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heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

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HÖH ENZOLLER ISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herausgegeben vom<br />

Orchester des Gymnasiums Hedingen 1910<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

38. Jahrgang Nr. 1 / März 1988<br />

Das Bild zeigt die Stirnwand der Aula des Sigmaringer Gymnasiums mit den Büsten der Kaiser Wilhelm I., Wilhelm II. und Friedrich III.;<br />

darunter die Bilder von Bismarck und Moltke. Von den Schülern, die im Orchester mitspielen, sind noch zwei bekannt. Der Violinspieler vorn in<br />

der Mitte (mit Brille) ist Anton Haas, spater Studienrat und Vorstandsmitglied des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s. Link hinten stehend<br />

(mit Stehkragen) Anton Flad aus Starzein, später Dr. med. vet. und Oberstveterinär. Noch war tiefster Frieden und niemand konnte ahnen, daß<br />

mancher dieser Schüler im Krieg fallen würde. Acht Jahre später wurden auch die Insignien des Kaiserreiches abgenommen. Das Hedinger<br />

Gymnasium blieb aber noch für mehr als ein halbes Jahrhundert Pflanzstätte humanistischer Bildung in Hohenzollern. Heute ist das alte<br />

Pennal in die Gebäude der Theodor-Heuß-Realschule integriert. Vergeblich hatte sich die Denkmalspflege bemüht, das Ensemble<br />

