabei waren<br />

offenbar die verschiedenen Teile des Leitweges nicht gleich anfällig für Kavitationen.<br />

Wenn der Fühler an der Übergangsstelle vom Knoten zum Blatt angebracht war, konnte<br />

er viel weniger Ereignisse messen als an einem Internodium.<br />

TYREE und SPERRY untersuchten eine große Zahl von Pflanzen im Laboratorium.<br />

Dabei verfolgten sie das Auftreten von Kavitationen während des Austrocknens, wobei<br />

sie auch das Wasserpotential registrierten. Zwischen -1 und -6 MPa, also 10 und 60 bar<br />

häuften sich die akustischen "Ereignisse". Ganz parallel dazu nahm auch die hydrauli-<br />

sche Leitfähigkeit der Stammstücke ab. Man kann beweisen, dass diese Abnahme auf<br />

Kavitationen, also auf die Entleerung von Leitelementen zurückzuführen ist. Die Metho-<br />

dik ist nicht besonders schwer. Man schneidet nach dem Ende der Ultraschallmessun-<br />

gen das Stammstück unter Wasser ab und verbindet ein Ende mit einem wassergefüll-<br />

ten Schlauch, aus dem man Wasser unter ganz geringem Überdruck (1 m Wassersäule<br />

= 0.1 bar) zuleitet. Dann bestimmt man das Gewicht des Wassers, das am anderen<br />

Ende pro Minute austritt, mit einer Waage. Nach einiger Zeit hat man eine konstante<br />

27


Durchflussrate (f) ermittelt. Dann wendet man etwas größeren Druck, etwas über 1 bar,<br />

an und schwemmt damit die Luftbläschen aus den Leitelementen heraus. Und dann<br />

misst man wieder, wieviel Flüssigkeit jetzt unter dem geringen Überdruck von etwa 0.1<br />

bar durchtreten kann. Die Menge ist jetzt höher, da ja die vorher embolierten Leitgefäße<br />

wieder leitfähig geworden sind; wir können sie gleich 100% (fmax, maximale Leitfähigkeit)<br />

setzen. Das Verhältnis zwischen den beiden Flussraten (f/ fmax) wird umso kleiner wer-<br />

den, je weniger Gefäße nach Stress gefüllt sind, und die Verluste der hydraulischen<br />

Leitfähigkeit sind mit der Zahl der vorher gemessenen Ultraschallsignale hoch korreliert.<br />

Man kann den Ausfall von Gefäßen durch Kavitation auch direkt nachweisen, und<br />

zwar durch Färbung. Das ist aber nicht ganz so einfach. Man muss nämlich vermeiden,<br />

dass die Farblösung in die kavitierten Gefäße hineingesaugt wird, wenn in diesen noch<br />

ein gewisser Unterdruck herrscht. Sie füllen sich nämlich zunächst nur mit Wasserdampf<br />

von weniger als ein bar Druck, und erst nach längerer Zeit nehmen sie Luft aus der Um-<br />

gebung auf. SALLEO und LO GULLO beschreiben eine Anordnung für die Lösung die-<br />

ses Problems. Ein Zweig wird luftdicht in ein Plexiglasgefäß eingedichtet, das mit Farb-<br />

stofflösung gefüllt wird, so dass der Zweig umspült wird. Die Luft über der Lösung kann<br />

abgepumpt werden, und dann wird der Zweig durchschnitten. Er nimmt dann durch<br />

Transpiration Farbstofflösung auf, ohne dass diese durch den Luftdruck in die leeren<br />

Gefäße und Tracheiden gedrückt würde.<br />

Nach der Farbinfiltration wird die Plexiglaswanne mit frischem Wasser geflutet, der<br />

Zweig wird mit einem Mikrotom geschnitten und die gefärbten Leitelemente werden<br />

vermessen und ausgezählt. Es zeigt sich dabei, dass offenbar die größeren Gefäße in<br />

einem gegebenen Objekt empfindlicher sind und leichter kavitieren.<br />

Und damit kommen wir zu einer recht verblüffenden Tatsache! Man sollte zu-<br />

nächst erwarten, dass Kavitationen in Kapillaren um so leichter auftreten, je größer der<br />

Durchmesser dieser Kapillaren ist. Die Beobachtung über die Verteilung der Embolien in<br />

einem gegebenen Stammstück spricht auch für diese Annahme. Nun zeigt sich aber,<br />

dass die Schwellenwerte des Wasserpotentials für das Auftreten von Kavitationen bei<br />

Nadelhölzern und Laubhölzern kaum verschieden sind. Tracheiden haben aber jeden-<br />

falls viel kleinere Durchmesser als die Tracheen der Laubhölzer. Was ist da los?<br />

28


Zunächst ist einmal festzustellen, dass die Kavitation in Glaskapillaren viel größe-<br />

re Spannungen als die in Holzgefäßen erfordert. Die Werte, die von der Literatur ange-<br />

geben werden, liegen bei rund 1000 MPa. Warum reissen dann die Fäden so viel leich-<br />

ter ab, wenn sie in Gefäßen auftreten? Nun, es sind mehrere Erklärungen vorgeschla-<br />

gen worden. Zunächst ist das Wasser in den Leitelementen nicht völlig gasfrei. Selbst<br />

ganz winzige, submikroskopische Luftbläschen, die sich irgendwo an Rissen an der<br />

Wand bilden, müssen sich unter der Zugwirkung der Wassersäule rasch vergössern und<br />

zum Abreissen führen. Diese Vergrößerung der Luftblase wäre nur abhängig von der<br />

Spannung in der Wassersäule. Eine zweite Möglichkeit wäre das Eindringen von Luft<br />

durch die Zellwandkapillaren. ZIMMERMANN hat einen solchen Mechanismus als "air<br />

seeding" bezeichnet, also etwa "Eindringen von Luftkeimen". Dieser Mechanismus sollte<br />

vom Unterschied zwischen dem äußeren Luftdruck und der Wassersäule abhängen.<br />

Und wir, das heißt SALLEO, LO GULLO, HINCKLEY, KIKUTA, WEILGONY, YOON und<br />

ich, haben im Frühling 1989 diese Theorie experimentell überprüft.<br />

Man kann nämlich sowohl die innere Spannung, die in einer Wassersäule<br />

herrscht, als auch den Luftdruck manipulieren, der von außen auf die Gefäßwände ein-<br />

wirkt. Wenn die innere Spannung zu groß wird, dann reisst die Wassersäule ab. Was<br />

passiert aber, wenn der Luftdruck steigt und damit ebenfalls die Differenz zwischen dem<br />

negativen Druck in der Xylemflüssigkeit und dem positiven Luftdruck in den Interzellula-<br />

ren größer wird?<br />

Um diese Frage zu klären, haben wir folgende Versuchsanordnung aufgebaut:<br />

Ein Weidenzweig wurde an Ort und Stelle in eine spezielle Druckkammer eingedichtet,<br />

die es erlaubte, ihn sozusagen durch die Kammer "durchzufädeln". Diese Kammer hat<br />

nämlich zwei Deckel mit Stopfbüchsendichtungen. Dadurch konnte in allen Strukturen<br />

im Zweig, die für Luft zugänglich waren, ein Überdruck von vielen bar erzeugt werden.<br />

Messungen der Leitfähigkeit an diesem Zweig ergaben, dass dadurch die Wassersäule<br />

fast vollständig zerstört werden konnte.<br />

Inzwischen wurde ein handlicheres Gerät entwickelt, das wir "Druckkragen" nen-<br />

nen. Es besteht aus zwei flachen Schalen aus Messing. Zweige bis zu einem Durch-<br />

messer von etwa 1 cm können zwischen diese Schalen gelegt werden und sind durch<br />

zwei O-Ringe abgedichtet, wenn die Schalen durch Schrauben und Muttern aufein-<br />

29


andergepresst werden. Das Instrument ermöglicht es, ganz lokal die Wassersäule zu<br />

unterbrechen, ohne dass die Zellwände der Leitelemente beschädigt werden. Ähnliche<br />

Versuche haben TYREE und SPERRY im Laboratorium und im Freiland mit Erfolg<br />

durchgeführt. Wie erklärt man aber die Wirkung der ressluftbehandlung? Anscheinend<br />

ist nicht die innere Spannung in der Wassersäule entscheidend für die Auslösung von<br />

Kavitationsvorgängen, sondern die Druckdifferenz zwischen dem Inneren der Gefäße<br />

und der Außenluft. Wenn diese Differenz eine bestimmte Größe überschreitet, dann<br />

dringt Luft in die Leitelemente des Holzkörpers ein. Entscheidend sind hier die Zell-<br />

wandkapillaren und ihre Dimensionen. Eine wassergefüllte Kapillare, die an Luft grenzt,<br />

befindet sich im Gleichgewicht zwischen dem Druck in der Luft und den inneren Kräften<br />

in der Flüssigkeit, die auf eine möglichst vollständige Ausfüllung hinarbeiten, um die<br />

Oberfläche klein zu halten. Die Wassermoleküle im Inneren der Flüssigkeit sind nämlich<br />

durch starke zwischenmolekulare Kräfte allseitig verbunden, und bei der Bildung einer<br />

freien Oberfläche müssen diese Bindungen teilweise gelöst werden. Das erfordert Ener-<br />

gie. Die Entleerung einer Kapillare mit hydrophilen Wänden bedeutet aber die Vergröße-<br />

rung der Wasseroberfläche, da die Kapillare von einem einmolekularen Wasserfilm<br />

ausgekleidet bleibt, auch wenn das Wasser aus dem Lumen verdrängt ist. Es ist nun ein<br />

umso größerer Druckunterschied nötig, um die Wassersäule aus einer Kapillare zu ver-<br />

drängen, je kleiner der Durchmesser der Kapillare ist. Die Beziehung läßt sich graphisch<br />

darstellen. Es fragt sich jetzt nur noch, ob die Dimensionen der Zellwandkapillaren ein<br />

Eindringen von Luft bei einer Druckdifferenz von einigen Dutzend bar<br />

überhaupt zulassen. Mel TYREE hat eine Formel in Erinnerung gerufen, die uns sagt,<br />

welcher Druckunterschied ΔP nötig ist, um eine Kapillare vom Radius r zu entleeren.<br />

Dieser Druck wird gegeben durch<br />

ΔP = 2 T / r<br />

T ist hier die Oberflächenspannung der Lösung in der Kapillare. Wenn der Radius der<br />

Kapillare kleiner wird, muss der Druckunterschied also steigen.<br />

Man nimmt für die zellulosischen Zellwände von Parenchymzellen meist Kapillar-<br />

durchmesser zwischen 5 und 10 nm an. Diese Dimension ist zu klein, um einen Luftein-<br />

30


uch zuzulassen. Wir müssen also nach Schwachstellen suchen, an denen größere<br />

Kapillaren die Wände von Leitelementen durchsetzen. ZIMMERMANN und TYREE<br />

haben genauere Vorstellungen über die Lokalisation solcher Schwachstellen entwickelt,<br />

durch die die Luft bevorzugt eindringen könnte. Es sind die Schließhäute der Tüpfel,<br />

also die dünnen Wandstellen aus Mittellamelle und kleinen Anteilen von Primärwänden,<br />

wo für die Luft Wege von größeren Dimensionen zur Verfügung stehen als in den mas-<br />

siv verdickten und lignifizierten Wandbereichen außerhalb der Tüpfel. Berechnungen<br />

zeigen, dass die Kapillaren zwischen den Zellulosefibrillen, die man elektronenmikro-<br />

skopisch sieht und vermessen kann, ihrer Dimension nach durchaus in Frage kommen,<br />

bei Druckdifferenzen zwischen 10 und 60 bar aus den Interzellularen Luft eintreten zu<br />

lassen. Unter natürlichen Bedingungen wird in den luftgefülllten Strukturen im Xylem<br />

oder im Holz, die an wassergefüllte Elemente grenzen (also in Interzellularen oder be-<br />

reits entleerten Leitelementen) freilich nie ein anderer Druck als der atmosphärische<br />