Gymnasium-Direktorsvilla-Turnhalle zu erhalten. Repro: H. Burkarth


Es war an einem kalten Dezemberabend oben in einem Dorf<br />

der Gammertinger Alb. Da hockten in der Wirtsstube zum<br />

»Bären« einige dem wenig begüterten Seidnerstande angehörende<br />

Dorfbewohner am wärmespendenden Kachelofen<br />

beim oft geübten Würfelspiel beisammen. Matt erhellte eine<br />

schwindsüchtige Petroleumfunzel den rauchgeschwängerten<br />

Raum. Draußen heulte der »Unterluft«, ein ruppiger Geselle,<br />

der jedem Albler die Haare stellt. Es saßen da der schwarze<br />

Kasper, ein bekannter Wirtshaussitzer, der durch Arbeitsscheu<br />

und schlechtes Hausen ziemlich viel Geld umgekehrt<br />

am Zins liegen hatte. Ferner der Boinerkarle, der wegen seiner<br />

Magerkeit diesen klapprigen Namen führte, keiner von den<br />

Tapfersten. Weiter der Baatle, welcher meistens das große<br />

Wort führte und gewöhnlich alles besser wußte. Dann der<br />

Zitterenes, der eigentliche Geisterzitierer und spiritus rector<br />

beim Tischlesrücken, ein kleines, schmächtiges Männchen,<br />

das beständig mit dem Kopf wackelte, als ob er sich über sich<br />

selbst verwundere. Auch der Pfannejockel war da, der einen<br />

guten Tropfen »Weihwasser« über alles schätzte. Endlich<br />

noch der Katzamanges mit dem Spitznamen »Rälling«, der<br />

nicht zur Tafelrunde gehörte und heute anscheinend zufällig<br />

im »Bären« war. Er galt bei den Tischlesrückern als ein<br />

»Eiskalter«, weil er im Gegensatz zu ihnen nichts von der<br />

Geisterei hielt.<br />

Besagter Katzamanges war ein eingefleischter Junggeselle,<br />

schon in reiferen Jahren, der bei jeder Gelegenheit die armen<br />

Ehemänner aufzog und verspottete, weshalb er bei diesen<br />

nicht in besonderer Gunst stand. Im übrigen hatte er eine<br />

besondere Vorliebe für Theaterspielen und Vermummungen.<br />

Daher wurde er von den »Ledigen«, deren Bürgermeister er<br />

war, für ihre alljährlichen Aufführungen zum Theaterdirektor<br />

und Regisseur erkoren. Die Aufführungen fanden stets im<br />

geräumigen Saal des »Bären« statt. Dorthin waren nun vor ein<br />

paar Tagen die nötigen Requisiten, als da Kulissen, Kostüme<br />

und Larven, eingetroffen, und zwar aus Sigmaringen, von wo<br />

aus man die ländlichen Spielbestrebungen kräftig förderte.<br />

Die schauerlichsten Masken waren da angekommen, denn in<br />

diesem Winter gab es ein romantisches Ritterstück, wie man<br />

es nie gesehen im Dorfe, mit schauerlichem Femegericht,<br />

Hexen, Teufel- und Geistererscheinungen. Katzamanges<br />

hatte sich schon mittags in den »Bären« begeben, um die<br />

Sachen sorgfältig zu prüfen, zu ordnen und aufzuheben für<br />

das kommende große Ereignis.<br />

2<br />

oon Hans Hanner=Mannheim<br />

Die Anwesenheit des Katzamanges behagte unserer Tafelrunde<br />

keineswegs. Es waren, wie gesagt, Leute, die mit<br />

Glücksgütern nicht besonders gesegnet waren und nach einer<br />

Gelegenheit spähten, die spröde Fortuna auf einem angenehmeren<br />

Wege als dem des Schweißes sich geneigter zu machen.<br />

Es waren keineswegs die angesehensten Dorfgenossen, die<br />

sich da so kappengleich brüderlich gefunden hatten. Das viele<br />

Wirtshaussitzen war ein schlechtes Beispiel für die ganze<br />

Gemeinde und brachte Zank und Hader in die Familien.<br />

Meistens mußten es die armen Frauen entgelten, die mit ihren<br />

zahlreichen Kindern oft nicht wußten, wie sie sich durchschlagen<br />

sollten, indes der Mann alles ins Wirtshaus trug.<br />

Sagten sie ein Wort, dann setzte es nicht selten Prügel ab;<br />

Baatle hatte sogar seine eigene alte Mutter geschlagen, weil sie<br />

ihm Vorhaltungen machte, was im Dorf große Empörung<br />

hervorrief.<br />

An besagtem Abend war man in einer ganz bestimmten<br />

Absicht zusammengekommen. Einer der Tischlesrücker<br />

hatte nämlich einen alten Schmöker in die Hände bekommen<br />

und darin gelesen, der Hunnenkönig selig sei mit ungeheuren<br />

Schätzen zuerst in einem goldenen, dann in einem silbernen<br />

und mit beiden zuletzt in einem kupfernen Sarg beigesetzt<br />

worden. Niemand aber wisse, wo die Grabstätte sich befinde.<br />

Nun gab es da oben seit uralters eine Sage, wonach in der<br />

Nähe von Hayingen, bei dem abgegangenen Ettenhain, eine<br />

Schlacht zwischen Hunnen und Alemannen stattgefunden<br />

habe, wobei der Hunnenkönig gefallen sein soll. Unser guter<br />

Tischlesrücker dachte nun in seiner Einfalt, wenn sie durch<br />

Geisterbefragung auf dem Wege des Tischlesrückens den<br />

Bestattungsort des berühmten Königs erfahren könnten<br />

- und in der Nähe müsse er ja begraben sein, da gäbe es gar<br />

keinen Zweifel -, dann wären sie ja alle gemachte Männer,<br />

»Millionöhre«, und brauchten nichts mehr zu arbeiten. An<br />

diesem Abend also wollte man den Geist des Hunnenkönigs<br />

zitieren, um seinen Begräbnisort zu erfahren. Alles weitere<br />

sollte dann verabredet werden.<br />

Zunächst galt es einmal, den Katzamanges, der gleich Lunte<br />

gerochen zu haben schien und mit boshaften Sticheleien<br />

aufwartete, aus der Wirtsstube zu beißen. Baatle wurde<br />

sackgrob, aber Katzamanges zog nicht, als Baatle mit dröhnender<br />

Baßstimme versicherte, es gebe gescheitere Leute wie<br />

manchen, die an die Existenz der Geister und an ihr Erscheinen<br />

glaubten. Katzamanges, der Eiskalte, war nicht zu bekeh-


en, nicht aus der Ruhe und auch nicht vom Biertisch<br />

wegzubringen.<br />

Der Bärenwirt, bei dem die Tischlesrücker stets zusammenkamen<br />

und der selbst im stillen über die alberne Geisterseherei<br />

lachte, wollte keinen Streit aufkommen lassen, blinzelte<br />

dem Katzamanges heimlich zu und fragte dann den schwarzen<br />

Kasper, ob jetzt in seinem Hause Ruhe eingekehrt sei.<br />

Der Gefragte verneinte, es sei nachts immer noch so unruhig<br />

auf der Bühne. Er und seine Frau würden hin und wieder<br />

durch ein polterndes Geräusch aus dem Schlafe geschreckt,<br />

das oben im Haus von der Schütte auszugehen scheine und<br />

sich anhöre, als ob jemand Kegel umwerfe. Das Rollen der<br />

Kugel wäre ganz deutlich zu hören. Man hätte herausgebracht,<br />

daß der verstorbene frühere Besitzer des Hauses im<br />

Leben ein leidenschaftlicher Kegler gewesen sei. Einmal wäre<br />

Streit unter den Kegelbrüdern entstanden, und da hätte ihm<br />

sein Gegner eine Kegelkugel an den Kopf geworfen. Die<br />

Folge sei ein Schädelbruch gewesen, der später den Tod<br />

herbeigeführt habe. Jetzt müsse er »goistweis« gehen, zur<br />

Strafe für seine Leidenschaft.<br />

Katzamanges blies große Dampfwolken aus seiner Porzellanpfeife,<br />

kniff nach seiner Weise das linke Auge ein und<br />

meinte dann trocken: »Ih glaub ällaweil dees sind Katza, dia<br />

Siacha keglet ällemol bei Naacht, wenns uff Weihnächte<br />

zuagoht. Wer wött suscht keglet hau?«<br />

Aber da kam er bös an. Baatle sagte ihm unverfroren seine<br />

Meinung ins Gesicht, es war kein Wörtlein Französisch<br />

darunter, nämlich, daß er ihn, den Katzamanges, für einen<br />

ausgesprochenen Esel und Schafskopf halte und daß man<br />

nicht den mindesten Wert auf seine Gesellschaft lege. Im<br />

übrigen scheine er als »Rälling« (Kater) sehr genau zu wissen,<br />

wann die Katzen Kegelabend hätten, es wäre Zeit für ihn, sich<br />

dorthin zu verfügen. Damit spielte er auf etwas anderes an.<br />

Seine Freunde quittierten mit schallendem Gelächter und<br />

geräuschvoller Zustimmung, so daß Katzamanges endgültig<br />

zugedeckt wurde. Diesem schien das nun doch zu starker<br />

Tabak zu sein, er trank sein Glas aus, holte seine Pelzkappe<br />

vom Nagel, wechselte noch einen vielsagenden Blick mit dem<br />

verschmitzten Bärenwirt und ward nicht mehr gesehen.<br />

Allgemeines Aufatmen der Tischlesrücker; man war angenehm<br />

überrascht, daß der Rälling so schnell das Feld geräumt<br />

hatte, solches war man von ihm sonst nicht gewöhnt. Jetzt<br />

konnte man ungestört und unberufen ans Werk gehen.<br />

Der Wirt wurde aufgefordert, die Requisiten der Geisterherbeischaffung,<br />

nämlich ein kleines wackeliges Tischlein sowie<br />

ein Zifferblatt mit leicht beweglichem Zeiger, aus dem<br />

Nebenzimmer zu holen. Dann mußten die Fensterläden<br />

geschlossen werden. Die zwölfte Stunde war unterdessen<br />

näher gerückt. Zitterenes machte sich fertig zum Geisterbeschwören.<br />

Seine Anhänger mußten sich um das runde Tischlein<br />

setzen und die Hände an den Rand der Platte legen. Der<br />

Wirt schraubte während dieser Vorbereitungen das Licht<br />

herunter und sagte dann, er wolle nicht dabei sein, er nicht, es<br />

rege ihn immer so auf. Er wolle unterdessen in den Stall gehen<br />

und nachsehen, was die Kuh mache, die schon seit einigen<br />

Tagen das Kalb bringen solle. »Hoffentlich ist's kein Ochs«,<br />

rief ihm Baatle nach. Vom nahen Kirchturm schlug die Uhr<br />

zwölf. Der Geisterbeschwörer Zitterenes gab die letzten<br />

Instruktionen. Krampfhaft spannten sich die Finger um den<br />

Plattenrand, fingen an zu zucken, ruckweise bewegte sich das<br />

Tischlein, der Zeiger auf dem Zifferblatt bekam plötzlich<br />

Leben, glitt gespenstisch von einer Ziffer zur anderen, übersprang<br />

zum zweiten Mal die 9, und als er wieder in deren<br />

Nähe kam, fuhren die Hände wie elektrisiert zurück. Der<br />

Zeiger hielt auf der 9.<br />

Auf sprang Zitterenes, stellte sich in die Mitte der Stube,<br />

machte mit den Händen beschwörende Zeichen und rief mit<br />

dünner, kläglicher Stimme, indes die anderen schweißgebadet<br />

der kommenden Dinge harrten: »Geist des Hunnenkönigs,<br />

ich banne Dich! Weile!« Boinerkarle fing an, das Knieschlottern<br />

zu bekommen und mit den Zähnen zu klappern. Und<br />

wirklich, es geschah das Unerhörte, das auch den kältesten<br />

Teilnehmern das Mark in den Knochen gefrieren ließ: Der<br />

Geist meldete sich.<br />

Engel und Boten Gottes steht uns bei! Von irgendwoher, es<br />

war schwer zu lokalisieren, vermutlich aber aus der Gegend<br />

des im Finsteren liegenden Herrenzimmers kam eine hohle<br />

Grabesstimme, heiser, wie aus weiter Ferne: »Wer bannt<br />

mich?« Zitterenes rief, indem er sich an der Mittelsäule<br />

festhielt: »Ich beschwöre dich, sage mir, wo du begraben<br />

liegst!« Die Stimme gurgelte: »Auf dem Dachsberg zwischen<br />

Wilsingen und Juchzenhausen!« Zitterenes: »Woraus deine<br />

Särge?« Die Stimme: »Aus Gold der erste, aus Silber der<br />

zweite, aus Kupfer der dritte. Laß mich!« Es folgte ein tiefer,<br />

mark- und beindurchdringender Seufzer, dann war alles<br />

totenstill. Sichtlich erleichtert rief Zitterenes: »Ich verbanne<br />

dich! Schwinde, Schwinde! Schwinde!« Dann fuchtelte er mit<br />

den Armen nach allen Himmelsrichtungen, die Augen rollend<br />

wie ein echter Hexenmeister. Seine Freunde aber saßen<br />

da, wie es im Liede heißt, mit schlotternden Knien und<br />

totenblaß. Keiner wagte sich zu rühren. Wie angeleimt saßen<br />

sie an ihrem Wackeltischchen.<br />

Da fuhren sie plötzlich zusammen, aufschreckend, die Türe<br />

hatte sich geöffnet. Bald löste sich der Zauber, denn herein<br />

trat der Bärenwirt. »So ist es schau feetig?« fragt er obenhin<br />

und schraubte das Licht höher, »hott-se eabbes verzoigt?«<br />

Baatle erwiderte: »Herrgott nei, man sotts et glauba, aber der<br />

Zitterenes versteht sich uff d'Goist, seall ist schau feetig.« Der<br />

lange Kasper aber meinte: »Jetzt brauchet mir nix maih<br />

z'schaffet mir sind alle reiche Kerle.« Der Bärenwirt tat sehr<br />

erstaunt: »Ja saget ist der Goist komma?« Zitterenes klärte<br />

ihn auf, alles sei eingetroffen wie erwartet. Auf dem Dachsberg<br />

liege der Hunnenkönig begraben, da beiße keine Maus<br />

den Faden ab. Das Gold liege gleichsam haufenweise auf der<br />

Straße, sie brauchten es nur aufzuheben. Aber er dürfe ja um<br />

Gottes willen nichts verlauten lassen, er bekomme auch<br />

seinen Teil davon. Morgen nacht zwischen zwölf und eins<br />

gingen sie hinaus auf den Dachsberg, um den Grabhügel auf<br />

der Kuppe aufzuräumen.<br />

Der Bärenwirt tat maßlos erstaunt. Aber so etwas habe er<br />

denn doch nicht für möglich gehalten. Sie seien aber Malefizkerle.<br />

Boinerkarle, der sich von dem ausgestandenen Schrekken<br />

wieder einigermaßen erholt hatte, warf dann ein, ob man<br />

das Graben nicht ebensogut bei Tag machen könnte. Zitterenes<br />

winkte aber ab und Baatle gab auf seine grobklotzige Art<br />

die Belehrung, das müsse ganz heimlich und in der Stille<br />

geschehen, sie müßten sonst die Schätze abgeben; in Sigmaringen<br />

seien sie sowieso den Schatzgräbern nicht hold. Das<br />

hätte, meinte Baatle, dem Boinerkarle der Unverstand sogar<br />

eingeben müssen, geschweige denn der Verstand. Er werde<br />

wohl Angst haben, dann könne er ja zu hause bleiben bei<br />

seinem Bäbale.<br />

Boinerkarle sagte, Angst habe er, wie er glaube, keine.<br />

Es wurde dann beschlossen, jeder solle morgen nacht mit<br />

Hacke und Schaufel bewaffnet zur bestimmten Stunde am<br />

Dachsberg antreten.<br />

Pfannajockel mahnte zum Aufbruch:<br />

»Ausere Weiber haud heut au wieder lange Zähn kriagt. Die<br />

mei wead au anfanga schlofa. Suscht geits wieder a Dunderweatter.<br />

Noch ist der Deufel laus und et bloß der Hunnakönig.«<br />

Die Tischlesrücker verdrückten sich, teilweise profitlich die<br />

Hände reibend, und der Bärenwirt rief ihnen noch nach, sie<br />

sollten nur keine Angst haben, dann werde alles gut gehen.<br />

Dann drehte er schmunzelnd das Licht aus.<br />

3


In einer der folgenden »Heiligen Zwölfe« begaben sich, wie<br />

verabredet, dieSchatzgräber auf den etwa eine halbe Stunde<br />

vom Dorf entfernten Dachsberg, einen ausgedehnten, mit<br />

Gestrüpp, Weidebuchen, Föhren und einzelnen Wacholdergruppen<br />

bestandenen Höhenrücken, auf dessen Kuppe sich<br />

in der Tat eine grabhügelartige Erhöhung befand. Es war<br />

bitterkalt, in kurzen, schauerlichen Stößen heulte der Unterluft<br />

den armen Glücksuchern um die schmerzenden Ohren.<br />

Die vor Kälte steifen Finger klammerten sich um die Hackenund<br />

Schaufelstiele. Die geisterhaft vom Vollmond beleuchtete<br />

Landschaft war in ein tiefes, weißes Schneekleid gehüllt,<br />

an den Bäumen hing dicker Rauhreif.<br />

Es war kurz vor Zwölf. Pfannajockel, dem die Kälte am<br />

meisten zu schaffen machte, griff in die Tasche und holte seine<br />

bewährte Wärmeflasche, nämlich den Schnapsbudel, hervor,<br />

und nahm einen tiefen Schluck. Er müsse geh einheizen,<br />

meinte er, dann könne seinetwegen der Unterluft pfeifen,<br />

solange er wolle.<br />

Die andern waren ziemlich »doucement«, wie man hierzulande<br />

sagt, keiner konnte sich eines bangen Gefühls erwehren,<br />

dem Boinerkarle Ausdruck gab mit den Worten:<br />

»'s ist halt doch a gwogte G'schicht, so z' Nacht uma zwölfe,<br />

man ist es et g'wöhnt.«<br />

Baatle suchte dies ins Lächerliche zu ziehen, er solle doch<br />

gleich in die Hosen machen, was ihn angehe, so spüre er<br />

nichts von Angst. Ob er vielleicht dem Vollmond sein großes<br />

Maul fürchte?<br />

Aber seine aufgelegte Lustigkeit wirkte keineswegs überzeugend.<br />

Man wäre allerseits fast froh gewesen, wenn man unter<br />

irgend einem Vorwand dem Dachsberg hätte den Rücken<br />

kehren und zu Hause ins warme Federbett kriechen können.<br />

Und nur der Einfluß, den Zitterenes auf alle ausübte, der<br />

Glaube an seine Macht über die Geister und die Hoffnung auf<br />

die zu ergrabenden Schätze vermochte sie bei der Stange zu<br />

halten.<br />

So gelangte man mit gemischten Gefühlen an den Grabhügel.<br />

Beim Uberschreiten eines im Schnee versteckten Steinriegels<br />

stolperte der schwarze Kasper und fiel der Länge nach auf den<br />

Boden. Beim Aufstehen bemerkte er Fußspuren und machte<br />

seine Begleiter darauf aufmerksam. Es müsse da schon<br />

jemand oben gewesen sein, meinte er. Aber Zitterenes<br />

4<br />

erklärte, die Spuren kämen von den Holzmachern, die im<br />

nahen Herrschaftswald beschäftigt seien und den Rückweg<br />

über den Dachsberg wählten.<br />

Unten vom Dorf herauf klangen die zwölf Schläge der<br />

Mitternacht, und man machte sich händespuckend ans Schätzeheben.<br />

Das ging so eine Zeitlang. Durch die glasklare Stille<br />

der Winternacht drangen die Hackenschläge und das Geklirr<br />

der eisernen Schaufeln, die an die Steine stießen. Boinerkarle<br />

hielt einen Augenblick inne, um auszuschnaufen, wobei er die<br />

Blicke über das Gelände schweifen ließ. Plötzlich fuhr er<br />

erschrocken zusammen.<br />

Was war das?<br />

Die übrigen Schatzgräber wurden aufmerksam und fragten,<br />

was er habe.<br />

Herkules nei«, sagte er, »was ist jetz au dees g'sei? Mir ist es<br />

vorkomma, als ob so en Wacholderboscha deet hinta gega<br />

au's rausgloffa wär.«<br />

Alle schauten gespannt nach der angegebenen Richtung. Es<br />

war aber nichts zu bemerken. Da lachten sie den Boinerkarle,<br />

diesen ewigen Angstmeier, gründlich aus, und Baatle rief<br />

belustigt: »Ih moin grad, man sott di ge Zwiefalta schicka, mo<br />

die sealle sind mit ema Sparra z'viel. Hott ma au amol g'hairt,<br />

daß d' Wacholderboscha da Bearg rauflaufet? Ha, Ha, Ha.«<br />

Beim Weitergraben kam ein verrostetes Eisenstück zum<br />

Vorschein, das man mit einiger Phantasie für einen Sporn<br />

halten konnte. Freudige Überraschung. Und Zitterenes<br />

wurde noch zappliger, als er von Natur aus schon war. Das sei<br />

jedenfalls ein Sporn, der einem der vielen Diener gehört habe,<br />

die mit dem Hunnenkönig begraben worden seien.<br />

Pfannajockel aber holte zu feierlicher Bestätigung wieder<br />

seine Schnapsflasche und nahm einen tiefen Schluck, indem er<br />

die Augen zum Mond erhob. Als er sie wieder in seiner<br />

Tasche verstaute, sagte er:<br />

»Der Mau' do hoba lachet; der hott guat lacha, dea fruits et<br />

wia au's. Der Hunnakönig wead hoffentlich bald komma,<br />

suscht gang ih noh hoim.«<br />

Der schwarze Kasper drauf:<br />

»Jo, do föllt mer grad eabbes ei'. Herrgott nei, sind mir<br />

dumme Siacha! Jetz saget sealber, wia bringet mir dia schwere<br />

Särg äll hoi? Mir haud jo koin Schlitta!«


Die Tischlesrücker sind inzwischen in<br />

Kettenacker zu einer Fasnetsgruppe<br />

geworden. Sie sind 1988 zum ersten<br />

Mal aufgetreten. Hier beim Umzug<br />

am Fastnachtsdienstag in Cammertingen.<br />

Foto: H. Burkarth.<br />

Aber Zitterenes beschwichtigte:<br />

»Noi, noi, für dees brauchet ihr et z' sorget, dees hauni et<br />

vergeassa. Um oins rum kommt der Bärawit mit em Schlitta.<br />

Er wöll au noh a bitzle zuagucka, hott er g'sait.«<br />

Boinerkarle aber war seit jener vermeintlichen Feststellung<br />

nicht mehr so recht bei der Sache. Alle Augenblicke hielt er<br />

inne mit Graben und widmete seine Aufmerksamkeit mehr<br />

dem Hintergrund der Szenerie. Und ließ mit einemmale die<br />

Schaufel fallen mit den Worten:<br />

»Oh hoilige Muattergottes, dees ist, schla mi 's Weatter, oi<br />

Mol aso, wian-n-ih gsait hau. Oh gucket au, was ist au dees?«<br />

Das Suchen nach des Hunnenkönigs Gold- und Silbersarg<br />

kam mit einem Male ins Stocken. Alle schauten gespannt nach<br />

dem Hintergrund, wo sich eine Geistererscheinung den<br />

entsetzten Blicken darstellte: Man sah eine königliche Gestalt<br />

feierlich gemessenen Schrittes über den Bergrücken wandeln<br />

und sich, oh Entsetzen, dem Grabhügel nähern. Ganz vermummt<br />

in Leichengewänder war das Gespenst, auch das<br />

Haupt von diesem Grauen einflößenden Weiß eingehüllt. Im<br />

Mondlicht sah man eine Krone goldig flimmern, zur Linken<br />

baumelte das breite, mächtige Schlachtschwert.<br />

Keiner der Schatzgräber vermochte sein Grauen zu verbergen,<br />

auch dem großmauligen Baatle hatte die furchtbare<br />

Erscheinung die Stimme verschlagen, von Boinerkarle ganz<br />

zu schweigen, der zähneklappernd sich dünne machen wollte.<br />

Aber Zitterenes, dem selbst die Haare zu Berge standen, hielt<br />

ihn zurück, indem er ihm zuflüsterte: »Doblieba! Nu jetz et<br />

fottgauh, dees wär 's ällerg'fährlichst. Ih kenn mih aus mit da<br />

Goist, ih schrei-en an.<br />

Wer bist du, der du uff'em Dachsberg rumgoistest?«<br />

Mit hohler Grabesstimme antwortete das Gespenst:<br />

»Wer pocht an mein Grab und stört meine tausendjährige<br />

Ruhe?«<br />

Boinerkarle jammerte verzweifelt:<br />

»Ih gang oifach jetz hoi, lau'd mih gauh; ih hau nia rauswölla.<br />

O Bäbale, wenn ih nu au bei dir wär!«<br />

Zitterenes aber, den schlotternden Hasenfuß festhaltend,<br />

flüsterte den andern zu:<br />

»Des ist der Goist vom Hunnakönig.«<br />

Dann gegen den Geist gewandt in gewähltem Hochdeutsch:<br />

»Wir wollen dich, o großer König, aus deinem Sarggefängnis<br />

erlösen.«<br />

Wieder ertönte die Grabesstimme des Geistes:<br />

»Frevler verletzen mein Grab!<br />

Ihr höllischen Geister<br />

In Wäldern und Klüften,<br />

In Wasser und Lüften,<br />

Erzählts eurem Meister.<br />

Herbei! Herbei! Herbei!«<br />

Kaum waren diese Worte, im fernen Hart das schlummernde<br />

Echo weckend, verhallt, da tauchten plötzlich, als hätte sie die<br />

Erde ausgespuckt, an allen Ecken und Enden des Dachsberges<br />

teuflische Gestalten auf, welche die vor Schrecken fast<br />

versteinerten Tischlesrücker mit dem Hohngelächter der<br />

Hölle im Nu umringt hatten. Jeder trug außer der schauerlichen,<br />

nie gesehenen fabelhaften Teufelsmaske eine sehr elastische<br />

Fuhrmannspeitsche, die durchaus dem Diesseits anzugehören<br />

schien, was aber von den Gefoppten im Drange des<br />

Gefechts nicht gemerkt wurde. Der geneigte Leser hat bereits<br />

etwas gemerkt, aber die Tischlesrücker merkten nichts, da<br />

ihnen der plötzliche Spuk so auf die Nerven gegangen war,<br />

daß in ihrem Kopf Kurzschluß entstand und das Gehirn<br />

gänzlich ausgeschaltet wurde. /<br />

Seine Schürgabel klirrend in den Boden stemmend, stieg der<br />

Höllenrichter auf den Grabhügel, während der Geist sich in<br />

dem bereits gegrabenen Loch plazierte. In der Nähe des<br />

Höllenrichters aber hatte sich der Leibhaftige selbst postiert,<br />

mit glühenden Augen die geknickten Schatzgräber anfunkelnd.<br />

Der Höllenrichter knurrte sie an: »Was trieb euch an,<br />

zu mitternächt'ger Stunde Des Grabes eherne Riegel aufzusprengen.<br />

Darin der Hunnen großer König schlief?«<br />

Die Tischlesrücker jammerten durcheinander: »Oh wia<br />

weads au's au gauh! - Oh, wenn ih nu dahoim wär! - Ih hau's<br />

ällaweil gsait, mir solle et rausgauh! - Oh ihr Herra Deufel,<br />

verhauet au's und laud-a-ne springa, aber nu et in d' Holl, nu<br />

seall et!«<br />

Endlich faßte Zitterenes ein Herz und sagte mit gebrochener<br />

Stimme: »Mir haud jo wölla da Hunnakönig aus seim Sarggefängnis<br />

erlaisa!«<br />

Aber Pfannajockel platzte heraus: »Jo, dear seall sei ima<br />

goldana und silberna Sarg eing'sperrt vergraba!«<br />

5


Mit höllischem Pathos deklamierte da der Höllenrichter:<br />

»Klar vor des Richters Augen liegen die Gedanken:<br />

Gier nach Mammon trieb hierher euch Leichenschänder,<br />

Im Königsgrab wühlt ihr nach gold'nem Raube!<br />

Entkopple, Satan, deine Höllenhunde,<br />

Laß sie zerfleischen, die verweg'nen Frevler!«<br />

Der Leibhaftige aber gab seinen Teufeln den Befehl, die<br />

Mammonsknechte nach allen Regeln der Unterwelt um den<br />

»Berg ihrer Schandtat« zu geißeln. Was alsbald geschah.<br />

Die Teufel ließen ihre Peitschen unter die vergeisterten<br />

Schatzgräber zischen, wobei sie besonders ausgiebig Baatle<br />

und den schwarzen Kasper bedachten. Sie fuhren nach allen<br />

Richtungen auseinander. Weithin weckte das Echo ihr<br />

schmerzerfülltes Angstgeheule und das schrille Pfeifen der<br />

entfesselten Meute, die es mit den Opfern eines albernen<br />

Wahns fast etwas zu arg trieben.<br />

Das beim Grabhügel zurückgebliebene Kleeblatt aber, der<br />

Höllenrichter, der Geist des Hunnenkönigs und der Leibhaftige,<br />

wanden sich in Lachkrämpfen über die da zu mitten der<br />

Nacht auf dem Dachsberg im Flor stehende Gerberei, die<br />

allerdings geeignet war, den schmerzlich Beteiligten das<br />

Schätzegraben gründlich und für alle Zukunft auszutreiben.<br />

Sie erfuhren die Wahrheit des Sprichworts: Mancher geht<br />

nach Wolle und kehrt geschoren heim.<br />

Als es 1 Uhr schlug, verschwand der Spuk, wie er gekommen<br />

war. Die zum Grabhügel zurückgeprügelten Leidensgenossen<br />

aber ließen sich erschöpft in den Schnee fallen, die<br />

jeweiligen Platten reibend und unartikulierte Schmerzenslaute<br />

von sich gebend, wobei der Baatle fortwährend versicherte,<br />

er spüre »koin Fiidla« mehr.<br />

Auf einmal hörte man Schellengeläute gar tröstend von der<br />

nahen Straße heraufklingen, und nach wenigen Minuten kam<br />

der Bärenwirt mit dem Schlitten angefahren.<br />

RUDOLF HAUG<br />

»Guata Obend z'säma!« rief der falsche Kloben, »wia weit<br />

sind-er? Kann ih d' Särg glei auflada? Mo haud ers stauh?«<br />

Als er keine Antwort erhielt, trat er näher und rief erstaunt:<br />

»Ja, was haud er? Ist eabbes passiert?«<br />

Zitternes aber erwiderte kleinlaut: »Es muaß beim Zitiera<br />

eabbes et gstimmt hau. Aubruafne Auhra haud scheints<br />

mitglosnet, noch ist der Goist mißtrauisch woara. Mir haud a<br />

bitzle Malheur kriagt.«<br />

»A bitzle Malheur?« fauchte Baatle ihn wütend an, »mir<br />

langets für mei Lebtag. Laß di hoimgeiga mit deiner verfluachta<br />

Zitiererei!« -<br />

»Herrschaft nei!« staunte der Wirt, ist am End der Goist<br />

sealber komma? Gott behüat au's vor-em.«<br />

Zitterenes bestätigte: »Jo, so ist es ganga. Noch hott's Auannehmlichkoita<br />

gea.«<br />

»Jetz ist es noh erger«, drückte der Wirt durch die Zähne,<br />

»noch kommet nu woidle uf mein Schlitta, daß mer machet,<br />

daß mer hoimkommet!«<br />

Er setzte sich grinsend auf den Bock und fuhr die geprellten<br />

Glücksjäger mit Peitschenknall und Schellenklang wieder in<br />

die nahrhafte, unromantische Wirklichkeit des Albdörfleins<br />

zurück.<br />

So hatte in dieser Nacht das Tischlesrücken und Schätzegraben<br />

in jenem Dörflein und bald auch auf der übrigen benachbarten<br />

Alb auch ohne Särge ein klangvolles Begräbnis gefunden,<br />

wenn es auch nur der Schellenklang der Fastnacht war.<br />

Das schicksalsschwangere Tischlein aber, das wackelige Geistertischlein,<br />

träumt vielleicht noch irgendwo in einem verstaubten<br />

Dachwinkel von jenen Nächten seiner Herrlichkeit,<br />

da es sogar einen Hunnenkönig herbeigezaubert hatte, da es<br />

zu einem wahren »Tischlein deck dich« hätte werden sollen.<br />

Es kam anders. Sic transit gloria mundi!<br />

Die »Tischlesrücker« erschienen im Hohenz. Kalender 1936.<br />

Depotfund der Späten Bronzezeit von Hur »Vordere Lauren« bei Sigmaringen<br />

Ein Zufallsfund beim Bau der Umgehungsstraße<br />

Oberhalb des Römergrabens bei Sigmaringen ratterten Ende<br />

März 1978 Baumaschinen. Sie schürften den Humus der<br />

projektierten Nord-Süd-Umgehungsstraße ab. Es war schönes,<br />

warmes Frühlingswetter und man konnte sich an der<br />

herrlichen Landschaft nicht satt sehen. An den Baustellen der<br />

Umgehungsstraße waren nun der vor kurzem in den Ruhestand<br />

getretene langjährige Ordnungsamtsleiter der Kreisstadt<br />

Sigmaringen, Rudolf Haug, und der 15jährige Schüler<br />

Mathias Behrendt unterwegs, in der stillen Hoffnung, vielleicht<br />

einen kleinen Fund aus der Römerzeit zu machen, da in<br />

dieser Gegend schon einige Römerbauten gefunden wurden.<br />

So wurde 1964 unweit dieser neuen Umgehungsstraße eine<br />

römische Polizei- und Poststation ausgegraben und die<br />

Grundmauern freigelegt. Eine Luftaufnahme hatte durch die<br />

Hellerfärbung des Feldes den Hinweis hierauf gegeben.<br />

Römische Funde in dieser Gegend gaben auch dem Römergraben<br />

seinen Namen. Überhaupt ist die Gegend reichlich<br />

Zeuge römischen Vordringens und römischer Besiedelung.<br />

Es ist daher auch naheliegend, daß bei diesen Straßenneubauarbeiten<br />

in erster Linie Funde aus der Römerzeit erwartet<br />

wurden.<br />

Nun fiel an diesem riesigen, breiten Lehmband plötzlich auf,<br />

daß eine Stelle von kleinen, grünlichen, auch rotbraunen<br />

Streifen durchzogen war. Die genauere Untersuchung ergab,<br />

6<br />

daß der Lehm teilweise von diesen Farben durchdrungen war.<br />

Es mußte also eine Metalldurchsetzung des Lehmes sein. Eine<br />

Metallegierung hatte ihre Farben im Lehm hinterlassen! Was<br />

oxydiert in diesen Farben? Kupfer und Kupferlegierungen.<br />

Ist hier also Kupfer oder Bronze im Spiel? Noch war alles nur<br />

Vermutung. Bis jetzt sah man nur den Lehm mit leichten,<br />

farbigen Streifen.<br />

Ein für seine geringe Größe besonders schwerer Lehmbrokken<br />

wurde von Rudolf Haug nach Hause genommen, um ihn<br />

zu untersuchen und um endlich auf des Pudels Kern zu<br />

kommen. Mit Wasser und Bürste wurde viel Lehm entfernt,<br />

bis plötzlich ein grünlicher Gegenstand hervorkam. Es<br />

konnte sich nur um Bronze handeln. Ein ganzer Spankorb<br />

voll des schweren, Lehm überzogenen Materials wurde<br />

sichergestellt. Der Baggerführer hatte nichts bemerkt. Beinahe<br />

hätten die Sucher den Fund auch übersehen, hätten sie<br />

nicht so hartnäckig nachgeforscht. Statt der möglicherweise<br />

erwarteten weiteren römischen Funde geriet man hier, wie so<br />

oft durch Zufall, an den ersten vorgeschichtlichen Fund von<br />

diesen Fluren bei Sigmaringen, einen Depotfund der Späten<br />

Bronzezeit. Die Überraschung war also perfekt. Die geringfügige<br />

Andersfärbung des Lehmes war hier der Schlüssel zum<br />

Fund.<br />

Hatte nun ein verängstigter Zeitgenosse vor wohl etwa<br />

dreitausend Jahren seinen letzten beweglichen Schatz, eben


Hier wurde beim Bau der Umgebungsstraße<br />

im März 1978<br />

der bronzezeitliche Depotfund<br />

entdeckt. Im Hintergrund<br />

Laiz und das Donautal.<br />

diesen Bronze-Fund an dieser Stelle vergraben, um ihn<br />

zunächst sicher aufzubewahren, also zu deponieren, Banksafes<br />

gab es zu jenen Zeiten ja auch noch nicht, mit der Absicht,<br />

ihn dann in sicheren Zeiten wieder auszugraben und zu<br />

verwerten? Manche dieser vergrabenen Sachen konnten ja aus<br />

irgendwelchen Gründen nicht mehr abgeholt werden, so<br />

vermutlich auch dieser Bronzeschatz, der hier deponiert war.<br />

Sicherstellung des Fundes<br />

Nach der Sicherstellung des Fundes galt es nun, diesen bei der<br />

zuständigen Stelle zu melden. Da der örtliche Vertrauensmann<br />

für Bodendenkmalpflege, Johann Jerg, verstorben war,<br />

war es mit einigen Schwierigkeiten verbunden, an die zuständige<br />

Stelle zu gelangen. Uber das Staatsarchiv Sigmaringen<br />

gelangte Rudolf Haug schließlich an das Landesdenkmalamt<br />

Baden-Württemberg - Außenstelle Tübingen - Abteilung<br />

Bodendenkmalpflege im Schloß Tübingen, Fünfeckturm,<br />

und konnte seine Fundmeldung an zuständiger Stelle anbringen.<br />

Der damalige Konservator, Dr. Hartmann Reim, besah<br />

sich dann am 11. April 1978 im Hause des Rudolf Haug den<br />

Fund und war über diesen hocherfreut. Mit dessen Einverständnis<br />

nahm Dr. Reim dann den Fund mit nach Tübingen<br />

zur wissenschaftlichen Auswertung.<br />

Die Fundstelle wurde Dr. Reim vor Ort gezeigt. Dieser ließ<br />

am 13. April 1978 am Fundort noch eine Fläche von rund<br />

100 qm nachschürfen. Es blieb jedoch bei nur diesem einen<br />

Depotfund. Farbaufnahmen des Fundgeländes, des Fundes<br />

und der neuen Umgehungsstraße, wie sie sich nach Befestigung,<br />

Anpflanzung und Rekultivierung des umliegenden<br />

Geländes zeigt, wurden gefertigt. Die Straße am Römergraben,<br />

deren Straßenniveau nach Fertigstellung ca. 8 m tiefer als<br />

die ursprüngliche obere Feldfläche liegt, ist kartenmäßig bei<br />

den touristischen Anziehungspunkten als »landschaftlich<br />

schöne Strecke« ausgewiesen.<br />

Dies gilt natürlich im wesentlichen erst nach der Ausfahrt aus<br />

dem Einschnitt, wenn der Blick in das Donautal und die<br />

gegenüberliegenden bewaldeten Höhenrücken fällt. Diese<br />

schöne Landschaft war vorher zwar dem Wanderer, jedoch<br />

nicht dem Autofahrer blickmäßig erschlossen.<br />

Und ohne diese Umgehungsstraße gäbe es auch keinen<br />

Depotfund der Späten Bronzezeit.<br />

Das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Außenstelle<br />

Tübingen, Dr. H. Reim, bedankte sich mit Schreiben vom<br />

6. Juni 1978 bei Rudolf Haug, Sigmaringen, ganz herzlich<br />

dafür, daß er diese wichtigen spätbronzezeitlichen Depotfunde<br />

sichergestellt und gemeldet hat. In seinem Betreff<br />

bezeichnete er diesen Fund wie folgt: Depotfund der Späten<br />

Bronzezeit von Flur »Vordere Lauren« bei Sigmaringen.<br />

Der Fund<br />

Fundzeit: Ende März 1978, Fundort: Flur »Vordere Lauren«<br />

bei Sigmaringen, und zwar an der neuen Nord-Süd-Umgehungsstraße<br />

bei Sigmaringen, Teilstück L 546 neu, zwischen<br />

Römergraben und Torwarthaus Josefslust. Festpunkt nach<br />

Fertigstellung der Straße: Ab landwirtschaftlicher Überführungsbrücke<br />

- Nähe des Waldes Morgenwaide - ca. 150 m in<br />

Richtung Römergraben. Die Höhenverhältnisse: Die Fundstelle<br />

ist mehrere hundert Meter in Richtung Laiz vom<br />

Wasserhochbehälter Hohkreuz in Sigmaringen entfernt. Der<br />

Hochbehälter liegt 654,95 m über NN, der Donauspiegel in<br />

der Stadt Sigmaringen im Durchschnitt 567,5 m ü.M. Der<br />

Fund lag auf der Anhöhe, vergleichbar der Höhe des Wasserhochbehälters,<br />

ca. 50 cm tief unter der Humusschicht im<br />

Lehmboden.<br />

Fundgegenstände: Bronzegeräte und Waffen. Lappenbeil,<br />

Sicheln, Lanzenspitze und über 50 Stück Bronzegußkuchenunbearbeitete<br />

Bronzestücke - verschiedener Größe und<br />

Schwere. Der schwerste Bronzegußkuchen wog 2,5 kg. Seine<br />

Größe: Länge 20 cm, Breite 14 cm, Stärke bis zu 4 cm.<br />

Gewicht des gesamten Fundes: 11,5 kg. Einordnung des<br />

vorgeschichtlichen Fundes: Zeitlich: Späte Bronzezeit; kulturell:<br />

Frühe Urnenfelderkultur. Verbleib des Fundes: Der<br />

Fund lagert beim Landesdenkmalamt Baden-Württemberg,<br />

Abteilung Bodendenkmalpflege. Laut Auskunft des Oberkonservators<br />

Dr. Hartmann Reim vom Landesdenkmalamt,<br />

Außenstelle Tübingen, befindet sich der Fund im September<br />

1987 noch in Tübingen. Voraussichtlich kommt aber der<br />

Fund später nach Stuttgart.<br />

Die Frage des Aufbewahrungsortes<br />

Diesen Depotfund der Späten Bronzezeit von Flur »Vordere<br />

Lauren« bei Sigmaringen hätte nach dessen Bekanntwerden<br />

die Kreisstadt Sigmaringen nun selbst gerne gehabt. Bürgermeister<br />

Rudolf Kuhn schrieb bereits am 2. August 1978 in<br />

einer Anfrage an das Landesdenkmalamt Baden-Württem-<br />

7


Teil des bronzezeitlichen Depotfundes.<br />

berg, ob es möglich wäre, den geborgenen Fund - oder<br />

wenigstens wichtige Teile davon - für Ausstellungszwecke<br />

der Stadt Sigmaringen zu überlassen. Dieser erfreuliche Vorgang<br />

wecke in Sigmaringen den Wunsch, solche Gegenstände<br />

am Ort ihres Auffindens bewahren und zeigen zu können. Es<br />

böten sich hierfür an, das Sigmaringer Schloß mit seiner vorund<br />

frühgeschichtlichen Sammlung, in der sich solche Leihgaben<br />

in guter Gesellschaft befänden und auch das städtische<br />

Heimatmuseum im Runden Turm. Für die sichere und<br />

sachgerechte Aufbewahrung würde an beiden Stellen gesorgt.<br />

In Sigmaringen wären sie hochgeachtete und interessante<br />

Zeugen der Ortsgeschichte.<br />

Dem Wunsche des Sigmaringer Bürgermeisters konnte vorerst<br />

nicht, auch nicht teilweise, entsprochen werden und so<br />

lagert der Fund weiter beim Landesdenkmalamt.<br />

Doch das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg - Abteilung<br />

Bodendenkmalpflege - war von sich aus auch bereits<br />

tätig geworden und hatte die Funde öffentlich gezeigt. So<br />

waren sie anläßlich der Jahrestagung der Gesellschaft für Vorund<br />

Frühgeschichte vom 2.-4. Juni 1978 in einer Vitrine des<br />

Volkshochschulheimes Inzigkofen ausgestellt.<br />

Der Runde Turm in Sigmaringen als Heimatmuseum<br />

Aus dem ursprünglichen Fund steht dem Heimatmuseum<br />

jedoch noch ein Stück Bronzegußkuchen im Gewicht von 631<br />

Gramm als »Leihgabenstiftung Rudolf Haug« zur Verfügung.<br />

Die Stadt Sigmaringen will nun das Ausstellungsgut im<br />

Heimatmuseum erweitern, möglichst auch um eine Abteilung<br />

für Vor- und Frühgeschichte, und bemüht sich daher um<br />

Exponate. Es wäre daher schön und bleibt zu hoffen, daß in<br />

absehbarer Zeit weitere Teile des bedeutenden Depotfundes<br />

vom Landesdenkmalamt wieder nach Sigmaringen zurückkommen<br />

werden. Die Kreisstadt Sigmaringen wäre hierfür<br />

sicher sehr dankbar. Sigmaringen, das im Jahre 1077 nach<br />

Christi Geburt erstmals urkundlich in der Chronik des<br />

Klosters Petershausen erwähnt wird, als Rudolf von Schwaben<br />

deren Burg erfolglos belagerte, wurde um die Mitte des<br />

15. Jahrhunderts unter den Werdenbergern baulich erweitert.<br />

Die Ausdehnung ging über die Schwabstraße hinaus bis zur<br />

heutigen Antonstraße. Reste des Mauergürtels und der<br />

Runde Turm, einst ein bedeutender Teil der Sigmaringer<br />

Stadtbefestigung, haben sich bis in die Gegenwart erhalten.<br />

Dieser Runde Turm, früher auch »Rondell« genannt, wurde<br />

ab 1971 grundlegend renoviert und zu einem Heimatmuseum<br />

mit drei Stockwerken ausgebaut und 1972 fertiggestellt. Die<br />

Fassade des alten, unter Denkmalschutz stehenden Turmes<br />

wurde erhalten, sein Inneres wurde jedoch völlig neu gestaltet.<br />

8<br />

Die Hülle blieb, das Innere wurde neu.<br />

Die Kunstausstellungen, die seither ebenfalls im Runden<br />

Turm stattfanden, sowie die Kunstgalerie werden ihr endgültiges<br />

Zuhause im alten Realschulgebäude finden, das ab 1987<br />

zu einem Kulturzentrum mit Bibliothek ausgebaut wird.<br />

Diese »Alte Schule beim Turm« war von 1879-1958 Volksschule<br />

und von 1962-1975 Realschule. Künftig soll also der<br />

Runde Turm nur noch als Heimatmuseum dienen.<br />

Zur Bedeutung der Depotfunde<br />

Die sogenannten »Depotfunde« verraten uns mancherlei.<br />

Zunächst geben sie Auskunft über Handelswege, auf denen<br />

die Bronze von ihrem Ursprungsort nach dem Norden<br />

gebracht wurde, und daß die Händler an bestimmten Stellen<br />

dieser Wege sich Niederlagen oder Warenlager errichteten,<br />

indem sie ihre gewichtige Ware dort diebessicher vergruben.<br />

Der größte derartige Depotfund bei Bologna enthielt in<br />

einem riesigen Tongefäß fast 15000 Bronzegegenstände verschiedenster<br />

Art und Form. Aus unbekannten Gründen hat<br />

der Händler dann später seine Ware im Stich lassen müssen.<br />

Auch ansässige Bronzegießer haben oft ihre Vorräte an<br />

gegossener Ware und Rohmaterial, sowie die Gußgeräte an<br />

Ort und Stelle versteckt. Man hat hier und dort gegossene<br />

Waffen und Schmuckgegenstände des gleichen Musters nebst<br />

den zu ihrem Gusse erforderlichen Ton- und Sandsteinformen<br />

in großer Zahl gefunden. An anderen Stellen wies das<br />

Depot nur zerbrochenes Bronzegerät auf. Das legt die Vermutung<br />

nahe, daß diese Bruchstücke im damaligen Tausch-<br />

Vitrine mit dem Depotfund im Volkshochschulheim Inzigkofen.<br />

handel die Rolle des späteren Geldes gespielt haben. Der<br />

Händler dürfte zerbrochenes Gerät nach Gewicht gegen neue<br />

Gegenstände in Tausch genommen haben. Der Käufer<br />

erstand dies gegen ein Tauschmittel, um sie von ortsansässigen<br />

Bronzehandwerkern dann zu dem jeweils gewünschten<br />

Gegenstande umgießen zu lassen.<br />

Die Funde in ihrer Gesamtheit, ihre Lagerung in den Erdschichten<br />

- was oben liegt, wird zumeist jünger sein als das<br />

darunter gelagerte -, die verschiedene Formgebung der<br />

Geräte usw. gestatten eine Einteilung der Bronzezeit nach<br />

Zeiträumen und Entwicklungsstufen vorzunehmen. Neben<br />

den sogenannten »Depotfunden« gibt es auch Funde, die<br />

Gräbern entstammen und die »Moorfunde«, hauptsächlich<br />

im Norden in Schleswig und auf der dänischen Insel Fünen<br />

zwischen dem Großen und dem Kleinen Belt.<br />

Mit den großen Depotfunden der Bronzezeit, wie Bologna<br />

u. a., kann sich der Sigmaringer Fund sicherlich nicht messen.<br />

Trotzdem ist er ein Teil einer Kette von Funden, die uns<br />

Einblick gibt in die Handelstätigkeit und in die Kultur der<br />

Zeit vor ca. dreitausend Jahren.


WOLFGANG HERMANN<br />

Reinhart von Neuneck Ein adeliges »Dienerleben« der deutschen Renaissance - (Fortsetzung)<br />

b) Casimir von Brandenburg<br />

In der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach regierte bis<br />

1515 Friedrich IV., Vater der Brüder Casimir und Georg. Der<br />

regierende Vater belastete den landesherrlichen Haushalt<br />

durch einen erheblichen Hofaufwand und hatte dadurch das<br />

Land mächtig verschuldet. Beide Söhne, unzufrieden mit der<br />

Lage, bildeten ein Komplott, das die Abdankung des Vaters<br />

zum Ziele hatte. Sie gewannen die landsässige Ritterschaft für<br />

ihren Plan. Um jedoch ganz sicher zu gehen, nahmen sie<br />

Friedrich gefangen und kerkerten ihn für zwölf Jahre auf der<br />

Plassenburg ein 86, die hoch über Kulmbach liegt. Ein für<br />

Casimir günstigeres Urteil fällte Carl Jäger, der eine Geisteskrankheit<br />

des Vaters ins Feld führte und nur von einem<br />

erzwungenen Rücktritt Friedrichs IV. sprach. Dagegen werden<br />

wir über Casimirs große Verdienste in der Reichspolitik<br />

am Vorabend der Wahl Karls von Spanien zum deutschen<br />

König informiert 87.<br />

Sehr bald hatte Casimir das Heft allein in der Hand, da sein<br />

Bruder Georg meistens als Freund und Helfer am ungarischen<br />

Hof verweilte und dadurch seinem Bruder die Regentschaft<br />

überließ 88. Der beabsichtigte, aus der Markgrafschaft<br />

einen rechtseinheitlichen und zusammenhängenden Staat zu<br />

formen. Dazu war es nötig, sich den Adel dieses zersplitterten<br />

Raumes Untertan zu machen. Die militärischen Druckmittel<br />

wollte der Markgraf durch die Schaffung einer Landwehr<br />

gewinnen. Ab 1520 begann dieser ein Milizheer aufzubauen,<br />

welches er schwarz-weiß uniformierte. Durch das Los ließ<br />

Casimir aus Stadt- und Landgemeinden Männer ausheben.<br />

Den Unterhalt der Landwehr sollten jedoch die Gemeinden<br />

tragen. Der Zwang, der den Gemeinden auferlegt wurde,<br />

verdeutlicht die finanziell schlechte Lage des Landesherrn,<br />

welcher trotz allem den Hofluxus immer höher trieb. Deswegen<br />

ist begreiflich, daß Casimir danach trachtete, weitere<br />

Finanzquellen zu erschließen, die sich zum Beispiel in den<br />

Klöstern anboten. Die neuen Steuern, die er den Untertanen<br />

auferlegt hatte, konnten nicht ewig vermehrt werden 89.<br />

So kam ihm die bäuerliche Bewegung gerade recht, und er<br />

suchte sie für seine Zwecke dienstbar zu machen. Solange die<br />

Bauern kleine Herren und geistliche Gebiete schädigten, war<br />

es ihm recht. »Er sucht in den Wogen nach Beute« 90. Sobald<br />

seine Bauern aber darangingen, an den Säulen der eigenen<br />

Herrschaft zu rütteln, war er entschlossen, hart vorzugehen.<br />

Stets hatte er jedoch vor Augen, sein Land so weit wie<br />

möglich dem Aufstand zu entziehen, die eigenen Bauern als<br />

Arbeits- und Geldquelle nicht zu verlieren und gleichzeitig<br />

bei den Standesgenossen nicht als Verräter dazustehen. So<br />

sollte sich Casimir dann als gerissener Taktiker erweisen.<br />

Über den Markgrafen schreibt Adolf Waas: »(Er) hatte sich<br />

zunächst zurückgehalten und versucht, eine unparteiische<br />

Stellung einzunehmen. Als aber in der ersten Hälfte des Mai<br />

(1525) die Bauern wiederholt geschlagen wurden, entschloß<br />

er sich einzugreifen und wurde nun einer der schärfsten<br />

Gegner der Aufständischen 91. Seine Kriegshandlungen richteten<br />

sich vor allem gegen die Bauern aus dem Ries und dem<br />

Bistum Eichstätt. Darüber berichtete der Chronist Kessler 92.<br />

Von diesen Kriegsgeschäften hatte Reinhart von Neuneck mit<br />

Sicherheit Kenntnis aus erster Hand; wie weit er aber mit<br />

Casimir im Feld gegen die Bauern stand, muß noch untersucht<br />

werden.<br />

Am 18. März hatten sich auch dessen Bauern am Hesselberg,<br />

das ist östlich von Dinkelsbühl, zusammengefunden. Entwe-<br />

der war Casimir nicht genügend gerüstet, oder weil er seine<br />

Landwehr schonen wollte, ersuchte er die Grafen von Ottingen<br />

um Hilfe. Der gemeinsame Zug gegen die Bauern war<br />

rasch erfolgreich.<br />

Diesen Sieg ausnutzend, gedachte Casimir, sich als Speerspitze<br />

gegen die Bauern zu offerieren. Allerdings nicht auf<br />

seinem Gebiet. Bevor sich der Aufstand im Ansbachischen<br />

ausbreiten konnte, sollten die Bauern in den benachbarten<br />

Gebieten besiegt werden. Auf zwei Fürstentagen in Neustadt<br />

an der Aisch, am 4. und 11. April 1525, trug er sich als<br />

Feldherr an. Im Auftrag und mit dem Geld seiner Nachbarn<br />

wollte er an ihrer Stelle den Krieg führen. Casimirs Plan<br />

mißlang: Nur die Räte der Bistümer Würzburg und Eichstätt<br />

trafen sich mit den seinen. Die übrigen Fürsten dachten nicht<br />

daran, die Arbeit und die einkalkulierte Beute dem Markgrafen<br />

zu überlassen. Sie kamen nicht nach Neustadt, mit der<br />

Begründung, daß sie durch die Erhebungen in ihren Ländern<br />

gebunden seien 93. Nach der Meinung Carl Jägers hatte diese<br />

Antwort der Fürsten zur Folge, daß sich der Markgraf auf<br />

sein Gebiet zurückzog, um durch Verhandlungen mit den<br />

eigenen Landständen die innere Ruhe zu erhalten 94.<br />

Schon am 2. Mai gab Casimir seinen Bauern einen Wink 95.<br />

Mit Hilfe von Vereinbarungen zwischen ihm und dem Landtag<br />

wollte er sie aus der Front der aufständischen Bauern<br />

herausbrechen. Indessen gingen die Kämpfe im Ries weiter.<br />

Dort war das Kloster Heidenheim in Gefahr. Nachdem dieses<br />

den Markgrafen schon zuvor um Hilfe gebeten hatte, sammelte<br />

dieser seine Mannschaften um sich. Nicht nur der<br />

Süden seines Territoriums war bedroht, sondern auch der<br />

Aischgrund nördlich von seiner Residenzstadt geriet in den<br />

Aufruhr. Seit dem 30. April sammelten sich die dortigen<br />

Bauern. Sie zogen weiter nach Creglingen und in den Steigerwald.<br />

Um den Kontakt mit den Standesgenossen nicht ganz zu<br />

verlieren, fand sich Casimir bereit, dem Herzog und Pfalzgrafen<br />

Friedrich 100 Pferde zu schicken, mit denen jener gegen<br />

die Bauern in Richtung Eichstätt zog 96. Wie wir in dem<br />

vorausgehenden Abschnitt gesehen haben, hielt dieses Bündnis<br />

zunächst nicht. Es wurde erst nach dem 7. Mai gefestigt,<br />

als Friedrich und Casimir gegen das Schloß Schopfloch<br />

zogen, dieses niederbrannten und dem Ritter Heinrich Jörg<br />

von Ellrichshofen die Lehen entzogen, da dieser mit den<br />

Oettinger und den Crailsheimer Bauern gemeinsame Sache<br />

gemacht hatte 97.<br />

c) Reinhart von Neuneck und seine Aufgaben als<br />

Feldhauptmann<br />

Reinhart von Neuneck handelte als Anführer seines Fähnleins<br />

nicht selbständig. Die Befehle erteilten Pfalzgraf und<br />

Herzog Friedrich oder dessen Neffen Ottheinrich und Philipp.<br />

Weiter kann man annehmen, daß Reinhart gegen alle<br />

zuvor beschriebenen Haufen zu Felde zog. Bevor aber die<br />

bayerischen Quellen und Veröffentlichungen nicht ausgewertet<br />

sind, läßt sich aus den Beständen im FAS und StAS nur<br />

ein ungefähres Bild über Reinharts Kriegszüge ermitteln.<br />

Die Informationen, die wir von ihm erhalten, stammen aus<br />

dem Rückblick, welchen der Ritter in seinem Bericht von<br />

1525 gibt:<br />

- »...(seine Brüder) und ich haben diesse ampt getragen,<br />

Nemlich ich Reinhart bei dem Churfürstentumb der Pfaltz<br />

9


und dem Haus Bayrn, Hauptmann über zway hundert<br />

pferd und pfleger zu Laugingen gewesen...<br />

- Die bauren der obern Pfaltz, auch<br />

- myner gnedigen jungen hern Fürstentumb (Pfalz-Neuburg),<br />

- die Marggrafschaft Brandenburg, den Stifft aychstet (Eichstätt)<br />

überzogen, dem Stifft ein Schloß nemlich Messingen<br />

uff dem berg genannt, dasselbig eingenommen, biß an<br />

zwölfen tag ingehabt. Und bis in die acht dausend Starck<br />

dagelegenn, gweltiglich in dem Stifft aychstet geherschd,<br />

- derohalb ich erfordert von allen myn gnedigen hern von<br />

bayrn, dz ich dem selbigen hauffen soll mitt andern zu<br />

ziehen, dz ich dan gethon.<br />

- Und ist myn gn. her Hertzog Fridrich Pfaltzgraf zu aigner<br />

person alda gewesen, als Kriegsfürst, und uns gott dz glück<br />

geben, die Bauren gestrafft und dz Schloß mit gwalt wider<br />

erobert.<br />

- Derohalb ich myn brüder Hans Oswalden bevolhen hab,<br />

myn haus (Glatt) zubesetzen...«<br />

Wir wissen also aus diesem Bericht, daß Reinhart unter dem<br />

Befehl seines Pfalzgrafen gegen den Eichstätter Haufen gezogen<br />

war. Reinhart war dabei, als der Waffenstillstand<br />

geschlossen wurde und sein Herr in listiger Weise die Bauern<br />

vom Schloß auf dem Obermässinger Berg vertrieb. Möglicherweise<br />

befand sich Reinhart an der Spitze der Eroberer.<br />

Die anderen Helfer, welche er in seinem Bericht anspricht,<br />

waren die 300 böhmischen Bogenschützen und der eichstättische<br />

Lehensadel sowie eine Hundertschaft brandenburgischer<br />

Reiter.<br />

Wir können abschließend annehmen, daß sich Reinhart zwischen<br />

dem 24. und 29. April 1525 vor Obermässing befunden<br />

hat. Seine übrigen Aktivitäten finden sich teilweise in den von<br />

Ludwig Baumann herausgegebenen Quellen beschrieben, sie<br />

werden in Briefen der Grafen von Ottingen und des Markgrafen<br />

von Brandenburg faßbar. Diese Quellen belegen die<br />

Zusammenarbeit der Territorialherren, wobei Reinhart als<br />

Führer einer überterritorialen Reitereinheit eingesetzt wurde.<br />

Nachfolgend soll gezeigt werden, an welchen Schauplätzen<br />

Reinhart von Neuneck im Einsatz war bzw. wohin man ihn<br />

abkommandiert haben könnte. Danach wird versucht, seine<br />

Kriegseinsätze in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen. Ein<br />

weiterer Punkt ist die Kampfesweise des schwäbischen Ritters,<br />

wie sie sich besonders am Beispiel der Klöster zeigte.<br />

Den Schluß bildet die Aufgabe, Reinhart andeutungsweise in<br />

seiner Rolle als »Bluthund« zu zeichnen, der die Entschädigungen<br />

hereinholte und die flüchtigen Bauern zu stellen<br />

hatte.<br />

d) Die Unternehmungen Reinharts von Neuneck<br />

Der genaue Aufbruch zu den Kämpfen gegen die Bauern im<br />

Donauraum einerseits zwischen Altmühl und Wörnitz andererseits<br />

ist nicht feststellbar. Aber Anfang April 1525 war<br />

Reinhart im Auftrag der Pfalzgrafen mit seinen Reitern<br />

unterwegs. Durch Sebastian Locher erhalten wir einige Hinweise<br />

auf Ort und Zeit 98:<br />

8. April vor dem Kloster Maria Medingen<br />

9. bis 16. April bei Donauwörth<br />

16. bis 23. April im Ries, zwischen Dillingen und<br />

Nördlingen<br />

27. bis 5. Mai im Gebiet des Stifts Eichstett und<br />

im oberpfälzischen Amt Stein und<br />

Hilpoltstein<br />

7. Mai bis 20. Mai zwischen Lauchheim und Crailsheim<br />

Die Angaben Lochers sind aber nicht ohne weiteres nachprüfbar,<br />

sofern man auf die Archivalien der Sigmaringer<br />

Bestände angewiesen ist 99. Was Sebastian Locher unberücksichtigt<br />

ließ, sind die Verbindungen Reinharts bzw. seiner<br />

10<br />

Herren mit den Grafen zu Oeningen und dem Markgrafen<br />

von Brandenburg. Zwei vorliegende Hilfeersuchen geben zur<br />

Vermutung Anlaß, daß der Neunecker nicht nur für die<br />

Pfalzgrafen, sondern auch für die Grafen von Oeningen und<br />

den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach ins Feld gezogen<br />

sein könnte.<br />

Auf die Gefährdung, die für die Grafen von Oettingen von<br />

dem vereinigten Nördlinger und Oettinger Haufen ausging,<br />

bezieht sich ein Brief, der im Auftrag der Grafen Ludwig des<br />

Älteren, Martin und Ludwig des Jüngeren am 10. April 1524<br />

an den »hochgebornnen Fürsten und Hern, Hern Philipsen<br />

Pfalzgrauen bey Rein, Hertzogen in Nidern und Obern<br />

Bayrn, unnserm Gnedigen Hern« geschrieben wurde lu;l.<br />

Inhaltlich geht der Brief von der Bauernversammlung bei<br />

Deiningen (»Teyning«) aus. Wir erfahren, daß ein Bote der<br />

Grafen, Hans von Hurnheim, in Lauingen gewesen war, um<br />

den Pfalzgrafen Philipp um Kriegsgerät zu bitten. Nachdem<br />

sich die Grafen bedankt haben, schoben sie den Wunsch um<br />

zirka 200 Pferde nach, die Philipp ihnen gnädiglich leihen<br />

möge. Damit sollten ihr Kloster und der Ort Neresheim<br />

gesichert werden. Seit 1263 besaßen die Grafen von Oettingen<br />

die Schirmherrschaft über das Kloster 101. Sobald die<br />

Reitertruppe in Neresheim angekommen wäre, sollte sie ihre<br />

Befehle erhalten. Die die Hilfe des Schwäbischen Bundes<br />

ausblieb, ersuchten sie den jungen Pfalzgrafen Philipp um<br />

eine »anzal fußfolks und zimblichen veldtgeschütz«. Am<br />

9. April schon hatten die Oettinger Grafen an Casimir von<br />

Brandenburg geschickt, um den Bauernhaufen im Ries niederzuwerfen,<br />

und worauf der Markgraf sein Einverständnis<br />

gezeigt hätte 102. Im Brief der Oettinger an Philipp heißt es:<br />

»...Wie wir dann von unserm gnedigen Hern Markgraff<br />

Casimir zu Brandenpurg mit geraisigen fußfolkh und veldgeschütz<br />

auch entlich vertröst sind...«<br />

Reinhart von Neuneck hatte das Schreiben und vielleicht die<br />

Order, nach Neresheim aufzubrechen, von seinem Pfalzgrafen<br />

erhalten. Ob er aber wirklich zur Hilfe für die Grafen von<br />

Oettingen dort einschreiten mußte, ist noch nicht erwiesen,<br />

da sich der Haufe von Deinigen am 12. April auflöste. Auf<br />

sein ansbachisches Gebiet bezieht sich ein dringliches Schreiben<br />

103 des Markgrafen Casimir, das er in Ansbach am Donnerstag<br />

nach Misericordia 1525 (4. Mai) verfaßte und an<br />

Reinhart von Neuneck richtete. Dieser befand sich, der<br />

Meinung des Absenders nach, während dieser Zeit zu Lauingen<br />

oder zu Heideck. Das Gebiet, in welchem aufständische<br />

Bauern bekämpft werden sollten, war vermutlich der Aischgrund,<br />

nordwestlich des reichsstädtischen Gebietes von<br />

Nürnberg gelegen. Einerseits ersteckte sich das betroffene<br />

Gebiet links und rechts des Flüßchens Aisch, andererseits<br />

wurde sein Ende durch die Städte Rothenburg ob der Tauber<br />

und Forchheim bestimmt.<br />

Casimir schrieb aus seiner Hauptstadt: »...du wollest dich<br />

mit allen den reuttern, die du bey dir hasst, und was du weitter<br />

bey unserem lieben Oheim und Schwegern, Deinen Herren,<br />

Inn der eill auffbringen magst, ungehindert annderer<br />

geschefft und sachen, zu unns hierher fuegen, alls das du auf<br />

Sonntag schirst zu abennt, gewißlich hie zu Ansbach bey uns<br />

steest...« Unmittelbar nach dem Eintreffen Reinharts sollte<br />

der Zug gegen einen »hauffen paurn« gehen. Die Mitteilungen<br />

an Reinhart lassen den Schluß zu, daß die militärische<br />

Situation für den Markgrafen so bedrohlich war, daß<br />

Reinhart von Neuneck sogar begonnene Kriegs- bzw. Strafzüge<br />

abbrechen sollte. Die Koordination zwischen dem<br />

Herzog Wilhelm von Bayern und Markgraf Casimir muß<br />

unvollkommen gewesen sein, da man nicht wußte, wo der<br />

Neunecker mit seinem Fähnlein derzeit stand.<br />

Zu Plankstetten lagen angeworbene böhmische Söldner.<br />

»Vetter Veit von Auerberg« hatte diese offenbar im Auftrag<br />

Wilhelms von Bayern angeworben. Und nun erbat Casimir


300 dieser Böhmen, die er auch besolden wollte. Den Brief<br />

mit dieser Bitte sollte der Auerberg noch am selben Tag oder<br />

in der Nacht erhalten. Weil Casimir jedoch Zweifel hegte, ob<br />

der Bote während der Nacht den Weg nach Plankstetten<br />

finden würde, ersuchte der Markgraf den Kriegsmann<br />

Reinhart, »sollichen brieff hiebey« - vielleicht ein zweites<br />

ähnlich lautendes Informationsschreiben - durch einen Boten<br />

an Veit von Auerberg abzuschicken. Es wäre denkbar, daß<br />

zwischen den Söldnern bei Plankstetten und der Stadt Ansbach<br />

wachsame Bauern lagen.<br />

Uber die militärische Stärke des Markgrafen wird nichts aus<br />

seinem Schreiben ersichtlich, außer daß etliche Reiter unter<br />

dem Kommando eines Steffan Schinerher bei Casimir lägen,<br />

die ihm vom Bayernherzog Wilhelm überlassen worden<br />

waren. Bei diesem Reiterführer handelte es sich wahrscheinlich<br />

um Stephan von Schmiehen, der bereits am 22. April mit<br />

30 Berittenen zum Markgrafen gestoßen war. Bei diesem<br />

Anführer handelte es sich um den Pfleger von Vohburg, der<br />

noch am 30. April seinem Herzog Wilhelm berichtete, daß<br />

sich Casimir erheblich rüstete und etwa 400 Reiter bei sich in<br />

Ansbach hätte 104. Der Hauptmann nun, den Casimir in<br />

seinem Schreiben an Reinhart von Neuneck zitierte, war am<br />

selbigen Tag aufgebrochen, um in Hilpoltsstein die böhmischen<br />

Söldner anzumieten und sicher nach Ansbach zu<br />

bringen.<br />

Das Glück stand dem Markgrafen nicht bei, auch wenn er,<br />

ebenso wie die Bauern, Gott als Zeugen für die eigene<br />

gerechte Sache anrief. Bevor er auf die militärischen Details<br />

einging, erklärte er die Generallinie des obrigkeitlichen Handelns:<br />

»... und sie (die Haufen) mit der hillf gottes zu schlagen, und<br />

wann dann dasselbig geschieht, so hoffen wir und sind<br />

ontzweivel, die auffrurn am Nercker (Neckar) und im rieß,<br />

sollen dadurch auch gestillt werden; wi nit, so gedenken wir,<br />

nach ausrichtung unseres fürnemens den negsten, mit deiner<br />

und ander hilff, zu denselben andern hauffen auch zu ziehen<br />

...« Darin deutet sich ein Bündisversprechen für den Fall<br />

an, daß die Aufstände in Schwaben und im Ries, sofern sie<br />

nicht im Anschluß an die Niederlage der Bauern im Aischgrund<br />

zusammenbrächen, gemeinsam von den Herzögen »in<br />

Bayern« und ihm bekämpft würden.<br />

Die Verhandlungen um die 300 Böhmen in Beilngries, die<br />

Veit von Auerberg als bayerischer Kriegsmann mit dem<br />

ansbachischen Abgesandten führte, zerschlugen sich. Auerberg<br />

wurde mit den Böhmen nach Schongau gesandt. Auch<br />

Reinhart von Neuneck konnte nicht zu Casimir stoßen, da<br />

ihn Herzog Philipp wegen der erneut ausgebrochenen Unruhen<br />

im Ries nach Monheim beorderte ltb.<br />

Da Casimir nun allein stand - die Böhmen hätten sich ihm<br />

verweigert, weil der Markgraf mit etlichen ihrer Herren und<br />

Freunde in Fehde gestanden wäre wandte sich dieser zuerst<br />

gegen die Riesbauern. Kloster und Ort Heidenheim hatten<br />

ihn ja um Hilfe ersucht. Der Zufall half Casimir: Am 8. Mai<br />

- über den Tag gibt es Widersprüche - traf die verfolgende<br />

Vorhut des Markgrafen auf die Nachhut der Bauern, die nach<br />

Heidenheim vorrückte. Casimirs Vorhut soll aus 250 Reitern<br />

und 450 Fußknechten bestanden haben 106. Er selbst zog nach<br />

Günzenhausen und blieb dort 107. Von der Schlacht erfuhr<br />

Casimir vermutlich durch einen Boten, die am »sonntag<br />

Jubilate« in Gang kam, nämlich am 7. Mai l08. Über die<br />

Anzahl sämtlicher Kämpfer liegen verschiedene Aussagen<br />

vor, vielleicht sind die bei Jäger am genauesten 109. Die Bauern<br />

führten in ihren Reihen nicht nur Freunde aus dem Ries,<br />

sondern auch solche vom Dinkelsbühler Haufen mit. Die<br />

markgräflichen Söldner griffen die Bauern an, zerteilten diese<br />

mit Hilfe der Geschütze und trieben sie nach Ostheim hinein.<br />

Dort stießen die Angreifer auf gute Schützen der Bauern,<br />

welche die Markgräflichen zurückwarfen. Als das Fußvolk<br />

Casimirs eintraf, wurden die Bauern ins Dorf zurückgetrieben.<br />

Da ließ es der Markgraf in Brand stecken. Nun zogen<br />

sich die Bauern in ein Gehölz zurück. Um Zeit und Aufwand<br />

zu sparen, wechselte Casimir die Taktik. Durch den Ritter<br />

von Heßberg verhandelte er mit den ansbachischen Bauern,<br />

damit sich diese erneut unterwürfen. Zirka 3000 von ihnen<br />

taten dies, da man ihnen Hoffnungen wegen dem noch<br />

dauernden Landtag machte 1'". Ein Rest von 600 Bauern gab<br />

nicht nach und zog weiter vor das Schloß Baldern 1", das als<br />

ellwangisches Lehen seit 1250 im Besitz der Grafen von<br />

Oettingen war 11". Dieser Rest gehörte zu dem Ellwanger-<br />

Dinkelsbühler Haufen, welcher vor Baldern jedoch nichts<br />

mehr erreichte" 3.<br />

In dem Gefecht bei Ostheim verloren die Bauern 400<br />

Leute" 4, der Markgraf dagegen nur drei. Unter Casimir<br />

seien, berichtete der Chronist Keßler, »bei dritthalb tusend<br />

erwürgt, viel gefangen, viel mit ihren Dörfern verbrennt« " 5.<br />

Das Aufgebot der Bauern benannte der Schweizer Chronist<br />

mit 600 Pferden und 11000 Mann zu Fuß.<br />

Mit diesem Sieg hatte der Markgraf im Süden seines Territoriums<br />

Ruhe geschaffen, und nun konnte er sich dem Norden<br />

um Kitzingen und dem Aischgrund zuwenden. Am 10. Mai<br />

schrieb er nach Ansbach, daß er sich »gütlich mit dem Haufen<br />

verglichen und seine Untertanen von dem selben zurückgefordert<br />

habe« " 6.<br />

Welche militärischen Kontakte Reinhart von Neuneck mit<br />

dem Markgrafen Casimir noch gehabt haben sollte, es wäre<br />

darüber nachzuforschen.<br />

Ein Beispiel für die Kriegstaktik Reinharts von Neuneck war<br />

sein Verhalten vor dem Kloster Kaisheim. Seine Überlegungen<br />

wurden offensichtlich von den Kräfteverhältnissen her<br />

bestimmt: das heißt er maß die Anzahl der Bauern und stellte<br />

ihnen im Geiste sein Fähnlein gegenüber, um den leichten<br />

Sieg zu finden. Die Klöster spielten in seinen Betrachtungen<br />

ebenso eine gewichtige Rolle wie für die Bauern: Stellte für<br />

ihn das Kloster einen Ort der Versorgung für die Truppe dar,<br />

so bestimmten die Bauern das Kloster als Beute für sie. So war<br />

es kein Wunder, daß der Zisterzienser Johann Knebel d. A. in<br />

seiner Chronik des Klosters Kaisheim vermerkte: »...so lag<br />

Kayserßhaim, daß closter, miten under den feinden: auf aim<br />

ort die bauren, die vermainten vil da zu gewinnen, auf dem<br />

andern die pfalzgrafischen von Neuburg, da inen der hauptman<br />

deß selbigen reutersvolks, her Renhart von Neynegk,<br />

pfleger zu Laugingen, offenlich zugesagt, wider drüeß zu<br />

thon und sein eer bewaret ... aus diser ursach, dan von den<br />

Stenden deß punts waß den fursten von Neuburg geschafft,<br />

auf gemeines punts kosten 150 pferd zu halten an disen orten,<br />

darmit kain aufruor wurd«" 7.<br />

Reinhart von Neuneck indessen schien sich nicht stark genug<br />

zu fühlen, um mit seinen Reitern die Bauern anzugreifen. Er<br />

verhielt sich ruhig, weil er möglicherweise auf Fußvolk<br />

wartete, das ihm entweder der Markgraf oder Pfalzgraf<br />

Friedrich zuführen sollte. So lag er also seit »der heiligen<br />

wuchen«, zwischen dem 9. und 15. April vor dem Kloster.<br />

Noch einige Tage zuvor war er im Kloster(bereich) der<br />

Frauen von Maria Medingen, die sich am 8. April bei Reinhart<br />

über Unkosten, die ihr jener auferlegt hatte, beschwerten " 8.<br />

Wahrscheinlich von dort kam der Neunecker mit seinen<br />

Reitern vor das Männerkloster Kaisheim. Der Abt ließ ihn<br />

versorgen: »... da wurd im also nach eren nachtseid, futer und<br />

mal geschenckt. Er kam dieselben wochen wider, also daß er<br />

die karwochen 3 nächt da waß, wurd im alles geschenckt<br />

gutwilligelich«<br />

Während das Kloster und sein Vorstand der Meinung waren,<br />

die Versorgung des Ritters und vielleicht seiner Reiteroffiziere<br />

geschähe nur aus freien Stücken, war Reinhart wohl<br />

anderer Ansicht: Wenn der Schwäbische Bund bzw. er gegen<br />

die Bauern vorginge und damit auch die Rechte und die<br />

11


• Klöster, Stifte 0<br />

A Aufhausen • Reichsstädte<br />

E Eichstätt U Ulm<br />

Ell Ellwangen N Nürnberg<br />

K Kaisheim D Dinkelsbühl<br />

MM Maria Medingen B Bopfingen<br />

Ne Neresheim Nö Nördlingen<br />

0 Burgen, Schlösser # Gewässer<br />

H Hirschberg D Donau<br />

O.B. Obermässinger Berg A Altmühl<br />

Ba Baldern W Wörnitz<br />

R Rezat<br />

• Hesselberg • P Pegnitz<br />

12


An diesen Tagen war<br />

Reinhart von Neuneck<br />

zu finden in:<br />

Sicherheit der geistlichen Herrschaften sicherte, so sei es recht<br />

und billig, daß diese gleichfalls einen Beitrag zu den Kriegskosten<br />

leisteten. Und zwar in der Form der Verpflegung<br />

seiner Leute, der Fütterung ihrer Pferde und der Gewährung<br />

eines Nachtquartiers.<br />

90 Ders., ebd.<br />

91 Adolf Waas, Die Bauern im Kampf um Gerechtigkeit, München<br />

1964, S. 214. Dem Briefwechsel der Grafen von Oeningen zufolge<br />

muß dessen Aktivität mehrere Wochen vordatiert werden.<br />

92 Kesslers Bericht, aus »Flugschriften des Bauernkriegs« aus der<br />

Reihe Texte deutscher Literatur 1500-1800, Rowohlt 1970, S. 235.<br />

Joh. Kessler, geb. in St. Gallen um 1502, febd. am 7.3.1574, war<br />

Schweizer Reformationschronist. Er hatte in Basel studiert, u. a.<br />

bei Erasmus, kam 1522 nach Jene, wo er Luther traf, studierte bei<br />

Melanchthon. In St. Gallen arbeitete er als Sattler, führte Bibellesungen<br />

durch und schrieb seine »Sabbata«, eine bedeutende Chronik<br />

der Jahre 1519-1539. Zit. nach Meyers Enzyklop. Lexikon,<br />

Bd. 13, S. 640.<br />

93 Wilh. Zimmermann, wie Anm. 60, S. 344.<br />

94 Carl Jäger, wie Anm. 79, S.38.<br />

95 Wilh. Zimmermann, wie Anm. 60, S. 614.<br />

96 Ders., ebd., S.610.<br />

97 Ders., ebd., S.614.<br />

98 Locher, Regesten, S. 201, Anm. 2; S.202, Anm. 4.<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Sprößlinge der Trochtelfinger Heidegg-Burg<br />

In der »Hohenzollerischen Heimat« 1967, 20-21 wurde von<br />

der ehemaligen Burg Heidegg auf der Trochtelfinger Haid<br />

(2,5 km nördlich der Stadt) und dann seit 1100 nachweisbaren<br />

hochadeligen Geschlecht der Herren von Heidegg (Haideck)<br />

berichtet. Ihm gehörten zwei Aebte des Klosters Reichenau<br />

im Bodensee an: Fridelo 1139-1159 und sein Bruder Ulrich<br />

von Haideck 1159-1174 und noch andere bekannte Glieder.<br />

vor dem 8. 4. 1525 Kloster Maria Medingen (Locher, Reg.)<br />

vor dem 9. 4. 1525 Lauingen (Locher, Reg.)<br />

zwischen dem 9. 4. Donauwörth und (Locher, Reg.)<br />

und 16. 4. 1525 dem Kloster Kaisheim (Baumann)<br />

am 17. 4. 1525 Kloster Aufhausen (Müller, S. 91)<br />

zwischen dem 16. 4. zwischen Dillingen<br />

und 23. 4. 1525 und Nördlingen (Locher, Reg.)<br />

am 29. 4. 1525 Obermässinger Berg (Jäger, S. 44 f.)<br />

am 5. 5. 1525 Kloster Kaisheim (Baumann)<br />

am 6. 5. 1525 Monheim (Müller, S. 133)<br />

am 12. 5. 1525 Donauwörth (Müller, S. 150)<br />

zwischen dem 27. 4. zwischen Eichstätt<br />

und 5. 5. 1525 und Hilpoltstein (Locher, Reg.)<br />

am 5. 5. 1525 Hilpoltstein (Locher, Reg.)<br />

am 15. 5. 1525 Kloster Neresheim (Müller, S. 150)<br />

am 17. 5. 1525 Stift Ellwang ;en und<br />

18. 5. 1525 Neresheim (Müller, S. 153)<br />

zwischen dem 7. 5. zwischen Lauchheim<br />

und 20. 5. 1525 und Crailsheim (Locher, Reg.)<br />

am 23. 5. 1525 Kloster Kaisheim (Baumann)<br />

99 Die Quellen werden anschließend zitiert. Erst nach der Ausgabe<br />

von Lochers Regestensammlung wurde der Bauernkrieg in Franken<br />

wissenschaftlich aufgearbeitet. In dem vorliegenden Aufsatz<br />

habe ich mich stark auf die Werke von Müller und Jäger gestützt.<br />

100 FAS-Glatt, 115, 3.<br />

101 Hist. Stätten in Bad.-Württ., 2. Aufl. 1980, S.557.<br />

102 Carl Jäger, wie Anm. 79, S. 32.<br />

103 FAS-Glatt, 115, 3.<br />

104 Ludwig Müller, wie Anm. 63, S. 133, don auch Anm. 2.<br />

105 Ders., ebd., S. 133.<br />

106 Günther Franz, wie Anm. 59, S. 349.<br />

107 Ludwig Müller, wie Anm. 63, S. 135.<br />

108 Carl Jäger, wie Anm. 79, S. 84 f.<br />

109 Ders., ebd., S. 86.<br />

110 Wilh. Zimmermann, wie Anm., S.615.<br />

111 Ders., ebd., S.616.<br />

112 Handbuch der Hist. Stätten Bad.-Württ., S.61.<br />

113 Carl Jäger, wie Anm. 79, S. 88.<br />

114 Günther Franz, wie Anm. 59, S. 349, ebenso Angaben dazu bei<br />

Carl Jäger, S. 87.<br />

115 Kesslers Bericht, wie Anm. 92, S.235.<br />

116 Wilh. Zimmermann, wie Anm.60, S.616.<br />

117 Joh. Knebels Bericht, in: F. L. Baumann, Quellen zur Geschichte<br />

des Bauernkriegs in Oberschwaben, ediert 1876 in Tübingen, neu<br />

herausgegeb. 1975 im Georg Olms Verlag, S. 260.<br />

118 Locher, Regesten, S. 201.<br />

119 F. L. Baumann, wie Anm. 117, S.260.<br />

Fortsetzung folgt<br />

Nachträglich fand sich im Wirtembg. UB 2,138 der 1161<br />

lebende Gerold von »Gaidege« (verschrieben) vor. Nun<br />

berichtete Dr. Dieter Deeg in seinem Buch 1 folgendes: »Ein<br />

Hademar von Heideck taucht am 10. Januar 1192 im Gebiet<br />

der heutigen Stadt Heideck (8548 bei Nürnberg) als Landbesitzer<br />

auf, dessen Vorgänger noch 1189 ein hochadeliger<br />

Swigger von Liebenstadt war.« Offenbar hat Hademar den<br />

13


Namen Heideck mitgebracht und darf m. E. als Gründer des<br />

Weilers u. der Burg Heideck gelten, woraus dann die Stadt<br />

Heideck erwuchs. Ich halte ihn für einen Abkömmling der<br />

Trochtelfinger »von Heidegg«, die sonst um 1180-1200 in die<br />

Schweiz abgewandert sind, wo durch sie die Burg Heidegg<br />

entstand. Noch einige Nachkommen Hademars, die eine<br />

Herrschaft Heideck errichteten, macht Deeg namhaft. Eine<br />

Annahme des genannten Verfassers (im Buch S. 36), der<br />

Name »Heide« weise auf ein Waldgebiet, kann nicht bewiesen<br />

werden! Heute freilich heißt Heide das Gelände rings um<br />

die Stadt Heideck, aber das beweist für das 12. Jahrhundert<br />

gar nichts! Heide und Wald sind nicht dasselbe. Die Trochtelfinger<br />

Heide (mundartlich »Haid« oder »Hoed«) zeigt keinen<br />

Waldbestand, sondern eben am südlichen »Eck« den bewaldeten<br />

Berg mit den schwachen Ruinen (Gräben und Erdhaufen)<br />

der heutigen »Hinteren Burg«, da Heidegg im J. 1311 von<br />

den Reutlingern mit dem Lichtenstein und anderen »Festen«<br />

zerstört wurde. Eine bürgerliche Familie Heidegger war (laut<br />

Merz-Hegis »Zürcher Wappenrolle« 1930, S. 153 f) in Zürich<br />

aus Nürnberg zugezogen. Ob zu dieser auch der am 25. Mai<br />

1976 verstorbene berühmte Freiburger Philosophieprofessor<br />

Dr. Martin Heidegger aus Meßkirch gehörte, ist nicht erwiesen.<br />

Seine Ahnen erforschte Herr Wilhelm Burth-Freiburg<br />

bis zum Jahr 1645 in Leibertingen beim Wildenstein, wohin<br />

sie aus dem »Lendlin ob der Ens« (Oeterreicht) gekommen<br />

seien. Die Nürnberger Heidegger kamen zweifellos vom<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Hirtenbrief und NS-Polizei<br />

Wer nach Abschluß des Konkordats zwischen der katholischen<br />

Kirche in Deutschland und der Hitlerpartei unter<br />

Kanzler von Papen geglaubt hatte, das Verhältnis zwischen<br />

Kirche und Staat würde sich friedlich gestalten, wurde bald<br />

eines anderen belehrt. Die katholische Kirche wurde mehr<br />

und mehr geknebelt. Als dann um's Jahr 1939 der Freiburger<br />

Erzbischof einen energischen Hirtenbrief an seine Gläubigen<br />

erließ, erhoben sich gleich schwerste Bedenken, ob diese<br />

Verlautbarung durch die Post den einzelnen Pfarrern zugestellt<br />

werden könne ohne staatlicherseits behindert und das<br />

Schriftstück gar beschlagnahmt werden könne. Im Landkapitel<br />

Sigmaringen beschloß der Klerus daher, das Schreiben der<br />

Kirchenbehörde heimlich unter der Hand zu verteilen. Der<br />

damalige geistliche Direktor des katholischen Waisenhauses<br />

Nazareth in Sigmaringen, Karl Kaupp (geb. 1887) stellte mir<br />

sein Auto zwecks heimlicher Verteilung des Hirtenschreibens<br />

zur Verfügung und so fuhr ich durch den Südteil des<br />

Dekanats und gab das Schreiben den geistlichen Mitbrüdern<br />

zum Verlesen ab. Mein eigenes Exemplar verwahrte ich nach<br />

Kenntnisnahme des Inhalts unter der Fußmatte meiner Pfarrkanzel<br />

in Dietershofen. Zu meinem größten Erstaunen, (ich<br />

meine sofort am selben Abend), erschien ein Polizist in<br />

Uniform im Pfarrhaus mit dem Befehl, er müsse das betreffende<br />

Schriftstück beschlagnahmen! Wer Anzeige erstattet<br />

hatte, weiß ich nicht. Ich erfuhr aber vom Beamten, er habe<br />

kurz zuvor dem völlig überraschten und erschreckten Mitbruder<br />

in Einhart, Pfarrer Viktor Burkhart (geb. 1884) den<br />

ihm durch mich zugestellten Hirtenbrief kurz aus der Hand<br />

genommen! Nun verlangte er auch mein Exemplar aufgrund<br />

eines polizeilichen Befehls. Ich erklärte ihm jedoch, meinem<br />

Bischof gehorchen zu müssen, mehr als der staatlichen Polizei.<br />

Doch er befahl: »Geben Sie das Schriftstück heraus! oder<br />

ich muß Anzeige erstatten!« Ich erklärte ihm »Ich tue meine<br />

Pflicht, tun Sie die ihre auch und suchen Sie den Brief!«<br />

14<br />

nahen Heideck. Nach freundlicher Auskunft des Staatsarchiv<br />

Sigmaringen vom 9. 2.1988 gibt es laut der Telefonbücher den<br />

Namen Heideker(!) heute in Blaubeuren, Ulm, Metzingen,<br />

Münsingen 16 mal, Reutlingen 5 mal, die wohl auf die<br />

Trochtelfinger Heideck zurückgehen dürften. Ob sie illegitime<br />

Nachkommen der Adeligen waren, oder lediglich<br />

Bebauer der Güter der 1311 abgegangenen Burg, wer will das<br />

entscheiden? Uber die bei Hitzkirch in der Schweiz stehende<br />

Burg Heidegg und deren Bewohner gab Herr Stefan Sonderegger<br />

am städtischen Archiv (Vadiana) in St. Gallen gütigst<br />

Auskunft aus dem »Genealogischen Handbuch der Schweiz«<br />

III, 309 f: Als älteste Nachricht erscheint ein Heinrich im<br />

Jahre 1185 »von Heidesche«, 1210 »H. der Ritter von Heideko«,<br />

1223 »von Heideka« mit einem gleichnamigen Sohn,<br />

der 1223 »Ritter von Heidekke« heißt und 1241 mit Gattin<br />

Elisabeth und mehreren Söhnen und Töchtern erwähnt wird.<br />

Das erste Wappen der »von Heidegg« (Schweiz) zeigte in gelb<br />

einen schwarzen Eisenhut, später den Schild gespalten von<br />

schwarz und gelb, als Kleinod ein Hörnerpaar in den Schildfarben,<br />

usw. Ihr Name »von Heidegg« deutet m. E. zweifelsfrei<br />

auf die Trochtelfinger Haid!<br />

Anmerkung:<br />

1 »Heideck, Stadt und Landschaft«, Nürnberg 1971, S ii und 35/36.<br />

Den Hinweis auf dieses Buch des Herrn Deeg verdanke ich Herrn<br />

Georg Fleischmann an der Heimatkundlichen Sammlung im<br />

Rathaus zu 8548 Heideck in Nähe von Nürnberg.<br />

Darauf griff der Beamte in die hintere Hosentasche, als hole er<br />

seine Pistole heraus, brachte jedoch nur ein Notizbuch<br />

zutage. Dann fragte er »Wie heißen Sie?« Ich antwortete:<br />

»Das wissen Sie so gut wie ich!«<br />

Doch habe ich den Mann vorher nie beachtet gehabt. Er<br />

erklärte, er werde Anzeige erstatten. Ich drauf: »Tun Sie ihre<br />

Pflicht, ich werde die meine auch tun, den Hirtenbrief<br />

bekommen Sie nicht!« Drauf verschwand er. Am Sonntag zog<br />

ich das Schriftstück unter der Fußmatte der Kanzel hervor<br />

und las den Inhalt vor. Ob die Parteimänner auch unter den<br />

Hörern waren, die Anstoß genommen hatten, daß ich die<br />

polnischen Zwangsarbeiter der Pfarrei hatte auch an unseren<br />

Gottesdiensten teilnehmen ließ und sie nicht hinauswies,<br />

blieb mir unbekannt.<br />

Die polizeiliche Anzeige erfolgte sofort gegen mich und die<br />

hohenzollerischen Mitbrüder, die dem Bischof gehorsam<br />

waren und zwar bei dem preußischen Regierungspräsidenten<br />

in Sigmaringen, der m. W. Simon hieß. Und bald folgte ein<br />

Strafbefehl über 300 Mark (wenn ich mich recht entsinne).<br />

Die benachbarten Badener, z.B. der Stadtpfarrer in Meßkirch<br />

und Umgebung, lasen den Hirtenbrief »aus Klugheit« nicht<br />

vor.<br />

Inzwischen erfuhr Stadtpfarrer Bogenschütz in Trochtelfingen<br />

durch einen Polizisten des benachbarten Mägerkingen,<br />

unser Strafbefehl sei widerrechtlich erfolgt auf Grund eines<br />

königlich württembergischen Strafgesetzbuchs vom Jahr<br />

1879, das unser Land Hohenzollern gar nichts anging. Das<br />

gab ein triumphierendes Hallo im hohenzollerischen Klerus<br />

und einen geharnischten Protest gegen die Strafverfügung.<br />

Wohl oder übel mußte der Herr Präsident in Sigmaringen<br />

oder sein Stellvertreter den Strafbefehl aufheben! Die Stimmung<br />

der Nazis darauf kann man sich vorstellen.


Buchbesprechungen<br />

Heinfried Wischermann, Romanik in Baden-Württemberg,<br />

340 Seiten, 195 teils farbige Tafeln und 57 Abbildungen,<br />

DM 98.- Konrad Theiss Verlag.<br />

Das Land Baden-Württemberg ist erst in jüngster Zeit entstanden<br />

und keineswegs eine einheitliche Kunstlandschaft.<br />

Der einführende Teil gibt deshalb einen Überblick über die<br />

Territorial- und Kirchengeschichtliche Entwicklung in fünf<br />

verschiedenen Zeiträumen, die von der merowingischen bis<br />

zur staufischen Epoche reichen. Das Buch zeigt den, aus der<br />

Romanik erhaltenen Bestand an Bauwerken, Bau-Plastiken<br />

und Wandmalereien. Der Bildteil enthält eine erstaunliche<br />

Fülle von Kunstwerken, wie man sie in unserem Land<br />

eigentlich nicht erwarten würde. Die meisten Fotos sind neu<br />

und sehr sorgfältig aufgenommen von Joachim Feist und<br />

Peter Fuchs. Im Katalogteil findet man einen Beschreibung<br />

der Objekte, ihre Geschichte und ihre kunstgeschichtliche<br />

Bedeutung. Aus Hohenzollern werden die drei berühmten<br />

Reliefs von der St. Michaelskapelle auf der Burg Hohenzollern<br />

gezeigt. Von Bietenhausen sieht man das romanische<br />

Tympanon mit seiner rätselhaften Inschrift. Größte Objekte<br />

aus romanischer Zeit in Hohenzollern sind die Weilerkirche<br />

bei Owingen und die St. Michaelskirche in Veringendorf.<br />

Während die Weilerkirche Beispiel einer Dorfkirche aus dem<br />

12. Jahrhundert ist, stellt die St. Michaelskirche eine Adelskirche<br />

aus dem 11. Jahrhundert dar. Neben Literaturangaben<br />

enthält der Katalogteil auch viele Abbildungen und Pläne. Ein<br />

umfangreiches Literaturverzeichnis am Schluß des Bandes<br />

regt zu weiterführender Lektüre an. Dankbar ist man für das<br />

Glossar, welches viele Fachausdrücke erklärt. Vermutlich<br />

wird dieses Buch bald in vielen Bücherschränken stehen,<br />

zumal es sich auch als anspruchsvolles Geschenk eignet. B.<br />

Jörg Biel, Vorgeschichtliche Höhensiedelungen in Südwürttemberg-Hohenzollern,<br />

Konrad Theiss Verlag, Stuttgart,<br />

DM 98.-<br />

Das Werk ist erschienen als Band 24 der »Forschungen und<br />

Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg«,<br />

herausgegeben vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg.<br />

Es handelt sich, das sei vorweggenommen, um ein<br />

Standardwerk, das für Jahrzehnte gültig sein wird. Weder<br />

Inhalt, noch Ausstattung lassen irgendwelche Wünsche<br />

offen. Die Arbeit von Biel wurde schon 1972 abgeschlossen;<br />

sie umfaßt das Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirkes<br />

Südwürttemberg-Hohenzollern. Die inzwischen erfolgten<br />

Veränderungen in der Gemeinde- und Kreiseinteilung sind<br />

jeweils angegeben.<br />

Berge wurden schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt, da<br />

sie trotz mancher Nachteile, den Bewohnern der Siedlung<br />

Schutz boten. Der Autor hat das teilweise recht verstreute<br />

Fundmaterial erfaßt und die einzelnen Fundstellen begangen.<br />

Es gelang ihm, für bestimmte Zeitabschnitte charakteristische<br />

Siedlungstypen herauszuarbeiten. Sie reichen von der<br />

»Schutzsiedlung« des Neolithikums bis zum »Herrensitz«<br />

der späten Hallstattzeit. Dazwischen gab es immer wieder<br />

Zeiträume, für die sich keine Höhensiedlungen nachweisen<br />

lassen. Die Höhensiedlungen innerhalb der verschiedenen<br />

Zeitabschnitte sind an Hand des Geländes und der Funde<br />

eingehend beschrieben. Zu den Nachbargebieten im weitesten<br />

Sinne (bis Ostfrankreich und Mitteldeutschland) werden<br />

Verbindungen hergestellt; Höhen- und Höhlenfunde sind in<br />

umfangreichen Listen dargeboten. Im Text findet man zahl-<br />

Johann Adam Kraus feierte<br />

das 60. Priesterjubiläum<br />

Am 11. März 1928 wurde J.A. Kraus zum Priester geweiht.<br />

Seine seelsorgerische Tätigkeit begann er in badischen<br />

und württembergischen Pfarreien. Im »Hohenzollerischen«<br />

war er Vikar in Burladingen, Kaplan in Bingen<br />

und 1938 Pfarrer in Dietershofen. Nach Kriegsdienst<br />

und Gefangenschaft kam er 1946 an das Erzbischöfliche<br />

Archiv in Freiburg. Zweifellos ein Amt, für das er als<br />

Theologe und Historiker aus Neigung die besten Voraussetzungen<br />

mitbrachte. Aus seiner Feder stammen<br />

mehr als 800 wissenschaftliche Aufsätze und Schriften.<br />

Kein anderer Autor ist in der Hohenzollerischen Bibliographie<br />

so oft verzeichnet, wie Johann Adam Kraus.<br />

Heute, im Alter von 84 Jahren, ist er der Nestor der<br />

Hohenzollerischen Geschichtsforschung. Schon in der<br />

dritten Nummer des »Zollerländle« schrieb stud. theol.<br />

J.A. Kraus aus Ringingen zwei Beiträge - über Ringingen<br />

natürlich. Mehr als 60 Jahre später erscheinen immer<br />

noch seine Beiträge in der »Hohenzollerischen Heimat«.<br />

Aber auch in Tageszeitungen meldet er sich oft zu Wort,<br />

wenn es zu einem historischen oder volkskundlichen<br />

Thema etwas anzumerken gibt. Schon vor Jahrzehnten<br />

hat er »Kärrnerarbeit« geleistet und durch Veröffentlichung<br />

von Regesten, Archivfunden, Genealogien, Pfarrerlisten<br />

usw. vielen Heimatforschern Material geliefert,<br />

das ihnen sonst nie bekannt geworden wäre.<br />

Wegen seiner Verdienste wurde J.A. Kraus schon vor<br />

Jahren Ehrenmitglied des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s.<br />