Luftdruck herrschen, daher werden Änderungen der Druckdifferenz nur durch geänderte<br />

Spannungen in den Leitelementen zustande kommen können. Der Ablauf der Vorgänge<br />

bei diesem "air seeding" wird von ZIMMERMANN in einem Diagramm dargestellt. Ent-<br />

scheidend für die benötigte Druckdifferenz sind der Durchmesser der Zellwandkapillaren<br />

und die Oberflächenspannung der wäßrigen Lösung in den Kapillaren, wie ja die Formel<br />

zeigt. Dementsprechend gelang es TYREE, bei viel höheren Wasserpotentialen als<br />

üblich Kavitationen auszulösen, wenn er abgeschnittene Zweige mit Tween (einem<br />

Tensid, also einer Art Geschirrspülmittel) gefüttert hatte. Anscheinend können auch<br />

manche pathogene Mikroorganismen Embolien induzieren, indem sie Stoffe ausschei-<br />

den, die die Oberflächenspannung herabsetzen (etwa Oxalsäure).<br />

Wenn es aber bei gegebener Zellwandstruktur und normalem Xylemsaft nur auf<br />

den Druckunterschied ankommt, wie erklärt man sich dann die Tatsache, dass im Leit-<br />

system die Elemente mit weiterem Innendurchmesser leichter kavitieren, was sowohl bei<br />

Nadel-hölzern wie bei Laubhölzern beobachtet werden kann? Mel TYREE schlägt auch<br />

dafür eine Erklärung vor: Im Zuge des Streckungswachstums werden die Primärwände<br />

von Elementen mit weiterem Lumen stärker gedehnt, die Fibrillen weichen weiter aus-<br />

einander und die Kapillardurchmesser vergrößern sich. Diese Leitelemente werden<br />

daher auch früher durch Embolien lahmgelegt werden als Elemente der gleichen Pflan-<br />

31


ze mit engerem Lumen. Die Schwellen in verschiedenen Pflanzenarten werden aber von<br />

genetisch fixierten Details des Zellwandbaues abhängen, so dass auch englumige Ele-<br />

mente, etwa Tracheiden, schon bei verhältnismäßig geringen Spannungen in der Was-<br />

sersäule kavitieren können. Die Schwellenwerte sind standortsabhängig und haben sich<br />

offenbar unter evolutionärem Druck entwickelt.<br />

Es sind bei der Diskussion über die Bedeutung von Embolien noch sehr viele<br />

interessante Probleme offen, und es werden ständig mehr. So wissen wir nicht, welcher<br />

Prozentsatz an Gefäßen während eines natürlichen Austrocknungszyklus am Standort<br />

durch Embolien ausfällt, und vor allem nicht, wie einmal trockengefallene Gefäße wieder<br />

befüllt werden können. Wir haben nämlich ebenso wie Sebastiano SALLEO und seine<br />

Mitarbeiter Ergebnisse, die ganz eindeutig zeigen, dass die Leitfähigkeit durch eine<br />

Druckluftbehandlung sinkt, dass aber danach, wenn die behandelten Zweige am Baum<br />

bleiben, über kürzere oder längere Zeit der Wasserdurchsatz wieder steigt. Auch der<br />

Wassergehalt des Holzes nimmt wieder zu. Besonders rasch scheint dieser Reparatur-<br />

oder Wiederbefüllungsmechanismus bei Nadelhölzern zu funktionieren; wir haben aber<br />

auch an einer Liane, Tetrastigma voinierianum (Vitaceae) im Glashaus ähnliche Beo-<br />

bachtungen gemacht. Eine ganz besonders elegante Untersuchung zu diesem Thema<br />

haben Zwieniecki und Holbrook Ende 1998 publiziert: Sie führten an Fraxinus america-<br />

na, Acer rubrum und Picea rubens vergleichende Messungen des Embolie-Grades am<br />

Nachmittag und am folgenden Morgen durch. Während der Nacht sinkt der prozentuelle<br />

Leitfähigkeits-Verlust in den beiden Laubbäumen von 45 - 70% auf 10 - 40% ab; in der<br />

Fichte waren diese Unterschiede weniger ausgeprägt. Parallel dazu wurden Doppelfär-<br />

bungen mit zwei Farbstoffen in situ durchgeführt: Am Morgen wurde ein roter, am Abend<br />

ein blauer Farbstoff angeboten. Viele Gefäße zeigten eine Mischfarbe (sie führten also<br />

am Nachmittag und am Morgen Wasser), daneben blieben andere stets ungefärbt. Ein<br />

Teil wurde aber nur von dem am Morgen gebotenen Farbstoff gefärbt, nicht vom am<br />

Nachmittag vorher gebotenen; sie waren offenbar über Nacht wieder befüllt worden.<br />

Es gibt also die Wiederbefüllung embolierter Leitelemente. Freilich fehlt noch ein<br />

Mechanismus: Die Tracheen und Tracheiden, die Wasserdampf oder Luft unter einem<br />

positiven Druck enthalten, nehmen Wasser auf, das in den noch gefüllten Leitelementen<br />

unter Spannung, also einem negativen Druck steht. Wie ist das möglich? Rein physikali-<br />

32


sche Vorgänge reichen hier sicher nicht aus, aber eine Alternative hat noch niemand<br />

gefunden. Salleo konnte Hinweise darauf finden, dass das Phytohormon Auxin an der<br />

Wiederbefüllung beteiligt ist:: Behandlung mit verdünnter Auxinlösung beschleunigte und<br />

verstärkte die Wiederbefüllung. Die Frage wird sicher noch längere Zeit genau unter-<br />

sucht werden müssen. Jedenfalls zeigt uns aber die Tatsache, dass es zur Bildung von<br />

Embolien durch das Phänomen der Kavitation kommt, wie wichtig es ist, anatomische<br />

und physiologische Untersuchungen zu verbinden.<br />

Ich möchte hier noch betonen, dass es einen zweiten Mechanismus der Embolie-<br />

bildung gibt: Wenn im Winter das Wasser in den Leitelemente friert, bilden sich Luftblä-<br />

schen, da die Gase nicht in das Eisgitter eingebaut werden können. In großen Gefäßen<br />

werden diese so groß, dass sie beim Auftauen nicht mehr in Lösung gehen. Wenn das<br />

Wasser dann unter Spannung kommt, vergrößern sich diese Blasen und die Wasser-<br />

säule reißt ab.<br />

Wir haben also gesehen, dass eine Berechnung der Leitfähigkeit des Xylems aus<br />

einen mikroskopischen Dimensionen nicht gut möglich ist. Neben Abweichungen von<br />

der Form idealer Kapillaren ist auch die Tatsache hinderlich, dass ein mehr oder minder<br />

großer Teil der Leitelemente durch Kavitationen ausfällt. Es ist also wahrscheinlich das<br />

Sinnvollste, wenn man den zweiten Punkt unserer Aufstellung, die Bestimmung der<br />

Querschnittsfläche des Leitweges, gleich mit dem dritten Punkt, der Bestimmung der<br />

baubedingten Widerstände, verbindet. Wir wollen also die Gesamtleitfähigkeit eines<br />

bestimmten Leiterabschnittes oder die Leitfähigkeit pro Flächeneinheit bestimmen.<br />

Wir haben ja schon gesehen, wie man die Leitfähigkeit eines Pflanzenorganes<br />

bestimmt: Man presst Wasser unter einem bekannten Überdruck durch und bestimmt<br />

die Menge. Wenn man dann auf die Einheitsfläche, die Einheitslänge, die Einheitszeit<br />

und den Einheitsdruck umrechnet, also etwa festlegt, wieviele cm 3 Wasser pro cm 2<br />

Querschnittsfläche und cm Länge der Probe in einer Stunde bei einer Druckdifferenz<br />

von 1 bar durch die Probe filtriert werden, dann erhält man ein vergleichbares Maß für<br />

die Leitfähigkeit verschiedener Pflanzenteile. Bereits Bruno HUBER hat um 1930 solche<br />

Messungen an Bäumen durchgeführt. Freilich ist die Methode nicht einfach: Sie braucht<br />

viel Zeit, und es gibt einige experimentelle Schwierigkeiten. Vor allem zeigt sich, dass<br />

die Leitfähigkeit im Laufe einer längeren Messung oft stark absinkt. Dafür scheint es<br />

33


mehrere Gründe zu geben. Der wichtigste ist offenbar eine mechanische Blockierung<br />

der Querwände durch winzige Verunreinigungen im Wasser. Man muss also immer mit<br />

ultrafiltiertem Wasser arbeiten, das nicht ganz leicht zu präparieren ist: Es muss durch<br />

Filter von 0.2 mm Porendurchmesser filtriert werden. Daneben scheinen Wundreaktio-<br />

nen oder der Befall mit Bakterien dafür zu sorgen, dass die Leitfähigkeit abnimmt, wo-<br />

gegen ZIMMERMANN den Zusatz von Salzen und TYREE die Einstellung niedriger pH-<br />

Werte oder die Zugabe von Formalin empfehlen. Wir haben gute Erfahrungen mit As-<br />

corbinsäurelösungen von 14 mmol l-1 gemacht.<br />

Die ersten gründlichen Messungen in jüngerer Zeit hat Martin ZIMMERMANN von<br />

1978 bis etwa 1982 durchgeführt. Es ging ihm dabei vor allem um die Verteilung der<br />

Leitfähigkeitswerte im Holz der Laubbäume. ZIMMERMANN folgte Huber dabei in einem<br />

Detail: In seinen Arbeiten gibt er nicht die Leitfähigkeit der Proben direkt an, sondern er<br />

bezieht sie auf die Masse der versorgten Blätter. Als Beispiel: Der Hauptstamm versorgt<br />

mit seiner Basis alle Blätter des Baumes; zur Gewinnung der "blattspezifischen Leitfä-<br />

higkeit" LSC dividiert der Autor die Menge an Wasser in Mikrolitern, die bei 1 bar Druck-<br />

differenz pro Stunde durch die gesamte Querschnittfläche filtriert wird, durch das Ge-<br />

samtblattgewicht in Gramm. Für jeden Ast und Zweig wird das wiederholt: Einerseits<br />

wird natürlich die Wassermenge kleiner, die durch ein dünnes Zweiglein geht, anderer-<br />

seits nimmt aber auch die Blattmasse ab, die versogt werden muss.<br />

Was sind die Ergebnisse? Bei Populus, Betula und Acer zeigte sich überein-<br />

stimmend, dass die Leitfähigkeit pro Einheit der versorgten Blattmasse im Stammholz<br />

weit höher ist als in den Ästen. Das heißt aber nichts anderes, als dass der Hauptstamm<br />

sehr viel überschüssige Leitkapazität eingebaut hat; der Ausfall einiger weniger Leitele-<br />

mente durch Kavitation wird also leicht zu vertragen sein. Die viel geringere blattspezifi-<br />

sche Leitfähigkeit in den Ästen und Zweigen zeigt eine stärkere Gefährdung an, doch ist<br />

eben ein peripherer Teil leichter entbehrlich für den Gesamtorganismus. Besonders<br />

niedrige LSC-Werte zeigen die "Diskontinuitäten", wie etwa die Übergänge zwischen<br />

dem Stamm und dem Ast. ZIMMERMANN verknüpfte diese Beobachtungen mit anato-<br />

mischen Untersuchungen. Er fand, dass die Unterschiede zwischen verschiedenen<br />

Stellen des Leitweges nur wenig von der Fläche des Xylems abhängen, die pro Gramm<br />

Blattgewicht zur Verfügung steht, hingegen sehr vom Bau der Leitelemente. Die Gefäß-<br />

34


durchmesser schwanken sehr stark. Als Stelle extrem enger Gefäße mit dementspre-<br />

chend schlechter Leitfähigkeit erwies sich (in anderen Untersuchungen) der Übergang<br />

vom Ast zum Blattstiel. Hier sank der LSC-Wert auf 1 bis 3 Mikroliter pro Gramm, bar<br />

und Stunde. Dementsprechend muss an dieser Stelle ein sehr großer Widerstand sit-<br />

zen, der zu einem steilen Abfall des Gesamtwasserpotentials führt, sobald Wasser<br />

durch das Leitsystem strömt. Bei starker Transpiration werden also die negativsten<br />

Werte in den Blättern auftreten und dort zu Turgorverlust und Spaltenschluss führen,<br />

bevor noch die Gefahr von Kavitationen in den Zweigen oder gar im Hauptstamm auf-<br />

tritt.<br />

Die Verbindung quantitativer physiologischer Messungen mit detaillierten anato-<br />

mischen Untersuchungen nimmt also derzeit einen deutlichen Aufschwung; man könnte<br />

geradezu vom Entstehen einer ökophysiologischen Anatomie sprechen. Eine Art Vorläu-<br />

fer dieser Entwicklung ist der Amerikaner Sherwin CARLQUIST, der schon 1976 ein<br />

Buch mit dem Titel "Ecological Strategies of Xylem Evolution" publizierte. Es besteht im<br />

wesentlichen aus einem Vergleich der Holzstruktur von Arten gleicher systematischer<br />

Stellung auf Standorten mit unterschiedlicher Wasserversorgung. Als Beispiel möchte<br />

ich nur seine Ergebnisse an Koniferen bringen. CARLQUIST stellt hier folgendes fest:<br />

Arten, die nur mäßige negative Drücke im Xylem ertragen müssen, haben lange, weit-<br />

lumige Tracheiden mit dünnen Wänden. Solche Arten, etwa aus den Gattungen Agathis<br />

und Podocarpus, kommen in den Tropen auf stets boden- und luftfeuchten Standorten<br />

vor. Nimmt außerhalb der Tropen die Jahreszeitenschwankung zu, dann werden deut-<br />

lich verschiedene Tracheidentypen in rhythmischer Abwechslung gebildet. Ist der<br />

Standort während der Hauptwachstumszeit nicht zu trocken, dann sind die zuerst gebil-<br />

deten Frühholztracheiden dünnwandig und weitlumig; enge und dickwandige Tracheiden<br />

im Spätholz sorgen dann für die nötige mechanische Stabilität und sind gleichzeitig<br />

widerstandfähiger gegen negativen Druck in der Wassersäule während der Phase er-<br />

schwerter Wasserversorgung im Winter. Diesem Typ entsprechen die bei uns heimi-<br />

schen Nadelbäume. Es gibt jedoch auch Koniferen, die an Trockenstandorte angepasst<br />

sind. Sie leiten wenig Wasser im SPAC (da sie sonst die Bodenwasservorräte zu rasch<br />

erschöpfen würden), müssen aber hohe negative Drücke aushalten, die ihnen schon<br />

vom Wasserzustand im Boden aufgezwungen werden. Hier, etwa bei manchen Wachol-<br />

35


der-Arten des Mittelmeergebietes, werden allgemein kurze, englumige und dickwandige<br />

Tracheiden ausgebildet. Die Festigkeit steht also im Vordergrund, die Leitfähigkeit tritt<br />

zurück. Es zeigt sich, dass diese Tendenz zur Anlage enger Tracheiden auch bei Jung-<br />

pflanzen und Ästen der Oberkrone von Mesophilen auftritt; auch die phänotypischen<br />

Anpassungen an Trockenheit gehen also in jene Richtung, die bei typischen Trocken-<br />

pflanzen genotypisch fixiert ist.<br />

Ähnliche Erscheinungen finden sich auch bei Dikotylen, nur kommt hier noch die<br />

Art der Gefäßdurchbrechung, also der Auflösung der Querwände an den Tracheenglie-<br />

dern, als Variable hinzu. Die weniger effizienten leiterförmigen Durchbrechungen mit<br />

ihren immer noch beträchtlichen Leitwiderständen wurden auf Trockenstandorten weiter<br />

zu den sogenannten einfachen Durchbrechungen reduziert. Dies geschah offenbar<br />

innerhalb der Dikotylen mehrfach parallel in allen großen Entwicklungslinien.<br />

Ellerby und Ennos (1998) haben die Wirkung von verschiedenen Formen der<br />

Gefäßdurchbrechung an Modellen untersucht, die aus Plastikschläuchen von 1 cm<br />

Durchmesser mit eingesetzten Platten bestanden. Als Flüssigkeit verwendeten sie Gly-<br />

zerin, das zum Unterschied von Wasser infolge seiner hohen Viskosität auch in einem<br />

Leiter mit so großem Durchmesser noch laminar und nicht turbulent (= unter Wirbelbil-<br />

dung) fließt und daher in seinem Verhalten dem Wasser in den Xylemelementen ent-<br />

spricht. (Turbulenter Fluss hat einen weit höheren Widerstand; er kommt im Xylem nicht<br />

vor). Das Ergebnis der Versuche war, dass die Reste der Querwände bis zu 18% Extra-<br />

Widerstand erzeugen, wobei leiterförmige Durchbrechungen natürlich einen höheren<br />

Widerstand haben als einfache. Sehr wichtig sind die feinen Details, wie etwa die Zahl<br />

der Sprossen, die Breite der Spalten und der Winkel, unter dem die Querwand zur<br />

Achse steht. Den höchsten Widerstand verursacht aber immer die Reibung an den<br />

Seitenwänden.<br />

CARLQUIST bringt in diesem Buch von 1976 und in einem 1989 erschienenen<br />

Werk mit dem Titel "Comparative Wood Anatomy" noch eine Reihe weiterer Daten, die<br />

auch die anderen Elemente des Xylems betreffen. Die Gesamtaussage ist die, dass der<br />

evolutionäre Druck auf die Entwicklung eines Fernleitsystems für Wasser nicht nur zu<br />

einem einzigen Entwicklungssprung geführt hat. Er wirkt vielmehr dauernd und spielt bei<br />

der Entstehung neuer Pflanzensippen auch heute noch eine Rolle. Die Feinabstimmung<br />

36


des Wassertransportes bringt offenbar eminente Selektionsvorteile.<br />

Soviel also zum Wassertransport im Xylem, der bis in die Blattnerven verläuft,<br />

also die äußersten, meist dünnen Leitelemente im Blatt. Bekanntlich unterscheiden sich<br />

Gymnospermen, Monokotyle und Dikotyle durch die Anordnung der Bündel in den Blät-<br />

tern, und das hat Auswirkung auf den Weg, den das Wasser im Blattgrundgewebe, dem<br />

Mesophyll, nehmen muss.<br />

Bei den Koniferen durchziehen meist ein oder zwei parallele Bündel in sehr ge-<br />

ringem Abstand das Zentrum der Nadel, ohne miteinander durch Quernerven in Verbin-<br />

dung zu treten. Bis zu den Atemhöhlen im Mesophyll und zur Epidermis muss hier ein<br />

weiter Weg durch das Grundgewebe zurückgelegt werden. Das erinnert an die Situation<br />

in der Wurzel, wo ein ähnlicher Parenchymtransport von außen nach innen erfolgt. Die<br />

prinzipielle Möglichkeit der drei Wege (V, ZW, SP) gibt es auch hier, und sie wird ähnlich<br />

diskutiert wie dort, wenn auch die Zahl der Arbeiten geringer ist.<br />

Für die Blätter der Angiospermen gibt es alte Ansätze von Hans MEIDNER. Er<br />

nahm an, dass das Wasser im Blatt einem bevorzugten Weg folgt, der ziemlich anders<br />

verläuft als bei den Koniferen. Zuerst verteilt sich der Strom nach dem Eintritt ins Blatt<br />

im dichten Netzwerk der Blattadern, die ja einen sehr geringen Abstand von nur etwa<br />

0,13 mm haben. Aus den Nerven tritt das Wasser aber nicht gleichmäßig in das be-<br />

nachbarte Mesophyll aus. Bei den meisten Blättern erstreckt sich von den stärkeren<br />

Nerven zu den Epidermen eine Zone chloroplastenarmer Parenchymzellen, die Bündel-<br />

scheiden und ihre "Verlängerungen" (englisch: "bundle sheath extensions"). Nach<br />

MEIDNER geht der Hauptwasserstrom von den Hauptnerven durch deren Bündelschei-<br />

den in die Epidermen und verteilt sich dort. Bekanntlich haben Epidermen wesentlich<br />

dickere Zellwände, vor allem äußere Zellwände, als das Mesophyll. MEIDNER war ein<br />

Anhänger des Zellwandweges im Blatt und sah in der Epidermis einen Weg geringen<br />

Widerstandes, besonders im Vergleich mit dem gewundenen Leitweg durch die dünnen<br />

und oft nur an wenigen Stellen zusammenhängenden Wände des Mesophylls. Ferner<br />

nahm er an, dass die Epidermis eine besondere Rolle bei der Wasserabgabe spielt.<br />

Dies würde vielleicht die Bevorzugung des hypostomatischen Blattbaus bei Pflanzen mit<br />

mehr oder weniger horizontal angeordneten Blättern erklären, bei denen ja die untere<br />

Epidermis sicher weniger Strahlung empfängt als die obere, sich daher weniger erwärmt<br />

37


und bei gleicher Spaltöffnungsweite auch weniger Wasser abgeben muss. Allerdings hat<br />

CANNY für das Blatt auch Argumente zugunsten des Symplastenwegs angeführt.<br />

Wir sind also jetzt in unserer Darstellung des Wasserflusses durch den Pflanzen-<br />

körper am Ende angelangt. Die Cuticula verhindert die freie Verdunstung der wasser-<br />

gequollenen Zellwände in der Epidermis, so dass das meiste H2O im Inneren des Blat-<br />

tes in die Gasphase übergeht und durch die Spaltöffnungen ins Freie diffundiert. Wir<br />

werden uns jetzt kurz diese Wasserabgabe ansehen, denn sie, und nur sie, ist für die<br />

Wasseraufnahme und den Wassertransport vom Boden zum Blatt verantwortlich! In der<br />

lebenden Pflanze existieren stets kontinuierliche Wassersäulen, die vom Boden durch<br />

die Wurzel und den Stamm bis zu den transpirierenden Stellen der Blätter reichen. Die-<br />

ses Kontinuum an flüssigem Wasser ist ein Teil des Apoplasten und vergrößert sich mit<br />

dem Längen- und Dickenwachstum der Pflanze, wenn lebende Leitelemente im Zuge<br />

ihrer Ausdifferenzierung absterben. Dieses Apoplastenwasser durchdringt auch die Zell-<br />

wände und reicht in die Parenchyme der transpirierenden Organe. Die Wassermoleküle<br />

in der Gasphase im Inneren der Pflanze, also in den Interzellularen, diffundieren in die<br />

trockene Außenluft ab und müssen aus der flüssigen Phase ersetzt werden, bis der<br />

temperaturabhängige Dampfdruck erreicht ist. Die Moleküle in den Zellwandkapillaren<br />

verlieren also ihren Zusammenhalt durch die zwischenmolekularen Kräfte, welche die<br />

flüssige Phase charakterisieren, und empfehlen sich einzeln. Was passiert nun? Wir<br />

haben die Antwort schon im Zusammenhang mit der "air seeding" - Hypothese erhalten.<br />