Er ist ein besonderer Förderer der Hohenzollerischen<br />

Heimatbibliothek in Hechingen. Er hat<br />

ihr nicht nur Geldspenden überwiesen, sondern auch<br />

viele alte und wertvolle Bücher und Archivalien überlassen.<br />

Die »Hohenzollerische Heimat« hat wohl am meisten<br />

Grund, sich bei Herrn Pfarrer Kraus zu bedanken.<br />

In 37 Jahren erschienen 148 Nummern und nur in ganz<br />

wenigen, ist kein Beitrag von Kraus zu finden. Aber auch<br />

mit Rat und Hilfe und nicht zuletzt mit erheblichen<br />

finanziellen Beiträgen hat er die »Hohenzollerische Heimat«<br />

gefördert. Dafür sei ihm hier besonders gedankt.<br />

Zum 60. Priesterjubiläum und zum 84. Geburtstag die<br />

herzlichsten Glückwünsche von der »Hohenzollerischen<br />

Heimat«, von ihren Lesern und von der Schriftleitung.<br />

Dr. Herbert Burkarth<br />

reiche Abbildungen und Pläne. Der Katalogteil umfaßt 120<br />

Seiten und ist mit vielen Luftbildern und Kartenausschnitten<br />

ausgestattet. Die Lage und Form jeder gesicherten oder<br />

vermuteten Höhensiedlung ist eingehend beschrieben, auch<br />

wann und von wem sie entdeckt wurde, ob Grabungen<br />

vorgenommen wurden und wo ev. Funde aufbewahrt sind.<br />

Die meisten erwähnten Funde sind auf den 162 Tafeln<br />

abgebildet. Sicher kann sich nicht jeder Interessent dieses<br />

Werk leisten. Es wäre jedoch wichtig, daß man es in möglichst<br />

vielen Bibliotheken finden würde. Jeder, der an der<br />

Geschichte seiner engeren Heimat interessiert ist, wird in<br />

dem Buch etwas finden. Es wird immer noch viel über<br />

angebliche »Volksburgen« phantasiert, hier erfährt man, was<br />

wissenschaftlich gesichert ist, und was für immer ins Reich<br />

der Fabel gehört. B.<br />

15


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

M 3828 F<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Museen und Galerien zwischen Neckar und Bodensee«<br />

Ein neuer Führer<br />

Daß es in Hechingen drei bedeutende Museen, in Haigerloch<br />

das Atom-Museum und in Saulgau die Galerie am Markt gibt,<br />

ist (hoffentlich) bekannt. Weniger bekannt dagegen dürfte<br />

sein, daß es in Melchingen ein Dorfmuseum, in Inzigkofen<br />

ein Bauernmuseum, in Hundersingen das Heuneburgmuseum,<br />

in Jungingen, Mengen, Meßkirch, Ostrach, Riedlingen,<br />

Sigmaringen und Veringenstadt Heimatmuseen gibt,<br />

oder daß Gruppen nach Voranmeldung das Schloß in Wiltingen<br />

besichtigen können. Diese Informationslücke hat der<br />

Arbeitskreis Heimatpflege im Regierungsbezirk Tübingen<br />

e.V. in Zusammenarbeit mit dem Regierungspräsidium<br />

Tübingen geschlossen, indem er einen sehr informativen und<br />

schön aufgemachten Führer herausgegeben hat, in dem auf 97<br />

Seiten, in überschaubarer Form etwa 150 Museen und 80<br />

Register 1987<br />

Bad Imnau, Erkerbau S. 21<br />

Buchbesprechungen:<br />

Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württbg. S. 48<br />

Beiträge zur Volkskunde in Baden-Württemberg S. 15<br />

Haigerlocher Fastnacht S. 15<br />

Gesammelte Grüße S. 32<br />

Kunst im Landkreis Sigmaringen S. 14<br />

Nautur, Heimat, Wandern Bd. Zolleralb S. 48<br />

Neue Musik in Donaueschingen S. 32<br />

Die Sprache des Ghettos ist schwäbisch S. 63<br />

Tübingen 1945, Chronik von Hermann Werner S. 14<br />

Thaddäus Trolls Schwäbische Schimpfwörterei S. 32<br />

O Hechingen Du traute, Film S.64<br />

Musik am Fürstenhof und Stift Hechingen (Schallplatte)<br />

S. 32<br />

Burladingen, Volkstümliches S. 48<br />

Erhaltung und Erforschung von Kleindenkmalen S. 63<br />

Frundsbürgle, Schnattere und Lägstein S. 47<br />

Gauselfingen, Holzschuhfabrikation S. 5<br />

Haigerloch,Fastnachtvom 15.-18.Jahrhundert S. 2<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der<br />

Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: 8.00 DM jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 65351050).<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

16<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

f Hans Hanner, Mannheim<br />

Rudolf Haug, Stadtamtsrat a. D.<br />

Am Hang 9, 7480 Sigmaringen<br />

Wolfgang Hermann<br />

Fischinger Straße 55, 7247 Sulz<br />

Pfr. Johann Adam Kraus<br />

Badstraße 8, 7800 Freiburg-Littenweiler<br />

Galerien vorgestellt werden. Die Angaben von Adresse,<br />

Öffnungszeiten, auskunftgebenden Stellen, Führungen,<br />

Höhe der Eintrittsgelder, Eignung für Kinder, vor allem aber<br />

eine Kurzbeschreibung der Sammlungen und jeweils ein Bild<br />

der Einrichtung erlauben eine gezielte Vorbereitung eines<br />

Besuches. Eine beigefügte Karte enthält die Standorte der<br />

Museen wie auch kunsthistorische Routen und Sehenswürdigkeiten.<br />

Der Museumsführer sollte in viele Hände gelangen.<br />

Seine Größe erlaubt es, ihn jederzeit mitzuführen, selbst<br />

bei Fahrradwanderungen. Auch ist der Preis so gehalten (9,80<br />

DM + Porto), daß sich jeder sofort ein Exemplar beim<br />

Arbeitskreis Heimatpflege im Regierungsbezirk Tübingen<br />

e.V., Geschäftsstelle: Regierungspräsidium Tübingen, Nauklerstr.<br />

47, 7400 Tübingen 1, bestellen sollte.<br />

Hechingen, Kollegialstift S. 17<br />

Hechinger Synagoge S. 1<br />

Hohenzollerische Landesbahn u. Entw. d. gewerbl. Wirtschaft<br />

S. 49<br />

Hohenzollerische Landesbahn i. d. Zeitgesch. S. 23<br />

Hohenzollern, Fürsten u. ihr Füsilierregiment S. 9<br />

Junginger Heimatmuseum S. 30<br />

Killer, Goldmünzen in der Kirche S. 31<br />

Langenenslingen, Orgel S. 40<br />

Meidelstetten, Burg S. 48<br />

Meister von Meßkirch S.28<br />

Meister von Meßkirch, Londoner Rundscheibe S. 13<br />

Namenskunde:<br />

Simmendinger S. 29<br />

Hipp S. 30<br />

Neufra, Grabmal des Albrecht Speth S. 3 7<br />

v. Neuneck, Reinhart S. 42 S. 60<br />

Oberwachingen, Scharfrichter S. 6<br />

Ringinger Rausse S.57<br />

Ringinger Schächerchristus S. 58<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen Telefon 07574/4211<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herausgegeben vom<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

38. Jahrgang Nr. 2/Juni 1988<br />

Bruderschaftsstatue des Heiligen Sebastian in Hechingen. Höhe 1,25 m, Lindenholz. Um 1500