Wir müssen also hier nur kurz rekapitulieren. Die Zellwandkapillaren können durch die<br />

Verdunstung nicht entleert werden, da die Oberflächenspannung dagegenwirkt. Und da<br />

die Dimensionen der Kapillaren in den Wänden von Parenchymzellen sehr klein sind, ist<br />

auch ein Lufteinbruch bei stark negativen Potentialen in der Wassersäule nicht möglich:<br />

Vorher würden jedenfalls alle Leitelemente des Xylems trockenfallen. Es bleibt also nur<br />

mehr eines übrig, dass nämlich die Wassersäule aus dem Boden nachrückt und die ver-<br />

dunsteten Moleküle ersetzt.<br />

Die Transpiration<br />

Betrachten wir nun die Vorgänge bei der Transpiration, also in der Gasphase,<br />

und gehen wir von einer Pflanze mit geschlossenen Stomata aus. Hier stellt sich in den<br />

38


Interzellularen und Atemhöhlen ein dynamisches Gleichgewicht ein: Wassermoleküle<br />

verdunsten aus den Zellwänden und kondensieren wieder an ihnen. Man kann den<br />

Dampfdruck des Wassers bestimmen, jenen Druck, den der Wasserdampf allein, also<br />

ohne die Luft, ausübt. Im Zustand eines dynamischen Gleichgewichtes in den Interzel-<br />

lularen, wie es bei geschlossenen Spaltöffnungen zu erwarten ist, hängt der Dampfdruck<br />

nur von zwei Größen ab: Von der Temperatur des Blattes (und damit des in ihm<br />

enthaltenen Wassers) und vom Energieinhalt des Wassers in den Zellwänden. Dieser<br />

energetische Zustand wird als Wasserpotential gemessen; er übt jedoch im physiologi-<br />

schen Bereich (wenn also die Zellen überhaupt noch leben können) auf die Dampfdichte<br />

nur einen sehr geringen Einfluss aus. Wenn sich in den Zellwänden reines destilliertes<br />

Wasser unter Atmosphärendruck befindet, erhalten wir definitionsgemäß den Sätti-<br />

gungsdampfdruck bei der gegebenen Temperatur, also das Maximum der möglichen<br />

Wassermenge in Dampfform (100 % relative Luftfeuchte = RLF). Wird der Wasserzu-<br />

stand in den Zellwänden durch eine innere Spannung von 5 MPa in den Kapillaren ver-<br />

schlechtert, so sinkt die relative Luftfeuchte in den Interzellularen auf etwas über 96 %<br />

ab. Es gibt also für die bei uns zu erwartenden Wasserzustände im Freiland eine Varia-<br />

tionsbreite der relativen Luftfeuchtigkeit in den Interzellularen von nur 4%, das heißt nur<br />

kleine Abweichungen des Dampfdruckes von jenem Wert, der sich in einem voll gesät-<br />

tigten Blatt mit einem Wasserpotential von 0 bar einstellen würde.<br />

Und nun gehen die Stomata auf. Die feuchte Luft der Interzellularen kann sich<br />

durch Diffusion mit der Außenluft mischen. Welche Feuchtigkeit herrscht in dieser? Das<br />

Maximum ist natürlich auch hier 100 % RLF. Es kann in regnerischen Nächten oder bei<br />

starker Nebelbildung auch tatsächlich erreicht oder zumindest angenähert werden, und<br />

dann gibt es natürlich keinen Wasseraustausch durch Transpiration. Aber der Regelfall<br />

ist das entschieden nicht. Normalerweise ist die Luft weit trockener: 50% relative Luft-<br />

feuchte und weniger sind im Verlauf eines normalen Tagesganges im mitteleuropäi-<br />

schen Freiland regelmäßig zu finden, wobei die Mittagsstunden natürlich am trockensten<br />

und die Morgen- und Abendzeit am feuchtesten sind. In der Sahara, der Namib, einem<br />

geheizten Wohnzimmer und ähnlichen Wüstenklimaten können die Luftfeuchtewerte<br />

bekanntlich noch weit tiefer absinken.<br />

Nehmen wir einmal an, dass sich das Blatt und die umgebende Luft auf gleicher<br />

39


Temperatur befinden. Dann läßt sich der Unterschied in der Luftfeuchte sofort in die<br />

Triebkraft für die Wasserabgabe umrechnen. Diese Triebkraft ist proportional dem<br />

Dampfdruckdefizit der Luft (dem Unterschied im kPA oder mbar zwischen dem Dampf-<br />

druck vollgesättigter Luft von 100 % Luftfeuchte und dem Dampfdruck der Außenluft, die<br />

50 oder 70 % Feuchte haben mag).<br />

Die folgende Tabelle zeigt einige Zahlen für Dampfdruckdefizite bei zwei ver-<br />

schiedenen Temperaturen. Die einzige Vereinfachung ist die, dass man die Luftfeuchte<br />

in den Interzellularen mit 100 % annimmt, obwohl sie in Wirklichkeit nur 99 % oder 97 %<br />

hat.<br />

t oC rLf (%) p(mbar) Δp (auf 100%)<br />

15 100 17,0 0,0<br />

75 12,8 4,2<br />

50 8,5 8,5<br />

25 100 31,7 0,0<br />

75 23,9 7,8<br />

50 15,85 15,85<br />

Aus diesem Beispiel sieht man, dass höhere Temperaturen den Wasserhaushalt<br />

der Pflanze weit stärker belasten als niedrige, weil die Triebkraft für die Transpiration<br />

steigt. Der Fehler, den man durch die vereinfachte Annahme einer Luftfeuchtigkeit von<br />

100% in den Interzellularen begeht, ist jedenfalls klein. Viel mehr fällt da schon ins Ge-<br />

wicht, dass sich das Blatt im allgemeinen nicht auf der Temperatur der umgebenden Luft<br />

befindet. Vor allem breite Laubblätter, die ja die Strahlung stark absorbieren und relativ<br />

weniger Oberfläche besitzen als Nadelblätter, werden oft mehrere Grad über die Luft-<br />

temperatur erhitzt. Will man genauere Werte für die Triebkraft der Transpiration haben,<br />

dann muss man also den Sättigungsdampfdruck bei der jeweils herrschenden Blatttem-<br />

peratur ermitteln und erst davon den aktuellen Dampfdruck der Luft abziehen.<br />

Wie macht man so etwas in der Praxis? Es gibt meteorologische Tabellenwerke,<br />

in denen sich die Werte des Dampfdruckes mit großer Genauigkeit für jede Temperatur<br />

40


und jede relative Luftfeuchte nachschlagen lassen (etwa die vom Deutschen Wetter-<br />

dienst herausgegebenen Psychrometertafeln). In der Regel bestimmt man Lufttempe-<br />

ratur und relative Luftfeuchte im Rahmen ökophysiologischer Messungen mit Standard-<br />

geräten der Klimatologie. So kann man mit Aßmann-Psychrometern sehr genaue Punkt-<br />

messungen durchführen, was an "Modelltagen" mit gleichmäßigem Wetter durchaus<br />

genügt. Man kann aber auch mit Temperatur- und Luftfeuchteschreibern kontinuierlich<br />

messen (was sehr zu empfehlen ist, weil man dann den Zeitpunkt plötzlicher rascher<br />

Schwankungen, etwa vor einem Gewitterregen, auf jeden Fall exakt ermitteln kann). Die<br />

kontinuierlichen Luftfeuchte-Messgeräte nützen meist den elektrischen Widerstand oder<br />

die Kapazität von quellbaren Kunststoffplättchen aus. Mehrere Firmen bieten heute<br />

automatische Wetterstationen an, die im Freiland aufgestellt werden und die Daten com-<br />

puterfertig mit Datenloggern speichern.<br />

Schwierig wird es freilich dann, wenn Temperatur oder gar Luftfeuchte des<br />

pflanzlichen Objektes erfasst werden sollen. Die Temperaturmessung an Blättern ist<br />

ziemlich haarig. Trotz methodischer Fortschritte der letzten Jahre sind hier Messfehler<br />

von über 1 o C nicht selten. Und die Luftfeuchte im Inneren eines transpirierenden Blattes<br />

mit offnen Stomata ist wahrscheinlich auch nicht so ohne weiters mit der Luftfeuchte bei<br />

voller Sättigung gleichzusetzen. Schließlich diffundiert ja ständig Wasserdampf ab, und<br />

zumindest in den äußeren Bereichen der Atemhöhlen ist eine gewisse Verarmung der<br />

Luft an Wassermolekülen, also eine verminderte relative Luftfeuchtigkeit, nicht unwahr-<br />

scheinlich. Direkte Messungen der Luftfeuchte im Interzellularsystem eines Blattes sind<br />

aber (zumindest derzeit noch) nicht möglich.<br />

Es wird daher oft ehrlicher sein, in Diagramme (etwa Tagesgänge des Wasserpo-<br />

tentials oder der stomatären Leitfähigkeit) bloß das Dampfdruckdefizit der Luft als Ver-<br />

gleichswert aufzunehmen und auf detaillierte Berechnungen der Triebkraft für die Tran-<br />

spiration zu verzichten. Der Trend in einem Tagesgang kommt auch so durchaus richtig<br />

heraus: Perioden geringer Luftfeuchtigkeit sind fast immer auch Perioden erhöhter Ein-<br />

strahlung, also erhöhter Blattemperaturen; die Amplitude eines Tagesganges der "wah-<br />

ren" Triebkraft wird daher vielleicht höher sein als die des Dampfdruckdefizits, die Maxi-<br />

ma und Minima werden aber die gleiche relative Lage haben.<br />

Wir haben jetzt ein Maß für die Triebkraft der Wasserbewegung vom Inneren des<br />

41


Blattes in die freie Atmosphäre gewonnen. Die Menge, die tatsächlich abgegeben wird,<br />

hängt aber auch von den Widerständen ab, die auf diesem Diffusionsweg auftreten.<br />

Wieder haben wir eine Analogie zum Ohm'schen Gesetz zu beachten:<br />

I = U/R wird zu dV/dt = prop Δp/R<br />

V ist dabei die Menge des von der Blattflächeneinheit abgegebenen Wassers! Es<br />

hat also die Dimensionen m 3 .m -2 .s -1 . Der Gesamtwiderstand einer solchen Blattflächen-<br />

einheit besteht nun aus Teilwiderständen, die teils parallel, teils in Serie liegen. Dafür<br />

gelten ebenfalls Analoga zur Elektrizitätslehre:<br />

a) Widerstände, die hintereinander (in Serie liegen), addieren sich direkt:<br />

R = r1 + r2<br />

b) Hingegen addieren sich bei parallelen Widerständen die Kehrwerte:<br />

1/R = 1/r1 + 1/r2<br />

Was heißt das in der Praxis? Bei hintereinandergeschalteten Widerständen ist ein<br />

besonders großer Widerstand ausschlaggebend für die Größe des Gesamtwiderstan-<br />

des. Bei parallelen Widerständen ist jedoch der Gesamtwiderstand kleiner als der<br />

kleinste Einzelwiderstand. Der Beitrag zum Gesamtwiderstand wird umso kleiner, je<br />

größer der Widerstand ist. Beispiele: Ein Widerstand habe 10, der andere 1000 Ohm.<br />

Hintereinandergeschaltet ergibt das 1010 Ohm, parallel hingegen<br />

1/R = 1/10 + 1/1000 = 1/0.101; R ist daher 9.90 Ohm.<br />

Zwei gleiche Widerstände von 10 Ohm hätten hintereinandergeschaltet 20, parallel aber<br />

nur 5 Ohm.<br />

Das war natürlich nur zur Auffrischung bekannter Tatsachen gemeint; wie aber<br />

steht es mit den Widerständen in den Blättern? Hier haben wir zwei parallele Widerstän-<br />

de und einen, der hinter diese beiden geschaltet ist. Als elektrisches Schaltbild läßt sich<br />

das so darstellen:<br />

42


Die beiden parallelen Widerstände werden von der Cuticula und den Stomata<br />

gebildet. In den Stomatawiderstand habe ich das Zeichen für "regelbare Widerstände" (<br />

) eingetragen; der Cuticularwiderstand ist vielleicht etwas variabel ( ) mit dem Was-<br />

serzustand des Blattes, aber sicher nicht echt "regelbar". Ebenso verhält es sich mit<br />

dem stark variablen, aber keineswegs regelbaren Grenzschichtwiderstand.<br />

Wir gehen zunächst vom Fall völlig geschlossener Stomata aus. Wir können<br />

annehmen, dass dann der Stomatawiderstand unendlich hoch ist. Der Cuticularwi-<br />

derstand bestimmt nun den Wasserfluss aus dem Blatt. Die Cuticula der Pflanzen ist ein<br />

ziemlich komplexes und von Fall zu Fall verschieden ausgebildetes Häutchen, das der<br />

dicken äußeren Zellwand der Epidermis aufliegt und häufig auch zwischen die Fibrillen<br />

der äußeren zellulosischen Schichten eindringt. Unterschiede gibt es natürlich zwischen<br />

Pflanzen verschiedener systematischer Stellung und zwischen solchen abweichenden<br />

genetischen Hintergrundes, aber auch die Cuticula desselben Individuums kann in ver-<br />

schiedenen Entwicklungszuständen und sogar unter dem Einfluss verschiedener<br />

Wachstumsbedingungen unterschiedlich ausgebildet werden: Es ist zum Beispiel be-<br />

kannt, dass Pflanzen in Glashäusern dünnere Cuticularschichten entwickeln als im Frei-<br />

land. Die Cuticula ist nun durchaus nicht völlig wasserabstoßend. Schon ihre Aus-<br />

gangsmaterialien, höhere Alkohole und Fettsäuren, enthalten ja hydrophile Gruppen, die<br />

auch nach der Veresterung zu der makromolekularen Netzstruktur des Cutins noch<br />

Wasser binden können. Die Cuticula hat also eine gewisse, wenn auch sehr beschränk-<br />

te Quellbarkeit, und das Ausmaß der Quellung hängt von den Umweltbedingungen ab:<br />

Wenn der Wasserzustand der Pflanze günstig ist, ist die Cuticula stärker gequollen.<br />

Beginnt dann die Transpiration, so kann zunächst relativ viel Wasser abgegeben wer-<br />

den, doch werden durch die bald folgende Entquellung und Schrumpfung der Cuticula<br />

die Wasserfäden zurückgezogen. Gut studiert sind diese Verhältnisse freilich noch nicht.<br />

Hinderlich ist hier zum Beipiel, dass man nur stomatafreie und unverletzte Epidermen<br />

exakt messen kann, da man ja nie sicher sein kann, ob nicht eine Wasserabgabe aus<br />

nicht ganz geschlossenen Spaltöffnungen oder aus kleinen Wunden die sehr geringe<br />

43


Transpiration der Cuticula verfälschen würde. Solche Epidermen sind natürlich selten;<br />

man hat aber immerhin feststellen können, dass die Cuticula-Widerstände steigen, so-<br />

bald der Wasserzustand im Blatt schlecht wird.<br />

Wie kann man nun solche Transpirationswiderstände messen? Die exakteste<br />

Methode ist die, die Transpiration einer bestimmten Fläche unter einem bekannten<br />

Dampfdruckgefälle zu messen und daraus den Widerstand zu berechnen. Wir sehen<br />

uns zunächst einmal die Dimensionen der Gleichung an. Dabei wenden wir das Ohm-<br />

sche Gesetz an. Wir können statt dem Dampfdruckdefizit eine Größe einsetzen, die fast<br />

(aber nicht ganz) proportional ist, nämlich die Differenz der Konzentrationen des Was-<br />

serdampfes bei voller Sättigung und bei der gegebenen relativen Luftfeuchte.<br />

Es ergibt sich folgendes:<br />

[g . m -2 . s -1 ] = [Differenz der Wasserdampfkonzentration / r]<br />

also<br />

[g . m -2 . s -1 ] = [g . m -3 / r]<br />

Durch Kürzung und Umformung erhält man:<br />

r = [s . m -1 ]<br />

Der Transpirationswiderstand hat also ganz allgemein die Dimension Sekunden<br />

pro Meter; meist findet man jedoch Angaben in den handlicheren Größen Sekunden pro<br />

Zentimeter. Je höher dieser Wert zahlenmäßig ist, desto geringer ist die Transpiration<br />

einer Einheitsfläche des Blattes. Der Kehrwert des Transpirationswiderstandes, die Leit-<br />

fähigkeit für Wasserdampf (Symbol meist gs), wird in m . s -1 oder cm . s -1 angegeben.<br />

Das sind jene Dimensionen für Widerstand und Leitfähigkeit, die man meist in<br />

Publikationen findet. Die Proportionalität zwischen den Differenzen im Dampfdruck und<br />

in der Wasserdampfkonzentration ist aber (wie gesagt) nicht ganz exakt. Der Grund<br />

dafür ist, dass der Dampfdruck außer von der Konzentration der Wassermoleküle in der<br />

Gasphase auch direkt von der Temperatur abhängt. Wenn also Blatt und Umgebungsluft<br />

auf verschiedenen Temperaturen sind, ergeben sich Diskrepanzen zwischen den wah-<br />

ren Widerständen und denen, die nach der früheren Formel bestimmt werden. Es wird<br />

daher seit einiger Zeit vorgeschlagen, die Dimensionen der Leitfähigkeit mit<br />

44


gs = mol . m -2 . s -1 , und die des Widerstandes mit<br />

r = m 2 . s . mol -1 anzugeben.<br />

Das hat außer der größeren Exaktheit auch noch weitere Vorteile: Erstens ist die<br />

Einheit für die Leitfähigkeit sehr anschaulich, und zweitens lassen beide sich leicht mit<br />

anderen Größen vergleichen, bei denen ebenfalls auf das Mol als universelle Massen-<br />

einheit bezogen wird, etwa mit der photosynthetischen Leistung oder der Wasserabgabe<br />

durch Transpiration. Trotz dieser Vorzüge hat sich dieses Einheitensystem aber noch<br />

nicht wirklich durchgesetzt.<br />

Man misst die Cuticularwiderstände (so wie die Stomatawiderstände) mit Diffusi-<br />

onsporometern, Geräten, die wir später noch genauer besprechen wollen. Um einwand-<br />

freie Werte für den Cuticularwiderstand zu bekommen, benötigt man freilich sehr emp-<br />

findliche Modelle. Die Werte liegen allgemein zwischen 40 und 120 s . cm-1, was sehr<br />

hoch ist. Gerhard KERSTIENS hat 1996 einen ausgezeichneten Übersichtsartikel zur<br />

Frage der Wasserabgabe durch die Cuticula publiziert, der auf 5 Druckseiten die ge-<br />

messenen Werte für die minimale Leitfähigkeit aus der Literatur zusammenträgt. Er geht<br />

auch auf die ökologische Bedeutung der Wasserabgabe durch die Cuticula ein. Danach<br />

ist ihre größte Bedeutung in der Begrenzung der Überlebensfähigkeit bei starkem Tro-<br />

ckenstress zu sehen, wenn die Spaltöffnungen geschlossen sind und durch eine Sum-<br />

mierung kleiner Wasserverluste über lange Zeit die Zellen immer stärker austrocknen,<br />

bis sie endlich absterben. Da der zweite Widerstand, der in Serie liegt, also der soge-<br />

nannte Grenzschichtwiderstand, die Größenordnung des Cuticularwiderstands nie auch<br />

nur annähernd erreicht, brauchen wir ihn hier nicht zu berücksichtigen. Wir können da-<br />

her feststellen: Bei geschlossenen Stomata entscheidet über die Wasserabgabe des<br />

Blattes der Cuticularwiderstand, der im Vergleich zu den beiden anderen Widerständen<br />

außerordentlich groß ist.<br />

Wenn sich nun die Stomata öffnen, wird der Diffusionswiderstand aus dem Inne-<br />

ren des Blattes heraus gering, und zwar viel geringer, als man auf Grund der geringen<br />

Gesamtquerschnittsfläche der Spaltöffnungszylinder erwarten sollte. Rechnet man<br />

nämlich den Querschnitt aller Spaltöffnungen zusammen, bleibt er meist unter 2% der<br />

Blattfläche. Man könnte daher wohl annehmen, dass auch die gesamte Wasserabgabe<br />

45


durch diese Spaltöffnungen nicht mehr als höchstens 2% derjenigen einer Wasserfläche<br />

von der Größe der Balttfläche betragen kann. Diese logische Annahme ist leider grund-<br />

falsch: Durch ihr winziges Porenareal können die Blätter bis zu 70% der Wassermenge<br />

abgeben, die eine gleich große freie Wasserfläche an die Umgebungsluft verliert!<br />

Der Grund dafür liegt nicht in irgendwelchen geheimnisvollen Lebenskräften der<br />

Pflanzen, er ist rein physikalisch. Schon im 19. Jahrhundert wurde durch Josef<br />

STEFAN, den Lehrer Ludwig BOLTZMANNs, festgestellt, dass viele kleine, relativ weit<br />

voneinander entfernte Poren bei gleicher Gesamtfläche weit mehr Wasser durchtreten<br />

lassen als eine geschlossene Fläche. Den Wassermolekülen, die aus einer isolierten<br />

Spalte oder Pore austreten, steht eine Halbkugel um die Pore für die Diffusion zur Ver-<br />

fügung, da in allen Richtungen ein Konzentrationsgefälle herrscht. Denen, die aus einem<br />

gleich großen Areal der freien Wasserfläche austreten, tut sich hingegen nur eine Röhre<br />

senkrecht über der Oberfläche auf. In der Querrichtung herrscht ja kein Konzentrations-<br />

unterschied: Hier schwirren in gleicher Dichte jene Wassermoleküle herum, die aus den<br />

Nachbarbezirken der Oberfläche ausgetreten sind. Es scheint, dass auch die Evolution<br />

des Blattbaus von diesem Effekt beeinflusst wurde. In der Regel liegen nämlich die<br />

Spaltöffnungen mindestens um den zehnfachen Durchmesser der ganz geöffneten Spal-<br />

te voneinander entfernt. Daher überlappen sich ihre Dampfhauben nicht.<br />

Sie werden jetzt vielleicht befremdet fragen, worin denn eigentlich der Vorteil<br />

einer Pflanze liegen soll, die auf diese Weise ihre Wasserabgabe maximiert; meist ist ja<br />

die Einschränkung der Wasserabgabe erwünscht und sinnvoll. Für die CO2-Aufnahme,<br />

die eigentlich erstrebte Konsequenz der Stomataregulation, gilt aber spiegelbildlich das<br />

Gleiche: Die einzelne Spaltöffnung, deren Betrieb ja Energie verbraucht, kann durch ihre<br />

isolierte Lage mehr CO2 "einfangen", als das dichte Gruppen von Poren könnten.<br />

Wir haben den Stomatawiderstand als "regelbar" bezeichnet; die Mechanismen<br />

der Öffnung sind Ihnen wahrscheinlich bekannt. Wir haben sozusagen einen Motor, der<br />

in Änderungen des Turgors besteht. Kaliumionen werden durch aktiven Transport in die<br />

Schließzellen gepumpt oder aus ihnen in die Nebenzellen befördert. Und dann brauchen<br />

wir Schalter, die den Motor anwerfen und in die eine oder die andere Richting laufen<br />

lassen. Diese Schalter sind an zwei "Regelkreise" gekoppelt:<br />

1) Der CO2-Regelkreis spricht auf die Konzentration des Kohlendioxids in den Interzellu-<br />