OTTO WERNER<br />

Die Sebastiansbruderschaft in Hechingen<br />

Von den Seuchenpatronen des Mittelalters (Christopherus,<br />

Rochus 1, Sebastian) erhebt sich besonders der hl. Sebastian<br />

und sein Kult im Spätmittelalter und zu Beginn der Neuzeit<br />

zu großer Volkstümlichkeit. Sebastian wurde wohl wegen<br />

seiner Todes- oder Darstellungsart, den Pfeilen, zum Pestpatron.<br />

Die Pest selbst wurde gewöhnlich durch Pfeile angedeutet,<br />

die vom Himmel geschleudert werden 2.<br />

Satzungsurkunde<br />

Am Sonntag nach dem Dreikönigstag des Jahres 1513 kamen<br />

der Pfarrer von Hechingen. Meister (= Magister) Hans<br />

Vögelein. Bürgermeister Claus Held(en) und der andere<br />

Pfleger der Bruderschaft zu Graf Franz Wolfgang von Zollern<br />

und zeigten ihm an, daß sie zusammen mit anderen eine<br />

Bruderschaft zum Lob des allmächtigen Gottes, der himmlischen<br />

Königin und reinen Mutter Maria und des ganzen<br />

himmlischen Heeres, besonders aber zur Ehre des heiligen<br />

Himmelsfürsten und Märtyrers Sebastian gegründet hätten.<br />

Sie baten ihn, eine Urkunde über ihre Satzung auszustellen<br />

und zu siegeln. Die Artikel der Satzung sollten für alle<br />

Mitglieder der Bruderschaft verbindlich und rechtsgültig<br />

sein.<br />

Die einzelnen Artikel der Satzung<br />

Die einzelnen Artikel der Satzung besagen: Der Pfarrer oder<br />

ein anderer Priester verkündete alljährlich am Sonntag vor<br />

Sebastian zuerst in der Pfarrkirche St. Luzen und hernach in<br />

der Kapelle zu Unserer Lieben Frau die Bruderschaft, d. h. er<br />

kündete für den 20. Januar den Bruderschaftstag an.<br />

Am Sebastianstag selbst, am 20.Januar also, wurden die<br />

Namen aller lebenden wie toten Brüder und Schwestern der<br />

Bruderschaft in der Kapelle Unserer Lieben Frau verlesen.<br />

Außerdem begingen die Mitglieder den Jahrtag für alle<br />

Brüder und Schwestern und die Wohltäter, ob sie noch am<br />

Leben oder aus dieser Zeit geschieden waren, mit einem<br />

gesungenen Seelenamt und einem Amt zum Gedächtnis des<br />

hl. Sebastian. Diese beiden Amter feierte die Bruderschaft mit<br />

allen Chorherren des Stifts ebenfalls in der Kapelle zu<br />

Unserer Lieben Frau. Dabei trugen die Frauen brennende<br />

Kerzen, die von den Pflegern oder Kerzenmeistern beschafft<br />

worden waren. Den beiden Ämtern sollten alle Mitglieder,<br />

aber auch, wer neu aufgenommen werden wollte, in bruderschaftlicher<br />

Liebe beiwohnen und zu opffer geen. Jeder<br />

Chorherr las anschließend noch eine hl. Messe an einem von<br />

ihm ausgewählten Altar. Andere Priester aus der Umgebung,<br />

die der Bruderschaft angehörten, lasen zum Trost der Lebenden<br />

und Toten der Bruderschaft ebenfalls eine Messe in der<br />

Kapelle zu Unserer Lieben Frau in Hechingen oder in ihrer<br />

Kirche.<br />

An allen Fronfasten (das war mittwochs, freitags und samstags<br />

nach Aschermittwoch, Pfingsten, Fest Kreuzerhöhung<br />

und Fest hl. Lucia beteten die Brüder und<br />

Schwestern 15 Vaterunser, 15 Ave Maria und ein Glaubensbekenntnis<br />

zum Lobe und zur Ehre der Leiden des Herrn und<br />

als Hilfe und zum Trost der lebenden und toten Mitglieder.<br />

Die Priester jedoch, die Mitglieder der Bruderschaft waren,<br />

lasen an den Fronfasten hl. Messen. Mittwochs an den vier<br />

Fronfasten sang ein Priester, den die Pfleger dazu auswählten<br />

oder darum baten, zum Gedächtnis der Brüder und Schwestern,<br />

die der Bruderschaft Gutes getan (- z. B. eine Stiftung<br />

vermacht hatten -) ein Seelenamt. Zur Teilnahme an diesen<br />

Jahrzeiten waren die Mitglieder nicht verpflichtet.<br />

18<br />

Starb ein Bruder oder eine Schwester, so war dies den<br />

Pflegern in Hechingen zu melden. Diese veranlaßten, daß mit<br />

allen Glocken zwei Zeichen gegeben wurden. Zwei Priester<br />

hielten in der Kapelle Unserer Lieben Frau Vigil und lasen<br />

tags darauf die Messe; die Teilnahme daran war für die<br />

Mitglieder nicht verpflichtend.<br />

Kommen wir nun zur Organisation der Bruderschaft, denn<br />

diese war durchaus nicht eine bloß lose Vereinigung, sondern<br />

festgefügt.<br />

Am Jahrtag mußten die Pfleger vor allen Brüdern Rechnung<br />

legen und die Einnahmen und Ausgaben nachweisen. Dann<br />

wählten die Anwesenden zwei neue Pfleger, denen die bisherigen<br />

das Bargeld und die Ausstände zu übergeben hatten.<br />

Die Überschüsse wurden zum Nutzen der Bruderschaft<br />

angelegt. Die Pfleger oder Kerzenmeister sollten der Bruderschaft<br />

frumen vnnd nutzen schaffen und schaden (von ihr)<br />

wennden.<br />

Beim Eintritt in die Bruderschaft und jedes Jahr am Bruderschaftstag<br />

war von jedem Mitglied ein Beitrag (ain Behemisch)<br />

zu entrichten, um die Bruderschaft in ihrem Bestand<br />

zu sichern. Ehefrauen von Mitgliedern waren beitragsfrei.<br />

Von den jährlichen Beitragszahlungen befreite die einmalige<br />

Zahlung in Höhe eines Guldens (Böhmisch). Der Leibfall<br />

beim Tod eines Bruders und einer Schwester betrug drei<br />

Schilling Kreuzer.<br />

Wer am Bruderschaftstag wegen zu weiter Entfernung oder<br />

aus anderen Gründen nicht teilnehmen konnte, sollte dies den<br />

Pflegern melden und seinen Beitrag zahlen, als wäre er<br />

anwesend. Er sollte auch von sich aus an einer Meßfeier<br />

teilnehmen.<br />

Konnte jemand am Jahrtag seinen Beitrag nicht entrichten, so<br />

hatte er die Pfleger um Aufschub und um einen neuen Termin<br />

zu bitten. Die Beitragszahlung mußte aber vor dem neuen<br />

Bruderschaftstag erfolgen, sonst verfiel man der Strafe.<br />

Ebenso verfiel der Strafe von einem Schilling Heller, wer<br />

nicht zum Jahrtag erschien und dies den Pflegern nicht<br />

meldete oder um keinen späteren Zahlungstermin nachsuchte.<br />

Falls ein Bruder oder eine Schwester so weit fortzog, daß er<br />

die jährliche Abgabe nicht abliefern konnte, sollte er bzw. sie<br />

ihn mit einem halben Gulden ablösen; damit war man von<br />

ferneren Beitragszahlungen befreit. Den Leibfall mußte man<br />

aber entrichten.<br />

Die Beiträge und Strafen konnten von den Pflegern noch<br />

geistlichem und weltlichem Recht eingefordert werden. Wer<br />

drei Jahre lang seinen Beitrag (und die Strafe) nicht bezahlte,<br />

wurde am Bruderschaftstag von den Pflegern öffentlich<br />

bekanntgegeben und ausgeschlossen. Die verfallenen Beiträge<br />

und Strafen wurden aber eingetrieben.<br />

Die Statuten waren von Bischof Hugo von Hohenlandenberg<br />

genehmigt 3.<br />

Anlaß zur Gründung und zur Erneuerung<br />

Anlaß zur Gründung wie zur Erneuerung der Sebastiansbruderschaft<br />

in Hechingen waren Zeiten einer Pestepidemie.<br />

Eine solche Pestzeit darf vor dem Jahr 1513 angenommen<br />

werden 4.<br />

In den Pestjahren 1610 und 1611, in denen auch der neue<br />

Hechinger Pfarrer Magister Paulus Breinlin gleich zu Anfang


der Epidemie dahingerafft wurde, taten sich in der Kranken-<br />

seelsorge besonders Stadtpfarrer Melchior Seitz und der<br />

junge Kanoniker Gall Buckenmayer hervor 5. Sie erneuerten<br />

die Sebastiansbruderschaft; Gall Buckenmayer und Schult-<br />

heiß Michael Maysing wurden zu Pflegern gewählt 6.<br />

Sebastiansreliquie und Bruderschaftsstatue<br />

Besonders verehrt wurde die Sebastiansreliquie: ein Zahn des<br />

hl. Sebastian. - Dazu eine kleine Begebenheit: Im Jahre 1699<br />

traten die Metzger geschlossen in die St. Sebastiansbruder-<br />

schaft ein. Am Metzgertag wurde der ganzen Zunft der Zahn<br />

des hl. Sebastian zum Kusse gereicht.« 7<br />

Die Sebastiansbruderschaft bestand bis ins 19. Jahrhundert.<br />

Unterlagen der Sebastianspflege sind bis zum Jahre 1850<br />

erhalten 8.<br />

Die noch erhaltene Lindenholzstatue 9 des hl. Sebastian war<br />

die Bruderschaftsstatue. Sie stammt aus der Zeit der Entste-<br />

hung der Bruderschaft 10.<br />

Anmerkungen<br />

' Der hl. Rochus war der Schutzheilige der Weber. Der Jahrtag war<br />

am 16. August, am Tag nach Maria Himmelfahrt, dem Rochustag.<br />

Auf ihrem Zunftsiegelstock ist er mit ekelhaften Beulen neben<br />

einem die Beulen öffnenden Engel dargestellt. - Städtisches<br />

Museum Hechingen, 84/1528 (undatiert).<br />

2 Auf dem am Ende des 15. Jahrhunderts entstandenen Tafelbild in<br />

der Pfarrkirche von Oeningen Krs. Nördlingen, einer ehemaligen<br />

Sebastianskapelle, findet sich eine Darstellung Gottvaters, der mit<br />

einem Bogen Pestpfeile auf die sündige Menschheit sendet. Das<br />

dazugehörige Spruchband wiederholt die Ankündigung der Sündflut<br />

(Gen 6,7); zu deutsch: »Ich will den Menschen, den ich<br />

erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh,<br />

die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie<br />

gemacht zu haben.« Auf der Erde liegen die Opfer von Gottes<br />

Zorn: Pesttote aus dem weltlichen und geistlichen Stand. Links<br />

und rechts Maria und Sebastian als große Gestalten dargestellt, die<br />

vor der Pest schützen können, wer sich ihnen im Gebet zuwendet.<br />

3 Lagerort der Gründungsurkunde: Pfarrarchiv Hechingen,<br />

Urkunden, Ausstellungen: Graf Franz Wolfgang von Zollern.<br />

Datum: Sonntag nach dem hl. Dreikönigstag des Jahres 1513.<br />

4 In dem Verbesserungsvorschlag der Vormünder der Kinder des<br />

verstorbenen Grafen Franz Wolfgang 1520 an den Bischof von<br />

Konstanz heißt es, daß der Kanoniker Michael Zimmermann seine<br />

drei Amter »besonders bei Sterbensläuten und grassierender Pest«<br />

nicht zugleich versehen könne. - Siehe Johann Adam Kraus, Vom<br />

Collegialstift Hechingen, in: Hohenzollerische Heimat, 1954, S.<br />

44.<br />

5 über letzteren heißt es, daß »er sich anno 1611 in den großen<br />

Sterbensläufen bei männiglich (= jedermann) sowohl Tags als<br />

Nachts mit allem Eifer und Fleiß nit allein, sondern auch in der<br />

Kirche so eifrig verhalten, daß jedermänniglich ein sonders Belie-<br />

OTTO WERNER<br />

Fastnachtstanz der Juden im Jahre 1827<br />

Vermutungen<br />

Die Notiz in der Chronik der Stadt Hechingen unterm Jahr<br />

1827. Der Stadtpfarrer beklagte sich über einen Fastnachts-<br />

tanz der Hechinger Juden in der Kirche des aufgehobenen<br />

Klosters St. Luzen 1 erregte meine Aufmerksamkeit. Bei der<br />

Unzuverlässigkeit mancher Angaben in der »Chronik der<br />

Stadt Hechingen« mußte die Notiz mit der gebotenen Vor-<br />

sicht aufgenommen werden. Eine Nachprüfung war ange-<br />

zeigt. Was konnte nicht alles vermutet werden:<br />

Hechinger Sebastians-Reliquie<br />

ben für ihn gehabt und zum Seelsorger haben vorgeschlagen.«<br />

6 Ein Hechinger Stadtpfarrer in Pest-, Hungers- und Kriegsnot. In:<br />

Der Zoller, Nr. 125 v. 2.Juni 1919.<br />

7 Heinrich Fassbender, Aus der Geschichte des Hechinger Handwerks.<br />

1933. Ms. - Fassbender lieferte folgende Beschreibung der<br />

1933 im Pfarrhaus verwahrten Reliquie: »Sebastiansreliquie: 7,5<br />

cm hoch und breit; die Grundplatte ist Silber-vergoldet; der Zahn<br />

freistehend in Silber gefasst: vorne reiche Silberornamente aufgelegt,<br />

dazu vier Edelsteine.« Auf der Rückseite »Inschrift: Ren<br />

1729 Sancte Sebastian Ora Pro Nobis.« - Lageron: HHBH,<br />

K. 906, S. 10 und 26.<br />

8 Siehe Pfarrarchiv Hechingen /St. Luzen, Behälter 4.<br />

9 gefaßt: h = 1,25 m.<br />

10 Im Kunstdenkmälerwerk lautet die Beschreibung: »Um 1500. Das<br />

Lendentuch und die vor dem Körper gekreuzten Arme sind um<br />

einen dünnen Baumstamm gelegt, das Haupt reich gelockt, der<br />

linke Fuß vorgestellt.« - Siehe Walter Grenzmer (Hrsg.), Die<br />

Kunstdenkmäler Hohenzollerns. Erster Band: Kreis Hechingen.<br />

Hechingen, 1939, S. 161.<br />

in der Kirche St. Luzen?<br />

- War nach der Säkularisation und dem Auszug bzw. Aus-<br />

sterben der Franziskanermönche 2 nicht nur das Kloster,<br />

sondern auch die St. Luzenkirche einer fremden Bestimmung<br />

übergeben worden?<br />

- War sonst ein organisiertes Ereignis wie ein Fastnachtstanz<br />

mit Musikern und Tanzpaaren durchführbar?<br />

- Wie aber konnte sich dann der Hechinger Stadtpfarrer - es<br />

19


muß zu jener Zeit Severin Fuchs gewesen sein - darüber<br />

beschweren? Bei wem reichte er die Klage ein?<br />

- War der religiösen Minderheit der Juden zuzutrauen, in<br />

eine christliche Kirche einzudringen und dort einen Fastnachtstanz<br />

abzuhalten?<br />

- Handelte es sich überhaupt um einen Fastnachtstanz? Die<br />

Juden hätten einen Tanz an Fastnacht doch wohl nur in<br />

Verbindung mit dem Narrentreiben der Christen durchgeführt?<br />

- Handelte es sich möglicherweise um ein nur jüdisches Fest,<br />

um einen Purimball etwa? Das Losfest (Purim), das in die<br />

Monate März/April fällt, ist ein besonders fröhliches, ja<br />

ausgelassenes Fest. Angelehnt ist es an die Ereignisse, die im<br />

Buch Esther geschildert werden. Es berichtet über die Begebenheiten,<br />

die sich vor etwa 2000 Jahren im Perserreich<br />

zugetragen haben. Damals konnte sich die dortige jüdische<br />

Gemeinschaft vor einer drohenden Ausrottung retten. Seitdem<br />

wird das Fest vor allem in Deutschland und in einigen<br />

Ländern Europas, wie etwa Fasching begangen 3. Wie konnte<br />

der Sachverhalt aufgeklärt, die »Wahrheit« herausgefunden<br />

werden? Woher hatte der Chronist seine Informationen? Die<br />

bisherigen Darstellungen von Max Heinrichsperger bis Karl<br />

Mors gehen über diesen Zeitraum allzu raffend hinweg 4.<br />

Das Ärgernis gelangt Generalvikar Wessenberg in Konstanz<br />

zu Ohren<br />

Bei der Einlagerung und Verzeichnung von Akten im Archiv<br />

der Pfarrei St.Jakobus Hechingen 5 stieß ich auf ein Bündel<br />

mit der Aufschrift Religion und Seelsorge. Betreff: Ärgernisse<br />

6. Darin fand ich denn auch ein Schreiben des Bistumsverwesers<br />

Ignaz Heinrich Wessenberg 7 vom 15. Juni 1827, in<br />

dem er sein Erstaunen darüber äußert, daß den Juden am<br />

Pfingsttag und sogar während des Gottesdienstes in St. Luzien<br />

ein Tanz gestattet werden konnte, und vom Hechinger<br />

Stadtpfarrer einen genauen Bericht von dem wahren Hergang<br />

der Sache anfordert. Er fragt an, was anzuordnen sei, um<br />

künftig derartige Ärgernisse zu vermeiden, oder ob die<br />

Kirche gar als entweiht anzusehen sei.<br />

Im »Auszug« ist ein ihm zugestellter Brief wiedergegeben; er<br />

lautet:<br />

Es war am Pfingsttag, wo in Hechingen gegen alle sonst<br />

christliche Staaten in dem ehemaligen Kloster St. Luzian die<br />

Juden einen Tanz hielten. Mit außerordentlichem Lärmen<br />

und Getöße zogen sie in den Gängen des Klosters umher,<br />

während der Kaplan Kohler, der in der Kirche pfarrliche<br />

Verrichtungen zu erfüllen hat, beicht saß. Die Juden 50 an der<br />

Zahl giengen von der talmudischen Lehren begeistert mit<br />

ihren Mädchen in die Kirche, giengen daselbst mit Getöß und<br />

Gelärm auf und ab, während Kaplan Kohler zu beicht saß,<br />

dieser stund auf und geboth den Juden Ruhe und Stille; diese<br />

aber drohten ihm mit ihren Fäusten, überhäuften ihn mit allen<br />

möglichen Schimpfnamen und zwangen ihn mit seinen<br />

Beichtkindern in die Sakristey zu flüchten - während er selber<br />

zuschloß - holten die Juden ihre Musigkanten fiengen an zu<br />

tanzen, u. alle möglichen unsittliche Unfuge in der Kirche zu<br />

treiben, und zuletzt die Altäre und Beichtstühle zu beschmeißen.<br />

Kohler lief um Hilfe, und endlich wurden sie abgeführt, und<br />

sitzen in der Rathsstube zu Hechingen gefangen, wurden mit<br />

Uberfluß von Speiß und Trank versehen, und zeigen in dem<br />

Arrest den Triumpf über eine christliche Kirche im 19. Jahrhundert.<br />

Demnach hat das Ereignis an Pfingsten 1827 stattgefunden.<br />

Also: Ein Purimball kann es ebensowenig gewesen sein wie<br />

ein Fastnachtstanz. Stutzig macht uns auch die Aufforderung<br />

Wessenbergs an Stadtpfarrer Fuchs, den wahren Hergang der<br />

20<br />

Sache zu berichten. Traut Wessenberg dem Briefschreiber<br />

nicht zu, den Sachverhalt objektiv darzustellen? Mißtraut er<br />

ihm? (Später erfahren wir durch Stadtpfarrer Severin Fuchs 8,<br />

daß der Vorfall ganz entstellt und unrichtig an das Generalvikariat<br />

berichtet worden sei.)<br />

Der Briefschreiber: Joseph Glatz<br />

Im Erzbischöflichen Archiv Freiburg war dann auch der<br />

Briefschreiber zu ermitteln 9. Wer war Joseph Glatz? Er kam<br />

am 5. März 1776 in Haigerloch zur Welt. Ordiniert wurde er<br />

am 15. September 1800. Am 20. Oktober 1800 trat er die Stelle<br />

als Nachprediger 10 in Sigmaringen an. Später war er Stadtkaplan<br />

und Professor in Hedingen, seit 3. Mai 1830 Pfarrer in<br />

Hausen am Andelsbach. Gestorben ist er am 24. Dezember<br />

1839".<br />

In einem umfangreichen »Handbuch der Erziehung und<br />

Bildung des Menschen zur Religion nach den Bedürfnissen<br />

unserer Zeit«, das Joseph Glatz 1818 veröffentlichte 12, führt<br />

er als Paragraph 120 an: Es ist Pflicht - Niemanden zu<br />

verläumden. Er sagt darin: Der Verleumder haßt seine Mitmenschen,<br />

schaut sie mit scharfspähendem Blicke von allen<br />

Seiten an, und denkt: unter so vielen Schritten, unter so vielen<br />

Handlungen wird doch eine seyn, die die Probe nicht aushält,<br />

welche man aus einem widrigen Gesichtspunkte betrachten<br />

kann, - die man verdrehen, vergrößern, verkleinern könne -<br />

es gelingt dem Verläumder, mit Freuden läuft er von Haus zu<br />

Haus, von Gesellschaft zu Gesellschaft, schüttet das Gift aus,<br />

tausend verschlingen es begierig, und speien es dann mit<br />

tausend Zusätzen wieder aus 13. - Jedoch vertritt Glatz darin<br />

auch die Meinung, daß es Fälle giebt, wo es sogar Pflicht für<br />

den Menschen ist, die böse Seite eines Mitmenschen aufzudecken.<br />

Allerdings fordert er dabei die strengste Wahrheiten<br />

- der Christ hütet sich sorgfältig seinem Nebenmenschen<br />

nicht 14 Unrecht zu thun - er sagt nicht mehr und nicht<br />

weniger, als er genau weiß; wie er ihn kennt, so spricht er, und<br />

hütet sich namenlose Sagen, pöbelhaftes Gepläuder, und<br />

täuschende Vermuthungen für Gewißheit auszugeben 15.<br />

Am 9. Juni 1827 nun schrieb Joseph Glatz aus Sigmaringen an<br />

Generalvikar Wessenberg. Aus dem vollen Wortlaut seines<br />

Briefes geht hervor, daß er sich verpflichtet fühlte, den Vorfall<br />

dem Bistumsverweser bekanntzumachen. Er schreibt, er sei<br />

weit entfernt Euer Excellenz eine Maßregel vorzuschlagen,<br />

doch rückt er im selben Satz damit heraus: die Schließung der<br />

Kirche des ehemaligen Franziskaner-Klosters St. Luzen.<br />

Außerdem regt er an, die Sache von einer geistlichen Regierung<br />

untersuchen (zu) lassen, um so mehr, da es in einem<br />

Ländchen ist, wo nicht nur kein Gesetzbuch sondern nicht<br />

einmal die Rede von einer Verfolgung sei. Nun wissen wir<br />

nicht, woher Joseph Glatz von dem Geschehen Kenntnis<br />

hatte. Wir wollen ihm zugute halten, daß er davon vom<br />

Hörensagen erfuhr und ihm keine bewußte Falschdarstellung<br />

unterstellen. Offensichtlich wird jedoch, daß er gegen die<br />

Regierung des Fürstentums Hohenzollern-Hechingen negativ<br />

eingestellt war und ihr nicht zutraute, den Vorgang<br />

objektiv zu untersuchen und gerecht zu entscheiden. Ja, er<br />

meint sogar, man werde ihn in der Stille unterdrücken, und<br />

die jüdisch gesinnte und bestochene Afterregierung selbe (die<br />

Juden) so galand als möglich zum Ärgerniß des christlichen<br />

Volkes behandeln 16.<br />

Versuchen wir noch, aus seinem bereits erwähnten Werk<br />

seine Einstellung zu den Juden herauszufinden. In Paragraph<br />

73 »Juden Denkmäler erfüllter Weissagungen« schreibt<br />

er: Die ersten Bekenner Jesu hatten die Juden, ungeachtet<br />

ihrer hartnäckigen Verwerfung der christlichen Lehre, die<br />

ihnen so manche traurige Empfindung erregten, doch lieb,<br />

und sprachen bey jeder Gelegenheit mit Achtung von ihnen,<br />

entschuldigten sogar selbst ihren falschen Religionseifer<br />

gegen die Christen. Von diesem sind die Christen selbst in


unseren Tagen weit entfernt geblieben. Sie hatten oft nicht<br />

einmal die Achtung gegen sie, welche ihnen als Menschen<br />

gebührt, und entschuldigten gern jede Mißhandlung, Beeinträchtigung<br />

eines Juden, weil sie ja nur einem Juden widerfahren<br />

sey; schon dem Herzen der zarten Jugend ward eine<br />

Geringschätzung dieses Volkes, ja ein gewißer Abscheu vor<br />

demselben eingepflanzt, vermöge welchem man sich gegen<br />

einen Israeliten manches in Wort und That erlaubte, was man<br />

gegen einen andern Menschen nie gewagt hätte. Wenn man<br />

noch den entehrenden Leibzoll, in Erwähnung bringt welchen<br />

man von ihnen in vielen Ländern forderte, und wodurch<br />

sie in eine Klasse mit dem unvernünftigen Vieh gesetzt<br />

wurden, so kann man gewiß dieses Betragen für keine<br />

Einladung ansehen, welche die Juden zur Annahme des<br />

Christenthums bewogen hätten, ja vielmehr den Juden alle<br />

Lust benahm, Christen zu werden 17. - Nein, von einem Haß<br />

gegen die Juden kann nicht die Rede sein.<br />

Der Bericht von Stadtpfarrer Severin Fuchs<br />

Am 28. Juni 1827 berichtete Stadtpfarrer 18 Severin Fuchs den<br />

wahren Hergang der Sache an das Generalvikariat nach<br />

Konstanz.<br />

Die Sache verhält sich so: Ein großer Theil der Klostergebäude<br />

sammt dem anliegenden Garten ist verpachtet. Der<br />

Pächter hat das Recht, ein Wirthshaus zu halten. Daher<br />

geschieht es, daß zu verschiedenen Zeiten viele Leute dahin<br />

kommen, und sich so betragen, wie es in gemeinen Wirthshäusern<br />

gewöhnlich ist. Auch wird vielleicht dieses Klosterwirthshaus<br />

darum gern besucht, weil die größern Gebäulichkeiten<br />

und der Garten manche erwünschten Schlupfwinkel<br />

und verborgenen Orte darbieten. An den Sabbaten kommen<br />

nun gewöhnlich auch viele Juden in dieses Wirthshaus. So<br />

war es am Vorabend vor Pfingsten als an den jüdischen<br />

Sabbat, an welchem sich eine große Menge Juden da einfand.<br />

Und dieser Vorabend, nicht der Pfingsttag selbst, war es, an<br />

welchem Nachmittags sich der fragliche Vorfall folgendermaßen<br />

ereignete:<br />

Die Juden zerstreuten sich in den Klostergängen und in dem<br />

Garten, und überließen sich der lärmendsten Lustbarkeit. Es<br />

kamen auch ein Paar Pfeifer, welche sogleich einen Tanz<br />

veranlaßten: ohne Wissen und Bewilligung der Polizey.<br />

Pfingsten ist eine Zeit, wo dahier viele Christen wieder zur<br />

Kommunion gehen, von denen die meisten am Vorabende<br />

ihre Beicht verrichten. Da man weiß, daß ein Geistlicher in<br />

St. Luzien wohnt, so kommen gewöhnlich auch einige in<br />

diese Kirche, um zu beichten, was eben am Pfingstsamstage<br />

der Fall war. Der Lärm in den Klostergebäuden und im<br />

Garten, welcher die Kirche umgibt, war nun so groß, daß in<br />

der Kirche keine hl. Verrichtung vorgenommen werden<br />

konnte; obschon kein einziger Jude in der Kirche sich befand.<br />

Der Kapitelvikar Koler, der da war, entließ also die Beichtleute,<br />

und beschied sie auf den Pfingsttag in der Frühe, was<br />

sich die Leute auch gern gefallen ließen. H. Koler begab sich<br />

am nämlichen Samstage noch einige Male vom Kloster aus auf<br />

die Emporkirche 19, um zu sehen, ob nicht noch andere<br />

Beichtleute gekommen seyen, und um ihnen den nämlichen<br />

Bescheid, wie den vorigen zu geben. Einmal sah er auch drey<br />

oder vier Paar Juden in der Kirche, welche die Bilder und<br />

Gemälde besichtigten, und ihre vielleicht unanständigen<br />

Bemerkungen dazu machten. Er hieß sie hinausgehen, was sie<br />

auch sogleich ohne Widerrede thaten. Dieß letzte ist alles, was<br />

von den Juden in der Kirche geschah.... Später am nämlichen<br />

Tage kamen noch ein Paar alte Personen, um zu beichten.<br />

H. Koler wollte diese nicht auch fortschicken; er nahm sie in<br />

die Sakristey, um da ihre Beicht anzuhören. Allein der Lärm<br />

hinderte ihn auch hier; zudem fand er noch die Sakristey von<br />

den Juden verunreinigt. Das empörte ihn. Er verließ die Leute<br />

und die Sakristey, begab sich im Kloster unter ein Fenster,<br />

und rief von da den Juden in den Garten hinab, wo ein großer<br />

Theil derselben versammelt war, zu um ihnen Ordnung und<br />

Ruhe zu gebieten, indem er ihnen vorstellte, daß er durch sie<br />

in seinen Amtsverrichtungen gänzlich gestört werde. Hier<br />

war es nun, wo die Juden seiner spotteten, und ihm wirklich<br />

mit den häßlichsten unwürdigsten Schimpfworten begegneten.<br />

H. Koler brachte sogleich seine Klage bey mir an, und ich<br />

traf die Einleitung, daß die Sache zur Kenntniß der Obrigkeit<br />

gelangte. Diese hat den Vorfall genau untersucht. Die Juden<br />

sind zur verdienten Strafe gezogen, und Herrn Koler ist<br />

gebührende Genugthuung geleistet worden. Dieß ist die<br />

ganze Geschichte.<br />

unterthänigst gehorsamster<br />

Fuchs Stadtpfarrer 20.<br />

Die verdiente Strafe<br />

Schon aus dem Brief von Joseph Glatz wird deutlich, daß die<br />

beteiligten Juden wegen des Vorfalls von der Polizei vorläufig<br />

festgenommen, abgeführt und in der Ratsstube (vermutlich<br />

zum Verhör) festgehalten wurden 21. Stadtpfarrer Severin<br />

Fuchs berichtet dann an Wessenberg, daß er - nachdem ihn<br />

Kapitelskaplan Kohler von dem Vorfall informiert hatte - die<br />

Obrigkeit verständigte, und diese den Vorfall genau untersucht<br />

habe und die Juden zur verdienten Strafe gezogen<br />

worden seien. Kaplan Kohler gegenüber mußten sie sich<br />

entschuldigen 22.<br />

Die Befürchtung des Joseph Glatz, die Angelegenheit werde<br />

unter den Teppich gekehrt, traf also nicht zu.<br />

Schließung der St. Luzenkirche und anderweitige Verwendung?<br />

In St. Luzen befand sich neben der Kirche und dem Kloster<br />

ein Bräuhaus 23 und ein Stall und eine Remise 24. Der Klosterbesitz<br />

war bei der Säkularisation (1803) dem Fürsten von<br />

Hohenzollern-Hechingen zugesprochen worden. Nach den<br />

Ausführungen von Stadtpfarrer Severin Fuchs war 1827 ein<br />

großer Teil der Klostergebäude mit dem zugehörigen Garten<br />

verpachtet. Der Pächter hatte das Recht, ein Wirthshaus zu<br />

halten. In dem nicht verpachteten Teil des Klosters lebte<br />

Laienbruder Isaak Schmidt 25, der ja bis zu seinem Tode am<br />

23. Oktober 1857 als Mesner in St. Luzen diente, und dort<br />

wohnte auch Kapitelskaplan Paul Kohler 25.<br />

Was die St. Luzenkirche betrifft, so erfahren wir aus dem<br />

Schriftwechsel zwischen Generalvikar Wessenberg und dem<br />

Hechinger Stadtpfarrer Severin Fuchs, daß vormittags kein<br />

Hauptgottesdienst, sondern nur eine Frühmesse und Homilie<br />

27 stattfand. Nachmittägliche Funktionen sollten dort nicht<br />

mehr durchgeführt werden, weil an den Beichttagen in der<br />

Pfarrkirche Platz und Gelegenheit genug sei.<br />

Ein nahe des Eingangs angebrachtes Gitter, das die ganze<br />

Breite der St. Luzenkirche einnahm, verhinderte das Umhergehen.<br />

Es war nur während der Gottesdienstzeiten geöffnet<br />

28.<br />

Den von Joseph Glatz vorgeschlagenen Gedanken einer<br />

Schließung der Kirche, den Wessenberg bereits in seinem<br />

ersten Brief aufgegriffen hatte, da er der Meinung war,<br />

St. Luzen wäre der pfarrlichen Gottesdienstordnung eher<br />

hinderlich als förderlich und deshalb zu erwägen gab, ob<br />

nicht ein schicklicher Anlaß zu ergreifen wäre, um auf (die)<br />

Schließung dieser Nebenkirche anzutragen, diesen Vorschlag<br />

lehnte Stadtpfarrer Fuchs für itzt (1827) ab. Er hob hervor,<br />

daß vor allem die Bewohner der Unterstadt eine große<br />

Anhänglichkeit an diese Kirche hätten. Dabei wies er auf<br />

einen Umstand hin, der dazu wesentlich beitrug: An den<br />

ehemaligen Klosterfesten als Antonii, Portiuncula, Franciszi<br />

21


etc. kämen immer gern auswärtige Geistliche zum Messefeiern<br />

in diese Kirche. An solchen Tagen ströme deshalb das<br />

Volk immer noch zahlreich herbei, und zum Theil aus weit<br />

entfernten Orten 25. Pfarrer Fuchs bemerkt, daß er seine<br />

Amtsbrüder schon oft ersucht habe, an solchen Klosterfesten<br />

nicht mehr zu erscheinen. Er habe sie dabei auf die bischöflichen<br />

Verordnungen, sein pfarrliches Recht auf Verweigerung<br />

und auf die Nachteile ihres Erscheines aufmerksam gemacht.<br />

Obwohl die meisten inzwischen ausgeblieben seien, würden<br />

doch noch einige an dieser bisherigen Übung festhalten.<br />

Diesen Umstand hielt Stadtpfarrer Fuchs neben religiösen<br />

und pfarrlichen vor allem aus dem Grunde für ungut, weil<br />

man im Falle einer anderweitigen Benutzung des Kirchengebäudes<br />

vom nahen und fernen Volke Widerstand zu gewärtigen<br />

hätte. Eine Schließung der Kirche und eine andere<br />

Verwendung könne ohne vielen Lärm und große Unzufriedenheit,<br />

ohne ärgerliche und nachtheilige Gespräche, und<br />

mancherley Unordnungen unter dem Publikum nicht geschehen,<br />

ja die mindeste Veränderung des Hergebrachten würde<br />

üble Wirkungen machen.<br />

Heute freuen wir uns über die Beharrlichkeit und Unverrückbarkeit<br />

des Kirchenvolkes, die damals die Funktion einer<br />

»Bürgerinitiative« hatte. Wer weiß, welcher Bestimmung das<br />

Kirchengebäude sonst übergeben worden und ob uns dieses<br />

Kleinod der Renaissance erhalten geblieben wäre.<br />

Auswirkungen auf die Pastoration von St. Luzen<br />

Wessenberg zeigte sich darüber beruhigt, daß der Stadtpfarrer<br />

verfügt habe, in der Filialkirche nachmittags keine Art<br />

Anmerkungen:<br />

1 Chronik der Stadt Hechingen III (1980), S.215. - In der ChH II<br />

von 1906 findet sie sich noch nicht, so daß wohl Walter Sauter bei<br />

seiner Materialsammlung über die Hechinger Juden (-gemeinde)<br />

auf eine Nachricht über das Ereignis gestoßen sein wird.<br />

2 Der letzte Pater Aurelius Lusser starb im Jahre 1819 im Kloster<br />

St. Luzen.<br />

3 Joel Berger, Landesrabbiner von Baden-Württemberg. In: Festnummer<br />

des jüdischen Sportvereins »Makkabi Stuttgart« 1987,<br />

S. 11. - In der Hohenzollerischen Heimatbücherei Hechingen hat<br />

sich die Ausgabe eines »Purim-Kladderadatsch« (vergleichbar<br />

einer Fastnachtszeitung) aus dem Jahre 1880 erhalten [HHBH,<br />

R. 12 IX.].<br />

4 Max Heinrichsperger, Hechingen/Hohenzollern. Franziskaner-<br />

Observanten. In: Alemania Franciscana Antiqua, Bd. XVI, S. 178.<br />

- Karl Mors, Zur Geschichte der Franziskaner in St. Luzen. In:<br />

Stadt Hechingen (Hrsg.), 1200 Jahre Hechingen. Beiträge zur<br />

Geschichte, Kunst und Kultur der Stadt Hechingen. Hechingen<br />

1987, S. 172ff.<br />

5 Dep. St. Luzen.<br />

6 Kasten 61.<br />

7 * 4. Nov. 1774 in Dresden, 1802 Generalvikar des Fürstprimas<br />

Dalberg in Konstanz, erst 1812 Priester, 1817/27 Bistumsverweser,<br />

t 9. August 1860 zu Konstanz.<br />

8 Wie Anm. 20.<br />

9 An dieser Stelle möchte ich mich sehr herzlich beim Erzbischöflichen<br />

Archivar Dr. Franz Hundsnurscher für seine Bemühungen<br />

bedanken.<br />

10 Nachprediger = Hilfsprediger. - Hermann Fischer, Schwäbisches<br />

Wörterbuch. Vierter Band. Tübingen 1914, Sp. 1893.<br />

11 Joseph König, Necrologium Friburgense. 1827-1877. Beitrag zur<br />

Personalgeschichte und Statistik der Erzdiözese. Erste Abtheilung:<br />

1827-1846. In: Freiburger Diözesan Archiv, Freiburg i.B.,<br />

16. Band, 1883, S.321.<br />

12 Lagerort eines Exemplars: HHBH, V 116.<br />

13 S. 401.<br />

14 Hier unterlief Professor J. Glatz offensichtlich ein Lapsus.<br />

15 S. 405<br />

22<br />

geistlicher Verrichtungen mehr zuzulassen. Zweifellos werde<br />

damit ähnlichen Unordnungen begegnet, wie sie berichtet<br />

worden waren. - Er wiederholte aber auch mit Bestimmtheit<br />

die schon früher dargelegte Ansicht, daß in St. Luzen von<br />

keinem auswärtigen Geistlichen - auch nicht an Werktagen -<br />

die hl. Messe gelesen werden sollte. Außerdem schiene es ihm<br />

zweckmäßiger, wenn auch an Vormittagen das Beichthören<br />

auf die Pfarrkirche in der Oberstadt beschränkt werde.<br />

Stadtpfarrer S. Fuchs solle sich zur Ausführung der Absichten<br />

des Bistumsverwesers mit Dekan Giegling ins Benehmen<br />

setzen und über den Erfolg berichten 30.<br />

Nach einer Besprechung mit dem Kapitelsdekan Franz<br />

Joseph Giegling, Pfarrer in Weilheim, der als früherer Kanoniker<br />

31 mit den Hechinger Verhältnissen wohl vertraut war,<br />

berichtete Stadtpfarrer Fuchs am 12. Juli 1827 an Wessenberg,<br />

der Dekan habe zugesagt, bei der Beachtung des ersten<br />

Punktes mitzuwirken. Bei der Beratung zu Punkt 2 seien sie<br />

darin übereingekommen, daß das Beichthören zu den Hauptbeichtzeiten<br />

(Ostern, Pfingsten, Allerheiligen etc.) auch an<br />

Vormittagen nur noch in der Pfarrkirche durchgeführt<br />

werde. An Tagen aber, wo nur einzelne Personen in St. Luzen<br />

zum Beichten erscheinen, könne man diese wohl nicht weiterschicken.<br />

Der Stadtpfarrer dachte dabei vor allem an alte,<br />

kränkliche Leute aus der Unterstadt, denen es beschwerlich<br />

wäre, in die Pfarrkirche zu kommen; für sie müßte und<br />

könnte man besondere Sorge tragen, wie es auch geschehen ist<br />

zu den Zeiten, wo weniger Geistliche hier waren 32.<br />

Offizial 33 Hermann von Vicari 34 zeigte sich darüber befriedigt<br />

und vertraute ganz auf die einsichtsvolle Veranstaltung<br />

zur zweckmäßigen Pastorations-Einrichtung 35.<br />

16 Erzbischöfliches Archiv Freiburg. Bündel: Bischöffliches General-Vicariat.<br />

Pfarrey Hechingen. Einen ärgerlichen Vorfall in der<br />

Klosterkirche ad St. Lucium in Hechingen betr. Jahr 1827.<br />

17 S. 196f.<br />

18 Er war auch Kammerer des Kapitels.<br />

19 Emporkirche = Empore.<br />

20 »Gehorsamster Bericht über einen Vorfall in der hiesigen Klosterkirche<br />

ad Sanctum Lucium« vom 28. Juni 1827. - Lagerort wie<br />

Anm. 16.<br />

21 In den Stadtgerichtsprotokollen finden sich keine Aufzeichnungen<br />

darüber. - Auch in den einschlägigen Beständen (Fürstliche<br />

Regierung Hechingen, Geheime Konferenz Hechingen, Kabinett<br />

Hechingen, Oberamt Hechingen) des Staatsarchivs Sigmaringen<br />

konnte ich keine Aufzeichnungen darüber ermitteln.<br />

22 Wie Anm. 20.<br />

23 das 1843 »cassirt, u[nd] an dessen Stelle ein neues errichtet<br />

worden« ist. - Im StAS (Dep. 39, NVA 9379) lagert ein »Inventarium<br />

über die beweglichen Gegenstände in der Fürstlichen Brauerei<br />

St. Lützen nach dem Stande vom 4. September 1848«.<br />

24 Nach dem »Brand-Versicherungs-Kataster« aus dem Jahre 1839<br />

(Lagerort: Stadtarchiv Hechingen). - Siehe hierzu Otto Werner,<br />

Herrschaftliche Gebäude in Hechingen vor 150 Jahren. In:<br />

Hohenzollerische Heimat 4/1984 S.59f.<br />

25 Bruder Isaak Schmid (bürgerlicher Vorname: Friedrich) war<br />

gebürtiger Hechinger (* 1783) und kam am 4. Okt. 1810 im Alter<br />

von 27 Jahren vom Franziskanerkloster Rastatt nach St. Luzen.<br />

Siehe StAS, Dep. 39, DH 73, Nr. 219: Aufnahmegenehmigung.<br />

26 Paul Kohler, geb. am 25. März 1800 in Jungingen, wurde am<br />

19. September 1826 zum Priester geweiht. Zur Zeit des Vorfalls<br />

war er Kapitels-Vikar, seit 20. Februar 1828 Stadtkaplan in Hechingen.<br />

27 Predigt über einen Abschnitt der hl. Schrift.<br />

28 Dieses Holzgitter war noch bis zur Renovierung 1971 in der<br />

Kirche.<br />

29 Vgl. hierzu die Schilderung eines Augenzeugen in »Katholik«<br />

1841, zitiert von Gustav Hebeisen, Zur Geschichte des Klosters<br />

St. Luzen bei Hechingen. In: Mitteilungen des Vereins für<br />

Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern. 53.Jahrgang,<br />

1919/1920, Hechingen, S.57.


31 Chorherr im Stift<br />

32 Schreiben des Stadtpfarrers Severin Fuchs vom 12. Juli 1827 an das<br />

bischöfliche Generalvikariat die hiesige Nebenkirche St. Luzien<br />

betreffend. - Lagerort: Erzbischöfliches Archiv Freiburg.<br />

33 Offizial (spätlat.) = urspr. Gehilfe, Beamter; Kirchendiener,<br />

Kirchenbeamter; Stellvertreter des Bischofs in der streitigen und<br />

Strafgerichtsbarkeit.<br />

34 Hermann von Vicari (geb. am 13. Mai 1773 in Aulendorf) war seit<br />

HERBERT RÄDLE<br />

Eine Medaille Christoph Friedrichs Graf zu Zollern<br />

Zu den Schätzen der Staatlichen Münzsammlung München<br />

gehört auch eine silberne Medaille Christoph Friedrichs Graf<br />

zu Zollern (1508-1536) aus dem Jahr 1528. Als einzige<br />

erhaltene Porträtdarstellung Christoph Friedrichs vermittelt<br />

sie uns ein lebensnahes Bild des damals zwanzigjährigen<br />

Grafen.<br />

Die Aufschrift der Medaille lautet: »Cristoff Friderich Graf<br />

zuo Zollern des Reichs Erbkamerer. Sein Alter XX.« Im Feld<br />

erkennen wir das Datum M.D.XX.VIII (= 1528), darunter<br />

links die ligierte Signatur FH (= Friedrich Hagenauer).<br />

Der Zollerngraf ist im Brustbild mit weitem Mantel, Amtskette<br />

und schwungvollem Federbarett nach links wiedergegeben.<br />

Der beigefügte Titel »Erbkammerer des Reiches« weist<br />

ihn als hohen Amtsträger im Dienste der Habsburger aus.<br />

Christoph Friedrich war ein Enkel des durch mehrere hohe<br />

Reichsämter ausgezeichneten Zollerngrafen Eitelfriedrich II.<br />

(1452-1512). Am brandenburgischen Hofe erzogen, war dieser<br />

Diplomat, Berater und Vertrauter Kaiser Maximilians,<br />

sowie Oberhofmeister, Reichskammerrichter und - wie sein<br />

auf der Münze abgebildeter Enkel - Erbkammerer des Reiches<br />

geworden. Um sein Territorium abzurunden, hatte<br />

Eitelfriederich als kluger Landesherr 1497 mit König Maximilian<br />

Rhäzüns gegen die Herrschaft Haigerloch getauscht.<br />

Eitelfriederich II. ruht in der Stiftskirche seiner Residenzstadt<br />

Hechingen (Grabplatte, die ihn mit seiner Gemahlin Magdalena<br />

Markgräfin von Brandenburg, gestorben 1496, zeigt).<br />

Mit einem Sohn dieses hochbedeutenden Zollerngrafen, mit<br />

Eitelfriedrich III. (1494-1525) verbindet den auf der Medaille<br />

abgebildeten Christoph Friedrich der Dienst im Heer Kaiser<br />

Karls V., den beide in gleicher Weise geleistet haben, insbesondere<br />

die Teilnahme an den Feldzügen Karls gegen Franz I.<br />

von Frankreich. Hierbei fanden beide den Tod: Eitelfriedrich<br />

III. 1525 bei Pavia, Christoph Friedrich elf Jahre später, 1536,<br />

vor Marseille. Von Eitelfriedrich III., einem Spielgefährten<br />

Karls V., existiert übrigens ein Porträt von der Hand des<br />

Meisters von Meßkirch (Pinacoteca Vaticana) 1.<br />

Auf die abgebildete Medaille und ihren Schöpfer zurückkommend<br />

ist mitzuteilen, daß Friedrich Hagenauer einer der<br />

bedeutendsten Medailleure des 16. Jh. gewesen ist. Geboren<br />

in Straßburg, lebte er 1526-1531 in Äugsburg, wo auch unsere<br />

Medaille geschaffen wurde, 1532-1535 am Oberrhein, dann<br />

bis 1546 in Köln. Seine Medaillen sind Erzeugnisse von hoher<br />

handwerklicher Kunstfertigkeit. Mit großer Feinheit sind auf<br />

ihnen die Einzelheiten von Porträt und Kleidung der Dargestellten<br />

wiedergegeben, wie auch die Medaille des Zollerngrafen<br />

Christoph Friedrich zeigt.<br />

Medaillen, das sei hier noch ganz allgemein hinzugefügt,<br />

besitzen im Gegensatz zur Münze keinen Geldwert. Die<br />

Medaille dient vielmehr der Erinnerung an eine bestimmte<br />

Person oder ein bestimmtes Ereignis. Mit der Münze verbindet<br />

sie lediglich ihre äußere Gestaltung, das ein- oder zweisei-<br />

1816 Offizial der bischöflichen Kurie in Konstanz, kam am<br />

21. Oktober 1827 als Generalvikar und Domkapitular nach Freiburg,<br />

wurde 1830 Domdekan, 1832 Weihbischof, war 1836 und<br />

1842 Bistumsverweser und seit 1842 Erzbischof. Gestorben ist er<br />

am 14. April 1868 zu Freiburg i.B.<br />

35 Schreiben des Officials v. Vicari vom 19.Juli 1827. - Lagerort:<br />

Pfarrarchiv Hechingen, Dep. St. Luzen. Kasten 61.<br />

Medaille Christoph Friedrichs Graf von Zollern. Augsburg 1528,<br />

Silber, gegossen, Durchmesser 72 mm, Staad. Münzsammlung München.<br />

Bild aus »Die Renaissance« (Ausstellungskatalog) Karlsruhe<br />

1986, S.592<br />

tige Relief. Seit Beginn des 16.Jahrhunderts wurde diese<br />

Kunstgattung vorwiegend in Augsburg und Nürnberg<br />

gepflegt. Die ersten Medaillen, meist Portätmedaillen, sind<br />

durchwegs von einem lebensnahen Realismus getragen.<br />

Anmerkung<br />

' Vgl. Chr. Salm, Der Meister von Meßkirch, Diss. Freiburg 1950,<br />

S. 10. Eitelfriedrichs III. Sohn, Karl, das Patenkind Kaiser Karls V.,<br />

wurde - als Karl I. von Hohenzollern - der Stammvater des Hauses<br />

Hohenzollern-Sigmaringen. Die folgende Stammtafel verdeutlicht<br />

die Verwandtschaftsverhältnisse der genannten Grafen:<br />

Eitelfriedrich I.<br />

t J439<br />

Franz<br />

(1483-1517)<br />

I.<br />

Christoph Friedrich<br />

(1508-1536)<br />

Jos Nikiaus I.<br />

1-1488<br />

I<br />

Eitelfriedrich II.<br />

(1452-1512)<br />

Joachim Eitelfriedrich III.<br />

1485-1538) (tl525)<br />

I I<br />

Jos Nikiaus II. Karl I.<br />

(1513-1558) (1516-1576)<br />

(nach R. Seigel, Schloß Sigmaringen und das Fürstliche Haus Hohenzollern,<br />

Konstanz 1966, dritte Umschlagseite)<br />

23


WOLFGANG HERMANN<br />

Reinhart von Neuneck Ein adeliges »Dienerleben« der deutschen Renaissance - Schluß<br />

Am 16. April brach der Abt von Tecking nach Ulm auf, um<br />

am Rat des Bundes, in den er als erwählter Prälat gehörte,<br />

teilzunehmen 120. Seinen Amtleuten schärfte er ein, »...wo<br />

dise reuter mer körnen mit sollichem häufen und begerten<br />

nachtsöld, solten sys mit gutem beschaid und gutlich abweysen,<br />

sonder (= besonders weil) daß sy vor genug hetten thon,<br />

so vil pferd und leut so lang umsunst speysen, die weil sy doch<br />

all von gemaynen pund iren sold hetten...« 121. Reinhart von<br />

Neuneck betrachtete das Kloster weiterhin als eine Art<br />

Stützpunkt, von dem aus er Strafzüge ins Land unternahm.<br />

Man muß das aus der nachfolgenden Notiz Knebels entnehmen,<br />

der so fortfährt: »... Also onlang danach (16. April) kam<br />

Neinegker mit seinem häufen vir daß closter, begeret aber<br />

nachtsolt, suchten also ursach wider daß gozshauß, wurd im<br />

nach befelch des abbts geantwurt...« 122. Reinhart erhielt zur<br />

Antwort, daß er und seine adeligen Offiziere aufgenommen<br />

werden könnten, das andere Volk könnten sie nicht mit dem<br />

Nötigen versehen. Der Ritter drohte daraufhin dem Prior<br />

und dem Konvent mit den Worten: »So will ich bald kumen,<br />

daß ir noch ungerner secht und muest mich einlassen, und will<br />

auf sollichs vir mich und die meinen mein und ir err bewart<br />

haben, schaut auf!« 123. Der Convent benachrichtigte den<br />

Abt, der die übrigen Räte auf der Tagung informierte. Die<br />

Mönche selbst erlangten von der Stadt Donauwörth die<br />

Zusage, sie in ihren Schutz aufzunehmen. Am 5. Mai entfloh<br />

während der Nacht ein großer Teil des Convents, und ein<br />

kleiner Teil war mit den Mutigsten zur Beobachtung zurückgelassen<br />

worden. Ob Reinhart ins Kloster jetzt eindrang, ist<br />

nicht bekannt, denn die Schilderung des Chronisten bezeichnet<br />

erst wieder den 23. Mai 1525 als den Tag, an dem Reinhart<br />

von Neuneck erneut vor dem Kloster lag.<br />

Auf die Nachricht von der Niederlage der Bauern, bei Ostheim<br />

am 8. Mai gedachten die Conventualen, von Donauwörth<br />

zurückzukehren, da die Lage nun ruhig wäre. Sie<br />

wählten der Sicherheit halber den 21. Mai für ihren Heimzug<br />

aus. Just zwei Tage danach stand Reinhart von Neuneck<br />

wieder vor den Toren. Diesmal hätte er 160 Reiter und 600<br />

Fußknechte besessen. Mit sich führte er Geschütz und Leitern,<br />

was darauf schließen ließ, daß Reinhart bereit war, seine<br />

frühere Drohung wahrzumachen. Er verlangte also am<br />

23. Mai die Öffnung des Klosters für seine Leute, was ihm<br />

nach einiger Zeit und Verhandlungen gewährt wurde.<br />

Danach wollte der Neunecker »sy sichern an leib und gut,<br />

und wo ains heilers wert wurd genomen, so solt es widerlegt<br />

werden...« und dem Convent seine Achtung erweisen,<br />

»... daß er selb vor bapst, konig, pund und aller erberkait wol<br />

verantwurten (künde)« 124.<br />

Man zog also in Freuden durchs Klostertor ein. Die Fußknechte<br />

Reinharts taten jedoch nichts eiliger, als die Weinfässer<br />

zu leeren, so daß der Chronist weiter feststellen mußte:<br />

»...den wein mit kübeln herauß genomen, in allen dingen,<br />

wie die seu (= Säue) gelebt« 125. Der Streit, der daraufhin mit<br />

dem Konvent entstand, enthüllte die Meinung des Kriegers<br />

Reinhart ganz deutlich. Anstatt das Vorgehen seines Fußvolks<br />

zu ahnden, machte er dem Kloster Vorwürfe. Man hätte<br />

ihn und die Leute Anfang des Monats nicht aufgenommen,<br />

jetzt jedoch hätten er und die Söldner weit mehr zur Verköstigung<br />

nötig. Als Hauptmann verlangte er weiterhin, daß der<br />

Verhandlungsführer des Klosters als »Abt« sowie die Amtsleute<br />

des Klosters »ihm da, anstatt seiner fürstlichen gnaden<br />

schweren, alle gehorsam, wie bey herzog Jorgen (Georg von<br />

Bayern-Landshut, 11504) seilig wär gewest...« 126. Man<br />

begeht wohl keinen Fehler zu sagen, daß Reinhart damit seine<br />

Kompetenzen überschritt, indem er mit der verlangten Eidesleistung<br />

landeshoheitliche Fragen berührte. Denkbar wäre<br />

24<br />

auch, daß Reinhart meinte, auf diese Weise seinen bayerischneuburgischen<br />

Herren einen Dienst zu tun.<br />

Da sich der Abt immer noch in Ulm befand, lastete auf dem<br />

Prior und dem Convent eine große Verantwortung. Würde<br />

sich das Kloster den Forderungen Reinharts nicht beugen, so<br />

zöge jener aus den Mauern des Klosters, um anschließend<br />

dessen Vorwerk zu besetzen. Reinhart gestattete dem Convent<br />

eine knappe Beratungszeit, und die Mönche schickten<br />

dann nach Ulm zum Abt, der sofort die Angelegenheit dem<br />

Schwäbischen Bund zutrug. Inzwischen nahm der Kaisheimer<br />

Prior das Ultimatum an. Reinhart meinte sogar, sein<br />

Vorhaben verantworten zu können: »...so waiß ich sollichs<br />

verantwurten vor dem bapst, wie wol vor Zeiten, so hette<br />

ainer müssen den bann furchten, der euch, ir die gaistlich<br />

haißend, uberfallen hett, aber iz ists ain anders, item auch vor<br />

kaiserlicher mayestat, auch vor den stönden des punts und<br />

aller erbarkayt...« 127.<br />

Die im Bund versammelten Fürsten ließen den Abt dann<br />

sagen, daß Reinhart von Neuneck ohne ihren Auftrag solchermaßen<br />

gegen das Kloster gehandelt hätte. Der Ritter, der<br />

danach vor die Fürsten gerufen wurde, ward den Worten<br />

Knebels nach »schlechtlich verantwurt« 128. Das Ergebnis der<br />

Unterhandlung war, daß die Fürsten Reinharts Handlungen<br />

wegen der Zeiten des Kriegs akzeptierten, das Kloster jedoch<br />

von dem Eid und der Dienstbarkeif lösten, die ihm der<br />

Neunecker aufgezwungen hatte 129.<br />

Kann man Reinharts militärisches Verhalten erklären? Es<br />

scheint, daß er zunächst mit unzulänglicher Kraft den Bauern<br />

gegenüber gestanden hatte, wenn man die vom Chronisten<br />

Kessler überlieferte Anzahl an Streitern im Bauernhaufen des<br />

Ries annimmt. Daher wäre der (unerklärte?) Waffenstillstand<br />

des Neuneckers mit den Bauern vor Kaisheim verständlich.<br />

Von den Klöstern hielt Reinhart nicht viel, und ihr Reichtum<br />

galt ihm unverdient. Den Schwur, den er abverlangte, sollte<br />

dazu dienen, die Versorgung seiner Reiterei und seines<br />

Fußvolks zu garantieren. Es war eine Maßnahme, die er vor<br />

Ort ohne Absprache mit den Herren getroffen hatte. Ein<br />

Vorgehen, das diese auch im voraus nicht gebilligt hätten<br />

— kurz, Reinharts militärische Logik war nicht mit dem<br />

politischen Denken der Bundesfürsten in Einklang zu<br />

bringen.<br />

Ein Beispiel für die zeitweilige Abwesenheit Reinharts vom<br />

Kampfplatz vor dem Kloster Kaisheim war die nur kurze Zeit<br />

dauernde Befreiungsaktion des Stiftes Ellwangen.<br />

Der Haufe von Ellwangen und Dinkelsbühl sollte endlich<br />

niedergeworfen werden (siehe oben), und Reinhart von<br />

Neuneck erhielt am 15. Mai den Auftrag, das Unternehmen<br />

zu leiten. Mit einer Reiterschar von etwa 300 Reisigen und<br />

einer gleichen Anzahl Fußvolk erreichte er die schwach<br />

besetzte Stadt Ellwangen 13°. Dort war der Neunecker seinem<br />

Bericht an den Schwäbischen Bund vom 18. Mai zufolge auf<br />

400 Bauern und 80 Kriegsknechte gestoßen. Diese hatten in<br />

den vorausgegangenen Gefechten von Ostheim und Böblingen<br />

den Mut verloren 131. Um die Stadtbesatzung Ellwangens<br />

herauszulocken, ließ Reinhart drei Dörfer in Brand stekken<br />

132. Bürger und Bauern eilten daraufhin aus der Stadt,<br />

gerieten aber ins Feuer der anrückenden bündischen Reisigen.<br />

Es gelang den Aufständischen die Stadt wieder zu<br />

erreichen. Der Stadtvogt Eberhard von Gemmingen war<br />

bereit, mit diesem über die Ubergabe Ellwangens zu unterhandeln.<br />

Die Übergabe der Stadt wurde bewilligt und der<br />

Bürgerschaft, den Bauern und Kriegsknechten die Erhaltung<br />

von Leib und Leben zugesichert. Unter den gefangenen<br />

Bauernräten und Geistlichen befanden sich auch der Chor-


herr Wilhelm von Hessberg, der Stiftsprediger Johann Kress<br />

und der Stadtpfarrer Georg Mumbach (für den Ersteren siehe<br />

oben, Abschnitt 3aa).<br />

Reinhart von Neuneck, der Verantwortliche, ließ den Stiftsprediger<br />

und den Stadtpfarrer nach Lauingen bringen. Sie<br />

wurden dort hingerichtet. Die Verurteilung der beiden Männer<br />

wird sicherlich nicht auf den Neunecker zurückgehen, er<br />

jedoch hatte sich sicherlich mitschuldig gemacht, weil er die<br />

Zusage der Schonung von Leib und Leben nicht eingehalten<br />

hatte 133.<br />

Nach Abschluß der Kriegshandlung sprach Probst Heinrich<br />

zum Dank für den erfolgreichen Einsatz Reinhart Pfründen<br />

aus dem Stift zu. Dieses war bereit, ihm eine Chorherrenstelle<br />

nach dem Tod eines Mitglieds abzutreten. Diese Möglichkeit<br />

wurde am 13. Juli 1525 von Wildhans (II.) von Neuneck<br />

wahrgenommen 134.<br />

Zu den Geschehnissen um Ellwangen meldet der Chronist<br />

Kessler: »UfX. tag maji bei Ellwangen, so von den buren<br />

ingenommen, sind by vier hundert erschlagen, XXIII enthoptet«<br />

135. Wir sind im Augenblick nicht im Stande, diese<br />

Angaben zu bestätigen oder zu verneinen bzw. anzugeben,<br />

wann und unter wessen Führung eine sehr große Anzahl von<br />

Bauern hingemordet wurde. Daß Reinhart von Neuneck mit<br />

großer Härte die Strafaktionen durchführte läßt sich daran<br />

erkennen, daß ihm ein Jahr später Rachehandlungen drohten.<br />

Darüber gingen ihm Warnungen von seiten der jungen<br />

Pfalzgrafen Ottheinrich und Philipp zu 136. Anders verhielt er<br />

sich in der eigenen Herrschaft Glatt, nachdem er zurückgekehrt<br />

war. Seine Bauern schworen Urfehde, in Einzelfällen<br />

verloren sie Güter 137. Die Bauern seiner Verwandtschaft in<br />

der Herrschaft Dießen wurden mit Geld- und Gefängnisstrafen<br />

härter getroffen 138.<br />

e) Die Bestrafung der aufrührerischen Bauern<br />

Ende April, nach der Einnahme der Burg Obermässing durch<br />

den Pfalzgrafen Friedrich, hatten viele der vornehmsten<br />

Anführer zu Nürnberg ein augenblickliches Asyl gefunden<br />

oder waren zu anderen Bauernhaufen geflüchtet 139. Im<br />

Anschluß an den Sieg ging es den hohen Adeligen aber nicht<br />

in erster Linie darum, den Flüchtigen nachzusetzen, wie es<br />

Reinhart von Neuneck gerne getan hätte. Vielmehr waren sie<br />

interessiert, möglichst bald finanziell oder gar territorial<br />

entschädigt zu werden, da die Kriegskosten erheblich gewesen<br />

waren. So hätte der Herzog Wilhelm von Bayern die von<br />

seinen Truppen besetzten eichstättischen Orte sogleich<br />

annektiert, wenn ihm nicht Pfalzgraf Friedrich energisch<br />

widersprochen hätte. Dieser bestand darauf, daß jeder Landesherr,<br />

gemäß der mit Casimir von Brandenburg und dem<br />

Bischof von Eichstätt geschlossenen Abmachung, seine eigenen<br />

Untertanen strafen sollte 140 und nicht mehr.<br />

Das Strafen der Bauern erschöpfte sich nicht in den Bluturteilen<br />

über die Teilnehmer an der Erhebung. Kontributionen<br />

lasteten auf jedermann. Hier trat vor allem der Schwäbische<br />

Bund auf und verlangte Abgaben verschiedener Art, um seine<br />

Kosten decken zu können. Als allgemeine Norm erhob man<br />

von jeder Feuerstelle sechs bis acht Gulden, was nach den<br />

Verwüstungen, welche auf die Herren zurückgingen, nicht<br />

immer leicht zu bezahlen war. Oft meldeten sich aber auch<br />

die geschädigten Landesherren im Anschluß an die erste<br />

Brandschatzung, um nochmals eine halben Gulden einzutreiben<br />

141.<br />

Reinhart von Neuneck, so wird aus den Quellen im Staatsarchiv<br />

Sigmaringen 142 deutlich, war auch für den Einzug von<br />

Brandschatzungsgeldern verantwortlich. Er war verpflichtet,<br />

darüber Rechenschaft abzulegen. Es hat dabei den Anschein,<br />

daß er sich von Herrschaftsgrenzen nicht abhalten ließ, seinen<br />

Auftrag zu erfüllen. Er war es vermutlich, der am Ostermontag,<br />

dem 17. April 1525, zwölf Gemeindemitglieder von<br />

Aufhausen nach Lauingen abgeführt und dort die ganze<br />

Gemeinde um 400 fl. geschätzt hatte. Das Kloster nun, dem<br />

der größte Teil des Ortes gehörte, wurde bei Reinhart<br />

vorstellig und erwirkte eine Ermäßigung des Betrages auf<br />

150 fl. 143. Die Grafen von Oeningen sahen aber so lange über<br />

die Verletzung ihrer Hoheitsrechte hinweg, wie sie Vorteile<br />

aus den »Befriedungsaktionen« Reinharts von Neuneck ziehen<br />

konnten 144. Locher hat die in Sigmaringen vorliegenden<br />

Tabellen Reinharts untersucht und in seinen Regesten wiedergegeben.<br />

Danach trieb dieser die Brandsteuer in verschiedenen<br />

Territorien ein 145:<br />

- im Amt Stein (Oberpfalz) 2081 fl.<br />

- in Osterberg (Eichstett) 38 fl.<br />

- im Amt Ellwangen 720 fl. 35 kr.<br />

- im Ries (Oeningen) 210 fl.<br />

Als eine Summe für die Brandschatzung im Amt Stein,<br />

Heideck und im Ries gab Reinhart von Neuneck 2557 fl. an.<br />

Diese Bilanz zog er am 25. Mai 1525 in Hilpoltstein, das zu<br />

Pfalz Neuburg gehörte. In Ellwangen schien er die harte<br />

Aufgabe der Brandschatzung mit einem Amtmann geteilt zu<br />

haben, der davon dem Hofmeister 245 fl. und 2 kr. ablieferte.<br />

Die Helfer Reinharts wurden von ihm mitbedacht, sie erhielten<br />

für ihre schauerliche Tätigkeit 600 fl., die der Neunecker<br />

in die vorausgehenden Auflistungen nicht eingebracht hatte.<br />

Beim flüchtigen Lesen scheint es, daß Reinhart noch großzügig<br />

verfahren war. Größere Beträge, solche über 100fl.,<br />

mußten die Dörfer bzw. Kleinstädte oder Bauern nicht auf<br />

einmal bezahlen, sondern erhielten zwei Zahlungstermine,<br />

meistens kurzfristig Pfingsten oder Jakobi (25.Juli) und<br />

Martini (11. November). Es muß aber berücksichtigt werden,<br />

daß die Armen ja kein Bargeld in solchen Mengen besaßen,<br />

und die Herren wohl oder übel warten mußten, bis die<br />

Bauern Getreide und Vieh auf den Herbstmärkten veräußert<br />

hatten. Es handelte sich bei Reinhart also nur um eine<br />

scheinbare Großmut. Er fügte sich in die Notwendigkeiten.<br />

Sonst aber scheute der Neunecker nichts, koste es, was es<br />

auch wolle, seinen Willen durchzusetzen: »Reinhard von<br />

Neuneck hat am 12. August 1526 müssen ufrührige Bauern<br />

fahen. Er entschuldigt sich, wann etwas entwehrt (= entwertet)<br />

worden (ist), weil das Fahen bei Nacht müssen geschehen.<br />

- Gabelk(ofer); 1582, b.« 146. Wir ersehen daraus, daß<br />

Reinhart auf Schwierigkeiten gestoßen war, als er dabei war,<br />

aufrührige Bauern aufzuspüren und gefangenzunehmen.<br />

Die Gesamtsumme, die Reinhart am Ende seiner Aufstellung<br />

angab, bezifferte er auf 3257 fl. und 35 kr. Des weiteren hätte<br />

er in der Gegend zwischen Lauchheim und der ansbachischen<br />

Stadt Crailsheim die aufrührerischen Bauern gejagt und<br />

neben Naturalien 965 fl. als Strafe eingezogen. Als Zeitraum<br />

dafür gibt Locher die Zeit vom 7. bis 20. Mai an 147.<br />

Sollte Reinhart von Neuneck sich bei seinen Aktionen gegen<br />

die Bauern so verhalten haben, wie er in seinem Bericht den<br />

Brüdern zu handeln empfahl, verliert er die Sympathien des<br />

heutigen Lesers. Reinhart schrieb: »Bitt euch ier myn bruedern<br />

und vettern, wolt solichs als zu Hertzen fassen, so es<br />

wider darzu kern, kain misericordiam In der Handlung zu<br />

haben, sondern erstechen und verprennen waß ier kondett<br />

ankommen.« Dies sind die letzten Sätze in seinem Text, und<br />

er nahm genau die Verben auf, die auch Martin Luther in<br />

seiner Schrift »wider die räuberischen und mörderischen<br />

Rotten der Bauern« verwendete. Dieser Schluß verrät<br />

Reinharts großen Zorn. Ob er an die Folgen seiner Worte<br />

dachte, was nämlich aus den Herren würde, erschlügen sie<br />

jene Bauern und anderen Untertanen, von denen sie ja lebten?<br />

4. Das Verhältnis von Herren und Diener: Reinhart von<br />

Neuneck und seine Pfalzgrafen<br />

Herrschaftliche Schreiben, die an Reinhart von Neuneck<br />

gerichtet waren, leiteten ihre Mitteilungen mit der Formel<br />

25


Aufsatz des Sakramentshauses in der Glatter Pfarrkirche von 1550.<br />

Oben das Wappen des Ritterordens vom Heiligen Grabe. Links<br />

Wappen mit Jakobsmuschel, rechts Wappen mit Insignien der<br />

hl. Katharina. Foto W. Hermann<br />

»Unserem lieben getreuen Diener/Hauptmann/Pfleger zu<br />

Lauingen« ein. Daraus darf man sich jedoch nicht zu der<br />

Annahme verleiten lassen, die Übereinstimmung zwischen<br />

dem Ritter und dem Pfalzgrafen Friedrich bzw. dessen<br />

Neffen Ottheinrich und Philipp wäre stets vorhanden gewesen.<br />

Gerade in den Monaten nach dem für die Fürsten erfolgreichen<br />

Abschluß des Bauernkrieges wird deutlich, wie wenig<br />

Dankbarkeit Reinharts Herren ihm gegenüber bewiesen. Der<br />

schwäbische Ritter hatte als treuer Diener alles dafür getan,<br />

um die Herrschaft Pfalz-Neuburg sowie noch andere Territorien<br />

von der »aufständischen Plage« zu reinigen und dabei<br />

mit keinen Heldentaten glänzen können. So wird verständlich,<br />

daß er dafür die zu Nördlingen versammelten Stände am<br />

19. November 1525 um eine Verehrung, das heißt wohl im<br />

heutigen Sinne um ein »Erfolgshonorar« bat. Dieses Gesuch<br />

wurde aber von den Ständen abgelehnt. Außerdem beschuldigten<br />

sie den Ritter, Brandschatzungsgelder in Aufhausen<br />

im Ries zweimal erhoben zu haben. Somit mußte sich<br />

Reinhart verteidigen, anstatt sich in aller gebührenden<br />

Bescheidenheit loben zu dürfen 148.<br />

Es mag sein, daß seine eigenen Herren dazu auch bereit<br />

gewesen wären, doch Reinhart hatte während seines Kampfes<br />

gegen die Bauern zu Mitteln gegriffen, die zwar den Bauern,<br />

gleich welcher Herrschaft Untertan, schwer schadeten, jedoch<br />

auch gleichzeitig deren Herren Verdruß schafften. So hatten<br />

Reinharts Leute zwischen dem 14. und 17. April 1525 etliche<br />

Bauern und deren Vieh aus oettingischen Orten nach Lauingen<br />

geführt. Ebenso taten diese es mit Weidevieh, das Metzgern<br />

aus Nördlingen gehörte. Nur auf energischen Widerspruch<br />

wegen »merklicher Verunrechtung« bei Reinhart von<br />

Neuneck wurde das Vieh zurückgegeben 149.<br />

Andere Beschwerden kamen wohl von Seiten des Klosters<br />

Kaisheim, das bereits angesprochen wurde. Ebenso übereifrig<br />

war Reinhart in Ellwangen. Nicht nur, daß er auch dort drei<br />

Dörfer zuerst in Brand stecken ließ, um die Bauern herauszulocken<br />

130, er ließ die Bürger Ellwangens am 17. Mai 1525<br />

huldigen: jedoch nicht etwa ihrem landesherrn, dem Probst<br />

Heinrich, sondern dem pfalzgräfischen Hause insgesamt,<br />

dem Kurfürsten Ludwig von der Pfalz, dem Herzog Hein-<br />

26<br />

rich, Bischof zu Utrecht und Herrn zu Ellwangen, den<br />

Herzögen Friedrich, Ottheinrich und Philipp 151. Dem<br />

Schwäbischen Bund hätte Reinhart jedoch nur die Vereidigung<br />

auf den Probst gemeldet. Am 18. Mai zog Reinhart dann<br />

nach Neresheim ab, wobei er aus Ellwangen vier Büchsen<br />

mitnahm, von denen drei nach Dinkelsbühl gehörten 152, und<br />

welche dieser wohl auch nicht zurückerstattete. Reinharts<br />

Wille, den Kampf nach den von ihm erkannten Notwendigkeiten<br />

zu führen, wurde von seiner Herrschaft nicht anerkannt.<br />

Sie berief ihn nach Lauingen zurück, wobei er selbst<br />

jedoch den Gaildorfer Haufen gerne weiterverfolgt und<br />

angegriffen hätte. Das heißt, daß der Neunecker eben zuerst<br />

und vor allem für die Pfalzgrafschaft Neuburg zur Verfügung<br />

stehen sollte.<br />

Wegen diesen Querelen mit seinen jungen Herren und den<br />

übrigen Fürsten kann man vermuten, daß Reinhart ganz froh<br />

war, 1529 einen kaiserlichen Auftrag übernehmen zu dürfen.<br />

Als Untersuchungsrichter wurde er nach Konstanz geschickt,<br />

dorthin, wo die Reformation in voller Blüte und die Bürgerschaft<br />

gegen den Bischof Hugo von Landenberg stand 153.<br />

Auch die Aufgaben im kaiserlichen Kriegsrat und als Hauptmann<br />

gegen die Türken kamen ihm sicher gelegen, um 1530<br />

nach Wien abzureisen. Für diese Aufgabe wurde Reinhart<br />

seinem altbekannten Herrn, dem Pfalzgrafen Friedrich, beigeordnet<br />

134.<br />

Auch an den Besoldungen oder ganz allgemein an dem<br />

Umgang mit Geld wird das eigentümliche Verhältnis von<br />

Diener und Herren deutlich. Für heutige Zeiten ist das<br />

Folgende wohl undenkbar. Die Pfalzgrafen und späteren<br />

Herzöge Ottheinrich und Philipp lebten auf großem Fuß,<br />

eben so, wie sie es für sich angemessen hielten. Je höher der<br />

Stand war, um so größer hatte der Standard adeligen Lebens<br />

zu sein. Ein »Staatsdiener«, wenn auch vom Adel, war<br />

nützlich - aber Reinhart stand als Ritter weit unter ihnen.<br />

Und doch scheuten sich seine Herren nicht, ihn als Bürgen in<br />

ihre Geldschwierigkeiten einzubeziehen. Die Bürgschaften<br />

Reinharts sicherten die Pfalzgrafen ihrerseits jedoch durch<br />

sogenannte Schadlosbriefe ab und gaben ihrem Diener<br />

Sicherheiten. Zwischen 1524 und 1539 wurde Reinhart achtmal<br />

bemüht. Die Gesamtsumme, die dabei im Spiel war,<br />

betrug 24 100 fl. und einmal mehr als 1000 Kronen. Letztere<br />

bei Graf Wilhelm von Fürstenberg 153.<br />

Am 2. Februar 1530 bestätigten die Brüder Ottheinrich und<br />

Philipp, daß sie bei ihrem Diener 7000 fl. gegen einen jährlichen<br />

Zins von 350 fl. entlehnt hatten. Als Sicherheit verpfändeten<br />

sie dem Ritter ihr Schloß, ihr Dorf, das Gericht, den<br />

'Bann und Kirchensatz zu Tatenhausen 156. Wie wenig sicher<br />

eine Rückzahlung war, geht aus der Tatsache hervor, daß am<br />

1. März 1546 anstelle Eitels von Westernach, einem der drei<br />

Bürgen, Hans Kraft von Vestenberg eintrat 137.<br />

Was den Reichtum und das Vermögen Reinharts betraf,<br />

wissen wir noch wenig. Er schien jedoch über Bankeinlagen<br />

in Höhe einiger Tausend Gulden zu verfügen. Neben seinem<br />

Konto beim Bankhaus des Hans Paumgarten d.J. unterhielt<br />

er auch beim Bankier Fugger in Augsburg ein beträchtliches<br />

Geldvermögen, das er um 1532/1533 von dort abzog 158. Das<br />

läßt die Vermutung zu, daß Reinhart für sein Schloß in Glatt<br />

Geldmittel bereithalten mußte. Der Gedanke dafür gründet<br />

sich auf den »Bauanschlag« von Wendelin Kurtz aus Rottenburg,<br />

den dieser im Dezember 1533 für die Wirtschaftsgebäude<br />

längs des Mühlkanals angefertigt hatte 158a.<br />

Seit dem 25. Juli 1530 besaß Reinhart auf Lebenszeit das<br />

Pflegamt zu Lauingen. Ottheinrich und Philipp übertrugen es<br />

»unserem Rathe und lieben getruwen Renhardten von Neunegkh<br />

zu Glatt, Ritter« 159. Dazu statteten sie ihm mit 75 Mit.<br />

Vesen, 100 Mtl. Haber, mit Brennholz, einem Fischwasser<br />

und 200 fl. Jahreseinkommen aus. Diese Einkünfte stammten


aber aus jenem Tatenhausen, das die Pfalzgrafen am<br />

2. Februar an den Ritter verpfändet hatten. Auf dem Papier<br />

wirkte die Anstellung auf Lebenszeit recht gut, doch am<br />

3. Dezember 1544 sprachen die Herren Reinhart die Kündigung<br />

aus, welche zu Neuburg übergeben wurde. Zuvor hatte<br />

man noch wegen der anstehenden 7000 fl. und den Zinsen<br />

verhandelt - wohl vergeblich. Auch das Dienstgeld waren die<br />

Herzöge schuldig geblieben 160. Es wäre kein Wunder gewesen,<br />

wenn sich der Ritter dafür an den Bauern schadlos<br />

gehalten hätte.<br />

Die Kündigung kam vielleicht beiden Parteien gelegen. Man<br />

verstand sich nicht mehr. Der Generationenkonflikt, die<br />

Schulden der bankrotten Landesherren und der Ubertritt<br />

Ottheinrichs 1542 zu den Lutheranern waren Gründe und<br />

Handlungen genug, die Reinhart mißfielen und ihn seiner<br />

Aufgaben in Lauingen überdrüssig werden ließen.<br />

5. Die Festigung über die Dorfherrschaft Glatt und Reinharts<br />

letzte Jahre in der Heimat<br />

1521 schon hatte Reinhart bedeutende Herrschaftsrachte<br />

erhalten, doch war das Jahr 1541 noch höher für den Ritten/u<br />

werten. Kaiser Karl zeichnete ihn als einen »Reichsgetreuen«<br />

aus und ernannte ihn zum kaiserlichen Rat. KarlV. nahm<br />

Hab und Gut des Ritters unter seinen persönlichen Schutz 161.<br />

Schloß Glatt wurde zu einer Reichsfreistatt erklärt, die<br />

kaiserlichen Frieden für alle jene bieten sollte, die wegen<br />

»Schulden, Totschlag und anderen Handlungen in die Ringmauern<br />

des Schlosses« kamen. Ausgenommen wurden solche<br />

Personen, die sich gegen den Kaiser gestellt oder in böser<br />

Absicht gemordet oder Brände gestiftet hatten 162.<br />

Seit den 40er Jahren war der Ritter immer schwächer geworden.<br />

Schon am 19. März 1539 hatte er in Lauingen ein<br />

Testament gemacht 163, am 28. April 1540 ließ er ein Verzeichnis<br />

über die Bewaffnung und das Mobiliar des Wasserschlosses<br />

in Glatt anfertigen 164. Im Alter von ungefähr 75 Jahren,<br />

am 10. März 1550, wandte sich Reinhart an die Innsbrucker<br />

Regierung und bat um kaiserlichen Schutz, da ihm dieser<br />

doch am 31. Mai 1541 zugesichert worden war. Diese verwies<br />

ihn an Graf Jos Niklas von Hohenzollern, dem damaligen<br />

Hauptmann der Herrschaft Hohenberg. Reinhart bat also<br />

dann seinen Nachbarn, ihn bei Recht und Pflicht zu schützen<br />

und zu schirmen, so oft er dessen benötigt sei und darum<br />

nachsuchen werde 165. Im übrigen sah er seinen Dienst für<br />

Kaiser, Reich und Pfalz für beendet an - und bald auch sein<br />

Leben.<br />

In diesen noch kommenden Jahren dachte der Herr von Glatt<br />

daran, seinen »Totenstein« erstellen zu lassen und sich der<br />

Nachwelt so zu repräsentieren, wie er gelebt hatte: als<br />

Feldhauptmann und nicht als Beter. Ottmar hält es für<br />

möglich, daß sein Stein in der Glatter Kirche vor 1551, dem<br />

Todesjahr, fertiggestellt wurde 166. Er glaubt ferner, daß die<br />

Arbeit hierfür in Reinharts Glatter Zeit ab 1544 ausgeführt<br />

wurde 167. Das Grabmal zeigt den Ritter mit gebrochener<br />

Lanze, was nicht nur wie üblich den Tod bedeuten kann,<br />

sondern auch vermitteln will, daß Reinhart ohne legitimen<br />

männlichen Erben starb 16S.<br />

Ohne männliche Erben blieb die Herrschaft Glatt freilich<br />

nicht. Das Erbe traten seine Neffen an: Hans Heinrich, der<br />

Sohn des Wildhansen, und die Brüder Hans Georg und<br />

Reinhart d. J., die Söhne von Hans Oswald. Das Testament 169<br />

enthielt die Bestimmung, daß die Güter beim Stamm und<br />

Namen Neuneck verbleiben sollten.<br />

Weitere Bestimmungen im Testament galten den zahlreichen<br />

Nichten. Es waren Verfügungen, die darauf abgestimmt<br />

waren, ob sich die Mädchen verheirateten oder in ein Kloster<br />

eintraten. Als Heiratsgut für eine jede bestimmte Reinhart<br />

1000 fl. In diese Gunst kamen Maria Cleova, eine der zwei<br />

Grabmal des Reinhart von Neuneck in der Pfarrkirche von Glatt.<br />

Foto W. Hermann<br />

Töchter von Wildhans, und Maria und Dorothee, beide<br />

Töchter des Hans Oswald, der außer diesen noch zwei<br />

weitere Mädchen hatte 170.<br />

Reinhart selbst war der Vater einer Tochter namens Barbara.<br />

Sie entstammte der Zuneigung zu seiner Köchin Anna<br />

Schmid. Nach den testamentarischen Bestimmungen wurde<br />

Barbara den heiratenden Nichten gleichgestellt. Der Tochter<br />

und Mutter wies der Erblasser Geld, Hausgeräte, Vieh und<br />

Grundstücke zu. Eine vornehme Braut konnte Barbara zwar<br />

nicht werden, zumindest aber wird sie in bürgerlichen Kreisen<br />

sehr begehrt gewesen sein. Mutter und Tochter verblieben<br />

offensichtlich in Lauingen. Dort erhielten sie Wiesen und<br />

Gärten sowie einige Kühe. Die Pferde, die Reinhart dort<br />

besessen hatte, mußten nach Glatt gebracht werden. Von dort<br />

sollten dann zum Ausgleich nochmals drei Kühe und eine<br />

Kalbin nach Lauingen befördert werden. Beide Frauen konnten<br />

aber im Amtshaus nicht wohnen bleiben, deswegen<br />

sollten sie die Möglichkeit haben, in dieser Stadt ein Haus zu<br />

kaufen. Zu gleichen Teilen erhielten sie 200 fl. in Gold, was<br />

Reinharts Rechnung nach 1800 fl. Münzwert entsprach, oder<br />

einer Rente von je 15 fl. jährlich für beide Frauen gleichkam.<br />

An Geld erhielt die Tochter 1000 fl. in Gold als »Ehegeld«,<br />

die Mutter 300 Goldgulden und die Schlafstatt, in der sie<br />

(zuletzt) geschlafen hatte. Die Tochter erhielt das Bett des<br />

Vaters. Das Geschirr, der umfangreichere Teil in Zinn, der<br />

kleinere und wertvollere in Silber wurde an Mutter und<br />

Tochter verteilt. Becher, Schale und Kreuz erhielt die Tochter,<br />

deren Ruf und »Wert« er zweifellos dadurch erhöhen<br />

wollte.<br />

Die Zuwendungen für die Kirche standen zwar an erster<br />

Stelle im Testament, jedoch stand ihm die Familie viel näher<br />

als die Kirche. Das Testament beginnt mit den Worten: »Ich<br />

27


Reinhart von Neuneck zu Glatt, Ritter, bekenne hiermit, da<br />

nichts gewisser als der Tod und nichts ungewisser als die<br />

Stunde desselben...«. Rang und Sitte verlangten hohen Auf-<br />

wand an Zeremonien mit neun Priestern und den Prior von<br />

Reichenbach m. Die Pfarrei sollte drei Gulden Gilt pro Jahr<br />

erhalten, der Frühmeßaltar fünf Gulden Gilt, damit die<br />

beiden Geistlichen jährlich zu Quatember seines Todes<br />

gedächten und beteten. Eigennützig waren auch die Bestim-<br />

mungen über die Almosen für die Gemeindearmen: 100fl.<br />

zur Austeilung in Glatt, Dettingen und Dürrenmettstetten,<br />

damit diese für ihn beteten.<br />

155 Locher, Regesten, S.200 und dort Anm.4.<br />

156 Ders., ebd., S. 209. Tatenhausen, heute vielleicht Tattenhausen,<br />

Post 8901 Post Dasing südlich von Donauwörth, wäre eine<br />

mögliche Ortsbestimmung. Aus dem Ortsverzeichnis der Bundespost<br />

1984, S. 518.<br />

157 Locher, Regesten, S.209, Anm.4. Dieser Eitel von Westernach<br />

hielt sich 1533 an der Spitze bei den Einlagen des Adels im<br />

Bankhaus Fugger mit 10250fl. Zit. bei Pölnitz, Götz Frhr. v.,<br />

Anton Fugger, Bd. 1, Tübingen 1958, S.292 und S.624<br />

(Anm. 148).<br />

158 Reinhart v. Neuneck hielt 1533 beim Fugger-Bankhaus 5250 fl.<br />

Quelle ebenso Pölnitz, wie Anm. 157, S. 624. Für das Bankguthaben<br />

Reinharts beim Haus Paumgarten d.J. teilte Dr. W. Baer vom<br />

Archiv der Stadt Augsburg am 8.11. 1985 mit: »Der einzige<br />

Hinweis, den wir finden konnten ist, daß Hans Paumgarner d.J.<br />

von diesem Ritter ein Darlehen über 500 fl. gegen 5% Verzinsung<br />

erhielt. Der Zeitpunkt für dieses Geschäft war der 22.6. 1526«.<br />

Diese Angaben stehen im Widerspruch zu Ottmar, der in »Burg<br />

Neuneck« aus K.O. Müller, Quellen zur Handelsgeschichte der<br />

Paumgartner von Augsburg 1480-1570, Wiesbaden 1955, S.233<br />

zitiert. Bei Ottmar S.227.<br />

158a StAS, Ho 163, Akte 72. Joh. Nep. Wetzel, Glatt und das Adelsgeschlecht<br />