46


laren an. Wenn diese unter einen Schwellenwert im Bereich von 250 bis 220 ppm fällt,<br />

gehen die Stomata auf.<br />

2) Der H20-Regelkreis reagiert auf den Wasserzustand in der Pflanze. Wird dieser<br />

schlecht und die Zellen im Blatt verlieren in Turgor, dann schließen sich die Spaltöff-<br />

nungen.<br />

Der erste Regelkreis sorgt dafür, dass die Spaltöffnungen nur dann aufgehen, wenn die<br />

Pflanze CO2 für ihre Photosynthese benötigt. So sind sie etwa während der Nacht ge-<br />

schlossen, da bei Lichtmangel die Konzentration an Kohlendioxid natürlich weit über<br />

dem Schwellenwert liegt. Bedeutung hat dieser Regelkreis für die Einsparung von<br />

Wasser, dessen unproduktive Ausgabe er verhindert. Der zweite Regelkreis spricht<br />

direkt auf Wasserknappheit an und sorgt dafür, dass sich der Wasserzustand beim<br />

Erreichen eines kritischen Grenzwertes nicht weiter verschlechtert.<br />

Weiters möchte ich hier an die unterschiedliche Verteilung der Spaltöffnungen<br />

über die beiden Blattflächen erinnern: "Epistomatische" Blätter tragen die Stomata an<br />

der morphologischen Blattoberseite; wir finden sie praktisch ausschließlich bei Wasser-<br />

pflanzen, deren Schwimmblätter auf diese Weise leichter mit CO2 versorgt werden.<br />

"Hypostomatische" Blätter mit den Stomata auf der Unterseite zeigen ökologische<br />

Vorteile, wenn die Blätter von der Strahlung hauptsächlich an der Oberseite getroffen<br />

werden. Die Umgebung der Spaltöffnungen erhitzt sich dann nicht so stark, wodurch die<br />

Wasserabgabe geringer wird. Viele Baumblätter, aber auch Blätter dikotyler Kräuter<br />

sind so gebaut. "Amphistomatische" Blätter mit Spaltöffnungen auf beiden Seiten sind<br />

dort zu finden, wo die Blätter ganz oder annähernd senkrecht stehen, wie etwa bei<br />

Eucalyptus-Arten und vielen Gräsern.<br />

Die Zahlenwerte für den Spaltöffnungswiderstand können sehr verschieden sein:<br />

Blätter mit geschlossenen Stomata haben einen Widerstand rs von unendlicher Größe.<br />

Voll geöffnete Stomata können den Widerstand unter 1.0 s . cm -1 ( rund 2.4 m² .s.mol -1 )<br />

absenken; die geringsten Cuticularwiderstände sind noch fast zwei Zehnerpotenzen<br />

höher. (Körner et al 79: S. 52/53, 70/71)<br />

Wie misst man aber eigentlich die Widerstände? Es gibt alte Verfahren, die nur<br />

eine grobe qualitative Abschätzung des relativen Öffnungszustandes der Stomata erlau-<br />

ben. Man kann etwa das Blatt mit Flüssigkeiten (Paraffin, Wasser, Wundbenzin) infiltie-<br />

47


en, oder man kann die Spaltöffnungen im Mikroskop beobachten. Zeigen diese Unter-<br />

suchungen, dass die Stomata weit offen sind, dann kann man natürlich auch ihren Wi-<br />

derstand als gering annehmen. Es lassen sich auf diese Weise auch Unterschiede im<br />

Verlauf eines Tages beobachten. Quantitative Werte kann man aber auf diese Weise<br />

nicht erhalten. Seit etwa 1970 hat sich daher eine Messtechnik durchgesetzt, die man<br />

als Wasserdampf-Diffusionsporometrie bezeichnet. Sie beruht auf folgender Überle-<br />

gung: Das Innere des Blattes ist von gesättigtem Wasserdampf erfüllt. Je nach dem<br />

Öffnungszustand der Stomata und der Durchlässigkeit der Cuticula tritt das Wasser<br />

verschieden rasch aus dem Blatt aus. Wenn dieser Transpirationsstrom nun nicht in die<br />

freie Atmosphäre, sondern in einen geschlossenen, nicht zu großen Raum geleitet wird,<br />

muss es in diesem zu messbaren Änderungen der Luftfeuchte kommen, und zwar umso<br />

rascher, je rascher das Wasser dem transpirierenden Organ entströmt.<br />

Alle Diffusionsporometer bestehen aus einer abgeschlossenen Kammer, einer<br />

"Küvette", in die man das Blatt einbringt oder an die man eine Blattseite anklemmen<br />

kann. In der Kammer befindet sich ein möglichst empfindlicher und rasch reagierender<br />

Luftfeuchtefühler; es gibt hier verschiedene moderne Messprinzipien. Stets wird auch<br />

die Temperatur in der Kammer und meist auch diejenige der Blattoberfläche gemessen,<br />

und ein kleiner, hochtouriger Ventilator bläst auf das Blatt, um den Grenzschichtwider-<br />

stand zu beseitigen. Davon später.<br />

Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Man kann entweder die Geschwindigkeit des An-<br />

stiegs der Luftfeuchte stoppen; der wird bei einer gegebenen Temperatur umso rascher<br />

erfolgen, je weiter die Stomata geöffnet sind. Nach Eichung des Gerätes läßt sich der<br />

Widerstand nach bestimmten Formeln berechnen. Der Nachteil dieses Porometertyps<br />

liegt in der Schwierigkeit der Eichung, und diese wieder ist vom Material der Küvette<br />

bedingt. Es gibt kein Material, weder Kunststoff noch Metall, das nicht an seiner Ober-<br />

fläche Spuren von Wasser adsorbieren würde. Die Menge des adsorbierten Wasser<br />

hängt von der Temperatur und der relativen Luftfeuchte in der Küvette ab. Nun steigt<br />

aber die Luftfeuchte während der gestoppten Messzeit in der Kammer an, und die Mes-<br />

sungen finden natürlich bei sehr unterschiedlichen Außenbedingungen, also auch bei<br />

verschiedenen Temperaturen in der Küvette, statt. Es wäre also im Prinzip für jede<br />

Temperatur und jede in der Kammer auftretende Luftfeuchte eine Eichung vorzuneh-<br />

48


men, um den Anstieg der relativen Luftfeuchte mit der abgegebenen Wassermenge in<br />

Beziehung zu setzen. 1997 ist eine interessante kleine Arbeit von A. VERHOEF erschie-<br />

nen, die zeigt, wie schwierig die Messungen mit dynamischen Porometern sind. Selbst<br />

kleine Fehler in der Bestimmung der Temperatur können Messfehler von 50% bewirken!<br />

Die "dynamischen Porometer" werden daher immer mehr durch die sogenannten "Stea-<br />

dy State"- oder "Fließgleichgewichts"-Porometer ersetzt, die zwar teurer, aber auch viel<br />

genauer sind.<br />

Steady State - Porometer leiten einen regulierbaren und gemessenen Strom von<br />

trockener Luft in die Küvette, und zwar gerade so viel, dass die Luftfeuchte konstant<br />

bleibt, obwohl das untersuchte Pflanzenorgan transpiriert. Die Temperaturabhängigkeit<br />

fällt hier völlig weg. Das derzeit international führende Gerät ist das LI 1600 der ameri-<br />

kanischen Firma LI-Cor. Das ist ein Porometer mit einem erheblichen Grad an Automa-<br />

tisierung. So muss zum Beispiel die Dosierung der Trockenluft nur grob vorgenommen<br />

werden, die Feinabstimmung erfolgt automatisch. Die verschiedenen gemessenen Wer-<br />

te werden gespeichert und können der Reihe nach abgefragt werden. Auf Wunsch<br />

können alle Daten auf Kassette geladen und später mit einem eigenen Abspielgerät auf<br />

den PC übertragen werden. Das ist sinnvoll, denn nur so können die großen Datenmen-<br />

gen bewältigt werden, die man mit diesem Gerät messen kann.<br />

Was liefert uns ein solches Porometer? Zunächst einen Wert für den gesamten<br />

Blattwiderstand oder die Blattleitfähigkeit, also das Gesamtergebnis aus der Wechsel-<br />

wirkung der drei Teilwiderstände. Uns interessieren aber hier natürlich nur die beiden<br />

ersten Komponenten, der cuticuläre und der stomatäre Widerstand. Der Grenzschicht-<br />

widerstand hängt nämlich vollständig von den Verhältnissen am Standort ab, vor allem<br />

vom Wind, und ist deshalb in einer Messkammer nicht zu erfassen, da diese ja den<br />

Wind abschirmt. Das Gerät beseitigt daher den Grenzschichtwiderstand vollständig<br />

durch einen Ventilator, der die Windgeschwindigkeit an der Blattoberfläche auf über<br />

1 m . s -1 bringt. Die Messungen geben also Werte für die Diffusionswiderstände. Sehr<br />

niedrige Werte deuten darauf hin, dass die Stomata offen sind. Bei Werten um<br />

20 cm.s -1 müssen wir bereits mit ganz geschlossenen Stomata rechnen. Manche Auto-<br />

ren geben statt des Widerstandes lieber dessen Kehrwert an, die Leitfähigkeit. Diese<br />

Darstellungsart macht geringfügige Schwankungen der Spaltweite bei insgesamt großer<br />

49


Öffnung deutlicher, wogegen die für die Transpiration weniger bedeutenden kleinen<br />

Änderungen bei nahezu geschlossenen Spalten weniger in Erscheinung treten.<br />

Wir haben also jetzt eine Methode für die Messung der cuticulären und der sto-<br />

matären Widerstände kennengelernt. Gerade bei ganz offenen Stomata, wenn die Was-<br />

serabgabe des Blattes infolge des geringen stomatären Widerstandes besonders groß<br />

ist, baut sich aber über dem Blatt ein neues Hindernis auf: Der austretende Dampf wird<br />

bei ruhiger Luft nicht rasch genug weggeschafft, und es entsteht eine Schicht, die mehr<br />

Wassermoleküle enthält als die ruhende Luft. Die Zahl an Molekülen, die in der Zeitein-<br />

heit von einem Punkt weg zu einem anderen diffundiert, der sich (sagen wir) in 1 cm<br />

Entfernung befindet, ist aber dem Dampfdruckunterschied proportional, der zwischen<br />

diesen beiden Punkten herrscht.<br />

Das Fick´sche Diffusionsgesetz lautet wie folgt:<br />

dm / dt = -D . A. dC / dx<br />

Hier ist m die Masse an Wasserdampf, die in der Zeit t diffundiert. D ist die Diffusions-<br />

konstante, die für Wasserdampf in Luft einen bestimmten Wert hat, A die Austausch-<br />

fläche (etwa die Blattflächeneinheit); C die Wasserdampfkonzentration und x die<br />

Diffusionsrichtung senkrecht auf die Blattoberfläche.<br />

Bei Anwesenheit einer Grenzschicht können wir für unsere Berechnungen dx<br />

konstant halten, also annehmen, dass wir in der gleichen Entfernung vom Blatt messen.<br />

Dann verkleinert sich der Konzentrationsgradient dC, da innerhalb der Grenzschicht die<br />

Luft feuchter ist. Wenn wir aber weiter von der Blattoberfläche weggehen, um dC kon-<br />

konstant zu halten, dann wird dx größer. Mit beiden Maßnahmen muss also zwangsläu-<br />

fig dm / dt kleiner werden.<br />

Wenn daher der Dampfdruckunterschied zwischen dem inneren und dem äuße-<br />

ren Rand der Spalte, also zwischen Luft in der Atemhöhle und der an der Oberfläche<br />

des Blattes, abnimmt, dann kommt es zu einem "Rückstau", der bis in die Atemhöhlen<br />

hinein und zu den transpirierenden Zellwänden hin reicht und die Wasserabgabe des<br />