von Neuneck, HH 1953, S.39, Wolfg. Hermann, Rettet<br />

Sulz sein Wasserschloß, HH 1984, S. 18.<br />

159 Locher, Regesten, S. 210.<br />

160 Den., ebd., S.220.<br />

161 Locher, Regesten, S.217 und Anm.4.<br />

162 StAS, Ho 163, Urk. Nr. (92). Es ist nicht anzunehmen, daß sich<br />

die Schuldigen unbestraft wähnen durften, vielmehr bot ihnen das<br />

Schloß Schutz vor der Selbstjustiz der Opfer, dadurch gewannen<br />

sie ein kaiserliches Gericht für eine kommende Verhandlung.<br />

163 Locher, Regesten, S.216.<br />

164 Den., ebd., S.216, FAS-Glatt, 72, 2.<br />

165 Locher, Regesten, S.225.<br />

166 Joh. Ottmar, wie Anm. 1, S. 17.<br />

167 Den., ebd., S. 18.<br />

168 Den., ebd., S. 15.<br />

169 Joh. Ad. Kraus, wie Anm. 7, S.92.<br />

170 Die anderen Frauen, die in ein Kloster eintraten, erhielten ein<br />

Leibgeding von nur 10fl., die Angehörigen der Ritterorden<br />

dagegen 25 fl.<br />

1,1 Kloster Reichenbach, heute Gemeinde Baiersbronn, war das erste<br />

auswärtige Priorat des Klosters Hirsau. Zu den Schutzvögten von<br />

Klosterreichenbach gehörten die Markgrafen von Baden im Zeitalter<br />

der Reformation, hingegen wurde das Mutterkloster Hirsau<br />

1534 von Herzog Ulrich von Württ. reformiert. Reichenbach war<br />

1551 noch katholisch, aber immer noch von Hirsau abhängig.<br />

Alpirsbach erfuhr 1535 durch Ambrosius Blarer die Reformation.<br />

Handbuch d. hist. Stätten, Bad.-Württb., S. 15 und 411.<br />

KARL WERNER STEIM<br />

Als Testamentsvollstrecker bestellte Reinhart Herrn Konrad<br />

von Hohenrechberg zu Staufeneck und Wilhelm von Neu-<br />

neck zu Vörbach (Obervogt zu Altensteig). Sie mußten<br />

30 Bestimmungen überwachen. Die 26. von diesen sollte dem<br />

Streit ums Erbe grundsätzlich vorbeugen, vielleicht um seiner<br />

Tochter das Erbe zu erhalten: »Wer von meinen Erben dieses<br />

Testament angreift, soll leer ausgehen.« Damit zeigte der<br />

Ritter und ehemalige Hauptmann, daß er den festen Willen<br />

und seine schon früh ausgebildete Beharrlichkeit bis an sein<br />

Lebensende bewahrt hatte. Kaum einer seiner Nachfahren<br />

sollte ihn darin erreichen.<br />

120 F. L. Baumann, wie Anm. 117, S.262.<br />

121 Ders., ebd.<br />

122 Ders., ebd.<br />

123 Ders., ebd., S.263.<br />

12< F. L. Baumann, wie Anm. 117, S.263, 264.<br />

125 Ebd.<br />

126 Ebd.<br />

127 F. L. Baumann, wie Anm. 117, S.264, 265, 266. Auf Seite 265<br />

wird der Adel, welcher vor dem Kloster lag, verzeichnet. Dabei<br />

fand sich auch der Ber von Hürnheim, identisch vielleicht mit dem<br />

oettingischen Boten, der nach Lauingen geschickt worden war.<br />

Siehe in diesem Beitrag nach der Anmerkungszahl 100.<br />

128 Ebd.<br />

129 Ebd.<br />

130 Ludw. Müller, wie Anm. 63, S. 153; Günther Franz, wie Anm. 59,<br />

S. 350.<br />

131 A. Lichtschlag, Mitth. Höh. IX. 1875/76. Die Angabe in der<br />

HH 1984, S. 18, wonach Reinhart bei Böblingen gekämpft hatte,<br />

ist irrig. Statt dessen muß es heißen: bei Nördlingen.<br />

132 Ludwig Müller, wie Anm. 63, S. 153.<br />

133 Den., ebd., S. 153 und Anm. 3.<br />

134 Locher, Regesten, S. 204-205.<br />

135 Kesslers Bericht, wie Anm. 92, S.235.<br />

136 Locher, Regesten, S. 204.<br />

137 Joh. Ottmar, wie Anm. 56, S. 54-55. Siehe auch J. Wetzel, Glatt<br />

und das Adelsgeschlecht von Neuneck, HH 1953, S.25. W.Hermann,<br />

Herrschaftliche Rechtssetzungen unter Hans d.Ä. und<br />

Reinhart von Neuneck, Glatter Schriften3,- 1986, S.25, 35.<br />

138 Joh. Ottmar, wie Anm. 56, S.44ff.<br />

139 Carl Jäger, wie Anm. 79, S. 45.<br />

140 Ebd.<br />

Haigerlocher Ehrenbürger im 19. Jahrhundert<br />

Im Jahre 1957 hat der damalige Haigerlocher Bürgermeister<br />

Hans-Joachim Bäuchle in der »Hohenz. Heimat« 1 über die<br />

Ehrenbürger-Urkunden für Stadtpfarrer Maximilian Schnell,<br />

Pater Desiderius Lenz, Geistlicher Rat Josef Marmon und<br />

28<br />

141 Adolf Waas, wie Anm. 91, S. 242-243.<br />

142 StAS, Ho 163, Akten 51.<br />

143 Ludwig Müller, wie Anm. 63, S.91.<br />

144 Den., ebd., S. 89 und 91.<br />

145 Locher, Regesten, S. 202. Dabei ist ein Druckfehler für Eichstätt:<br />

nämlich 238 fl. Die Summe aus dem Ries setzt sich aus oben<br />

genanntem Betrag von 210 fl. und 20 fl. aus dem Dorf Pechingen<br />

zusammen.<br />

146 Locher, Regesten, S.204, Anm.4.<br />

147 Ders., ebd., S.202, Anm.4.<br />

148 Locher, Regesten, S.203.<br />

149 Ludwig Müller, wie Anm. 63, S. 89-90.<br />

150 Siehe oben bei Anm><br />

151 Ders., ebd., S. 155.<br />

152 Ders., ebd., S. 153.<br />

153 Dt. Rtg.-A., VII/1, S. 842ff., auch Anm. 1.<br />

154 Locher, Regesten, S. 210. Mit Reinhart wurden Sigmund von<br />

Habsberg, Wolf von Affenstein und Ulrich von Schellenberg<br />

abgeordnet. Seine Quelle: Spangenberg II, 246.<br />

Kunstmaler Friedrich Schüz - sowie im selben Jahrgang über<br />

die Ehrenbürgerurkunde für den Appellationsgerichtsrat<br />

Xaver Dopfer 2 - berichtet. Ein Zusammenstellung aller<br />

Ehrenbürgerurkunden bzw. Ernennungen von Ehrenbür-


gern in Haigerloch fehlt bisher bzw. ist nur in der Tagespresse<br />

3 erschienen. Deshalb werden nachstehende Kurzbiographien<br />

der Ehrenbürger - soweit sie sich auf die Tätigkeit in<br />

bzw. für Haigerloch beziehen - veröffentlicht. Es ist aber<br />

nicht ausgeschlossen, daß einige Ehrenbürger heute nicht<br />

mehr bekannt sind.<br />

1862: Ferdinand E. A. Riefenstahl 4<br />

Erster Ehrenbürger der Stadt Haigerloch war Kreisrichter<br />

Ferdinand E. A. Riefenstahl (*28. Februar 1826 in Münster/<br />

Westfalen). Er wirkte ab 1856 bis 1862 an der seit 1854<br />

bestehenden Kreisgerichtskommission in Haigerloch 5. Uber<br />

seine politische Tätigkeit ist nicht viel überliefert. Im Februar<br />

1861 hielt Riefenstahl bei einer landwirtschaftlichen Bezirksversammlung<br />

in Haigerloch einen Vortrag über den im Haus<br />

der Abgeordneten eingebrachten Gesetzentwurf über die<br />

Einführung der Gewerbefreiheit 6. Als sich am 6. Mai 1862 im<br />

Gasthaus »Hirsch« in Gammertingen die Wahlmänner der<br />

Hohenzollerischen Lande zur Wahl zweier Abgeordneten in<br />

den Preußischen Landtag versammelten, hielt Riefenstahl<br />

eine längere Rede über das Programm der Fortschrittspartei.<br />

Im ersten Wahlgang wurde Appellationsgerichtsrat Xaver<br />

Dopfer von Ehrenbreitenstein gewählt, als zweiter Abgeordneter<br />

für Hohenzollern dann Kreisgerichtsrat Riefenstahl. Er<br />

erhielt 145 Stimmen, seine Gegenkandidaten, der Hechinger<br />

Staatsanwalt Evelt 59 und der weitere Kandidat Hipp 11<br />

Stimmen 7. Sehr anschaulich ist der damalige Zeitungsbericht<br />

über die Ernennung Riefenstahls zum Ehrenbürger der Stadt<br />

Haigerloch: 8 »Haigerloch, 27. Oktbr. Vorige Woche erfolgte<br />

die Ankunft des im hiesigen Bezirke allbeliebten und verehrten<br />

Hohenz. Abgeordneten Hrn. Kreisrichter Riefenstahl,<br />

und nachdem dieselbe hier bekannt wurde, begab sich der<br />

Stadtrath in dessen Wohnung, um denselben zu begrüßen,<br />

und demselben Mittheilung zu machen, daß, in dankbarer<br />

Anerkennung seiner politischen Thätigkeit im Abgeordnetenhause<br />

die Vertreter hiesiger Stadt ihm das Ehrenbürgerrecht<br />

verliehen haben. Hierauf fand am vergangenen Sonntag<br />

Abend ein von dem hiesigen Stadtrathe zu Ehren des Herrn<br />

Abgeordneten Riefenstahl in der Post veranstaltetes Festessen<br />

statt, an welchem circa 80 Personen aus Haigerloch und<br />

Umgebung Theil nahmen. Herr Stadtbürgermeister Stehle<br />

begrüßte Hrn. etc. Riefenstahl im Namen der städtischen<br />

Korporationen mit herzlichen Worten und überreichte demselben<br />

unter stürmischen Bravo's der Gesellschaft zum<br />

Danke für seine speziellen Verdienste um die Stadt Haigerloch<br />

das Diplom der Aufnahme als Ehrenbürger. Hr. Kreisrichter<br />

Riefenstahl gab einen kurzen Ueberblick über die<br />

Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten und des Herrenhauses<br />

und dankte dann den Vertretern der Stadt Haigerloch<br />

für die große Auszeichnung, welche ihm heute zu Theil<br />

geworden, indem er namentlich hervorhob, daß die Ertheilung<br />

eines Ehrenbürgerrechtes Jeden mehr freuen müsse, als<br />

wenn er mit Orden decoriert werde. Die Versammelten<br />

bedauerten, daß Hr. etc. Riefenstahl von hier fort nach<br />

Hechingen versetzt worden, und dieses wohl mit Recht, denn<br />

derselbe ist ein Mann des Volkes, welcher Jedem gerne mit<br />

Rath und That an die Hand gieng, und auch geselliger<br />

Beziehung ungerne vermißt wird...« Die Ehrenbürgerurkunde<br />

hatte der Haigerlocher Maler, Lithograph und Buchbinder<br />

Joseph Brucker sehr kunstvoll gefertigt und dafür 1<br />

Gulden 12 Kreuzer berechnet 9. Im Herbst 1862 verließ<br />

Reifenstahl die Stadt Haigerloch und wurde Kreisrichter am<br />

Kreisgericht Hechingen 10. Von dort wurde er zum 1. April<br />

1868 als Rechtsanwalt bei dem Kreisgericht in Wesel und<br />

zugleich zum Notar im Departement des Appellationsgerichts<br />

zu Hamm, mit Anweisung des Wohnsitzes in Wesel,<br />

ernannt 11. Ferdinand Riefenstahl, der mit Katharina geb.<br />

Legemann verheiratet war, ist am 21. Mai 1870 im 45.<br />

Lebensjahr in Wesel/Rheinland gestorben 12.<br />

Sv<br />

fs/fs'X's/r/s //s*>rf'//f.* //*•/* r/ff<br />

JKhfßt'itf*/*trfr f/f\ A/, r


Der Haigerlocher Ehrenbürger Franz Xaver Dopfer (1806-1867)<br />

geworden und kam 1875 als solcher nach Haigerloch. Mit<br />

seiner Versetzung 1868 nach Trier wurde er dort Domkapitular.<br />

Obwohl Stadtpfarrer Dannegger nur drei Jahre in Haigerloch<br />

gewirkt hatte, muß er sich hier großer Beliebtheit erfreut<br />

haben. Das geht auch aus dem Bericht über seine Verabschiedung<br />

hervor. Am 25. Oktober 1868 hielt der Pfarrer seinen<br />

letzten Gottesdienst in Haigerloch und verabschiedete sich<br />

»in den herzlichsten und eindringlichsten Worten«. Nach<br />

dem Vormittagsgottesdienst überreichte ihm eine Deputation<br />

der bürgerlichen Kollegien (Stadtrat und Bürgerausschuß)<br />

das Diplom über die Ernennung zum Ehrenbürger 16, das der<br />

Gerichtsschreiber Mathä Laubis in seiner schönen Handschrift<br />

für 4 Gulden »auf Doppelpapier gezeichnet« hatte 17.<br />

Am Abend fand in der »Post« die eigentliche Abschiedsfeier<br />

statt. Es kamen: »die Kapitularen (Geistlichen) des Bezirks<br />

Haigerloch, fast alle Bürger der Stadt ohne Unterschied des<br />

Bekenntnisses und viele Bekannte des Scheidenden von nah<br />

und fern.« Oberamtmann Emele lobte Verdienst und Tüchtigkeit<br />

des Stadtpfarrers. Für die geistlichen Mitbürder sprach<br />

Dekan Schnell. Stadtbürgermeister Stehle »hob dann in ausführlicher,<br />

sehr gelungener Rede die Verdienste Danneggers<br />

um Haigerloch hervor und die Gründe, welche die Stadt<br />

bestimmt hätten, ihm das Ehrenbürgerrecht zu verleihen.«<br />

Sanitätsrat Dr. Rehmann dankte dem scheidenden Pfarrer als<br />

Vorstand der Spitalkommission. Pfarrer Blumenstetter von<br />

Trillfingen, der wohl bedeutendste hohenzollerische Geistliche<br />

in der Zeit der 48er-Revolution, widmete Dannegger<br />

einen poetischen Nachruf. Im Auftrag des Bischofs von<br />

Rottenburg sagte Pfarrer Dr. Menz aus Wachendorf ein<br />

herzliches Adieu. Zum Schluß sprach der neuernannte Domkapitular<br />

Franz Xaver Dannegger. »Eindringlich und tief zu<br />

Herzen gehend waren die ebenso milde als entschieden<br />

gehaltenen Worte, insbesondere als er seine Mitbürger<br />

30<br />

beschwor, den Frieden in allen Bekenntnissen aufrecht zu<br />

erhalten und dem Gebote der Liebe in allen Lagen des Lebens<br />

zu folgen 18.« Am 21. Mai 1871 starb er in Berlin an den<br />

Pocken.<br />

1876: Anton Back 19<br />

Nächster Haigerlocher Ehrenbürger war im Jahre 1876<br />

Anton Back. Er wurde am 8. Februar 1802 in Haigerloch als<br />

Sohn des damaligen Stadtschultheißen Mathäus Back und der<br />

Maria Magdalena geb. Eger geboren. Den ersten Lateinunterricht<br />

erhielt er vom damaligen Oberstadtkaplan Erasmus<br />

Bieger aus Hart, der das Präzeptorat im Kaplaneihaus leitete.<br />

Der Zufall fügte es, daß Back später seinem Lehrer in der<br />

Seelsorge auf mehreren Stationen unmittelbar nachfolgte: als<br />

Pfarrverweser in Betra, Stetten bei Haigerloch und Straßberg.<br />

Nach dem Besuch der Klosterschule in Kreuzlingen und des<br />

Lyzeums in Konstanz nahm Back 1822 an der Universität<br />

Tübingen das Studium der Theologie auf und trat 1825 in das<br />

Priesterseminar in Meersburg ein. 1826 wurde er dort vom<br />

Rottenburger Bischof zum Priester geweiht. Ab 1826 wirkte<br />

er als Pfarrverweser in Betra, Stetten bei Haigerloch und<br />

Weildorf mit Bittelbronn. 1833 erhielt er die Pfarrei Imnau<br />

und 1846 die Pfarrei Straßberg. Er war auch mehrere Jahre<br />

lang Schulkommissar im früheren Oberamt Straßberg, zumal<br />

er in den Schulwissenschaften überaus bewandert war. Als er<br />

am 21. September 1876 sein goldenes Priesterjubiläum feierte,<br />

erhielt er rund 100 Gratulationsschreiben, der Fürst verlieh<br />

ihm den Hohenzollerischen Hausorden. Backs Geburtsstadt<br />

Haigerloch und die Gemeinden Imnau, Straßberg mit Kaiseringen<br />

drückten ihre besondere Dankbarkeit durch die Verleihung<br />

des Ehrenbürgerrechts aus. Die Haigerlocher<br />

Urkunde fertigte Kreisgerichtsbüreau-Assistent Laubis für<br />

4,50 Mark 20. Am 4. November 1878 starb Anton Back<br />

versehen mit den Sterbesakramenten im Alter von 77 Jahren.<br />

1898: Maximilian Schnell 21<br />

Zum letzten Ehrenbürger im letzten Jahrhundert wurde<br />

Geistlicher Rat Maximilian Schnell ernannt. Geboren am<br />

20. Juni 1824 in Sigmaringen, wurde er 1848 zum Priester<br />

geweiht. Anschließend war er Kaplaneiverweser und Leiter<br />

des Präzeptorats in Haigerloch, dann Hofkaplan. 1857 wurde<br />

er Pfarrer in Heiligenzimmern und 1866 Dekan des Kapitels<br />

Haigerloch. 1869 wurde er Stadtpfarrer in Haigerloch. Als er<br />

im Jahre 1898 sein goldenes Priesterjubiläum feiern konnte,<br />

hatte er 38 Jahre in Haigerloch gewirkt, 9 Jahre als Kaplan<br />

und 29 Jahre als Stadtpfarrer. So war es eine Selbstverständlichkeit,<br />

daß ihn die Bürgerkollegien zum Ehrenbürger der<br />

Stadt ernannten. Sein 50jähriges Priesterjubiläum feierte er im<br />

Beisein sämtlicher Kapitelgeistlicher, der staatlichen und<br />

städtischen Beamten und der gesamten Pfarrgemeinde Haigerloch.<br />

Nach dem Gottesdienst erschienen im Pfarrhof die<br />

offiziellen Gratulanten. Die weltliche Feier wurde im Gasthof<br />

»Post« abgehalten, wobei u. a. Oberamtmann Sauerland<br />

die Glückwünsche aussprach. Den Ehrenbürgerbrief fertigte<br />

auf Vermittlung von Musikdirektor August Reiser die Firma<br />

Wilhelm Hammann, Fahnenfabrik und Atelier für Bühnenmalerei<br />

in Düsseldorf in Aquarellmalerei in einer mit Seide<br />

ausgeschlagenen Samtmappe 22. Der Pfarrer und Schriftsteller<br />

Heinrich Hansjakob besuchte den totkranken Schnell noch in<br />

Haigerloch und schrieb darüber: 23 »Nach mühsamer Steigung<br />

im Pfarrhaus angekommen, war ich überrascht, den<br />

totkranken Dekan nicht etwa im Bett, sondern aufrecht<br />

stehend und in tadellosem Anzug in seinem Empfangszimmer<br />

zu finden. Man sah dem hochgewachsenen, imponierenden<br />

Manne an, daß er alle seine Energie zusammen nahm, um<br />

sich aufrecht zu halten. Er kam mir vor wie ein Fürst, der<br />

seine letzte Audienz gibt, sich dabei aber noch zeigen will in<br />

der alten Kraft und Art. Nobel wie ein Fürst bot mir der


sterbende Held auch eine Flasche Champagner an. Ich dankte<br />

und empfahl mich bald, denn Mitleid und Bewunderung<br />

stritten in mir.« Schnell starb am 22. Juli 1900 in Haigerloch<br />

24.<br />

Ehrenbürger im 20. Jahrhundert<br />

Der Vollständigkeit halber seien auch die bisherigen Ehrenbürger<br />

der Stadt Haigerloch des 20. Jahrhunderts genannt:<br />

1906 Fabrikant Heinrich Meyer sen. (1860-1930), 1922 Pater<br />

Desiderius (Peter) Lenz (1832-1928), 1922 Geistlicher Rat<br />

Kuno Schmid (1849-1927), 1932 Geistlicher Rat Josef Marmon<br />

(1858-1934), 1933 Reichspräsident Paul von Hindenburg<br />

(1847-1934), 1933 Reichskanzler Adolf Hitler 25 (1889-<br />

1945), 1954 Kunstmaler Friedrich Schüz (1874-1954), 1960<br />

Brauereibesitzer Josef Zöhrlaut (1890-1972), 1975 Monsignore<br />

Marquard Guide (* 1905).<br />

Anmerkungen<br />

1 Baeuchle, Hans-Joachim: Drei Ehrenbürger-Urkunden im Haigerlocher<br />

Stadtarchiv. Hohenz. Heimat 7 (1957) 28<br />

2 Baeuchle, Hans-Joachim: Eine neue Urkunde im Haigerlocher<br />

Stadtarchiv. Hohenz. Heimat 7 (1957) 55<br />

3 Karl Werner Steim: Die Ehrenbürger werden immer mehr (Anton<br />

Back), in: Hohenz. Zeitung Nr. 249 vom 28.10.1987; Karl Werner<br />

Steim: Franz Xaver Dopfer - Ehrenbürger mit Urkunde und<br />

Zeichnung, in: Hohenz. Zeitung Nr. 67 vom 21.3.1988 u.a.<br />

4 Der Dank gilt Herrn Vizepräsident des Landgerichts i. R. Dr. Wilhelm<br />

Haase in Hechingen für wertvolle Hinweise. Die Personalakten<br />

konnten trotz Anfragen in zahlreichen Archiven nicht festgestellt<br />

werden<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Ringingen: 's Hairies Luschtgaata<br />

Es gibt leider beide nicht mehr! Die Pfarrei ist seit 1966 mit<br />

Weggang unseres »Hairle« (= Pfarrer = Herrle, wie Hairawald<br />

für Herrenwald!) Peter Heinzelmann nach Melchingen<br />

nicht mehr besetzt. Der 1972 ins Hairieshaus eingezogene<br />

Pensionär Johannes Duffner mußte im Oktober 1982 ins<br />

Altenheim nach Gammertingen gebracht werden und der am<br />

23. April 1986 als Nachfolger aus Weildorf pensionierte Josef<br />

Straubinger (von Salmendingen stammend) feierlich eingezogene<br />

Geistliche ist schon am 15. Mai durch Herzinfarkt in<br />

himmliche Gefilde entführt worden.<br />

Vom ehemaligen »Lustgarten« rechts vor dem Pfarrhaus<br />

blieb schon seit Heinzelmanns Zeit nur ein Rest des Syringenhages<br />

am Kirchplatzrand übrig, in den dieser seine Autogarage<br />

hatte einbauen lassen. Zudem war das größte Stück des<br />

Lustgartens an den südlichen Nachbarn Rupp (früher<br />

Schmid, zuvor Bailer) gegen ein rückliegendes Stück Garten<br />

vertauscht worden. Einst schmückten die Anlagen des Lustgartens<br />

ein zierliches Gartenhäuschen inmitten von Gemüseund<br />

Blumenbeeten mit Fußwegen, auf denen »das Hairle«<br />

sein Brevier betend Gottes Segen auf Dorf und Flur herabrief.<br />

Dieses Syringenhag war ehedem wegen seiner weißen und<br />

blauen Blütendolden als einzigartig im ganzen Ort für alt und<br />

jung eine Augenweide. Am wichtigsten für die Buben war in<br />

meiner Jugend die Möglichkeit, aus den glatten Zweigen des<br />

norddeutsch sog. Flieders (dessen Name aber dort auch für<br />

Holunder gebraucht wird!) Hupen, Flöten, Pfeifen und<br />

Mundstücke zu Waldhörnern zu fabrizieren, da durch Klopfen<br />

die Rinde sich leicht ablösen läßt. Wir kannten dazu noch<br />

ein »Zaubersprüchlein«: »Glatt dura, glatt dura, zuih deam<br />

Steackle d'Hosa na!«<br />

Das Wort Syringe ist ein griechisch-botanischer Name,<br />

5 Stadtarchiv Haigerloch, Bände, Nr. 213<br />

6 Hohenz. Wochenblatt Nr.21 vom 22.2.1861<br />

7 S.Anm.6, Nr. 59 vom 9.5.1862<br />

8 S. Anm. 6, Nr. 124 vom 5.11.1862<br />

9 S. Anm. 5, Bände, Nr. 219<br />

10 S.Anm.6<br />

11 Freundl. Mitteilung Dr. Haase<br />

12 Schreiben der Evang. Kirchengemeinde Wesel vom 12.10.1987<br />

13 Unterlagen zur Familiengeschichte sowie Ehrenbürgerurkunde<br />

und Bilder im Besitz von Herrn Hans-Joachim Dopfer, Sigmaringen-Laiz<br />

14 S. Anm. 9<br />

15 Lebenslauf in: Hohenz. Blätter Nr. 248 vom 29.10.1868 und<br />

Nr. 71 von 871, Im Familienkreise 7 (1871) 89-91<br />

16 Hohenz. Blätter Nr. 248 vom 29.10.1868<br />

17 S. Anm. 5, Bände, Nr. 225<br />

18 S. Anm. 16<br />

19 Lebenslauf u.a. in verschiedenen Nachrufen: Der Zoller Nr. 131<br />

vom 7.11.1878 (dort auch Todesanzeige) und Nr. 133 vom<br />

12.11.1878; Schwarzwälder Bote Nr. 261 vom 8.11.1878<br />

20 S. Anm. 5, Bände, Nr. 234<br />

21 Lebensläufe in: Hohenz. Volks-Zeitung Nr. 165 vom 26.7.1894,<br />

Nr. 178 vom 10.8.1898 und Nr. 182 vom 14.8.1898<br />

22 S. Anm. 5, Bände, Nr. 255<br />

23 Hans Friedrich Autenrieth: Heinrich Hansjakob reist durch<br />

Hohenzollern (1900). Hohenz. Heimat (1969) 38-41.<br />

24 Laut Autobiographie von Anton Fink, der sich auf Pfarrer Joseph<br />

Blumenstetter (1807-1885) bezieht, den er noch persönlich kannte,<br />

soll Schnell den Pfarrer Josef Sprissler (1795-1879) in Freiburg<br />

denunziert habe, worauf dieser suspendiert wurde. (Hohenz.<br />

Heimatbücherei Hechingen Nr. K 800)<br />

25 Auf Antrag der NSDAP-Fraktion im Haigerlocher Gemeinderat<br />

(Hohenz. Blätter Nr. 88 vom 15.4.1933).<br />

Syrinx heißt im Griechischen die Hirtenflöte! Wir »huupten«<br />

und bliesen nach vieltausendjährigem Brauch, den älteren<br />

Leuten oft noch zum Ärger. Seit wann es in Ringingen<br />

Syringen gibt, weiß niemand. Sie hängen offenbar mit denen<br />

am Kornbühl zusammen, die wohl ein Einsiedler bei der<br />

Annakapelle um 1700 beschafft hat (Hz. Heimat 1951, 26).<br />

Zwischen Syringenhag und Kirchplatz befand sich vordem<br />

auch ein etwas erhöhter Beerengarten, der dann abgegraben<br />

wurde. Dort habe ich oft als »Milchbringer« von der »Hairleskeche«<br />

(Pfarrköchin) Theres ein Quantum Stachelbeeren<br />

pflücken dürfen. Heute dient der erniedrigte Platz mit dem<br />

Missionskreuz als Parkplatz, den man ja früher nicht benötigte.<br />

Ob noch jemand weiß, daß das ganze Gelände des Lustgartens<br />

um 1710 eine eigene Hofstatt mit Haus und Scheuer war,<br />

die man gegen ein Stück der pfarrlichen Schächerwiese am<br />

Kohlgärtle eintauschte? (Mein »Häuserbuch« im Rathaus<br />

u. Fürstl. Archiv i. Sigmaringen).<br />

Dort steht jetzt das Wohnhaus der Familie Räch, ehemals des<br />

Altrosen-Wirts Neser mit seiner Judith, wo der Seffer und ich<br />

oft spielten und dem Peitschenmachen zuschauten oder (um<br />

1914) vom hinteren Fenster aus die »Seefahrtkünste« der<br />

ledigen Burschen mittels »Metzgermuot« oder »Gelt« auf<br />

dem jährlich im sog. Kessel erscheinenden Weiber mit großem<br />

Interesse beobachteten und später auch selber solche<br />

probierten. Heute gibt es solches Schauspiel dank der Kanalisation<br />

nicht mehr! (Nachtrag: Der Bericht über die »Quelle in<br />

der Kirche zu Killer« vom 12. Juni der Hz. Ztg. redet von<br />

»Familie Mathias Wahl in Ringingen«, statt richtig von »Fa.«,<br />

das heißt: Firma, bzw. Baugeschäft).<br />

31


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

M 3828 F<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Das Wiedendrehen oder die Kunst Bäumchen zu drillen<br />

Flurnamen wie Wiedenhalde, Wiedenhau und ähnliche kommen<br />

auf vielen Ortsmarkungen vor. Nicht selten handelt es<br />

sich um Standorte, an denen niemals Weiden gepflanzt<br />

werden konnten. Hier erklärt man die Flurnamen mit wied,<br />

witun althochdeutsch für Holz, Wald. In der »Schwäbischen<br />

Heimat« Nr. 2/1988 zeigt Oswald Schoch, Forstdirektor in<br />

Enzklösterle, was »Wieden« tatsächlich bedeutet. Alle von<br />

Holzgewächsen gewonnenen Bindematerialien nannte man<br />

Wieden.<br />

Der Bedarf an Wieden war außerordentlich groß. Vieles, was<br />

heute genagelt und geschraubt wird, hat man früher zusammengebunden.<br />

Natürlich gab es immer schon Schnüre und<br />

Seile aus Hanf für spezielle Zwecke. Im alltäglichen Gebrauch<br />

waren sie jedoch zu teuer und für manche Zwecke, wie die<br />

Flößerei auch zu schwach.<br />

Der Werdegang einer Wiede war folgender: Ein frisch<br />

geschlagener junger Stamm wurde von Ästen gesäubert und<br />

Buchbesprechung<br />

Eberhard Rothermel- Thomas Stephan: Oberschwaben. 152<br />

Seiten mit 103 Tafeln, davon 36 in Farbe. 24,5 x 25 cm.<br />

Kunstleinen. DM 59,-. ISBN 3806204381<br />

Wer Oberschwaben kennt, ist leicht geneigt, ein Loblied auf<br />

diesen Landstrich zwischen Schwäbischer Alb und Bodensee<br />

anzustimmen. Dem Naturfreund sind Moore und Weiher,<br />

Wiesen und Wälder bewahrenswerte Paradiese. Der Kunstliebhaber<br />

ist nicht nur vom »Himmelreich des Barock«<br />

überwältigt. Der Geschichtskenner sieht in dieser scheinbar<br />

so gleichmäßigen, still in sich ruhenden Landschaft den<br />

einstigen Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen. Oder<br />

man genießt Oberschwaben als anziehendes und leistungsfähiges<br />

Erholungs- und Freizeitgebiet. Aber Oberschwaben ist<br />

darüber hinaus und vor allem Heimat, in der man sich<br />

wohlfühlen kann. Heimat abseits der großen Zentren, ländlich<br />

abgeschieden und doch nichts weniger als »provinziell«,<br />

altem Brauchtum verpflichtet und der Tradition zugetan,<br />

aber auch dem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Hier soll<br />

nicht ein weiteres Mal ein Kunst- oder Naturführer über<br />

Oberschwaben vorgelegt werden. Es geht vielmehr darum, in<br />

Bild und Wort Land und Leute im Zusammenhang darzustel-<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der<br />

Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: 8.00 DM jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 653 51050).<br />

Druck:<br />

M. Lithners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

32<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Wolfgang Hermann<br />

Fischinger Straße 55<br />

7247 Sulz<br />

Pfarrer Johann Adam Kraus<br />

Badstraße 8<br />

7800 Freiburg-Littenweiler<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a<br />

8430 Neumarkt<br />

Karl Werner Steim<br />

Wegscheiderstraße 26<br />

7940 Riedlingen<br />

Rektor Otto Werner<br />

Friedrich-List-Straße 56<br />

7450 Hechingen<br />

in einem speziellen Ofen erhitzt, daß der Saft kochte<br />

(»gebäht«). Mit dem dünnen Ende beginnend, wurde das<br />

Bäumchen um eine Hartholzstange (»Wiedstange«) gewunden.<br />

Das starke Ende des Bäumchens im Loch eines feststehenden<br />

Balkens befestigt, von der »Wiedstange« abgedreht<br />

und um den »Wiedstock« gewunden. Durch das Drehen<br />

sprang die Rinde ab und der Saft strömte aus dem Bäumchen.<br />

Die Wieden wurden zu Ringen geflochten und trocken<br />

aufbewahrt. Vor Gebrauch legte man sie ins Wasser, um sie<br />

wieder geschmeidig zu machen. Durch Erhitzen, Abdrehen<br />

und Erkalten teilten sich die kompakten Holzkörper in<br />

kabel- bzw. seilartig gewundene Faserstränge auf.<br />

Eine große Rolle spielten »Ernd- und Kornwieden«, welche<br />

jeder Bauer in großer Zahl benötigte. Um den Wald zu<br />

schonen, wurden zahlreiche einschränkende Bestimmungen<br />

erlassen. Im Schwarzwald wurden noch bis in unser Jahrhundert<br />

hinein Wieden für die Flößerei hergestellt. B.<br />

len, so, wie sich die Einheimischen selbst sehen, und zugleich<br />

aus einem Blickwinkel, der Geschichte und Gegenwart Oberschwabens<br />

auch dem Besucher verständlich - und liebenswert<br />

- macht.<br />

Nachtrag zum Aufsatz<br />

»Trochtelfinger Heidegg«<br />

Nach frdl. Mitteilung des Bayrischen Hauptstaatsarchivs<br />

München durch Archivoberrat Dr. Leidel vom 5. Mai 1988<br />

gehört die Stadt Heideck bei Nürnberg, die aus der verlegten<br />

Burg Haideke von 1197 entstand, heute zum Lkr. Roth. Die<br />

hochedlen Herren der Trochtelfinger Heidegg besaßen außer<br />

den schon erwähnten Gütern auch solche in Vorarlberg.<br />

Auch in der Steiermark gab es ein Vasallengeschlecht »Hayd<br />

von Haydegg« mit einer Burg Weyer bei Graz, das erst 1822<br />

ausstarb. Die angeblich »uralte« Gleichsetzung von »Heide«<br />

mit Wald oder Forst, die noch der Dichter Schiller gebraucht<br />

habe, will jedoch schlecht überzeugen! J.A.K.<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen Telefon 07574/4211<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HÖH ENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herausgegeben vom<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

38. Jahrgang Nr. 3 / September 1988<br />

Johanna von ßerselle. Ölbild des Meisters von Meßkirch. 22 x 33 cm. Rom, Vatikan. Auf sie als<br />

Gattin des letzten Werdenbergers ließen sich die Ansprüche ihres Sohnes aus erster Ehe Karll.<br />

von Zollern, auf die bis dato (1534) werdenbergischen Grafschaften Veringen und Sigmaringen<br />

stützen.