Blattes empfindlich reduzieren kann. Die Größe des Grenzschichtwiderstandes hängt<br />

von zwei Faktoren entscheidend ab:<br />

50


1) von den Dimensionen des Blattes und<br />

2) von der Windgeschwindigkeit.<br />

Diese Abhängigkeiten lassen sich nicht leicht aus grundlegenden physikalischen<br />

Größen ableiten, weshalb immer wieder neue, jeweils etwas verschiedene empirische<br />

Formeln angegeben werden. Wie sieht so etwas aus?<br />

GATES und PAPIAN haben einen "Atlas of Energy Budgets of Plant Leaves"<br />

herausgegeben, der Computer-Tabellen für verschiedene Größen des Energiehaushal-<br />

tes von Blättern enthält. Der Berechnung der Grenzschichtwiderstände liegt in diesem<br />

Werk folgende Formel zugrunde:<br />

rs = (0.026 oder 0.035) * W 0.20 * D 0.35 * G -0.55<br />

Hierbei ist D die Blattdimension in der Windrichtung, W ist die senkrecht darauf<br />

stehende. Beide sind in cm anzugeben. G, die Windgeschwindigkeit, ist in cm pro s<br />

einzusetzen. Die beiden Werte für die Konstante am Anfang der Formel sind so<br />

aufzufassen, dass bei Blättern über 10 cm maximaler Länge der größere Wert gilt. Es ist<br />

klar, dass solche Formeln beliebig vereinfacht oder kompliziert werden können, wenn<br />

man für bestimmte Objekte ausreichend viele Messdaten hat. Aus allen diesen Formeln<br />

ergeben sich maximale Werte für den Grenzschichtwiderstand von mehreren s . cm -1 .<br />

Als grobe Faustregel findet man, dass bei Geschwindigkeiten über 1 m . s -1 die Grenz-<br />

schicht meist nicht mehr ins Gewicht fällt. Wenn das Objekt sehr kleine Blätter hat, also<br />

etwa bei Koniferen mit ihren Nadeln, ist der Grenzschichtwiderstand im Freiland auch<br />

bei sehr kleinen Windgeschwindigkeiten oder völliger Windstille zu vernachlässigen.<br />

Dann genügen nämlich die Luftwirbel, die sich infolge von Temperaturgradienten stets<br />

erneut vom Boden und von den Pflanzenteilen ablösen, um die Grenzschicht zu<br />

durchmischen. Das andere Extrem sind Polsterpflanzen, etwa die alpinen<br />

Zwergsträucher Loiseleuria (Gemsheide) und Empetrum (Krähenbeere); sie bilden dicht<br />

geschlossene Kugeln, an deren Oberfläche die Blätter dicht aneinander schließen. Im<br />

Inneren herrscht hohe Luftfeuchtigkeit, und die stomatäre Leitfähigkeit ist nach Ch.<br />

KÖRNER für die Transpiration fast bedeutungslos, die Grenzschicht dominiert alles.<br />

Natürlich gibt es auch weniger extreme Situationen, in denen der Grenzschicht-<br />

widerstand nicht so stark erhöht wird wie bei Polsterpflanzen. Dazu gehören Haare, die<br />

neben den Spaltöffnungen über die Oberfläche emporragen. Sie stabilisieren und ver-<br />

51


größern die Grenzschicht und setzen damit die Transpiration herab. Das läßt sich auch<br />

wieder mit Hilfe des Fick´schen Gesetzes zeigen.<br />

All das gilt aber nur für das Freiland! In einer Küvette haben wir es mit zwei<br />

Grenzzuständen zu tun: Die Grenzschichtwiderstände sind bei jedem Objekt sehr hoch,<br />

wenn die Luft nicht künstlich in Bewegung versetzt wird. Schaltet man aber (was üblich<br />

ist) einen Ventilator ein, dann werden sie völlig beseitigt.<br />

Das wären also die Widerstände. Oft ist es aber von noch größerem Interesse,<br />

die Gesamtabgabe von Wasser durch das Blatt oder die ganze Pflanze zu kennen. Wie<br />

kann man die messen, und zwar unter Freilandbedingungen?<br />

Ich möchte zunächst gleich davor warnen, die Angabe, die Sie am LI 1600 able-<br />

sen können, als den wahren Wert für die Transpiration der Pflanzenblätter pro Flächen-<br />

einheit anzusehen. Es handelt sich hier nur um die Wasserabgabe eines Blattes in die<br />

Küvette, wobei sich allein durch das Anklemmen der Küvette sowohl die Energiebilanz<br />

(Einstrahlung und Ausstrahlung des Blattes) als auch die Luftbewegung (der entschei-<br />

dende Faktor für den Grenzschichtwiderstand) völlig ändern. Wir werden also die<br />

Gesamttranspiration anders erfassen müssen. In der Literatur sind zahlreiche Verfahren<br />

beschrieben worden. Ich werde hier nur jene erwähnen, denen Sie auch heute noch<br />

öfter begegnen können.<br />

Solange man an Topfpflanzen arbeitet, ist es relativ einfach, die Gesamttranspira-<br />

tion der Pflanze zu erfassen. Es gibt nichts, was besser wäre als eine simple Wägung!<br />

Man baut heute ausgezeichnete, präzise elektronische Waagen, die selbst bei 10 kg<br />

Belastung noch auf 0,1 g genau sind; das reicht völlig. Wichtig ist nur, dass man die<br />

Evaporation der Bodenoberfläche ausschaltet, also etwa den Topf in einen Plastiksack<br />

steckt. Für individuelle Blätter in situ erhält man so natürlich keine Angaben. Bestenfalls<br />

kann man die gesamte transpirierende Oberfläche bestimmen und dafür auf Grund der<br />

Wägung einen Durchschnittswert angeben. Immerhin möchte ich die Wägung ausdrück-<br />

lich wärmstens empfehlen: Sie liefert erstens die genauesten Angaben für die Wasser-<br />

abgabe der Gesamtpflanze, was für viele Zwecke ein weit relevanterer Messwert ist als<br />

die Transpiration eines Einzelblattes oder gar die der Blattflächeneinheit. Und sie ver-<br />

braucht ferner kein Material, man muss nichts abschneiden oder ernten.<br />

52


Die Wägung bietet so viele Vorteile, dass man sie auch kontinuierlich und über<br />

längere Zeiträume an möglichst ungestörten Standorten ausführen möchte. Vorrichtun-<br />

gen für solche Versuche nennt man Lysimeter. Man muss bei diesen Versuchen darauf<br />

achten, dass das Lysimeter möglichst gut in den Bestand eingepasst ist, damit auch die<br />

Grenzschichtwiderstände des ganzen Bestandes in typischer Weise auf die Messpflan-<br />

ze einwirken. Man kann dann entweder die Summe aus Bodenevaporation der Behälter-<br />

oberfläche und Transpiration der Pflanze bestimmen, die sogenannte Evapotranspirati-<br />

on, oder man deckt den Boden ab, um allein die Transpiration zu messen. Bei länge-<br />

rem Betrieb muss man das verbrauchte Wasser wieder ersetzen und andererseits einen<br />

Korrekturfaktor ermitteln, um die Trockengewichtszunahme der Pflanzen in der Zeitein-<br />

heit aus den Wägungen zu eliminieren.<br />

Ich möchte nur ein Beispiel für die Verwendung etwas untypischer, aber dafür<br />

billiger und der Situation angepasster Lysimeter beschreiben. Im Rahmen einer Ökosys-<br />

temstudie mit dem Titel "Alpine Grasheide Hohe Tauern" wollte Christian Körner in den<br />

Siebzigerjahren die Transpiration von Bestandesausschnitten mit einer Fläche von 4 bis<br />

6 dm² verfolgen. Es wurden also Ziegel mit genügender Tiefe ausgestochen (Gewicht<br />

ca. 10 kg) und in Kunststoffkübel mit Tragbügel gesteckt. Teils wurden die Ziegel unver-<br />

ändert gelassen, teils wurde die Bodenoberfläche rund um die Pflanzen mit einer Kunst-<br />

stoffspritze versiegelt. Die Lysimeter wurden so aufgestellt, dass ihre Oberfläche mit der<br />

Umgebung auf gleicher Höhe lag. Die Kübel wurden dann einfach von Zeit zu Zeit aus<br />

ihren Loch herausgehoben und auf einer 10 kg - Waage auf 0.1 g genau gewogen.<br />

Körner beschreibt die Fehlermöglichkeiten bei diesem Verfahren:<br />

1) Artefakte durch das Ausgraben (Verletzung von unterirdischen Organen)<br />

2) Veränderung des Mikroklimas an den Rändern der Bestände<br />

3) Mangelnde Bodendurchlüftung, wenn die Oberfläche versiegelt wird.<br />

4) Fehler durch Verwehung von Pflanzen- und Bodenteilen oder durch zu- und ab-<br />

wandernde Kleintiere<br />

5) Gewichtsänderungen durch Photosynthese und Atmung<br />

6) Wägefehler<br />

Die letzen drei Punkte erwiesen sich bei kurzfristigen Messungen im Tagesgang<br />

als bedeutungslos. Die ersten drei müssen für jeden Bestand gesondert diskutiert wer-<br />

53


den. Tiefwurzler werden leicht beschädigt, bei Polsterpflanzen (Loiseleuria) ist die<br />

Transpiration empfindlich gegen das Aufreißen der Polsterränder. Alles in allem erwies<br />

sich das Verfahren für die Untersuchung alpiner Rasengesellschaften als sehr zweck-<br />

mäßig. Die Transpiration wurde hier einfach in mm Wasser pro Tag angegeben, indem<br />

man das Volumen (=Gewicht) der abgegebenen Wassermenge durch die Querschnitts-<br />

fläche des Kübels dividierte. Das entspricht der für landwirtschaftliche oder forstliche<br />

Bestände üblichen Praxis. Es konnte so gezeigt werden, dass Flechtenbestände sehr<br />

wenig, Moose sehr viel Wasser abgeben, wie sich die Transpiration an sonnigen und<br />

trüben Tagen verhält und wie sie sich auf die Tagesstunden aufteilt.<br />

In vielen Fällen wird das Wägen intakter Pflanzen nicht auszuführen sein.<br />

Manchmal sind die Pflanzen einfach zu groß; es gibt zwar sogenannte Großlysimeter,<br />

auf denen seit vielen Jahren Bäume und kleine Baumgruppen wachsen, aber das sind<br />

eher Kuriosa. In anderen Fällen interessiert man sich kurzfristig für einen bestimmten<br />

Standort, dessen Vegetation nicht durch Grabungen und Installierung des Wägesystems<br />

gestört werden soll oder darf. Man hat dann nur die Qual der Wahl zwischen nicht sehr<br />

befriedigenden Kompromissen.<br />

Es gibt eigentlich nur eine erprobte Methode, die eine zerstörungsfreie Messung<br />

von Veränderungen im Wasserfluss durch Stengel und Stämme ermöglicht, und die ist<br />

nicht vollkommen. Es ist die thermoelektrische Methode, die von Bruno HUBER 1932 in<br />

folgender Form vorgeschlagen wurde: Der Stamm oder Stengel, und damit das Wasser<br />

des Transpirationsstromes, werden an einer Stelle erhitzt. In einiger Entfernung von der<br />

Wärmequelle stammaufwärts (also "stromabwärts") wird ein Thermoelement in den<br />

Stamm eingeführt. Man misst dann die Verzögerung, mit der dieses Thermoelement auf<br />

einen kurzen Hitzeimpuls anspricht. Je stärker die Pflanze transpiriert, desto rascher<br />

wird das erhitzte Wasser die Messstelle erreichen.<br />

Von diesem Grundprinzip gibt es eine Reihe von Abwandlungen. Dem ursprüngli-<br />

chen Konzept am nächsten kommen Geräte, die in Australien und Neuseeland erzeugt<br />

werden. Wir besitzen ein neuseeländisches Modell, das ausgezeichnet arbeitet - wenn<br />

es arbeitet! Nach Erfahrungen meiner ziemlich frustrierten Mitarbeiter ist es nämlich sehr<br />

störanfällig und zeigt oft Ausfälle. Meist werden heute allerdings Geräte bevorzugt, die<br />

nicht mit Hitzeimpulsen arbeiten, sondern die Temperaturverteilung bei Dauererhitzung<br />

54


feststellen. Sie lassen sich leichter auf die Gesamtmasse des beförderten Wassers<br />

eichen, während bei der ursprünglichen Huber´schen Methode die Geschwindigkeit des<br />

am raschesten beförderten Wassers in der Mitte der Leitelemente entscheidend war. Ein<br />

solches Gerät hat zum Beispiel Jan CERMAK in Brünn über Jahrzehnte entwickelt, und<br />

es wird von der tschechischen Firma Environmental Measuring Systems vertrieben.<br />

Mittlerweile gibt es an der Universität für Bodenkultur bereits mehrere Geräte dieses<br />

Typs (was auch mit dem ungemein freundlichen und effizienten Service durch den Fir-<br />

menchef Jiri Kucera zusammenhängt!), und durchaus interessante Messergebnisse<br />

liegen vor. Nach diesem Prinzip arbeitet auch die amerikanische Firma Dynagage, de-<br />

ren Geräte allerdings für den Einsatz an dünneren Stämmen und Zweigen ausgelegt<br />

sind, da sie den Stamm von außen erhitzen. Eine deutsche Firma bietet Geräte nach<br />

dem System des Franzosen Granier an. Diese sind billiger als die tschechischen Sys-<br />

teme, haben aber einige Probleme. Immerhin kann man annehmen, dass die Genauig-<br />

keit aller dieser Verfahren etwa +/- 10% beträgt, was man durch relativ aufwendige<br />

Eichungen feststellen kann.<br />

Es muss uns allerdings klar sein, dass wir "Wasserfluss im Stamm" und "Transpi-<br />

ration" nicht ohne weiteres gleichsetzen dürfen: Da der Wassergehalt der lebenden<br />

Zellen mit dem Turgor schwankt, kommt es zur Leerung und Wiederbefüllung dieser<br />

(wie elektrische Kapazitäten wirkenden) Zellen, die vor allem bei kurzfristiger Betrach-<br />

tung zu Unterschieden zwischen diesen Größen führen. Bei einer Betrachtung über<br />

längere Zeiträume gleichen sich diese Effekte aber aus. Überhaupt sind diese Geräte<br />

prädestiniert für Langzeitmessungen. Man kann sie im Wald stehen lassen, ihre Daten<br />

werden mit Loggern aufgezeichnet und gelegentlich per Modem und Handy übertragen,<br />

und bei geschicktem Versuchsaufbau lassen sich nicht nur die Daten von Einzelbäumen<br />

erfassen: Wenn man nämlich die Wasserflüsse in repräsentativen Vertretern verschie-<br />

dener Durchmesserklassen oder von vorherrschenden und unterdrückten Bäumen<br />

misst, läßt sich bei Kenntnis des Bestandesaufbaus auf den Wasserverbrauch des gan-<br />

zen Bestandes hochrechnen. Solche Möglichkeiten sind natürlich auch für die Forsthyd-<br />

rologie von größtem Interesse.<br />

Die zerstörungsfreie Messung der Wasserabgabe eines Pflanzenteiles ist also<br />

nicht ganz einfach. Wie schaut es aus, wenn wir den untersuchten Teil unseres Objek-<br />

55


tes abschneiden, also letztlich zerstören? Es gibt da eine alte Methode, die knapp nach<br />

dem ersten Weltkrieg eingeführt und von IWANOW, HUBER und STOCKER ausgear-<br />

beitet wurde: die sogenannte Schnellwägemethode an Blättern oder Zweiglein.<br />

Der Gewichtsverlust eines abgetrennten Blattes oder Sprosses wird einige Minu-<br />

ten mit der Waage verfolgt. Man machte dies meist so, dass man zunächst sehr rasch<br />

das Anfangsgewicht des Objektes bestimmte und es dann möglichst rasch wieder dort<br />

exponierte, wo man es entnommen hatte. Man befestigt also zum Beispiel das abge-<br />

schnittene Blatt mit einer Kluppe oder einer Büroklammer wieder an seinem Ast. Nur so<br />

kann man ja sicher sein, dass die äußeren Bedingungen (etwa Einstrahlung, Wind und<br />

Dampfdruckdefizit der Luft) in gleicher Weise wie vor dem Abschneiden die Transpira-<br />

tion des Blattes beeinflussen.<br />

Die Schnellwägemethode beruht auf der Annahme, dass sich während der ersten<br />

paar Minuten nach dem Abschneiden die ursprüngliche Wasserabgabe durch Transpira-<br />

tion nicht ändert, dass also vor allem der stomatäre Widerstand gleich bleibt. Man kann<br />

das natürlich heute recht genau testen, wenn man porometrische Untersuchungen an<br />

abgeschnittenen Blättern vornimmt. GLATZEL hat das an Eichen getan, und zwar so,<br />

dass er den betreffenden Zweig, dessen Blätter er untersuchen wollte, gar nicht abge-<br />

schnitten, sondern nur mit Kohlensäureschnee tiefgefroren hat. Die Wasserversorgung<br />

der Blätter wurde also schlagartig unterbrochen, ohne dass sich ihre Exposition und das<br />

Mikroklima in ihrer Umgebung im mindesten geändert hätten. GLATZEL fand mit dem LI<br />

1600 dasselbe, was IWANOW bereits im Jahr 1928 beweisen konnte: In den ersten<br />

paar Minuten nach dem Eingriff (Abschneiden des Zweiges oder Einfrieren) ändert sich<br />

der Öffnungszustand der Stomata empfindlich, und zwar gehen sie merk-<br />

würdiger Weise zunächst einmal auf, bevor sie sich langsam schließen. Man bezeichnet<br />

das kurz als den "IWANOW - Effekt". Es gibt dafür verschiedene Erklärungsversuche;<br />

am wahrscheinlichsten ist es, dass die Epidermiszellen zunächst weiter Wasser verlie-<br />

ren, ohne dass dieses aus dem Xylem ersetzt werden könnte. Dadurch kommt es vor<br />

der Induktion einer aktiven Stomatabewegung zu einem rein passiven Schrumpfen der<br />

Nebenzellen. Die Schließzellen werden dadurch ebenfalls passiv nach hinten gezogen<br />

und die Spaltweite vergrößert sich. Bei den meisten Arten setzt dieser Effekt binnen<br />

ganz weniger Minuten ein; man kann aber selbst in günstigen Fällen, wie etwa bei den<br />

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träg reagierenden Nadelhölzern, nicht damit rechnen, dass die Stomata länger als etwa<br />

10 Minuten unverändert offen bleiben. Wenn man diese problematische Methode ver-<br />

wendet, muss man also jedenfalls die Expositionszeit kurz halten, höchsten 2 bis 5 Minu<br />

ten, und man braucht empfindliche, rasch arbeitende Waagen für die kleinen Gewichts-<br />

verluste, die während dieser Zeit auftreten.<br />

Wenn man die Wasserabgabe von Pflanzenteilen untersucht, ob sie nun in einer<br />

Küvette stecken oder abgeschnitten sind, erhält man zunächst eine Angabe des Was-<br />

serverlustes im mg pro Pflanzenteil und Zeiteinheit. Man kann das jetzt in verschiedener<br />

Weise umrechnen. Recht üblich ist der Bezug auf die Blattflächeneinheit. Beim LI 1600<br />

wird ja von vornherein nur ein flächenmäßig bekannter Ausschnitt eines Blattes auf<br />

seine Transpiration untersucht und der Bezug auf die Blattflächeneinheit wird durch die<br />

Berechnung sofort hergestellt. Stecken unbekannte Blattflächen in einer Küvette, oder<br />

schneidet man unregelmäßig geformte Blätter ab, dann muss man sogenannte Plani-<br />

meter verwenden. Da gibt es ganz unterschiedliche Systeme; modernere Typen arbei-<br />

ten meist mit einer Lichtmessung: Die unbekannte Fläche wird zwischen eine Lichtquelle<br />

und einen lichtmessenden Sensor gebracht und verringert das Licht, oder mit Scannern,<br />

die die Fläche direkt in den Computer einspeisen. Wir erhalten also nach Division der<br />

abgegebenen Wassermenge durch die Blattfläche die Transpiration in g H2O pro cm²<br />

oder dm².<br />

Man muss sich darüber im klaren sein, was das bedeutet. Solange wir uns nur für<br />

den Wasseraustausch eines Blattes interessieren, ist diese Bezugsgröße wohl ange-<br />

messen: Ein Blatt mit weit geöffneten Stomata, dessen Wasser- und CO2-Austausch<br />

lebhaft ist, wird auf diese Weise durch einen hohen Wert für die Transpiration pro Flä-<br />

cheneinheit charakterisiert. Freilich interessiert uns in vielen Fällen gar nicht so sehr der<br />

Wasseraustausch eines Blattes an sich, sondern seine Bedeutung für den Wasserhaus-<br />

halt der ganzen Pflanze. Und da kann der Bezug auf die Einheit der transpirierenden<br />

Fläche sehr irreführend werden: Verschiedene Pflanzenarten oder Entwicklungssta-<br />

dien haben unterschiedliche Blattflächen. Ein Individuum mit geringer Blattfläche<br />

kann sich eine sehr lebhafte Transpiration des Einzelblattes leisten, und dennoch wird<br />

die Wasserentnahme aus dem Boden gering sein, der Wasserdurchsatz durch die<br />

Wurzeln und die Leitwege des Stammes wird sich in Grenzen halten; dort sitzen aber<br />

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die Widerstände, und der Potentialabfall ist bekanntlich vom Wasserdurchsatz abhän-<br />

gig! Es ist bekannt, dass viele Arten auf eine Erschwerung der Wasserversorgung mit<br />

dem Abwurf von Blättern reagieren. Sie vermindern damit ihre Oberfläche (und zwar<br />

meist diejenige, die von den weniger produktiven älteren oder stark beschatteten Blät-<br />

tern beigesteuert wird) und können sich im verbleibenden Rest einen gewissen Luxus<br />

leisten. Wenn man während der Trockenperiode nur die Transpiration der Blattflächen-<br />

einheit bestimmt, wird man von dieser Regulation überhaupt nichts mitbekommen.<br />

Man wird also in vielen Fällen nicht darum herum kommen, die Transpiration<br />

der ganzen Pflanze zu ermitteln, indem man die Transpiration der gemessenen Pflan-<br />

zenteile auf die transpirierende Oberfläche der Pflanze umrechnet. Das ist oft sehr<br />

schwierig; man denke nur an große Bäume mit ihren zehntausenden ganz unterschied-<br />

lich exponierten Blättern. Oft wird es auch ganz unmöglich sein. Eines muss man aber<br />

dann immer klar vor Augen haben: Auch der exakteste Wert für die Transpiration pro<br />

Flächeneinheit kann nur als Richtwert für die Wasserbewegung in der Pflanze dienen,<br />

darf aber keineswegs als Messgröße für den Wasserumsatz des Individuums interpre-<br />

tiert werden!<br />

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