HERBERT RÄDLE<br />

Ein Frauenporträt des Meisters von Meßkirch in der Pinacoteca Vaticana<br />

Bei einem Gang durch die Pinakothek der vatikanischen<br />

Museen ist man einigermaßen erstaunt, im Saal XIII zwei<br />

kleinformatige Porträtbilder zu entdecken, die jeweils in der<br />

linken oberen Ecke das Zollernwappen aufweisen: die Porträts<br />

Eitelfriedrichs III. von Zollern und seiner Frau Johanna<br />

von Berselle aus dem Jahr 1523. Christian Salm weist beide<br />

Bilder dem Meister von Meßkirch zu (Kindlers Malerei-<br />

Lexikon, Bd. 9, 1976, S. 102-104). Johanna von Berselle, die<br />

Gattin des zwei Jahre später (1525) bei Pavia umgekommenen<br />

Zollerngrafen hat als Mutter Karls I. von Hohenzollern-<br />

Sigmaringen eine eigenartige Rolle im territorialen Werdegang<br />

des Landes Hohenzollern gespielt.<br />

I. Das Porträt<br />

Das als Hüftbild gegebene Porträt stellt die etwa 30jährige<br />

Gräfin nach links blickend dar. Sie trägt ein an Brust und<br />

Ärmeln mit goldenen Litzen besetztes dunkles Samtkleid mit<br />

eckigem Miederausschnitt und goldgesticktem Stehkragen.<br />

Als Schmuck trägt sie unter anderem, über dem feinplissierten<br />

weißen Miedereinsatz, ein goldenes mit Edelsteinen<br />

besetztes Andreaskreuz. Um die Schultern hat sie einen<br />

prächtigen, schweren Mantel gelegt. Ihre Tracht wird vervollständigt<br />

durch eine über einem weißen Kopfschleier getragene<br />

schneckenförmige modische Kopfbedeckung. Das<br />

runde Gesicht mit der derben Nase und dem für den Meister<br />

von Meßkirch charakteristischen kleinen Mund drückt eher<br />

Vitalität und Tüchtigkeit als Adel aus.<br />

II. Johanna von Berselles Rolle<br />

im Werdegang des hohenzollerischen Territoriums<br />

Nach dem Tod ihres ersten Gatten heiratete Johanna 1526<br />

den Grafen Christoph von Werdenberg. Die Werdenberger,<br />

eine Teillinie der Grafen von Montfort, die ihrerseits einen<br />

Nebenzweig der Grafen von Tübingen darstellten, besaßen<br />

damals nicht nur die Grafschaft Heiligenberg, die Herrschaf-<br />

CASIMIR BUMILLER<br />

Der Schultheiß und seine Frau, die Hexe<br />

ten Trochtelfingen mit Melchingen, Salmendingen und Ringingen,<br />

Jungnau mit Inneringen und Dietfurt mit Vilsingen<br />

(als eigen), sondern auch die Grafschaften Sigmaringen und<br />

Veringen (als Reichs- bzw. österreichisches Lehen).<br />

Die Ehe Christophs von Werdenberg und Johannas von<br />

Berselle blieb ohne männliche Nachkommenschaft. Als Christoph<br />

1534 starb, drohte daher das ganze Erbe an Friedrich<br />

von Fürstenberg zu fallen, der mit einer Werdenbergerin<br />

verheiratet war. Doch das Haus Osterreich wußte diese<br />

seinen Interessen nicht dienliche Machterweiterung des Fürstenbergers<br />

zu verhindern. Als Oberlehensherr der beiden<br />

Grafschaften Veringen und Sigmaringen machte es von seinem<br />

Heimfallrecht Gebrauch. Neu belehnt wurde eine Familie,<br />

die sich in Habsburgs Diensten schon bisher besonders<br />

hervorgetan hatte 1: In Anbetracht der Tatsache, daß er als<br />

»Stiefsohn« des letzten Werdenbergers einen gewissen<br />

Anspruch vorweisen konnte, belehnte man den erst ^jährigen<br />

Zollerngrafen Karl (1516-1576), Sohn Eitelfriedrichs<br />

III. 2 und Johannas von Berselle, jenen Karl also, der als<br />

Karll. von Hohenzollern-Sigmaringen der Begründer der<br />

Sigmaringer Linie der Hohenzollern wurde 3.<br />

Anmerkungen<br />

Bemerkenswerte Quellen um den ersten Hexenprozeß in Hechingen 1583<br />

Es ist bekannt, daß den Deutschen seit alten Zeiten ein<br />

gewisser Hang zur Trunksucht nachgesagt wird. An der<br />

Schwelle zur Neuzeit nahmen sich unzählige Landes-, Polizei-<br />

und Kirchenordnungen dieses Lasters an. Auch die<br />

Prediger und Moralisten wurden nicht müde, gegen den<br />

»Saufteufel« zu wettern. Der schwäbische Gelehrte und<br />

Moralist Sebastian Franck etwa hat seinen Landsleuten deutliche<br />

Worte ins Stammbuch geschrieben: Nun ist doch sollich<br />

sauffen nye gewesen von dem weib biß auff das kinde. Summa<br />

/ es will alles fressen vnnd sauffen / man gewanet die kinnde<br />

bey zeit daran / schüttet in den wein inn der wiegen ein /<br />

sorgenn es mochte es vyleicht von im selbs nit lernen... Da<br />

treybt eyner den andern / der paur den burger / der burger<br />

den edelmann etc. Da ist kayn regiment noch Ordnung /<br />

kompt alle ding auff das höchst / vnnd ist alles verfressen /<br />

versoffen was wir auff bringen... Wz wundert vns dann das<br />

wir arm seind vnnd kayn gelt im teutschenland ist / weil wir<br />

34<br />

1 Uber Zollerngrafen im Dienste Habsburgs vgl. R. Seigel, Schloß<br />

Sigmaringen und das Fürstliche Haus Hohenzollern, Konstanz<br />

1966, S.10.<br />

2 Die Hauschronik der Grafen von Zollern (angelegt von Karl I. von<br />

Hohenzollern-Sigmaringen, Urhandschrift in der Hofbibliothek<br />

zu Sigmaringen) berichtet, daß Eitelfriedrich III. - dort nach der<br />

alten Zählung als »der Sechst« bezeichnet - von Jugend auf am<br />

Hofe Karls V. gelebt habe, großen Kriegsruhm erworben habe und<br />

schließlich von einem neidischen spanischen Offizier zu Pavia<br />

vergiftet worden sei. Vgl. zur Zollernschen Hauschronik auch<br />

R. Seigel, Zur Geschichtsschreibung beim schwäbischen Adel in<br />

der Zeit des Humanismus. In: ZWL 40, 1981, S. 93-118.<br />

3 Der erste Karl in der Reihe der Zollern trug übrigens seinen Namen<br />

nach Kaiser KarlV. persönlich, dessen Patenkind er war.<br />

vollen / truncknen teutschen mer verthond dann wir habenn<br />

im zypffel vnnd sack 1. Aber alles Moralisieren nützte nichts.<br />

Gerade die unablässige Wiederholung des Abstinenzgebots<br />

in Polizeiordnungen und Predigten verweist auf seine tiefgreifende<br />

Wirkungslosigkeit.<br />

In Hechingen griff man Ende des 16. Jahrhunderts zu dem<br />

Mittel, die Trunksucht der Hofbediensteten und Beamten<br />

öffentlich zu kontrollieren. So wurden etwa 1583 die Musiker<br />

der berühmten Hofkapelle Graf Eitelfriedrichs IV. von<br />

Hohenzollern-Hechingen in ihrem Alkoholkonsum streng<br />

überwacht. Gleichzeitig ermahnt der Obervogt Dr. Dretzler<br />

am 22. Dezember 1583 den Schultheißen Caspar Hindenlang<br />

nach dessen gef englicher erlassung sich dess übermäßigen Voll<br />

Sauffens vnd Zechens gentzlich zu enthalten 2.<br />

Zur Kontrolle muß sich der Schultheiß täglich morgens,<br />

mittags und abends im Marstall melden. Nun kann der Hang<br />

zum Trinken vielerlei Gründe und Anlässe haben, und nicht


immer verbirgt sich dahinter eine Geschichte zum Schmunzeln.<br />

Den Fall des Hechinger Schultheißen Hindenlang lassen<br />

einige weitere Quellen aus jener Zeit in einem ganz anderen<br />

Licht erscheinen. In der Ermahnung des Obervogts an Hindenlang<br />

fällt die Formulierung: nach dessen gefenglicher<br />

erlassung auf. Der Schultheiß war also erst vor kurzem aus<br />

dem Gefängnis entlassen worden und die Frage drängt sich<br />

auf: Was hatte ihn dort hinein gebracht?<br />

Die Urfehde<br />

Eine Urfehde vom 4. September 1583 gibt Antwort auf diese<br />

Frage 3. Darin bekennt Caspar Hindenlang von Straßburg der<br />

Zeytt Schuldthaiß Zu Hächingen, daß er eingesperrt worden<br />

sei, weil er sich öffentlich gegen die Art der Prozeßführung im<br />

Falle seiner sei. Frau beklagt hatte. Wir ahnen bereits, um<br />

welche Art Prozeß es sich gehandelt hatte: Caspar Hindenlangs<br />

Frau war als Hexe angeklagt und verurteilt worden.<br />

Nachdeme kurtz Verschinnener Zeytt mein Haußfrawe<br />

Catharina seeligh Wegenn deß Schandtlichen Lasters der<br />

Hex- vnnd Zauberei vnnd auff gnugsame Argwöhnische<br />

Inditia... hingerichtet worden, habe Hindenlang im öffentlichen<br />

Wirtshaus gegenüber fremden und einheimischen Leuten<br />

vernehmen lassen, daß meiner Haußfrawenn Vnrecht<br />

vnnd Zuvihll angetan und sie von den zollerischen Beamten<br />

mitt vngebührlichenn mittelnn Zu der Bekhandtnuß gedrungen<br />

worden sei. Jetzt im Gefängnis bekennt der Schultheiß,<br />

daß er solche Klagen auß villfalttiger bekhümmernuß vnnd<br />

trüebsahll Onbedächtlich geführt habe und bittet den Grafen<br />

Eitelfriedrich, ihm zu verzeihen und mein gnediger Herr seyn<br />

vnnd pleiben zu wollen. Aus dem Gefängnis wird er entlassen,<br />

nachdem er unter Eid versprochen hat, keine weiteren<br />

gerichtlichen Schritte - es sei denn vor dem Hechinger<br />

Gericht - gegen Verfahrensweise und Urteil im Fall seiner als<br />

Hexe gerichteten Frau einzuleiten. So war der Schultheiß<br />

wieder auf freiem Fuß, jedoch, wie der Hinweis auf seine<br />

Trunksucht drei Monate später andeutet, als ein gebrochener<br />

Mann.<br />

Was hätte eine Klage Hindenlangs gegen das Prozeßverfahren<br />

für seine persönlichen Verhältnisse auch erreichen können,<br />

war seine Frau Catharina doch de facto abgeurteilt und ihre<br />

Asche seit Tagen und Wochen in Staub verwandelt! Immerhin<br />

zeigt das emotionale Aufbegehren des Schultheißen, daß<br />

in der Anfangsphase der Hexenverfolgung in Hohenzollern<br />

durchaus Zweifel am Inquisitionsverfahren gegen als Hexen<br />

verdächtigte Frauen bestanden. Hindenlangs Klage gegen die<br />

ungebührlichen Mittel, durch die seine Frau zu einem Hexengeständnis<br />

gebracht worden war, dürfte sich auf die Anwendung<br />

der Folter beziehen. Und selbst der Graf und seine<br />

Beamten gestehen in der zitierten Urfehde ein, daß des<br />

Schultheißen Frau Catharina zwar auff gnugsame, aber<br />

immerhin doch nur auf Inditia (Indizien) hin verurteilt<br />

worden war. Hindenlangs Zweifel an dem Verfahren waren<br />

also auch aus dem Rechtsverständnis der Zeit heraus völlig<br />

berechtigt 4. Seine Gefangennahme und die sehr demütigend<br />

formulierte Urfehde (die er auch noch selbst niederzuschreiben<br />

hatte) zeigen, daß hier jeder Funke von Widerstand gegen<br />

die beginnende Hexenverfolgung in Hohenzollern im Keim<br />

erstickt werden sollte 5.<br />

Ein Geständnisprotokoll<br />

Die Prozeßakten im Fall der Schultheißin Catharina Hindenlang,<br />

die über die Verfahrensweise nähere Auskunft geben<br />

könnten, sind von mir im Staatsarchiv Sigmaringen nicht<br />

aufgefunden worden, obwohl sie erhalten sein müssen.<br />

J.A. Kraus, der seine Quelle leider nicht angibt, kennt zum<br />

Jahr 1583 drei Hechinger Hexen, eine Catharina Baderin alias<br />

Daikerin* eine Margaretha Sattlerin (Lehlins Weib) und<br />

schließlich Catharina die Schultheißin, also offensichtlich die<br />

Monsignore Dr. Walter Kaufhold<br />

zum 80. Geburtstag<br />

Am 16. Juli 1988 konnte Monsignore Dr. Walter Kaufhold<br />

seinen 80. Geburtstag feiern. Grund genug, an<br />

dieser Stelle seine Verdienste um Geschichte und<br />

Kunst Hohenzollerns zu würdigen.<br />

Von 1950 bis 1973 leitete Dr. Walter Kaufhold die<br />

Fürstl. Hohenz. Sammlungen und Hofbibliothek, wobei<br />

er zusätzlich als Hofkaplan des Fürstenhauses<br />

Hohenzollern tätig war. Fürst Friedrich ernannte ihn<br />

1961 zum Direktor. Auch nach seiner Pensionierung<br />

betreute Dr. Walter Kaufhold noch bis 1981 zeitweilig<br />

die Fürstl. Sammlungen.<br />

Eine glückliche Verbindung von Theologie und<br />

Kunstgeschichte, Priester und Konservator, befähigte<br />

Dr. Walter Kaufhold zu universalwissenschaftlicher<br />

Pflege, Erschließung und Deutung der vielfältigen<br />

Fürstl. Sammlungen. Sein besonderes Interesse galt<br />

und gilt der schwäbischen Malerei und Plastik des<br />

Mittelalters und der frühen Neuzeit, der sakralen<br />

Kunst des 12. bis 16.Jahrhunderts. Im Vorfeld des<br />

100jährigen Jubiläums des Fürstl. Museums (1967)<br />

widmete sich Dr. Walter Kaufhold mit großem Engagement<br />

der Renovierung und neuen Präsentation des<br />

Museums, das er zudem durch einige Erwerbungen<br />

bereichern konnte.<br />

Als Vorstandsmitglied und Mitarbeiter der »Zeitschrift<br />

für Hohenzollerische Geschichte« und der<br />

»Hohenzollerischen Heimat« unterstützte Dr. Walter<br />

Kaufhold tatkräftig die Anliegen des Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>s.<br />

Aus seiner Feder stammen zahlreiche<br />

Studien, die sich vornehmlich mit der Kunstgeschichte<br />

Hohenzollerns befassen. Stellvertretend seien zwei<br />

verdienstvolle und häufig gefragte Werke genannt:<br />

Walter Kaufhold/Rudolf Seigel, Schloß Sigmaringen<br />

und das Fürstliche Haus Hohenzollern, Sigmaringen<br />

1966/2. Aufl. 1979;<br />

Walter Kaufhold, Fürstenhaus und Kunstbesitz, Sigmaringen<br />

1969.<br />

Zum 80. Geburtstag herzliche Glück- und Segenswünsche<br />

vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>!<br />

Peter Kempf<br />

hier in Frage stehende Frau Caspar Hindenlangs. Nach den<br />

Kraus zur Verfügung stehenden Akten wurde bei diesen drei<br />

Frauen die Folter angewendet und wenigstens zwei von ihnen<br />

wurden zum Tode verurteilt. Rolf Burkarth nennt in seiner<br />

Arbeit über die Hexenprozesse in Hohenzollern zum Jahr<br />

1583 lediglich eine Margaretha, Lehlins Weib, die wohl<br />

identisch ist mit Margaretha Sattlerin bei Kraus 7.<br />

Nun gibt es im Staatsarchiv Sigmaringen ein weiteres Aktenbruchstück<br />

von 1583, das in das Umfeld dieses Hechinger<br />

Hexenprozesses gehört, nämlich ein Geständnisprotokoll<br />

zweier weiterer Frauen, das Zue Hechingen Denn 14ten<br />

Augusti Zwischenn 1 Uhrenn vnnd 3 Uhrenn Nachts Anno<br />

[15]83 aufgenommen wurde 8. Entsprechend dieser ungewöhnlich<br />

späten Stunde ist das Aktenstück weitgehend unleserlich,<br />

denn auch der Schreiber hätte in jener Nacht um diese<br />

Zeit wohl lieber das Bett gehütet. Was er notiert hat, sind die<br />

Geständnisse einer Catharina Zumprechtin und einer Ursula<br />

35


Knapp, die darin auch über weitere Frauen Aussagen machen.<br />

Genannt werden die schon bekannte Gret Sattlerin, eine<br />

gewisse Schneider Anna, Eleaser Jonas Weiblin und die<br />

Schultheißen, zweifellos wiederum die Frau Caspar Hindenlangs.<br />

Es zeichnet sich also im Jahr 1583 ein Hexenprozeß ab, bei<br />

dem wenigstens fünf Hechinger Frauen angeklagt waren:<br />

Catharina Zumprechtin, Ursula Knapp, Catharina Baderin,<br />

Margaretha Sattlerin und Catharina Schultheißin. Ob die<br />

weiter genannten Frauen, Schneider Anna und Eleaser Jonas'<br />

Frau ebenfalls vor Gericht gestellt wurden, ist bisher nicht<br />

bekannt. Es muß in diesen Sommertagen in Hechingen einige<br />

Aufregung geherrscht haben, nicht nur weil niemand wußte,<br />

wen die Angeklagten unter der Folter noch angeben würden,<br />

sondern auch weil diese Prozeßserie von 1583 nach meiner<br />

Kenntnis der erste Hexenprozeß in der Grafschaft Zollern ist,<br />

bei dem die Angeklagten tatsächlich zum Feuertod verurteilt<br />

wurden. Zwar hatte es zwischen etwa 1540 und 1577 bereits<br />

fünf Anklagen wegen Zauberei und Hexerei gegeben - die<br />

Fälle betrafen Burladingen, Grosselfingen und dreimal Jungingen<br />

aber die betroffenen Frauen waren alle mit dem<br />

Leben davongekommen. Seit 1583 wurde allerdings ernst<br />

gemacht mit der Hexenverfolgung im Land. In der Regierungszeit<br />

Graf Eitelfriedrichs IV. (1576-1605), der auch in<br />

anderen Herrschaftsbereichen ein rigoroseres Regiment<br />

führte, wurden in Wellen von 1583,1589,1598 und 1604 nicht<br />

weniger als 17 Frauen und ein Mann wegen Zauberei und<br />

Hexerei angeklagt und fast alle endeten auf dem Scheiterhaufen.<br />

Dem hier in Frage stehenden Prozeß kommt insofern wegen<br />

seines Pioniercharakters besondere Bedeutung zu. Daß die<br />

Richter in diesem Bereich der Rechtsprechung noch wenig<br />

geübt waren, macht sich auch in den Protokollen bemerkbar.<br />

Was an Geständnissen der Catharina Zumprechtin und der<br />

Ursula Knapp festgehalten wurde, wirkt im Vergleich zu<br />

späteren Prozessen eher blaß. Die Geständnisse wirken wie<br />

dem Handbuch der Hexenlehre entnommen und lediglich<br />

mit einigen konkreten Namen, Orten und Fakten ausgeschmückt.<br />

Die standardisierten Antworten erwecken den<br />

Eindruck, als sei hier das klassische Hexeneinmaleins, das die<br />

Richter abfragen wollten, aus den beiden Frauen herausgefoltert<br />

worden.<br />

Bereits vor zehn, fünfzehn Jahren habe sich die genannte<br />

Gruppe von Frauen einem Teufel mit dem wohlklingenden,<br />

aber hierzulande üblichen Namen Greßlin verschrieben,<br />

welcher abwechselnd in einem grünen Rock oder im schwarzen<br />

Häs auftrat. Er habe Gems- oder Geißfüße gehabt und<br />

auch die Buhlschaft mit ihm hauen die Frauen als unangenehm<br />

in Erinnerung, da er Khalter Natur gewesen. Der Böse<br />

habe ihnen abverlangt, Gott und alle Heiligen zu verleugnen<br />

und ihnen dafür Zauberkräfte in Form von Salben und<br />

Pulvern an die Hand gegeben. Mit deren Hilfe hätten sie<br />

verschiedentlich Unwetter veranstaltet, aber auch Leute und<br />

Vieh geschädigt. Um den Bund mit dem bösen Feind zu<br />

erneuern, hätten sie regelmäßig Konventikel und Tänze<br />

abgehalten, etwa in einem Hanfgarten im oberen Buloch oder<br />

beim Butzenweiher. Mit dem Ruf oben auß vnd nienett ahn<br />

seien sie dann auf Stecken und Ofengabeln im namen des<br />

teuffels zum Cameth außgefahren. Bei den Hexentänzen sei<br />

es hoch hergegangen. Sie hätten immer genug zu essen und zu<br />

trinken gehabt, allerdings kein Brot und Salz (wegen ihrer<br />

hexenbannenden Kraft). Den Wein, roten und weißen, habe<br />

die Schneider Anna oder die Gret Sattlerin aufgetragen, die<br />

Schultheißin habe dagegen das Fleisch gebracht. Überhaupt<br />

wird die Schultheißin in den Aussagen der beiden Frauen als<br />

extravagante Frau geschildert: dreimal heißt es, sie habe bei<br />

den Hexentänzen ein Schleierhütlein, ein Schlappenhütlein<br />

oder gar einen Pelzhut getragen.<br />

36<br />

Wenn diese genormten Protokolle überhaupt Realität beinhalten,<br />

dann mag sie am ehesten vielleicht in solchen Charakterisierungen<br />

stecken. Es ist ja immerhin bemerkenswert, daß<br />

diesem ersten Hechinger Hexenbrand die Schultheißin, also<br />

die Frau des Ersten Mannes der Stadt zum Opfer fiel. Von den<br />

Mitangeklagten wird sie durch ein modisches Détail aus ihrer<br />

Garderobe noch beim Hexentanz als Angehörige der städtischen<br />

Oberschicht gekennzeichnet.<br />

Schultheiß Caspar Hindenlang: Bruchstück einer Biographie<br />

Besonders heikel mußte die Konstellation dieses Prozesses<br />

auch dadurch wirken, daß Caspar Hindenlang in seiner<br />

Eigenschaft als Hechinger Stadtschultheiß und Untervogt der<br />

Grafschaft Hohenzollern-Hechingen eigentlich die Untersuchungen<br />

zu leiten gehabt hätte. Das war aber wegen der<br />

Befangenheit im Falle seiner Frau nicht möglich. So mußte<br />

der juristisch geschulte Mann zusehen, wie seine Frau Catharina<br />

im Verlauf des Prozesses und, wie anzunehmen ist, unter<br />

der Folter zur Hexe gemacht wurde.<br />

Es ist nicht viel, was wir über den Schultheiß Caspar Hindenlang<br />

wissen. Sein Familienname ist nicht in Hechingen heimisch;<br />

in seiner Urfehde vom 4. September 1583 nennt er sich<br />

von Straßburg. Weder in der Literatur zu Straßburg noch in<br />

den Matrikeln der einschlägigen Universitäten begegnet sein<br />

Name. So mochte er vielleicht kein gelehrter Jurist gewesen<br />

sein, aber doch ein Mann mit Verwaltungserfahrung. Als<br />

solcher war er etwa im Januar 1582 befähigt, in herrschaftlichem<br />

Auftrag die Jahrgerichte in den einzelnen Orten der<br />

Grafschaft abzuhalten 9. Er dürfte erst wenige Jahre der<br />

hohenzollerischen Beamtenschaft angehört haben, als die<br />

Fama, seine Frau sei eine Hexe, seiner Karriere ein Ende<br />

bereitete. Ob Catharina mit ihm von Straßburg gekommen<br />

oder eine gebürtige Hechingerin war, ist nicht zu entscheiden.<br />

Im August 1583 hatte sie sich mit den anderen genannten<br />

Frauen wegen des Vorwurfs der Hexerei zu verantworten,<br />

noch in diesem Monat dürfte sie den Scheiterhaufen bestiegen<br />

haben, denn vom 4. September stammt bereits Hindenlangs<br />

Urfehde, die ihren Tod voraussetzt.<br />

Die Urfehde ist ein großartiges Dokument dafür, daß Hindenlang<br />

den Tod seiner Frau nicht ohne weiteres hingenommen<br />

hatte. Sie liefert eines der seltenen Beispiele für den<br />

Widerstand gegen das Inquisitionsverfahren bei Hexenprozessen.<br />

Dabei mag Caspar Hindenlang durchaus wie das Gros<br />

seiner Zeitgenossen an die Existenz von Hexen geglaubt<br />

haben, aber er war wie wenige »aufgeklärt« genug, um die<br />

Folter als Methode zu ihrer Überführung abzulehnen.Und er<br />

machte diese Ablehnung in den Hechinger Wirtshäusern<br />

öffentlich und schrie den Schmerz über den ungerechtfertigten<br />

Tod seiner Frau in die Gassen des Städtchens hinaus. Dies<br />

hat ihm letztlich seinen aufrechten Gang und seine Laufbahn<br />

gekostet. Zwar gilt Hindenlang noch während seiner Gefangenschaft<br />

im September als Schultheiß und noch im Dezember<br />

1583 wird er gelegentlich seiner Ermahnung wegen des<br />

Trinkens Schultheiß genannt. Möglicherweise beließ man ihn<br />

dieses Jahr noch in seinem Amt, weil im Januar 1584 ohnehin<br />

ein neuer Schultheiß bestimmt wurde. Da die Jahrgerichtsprotokolle<br />

der folgenden Jahre fehlen, ist sein Schicksal<br />

allerdings nicht genau zu fassen. Ende der 80er Jahre fehlt<br />

jedenfalls der Name Hindenlang in Hechingen.<br />

Auch wenn dieser Mann nur wenige Jahre an der Spitze der<br />

Stadt Hechingen gestanden hat und seine Amtszeit insofern<br />

eine Episode bildet, sollte er nicht nur durch den Hinweis auf<br />

seine Trunksucht in die Geschichte der Stadt eingehen.<br />

Caspar Hindenlang hatte versucht, den Anfängen der Hexenverfolgung<br />

in Hohenzollern zu wehren und mußte daran<br />

scheitern.


Anmerkungen<br />

1 Sebastian Franck, Von dem grewlichen Iaster der trunckenheit so in<br />

disen letsten Zeiten erst schier mit den Franzosen auffgekommen...<br />

(1531), S. 23 f.<br />

2 Kleine Mitteilung von Max Schaitel in Zoller<strong>heimat</strong> 9 (1940) S. 6.<br />

3 Staatsarchiv Sigmaringen Ho 1 C II 2 aa Nr. 4 (Pak. 262).<br />

4 Als Prozeßgegner ist etwa der Zeitgenosse Johann Weyer zu<br />

nennen.<br />

5 Casimir Bumiller, »Ich bin des Teufels, wann er nur kam und holte<br />

HERBERT RÄDLE<br />

mich!« Zur Geschichte der Hexenverfolgung in Hohenzollern. In:<br />

Hohenz. Heimat 33 (1983) S.2-7.<br />

6 J.A. Kraus, Opfer des Hexenwahns. In: Hohenz. Heimat 17 (1967)<br />

S. 1 Nr. 3-5.<br />

7 Rolf Burkarth, Die Hexenprozesse in Hohenzollern. Zulassungs-<br />

arbeit PH Reutlingen 1965, S. 16 Nr. 9.<br />

8 Staatsarchiv Sigmaringen Ho 1 Nr. 932 foll. 67 ff.<br />

9 Staatsarchiv Sigmaringen Ho 1 Nr. 1503 fol.304 r.<br />

Ein Münzbildnis des aus Veringendorf gebürtigen Reformators Simon Grynaeus<br />

(1493-1541)<br />

Die hier abgebildete Gedächtnismedaille auf Simon Grynaeus<br />

ist ein Werk des wohl bekanntesten Schweizer Medailleurs<br />

des 16.Jhs., Jakob Stampfer. Sie wurde anläßlich von<br />

Grynaeus' Tod im Jahre 1541 in Zürich herausgebracht.<br />

I. Die Grynaeusmedaille und ihre Einordnung<br />

Auf der Vorderseite des sehr schön erhaltenen Stückes ist<br />

Grynaeus im Brustbild nach links barhäuptig wiedergegeben.<br />

Die Umschrift lautet: SIMON GRYNAEUS. OBLIT<br />

AN.DN. MDXLI AET. XLVIII (= Simon Grynaeus. Er<br />

starb im Jahre des Herrn 1541 im Alter von 48 Jahren). Die<br />

Rückseite zeigt in 7 Zeilen folgendes lateinische Distichon:<br />

INGENIO ET VITA TOTUM COMPLEVERAT ORBEM<br />

EXIGUO VÜLTUM CUIUS IN ORBE VIDES (= der<br />

Mann, dessen Bild du auf dieser kleinen Scheibe siehst,<br />

erfüllte mit Geist und vorbildlicher Lebensführung den Erdkreis).<br />

Darunter erkennt man die ligierte Signatur JS (= Jakob<br />

Stampfer).<br />

Als Auftraggeberin kommt die Basler Kirche oder die Stadt<br />

Basel in Frage. In Basel hatte Grynaeus seit 1529 als Professor<br />

für Griechisch (und später für Theologie) und als einer der<br />

wichtigsten Männer der Basler Kirche gewirkt. Nach dem<br />

frühen Tod Oekolampads 1531 war Grynaeus »ohne den<br />

Namen zu haben, das Haupt der Basler Kirche« '. Die Basler<br />

anerkannten dies, indem sie ihn, seinem Wunsche folgend 2,<br />

1541 im Grabe Oekolampads beisetzten, zusammen mit dem<br />

frommen Bürgermeister Jakob Meyer zum Hirzen, der<br />

damals ebenfalls der Pest erlag. Ein gemeinsames Epitaph im<br />

Kreuzgang des Basler Münsters erinnert noch heute an die<br />

drei großen Männer der Basler Reformation 3. Mit der Herausgabe<br />

unserer Gedenkmünze sollte wohl dazu beigetragen<br />

werden, Grynaeus im Bewußtsein nicht nur der Schweizer<br />

Öffentlichkeit in die Zahl der denkwürdigen Schweizer<br />

Reformatoren einzureihen. Wurde sie doch bei demselben<br />

hochangesehenen Züricher Medailleur in Auftrag gegeben,<br />

der 10 Jahre zuvor auch die offiziellen Gedächtnismedaillen<br />

für Zwingli und Oekolampad gefertigt hatte. 4<br />

II. Zur Medaillenkunst der Renaissance<br />

Die Sitte, bedeutende Persönlichkeiten nicht nur des Adels,<br />

sondern auch des Bürgertums auf Medaillen zu »verewigen«,<br />

entstand zuerst in Italien. Als erstes bekanntes Beispiel gilt die<br />

Medaille Antonio Pisanos auf den oströmischen Kaiser<br />

Johannes Palaiologos aus dem Jahre 1438. Die Medaillen der<br />

deutschen Renaissance hat Georg Habich erforscht 5. Sie<br />

waren in Deutschland im 19. Jh. mit seiner Schwärmerei für<br />

das »Vaterländisch-Altdeutsche« begehrte Sammelobjekte<br />

geworden. Medaillen sind keine Münzen. Zwar ähneln sie<br />

diesen in der äußeren Gestalt, doch haben sie nie Geldcharakter.<br />

In der Regel auf beiden Seiten plastisch gestaltet, sind sie<br />

von vornherein als selbständige Kunstwerke und als Vermittler<br />

von Bildinhalten gedacht. Die Medaille ist - nach einer<br />

Definition des genannten Georg Habich - »ein doppeltes<br />

Simon Grynaeus, Medaille von Jakob Stampfer, Zürich 1541, Silber<br />

gegossen, 36 mm, Paris, Bibliothèque Nationale, Cabinet des Médaillés.<br />

37


Rundrelief, das in plastisch-bildhafter Form eine Person oder<br />

Begebenheit in dauerndem Material festhält«. Die ersten<br />

Medaillen der Renaissance, fast ausschließlich Porträtmedaillen,<br />

sind von einem lebensnahen Realismus getragen und<br />

vermeiden jedes Pathos. Das Aussehen von manchen Abgebildeten<br />

ist uns nur aus diesen Münzbildern bekannt. Die<br />

großen Ausdrucksmöglichkeiten, die das Medaillenbildnis<br />

besitzt, sind vor allem in der Herstellungstechnik begründet.<br />

Die deutsche Renaissancemedaille wurde im Gußverfahren<br />

hergestellt 6. Die Hersteller der Modelle - aus Holz oder<br />

weichem Stein - stammten aus den Kreisen der Holzschnitzer,<br />

Steinschneider, Kleinbildhauer, Goldschmiede und Siegelschneider.<br />

Auch wenn sie sich dem Medaillenschaffen<br />

zuwandten, blieben sie meist weiterhin in diesen Berufen<br />

tätig.<br />

III. Der Schöpfer der Grynaeusmedaille<br />

Der Schöpfer unserer Medaille, Hans Jakob Stampfer<br />

(1505-1579), war Goldschmied und Stempelschneider in der<br />

Heimatstadt Zwingiis, Zürich. Er gilt als der bedeutendste<br />

Medailleur der Schweiz und gehörte einer Goldschmiedfamilie<br />

an. Er ging wohl bei seinem Vater Hans Ulrich I Stampfer<br />

in die Lehre. Seine Söhne Hans Ulrich II, Hans I und Hans<br />

Jakob II Stampfer übten ebenfalls das Goldschmiedehandwerk<br />

aus. Seine Wanderjahre als Geselle führten ihn in die<br />

damaligen Zentren der deutschen Medaillenkunst, Augsburg,<br />

Nürnberg und Straßburg, wo so bedeutende Meister wie<br />

Friedrich Hagenauer und Matthes Gebel wirkten. »In Zürich<br />

KARL WERNER STEIM<br />

Der Judenpogrom 1938 in Haigerloch<br />

Die Schüsse des polnischen Juden Herschel Grynszpan am<br />

7. November 1938 auf den Legationssekretär Ernst vom Rath<br />

in der deutschen Botschaft in Paris wurden von der NS-<br />

Führung eiskalt und geistesgegenwärtig ausgenutzt, um zum<br />

entscheidenden Schlag gegen die Juden auszuholen. Es ging<br />

auch um die Behebung einer finanziellen Notlage des Reichs,<br />

um die endgültige Ausschaltung der jüdischen Deutschen aus<br />

der Wirtschaft. Als »Reichskristallnacht« ist jene Nacht zum<br />

10. November 1938 in die Geschichte eingegangen, als in<br />

Deutschland fast alle Synagogen zerstört und die meisten von<br />

ihnen niedergebrannt wurden. Tausende jüdische Geschäfte<br />

und unzählige Wohnhäuser von Juden wurden demoliert.<br />

Auf den Straßen türmte sich das Glas der zerbrochenen<br />

Fensterscheiben - daher der verharmlosende Begriff »Kristallnacht«,<br />

der heute besser durch »Pogrom« ersetzt wird.<br />

Ähnlich wie im ganzen Reich ging es in jener Nacht auch in<br />

Haigerloch zu. Im ausschließlich von - damals etwa 160 -<br />

Juden bewohnten »Haag« wurden um 4 Uhr früh durch rund<br />

50 SA-Leute aus Sulz am Neckar die Synagoge, das jüdische<br />

Gemeindehaus und viele Fensterscheiben an Gebäuden, die<br />

von Juden bewohnt waren, beschädigt. Elf jüdische Mitbürger<br />

kamen für Wochen in »Schutzhaft« im Konzentrationslager<br />

Dachau.<br />

»In der Nacht vom Mittwoch, den 9. auf Donnerstag, den 10.<br />

ds. kamen morgens gegen 4 Uhr ca. 50 Mann von Richtung<br />

Weildorf, hier an. Wie ich hörte sind sie sodann in den<br />

Ortsteil >Haag< gezogen und haben dort an folgenden Gebäuden<br />

Fenster demoliert...« So beginnt der Bericht des Haigerlocher<br />

Bürgermeister-Stellvertreters Wilhelm Winter, den er<br />

am 11. November 1938 auf telefonische Anfrage an den<br />

38<br />

ist Hans Jakob Stampfer seit 1539 als Münzwardein nachgewiesen,<br />

1540-42 Zeugherr, 1544 Zwölfer im Großen Rat,<br />

1554/55 Eherichter, 1555 Zunftmeister im Kleinen Rat, 1560<br />

Obermeister, 1566-69 Obervogt des Neuamts, 1567-69<br />

Schirmvogt, 1570-77 Landvogt zu Wädenswil. Als Münzprobierer<br />

stand er in hohen Ehren und wurde auch von<br />

benachbarten Münzstätten zugezogen« (S. Müller-Wirth).<br />

Anmerkungen<br />

1 K. Gauß, Die Berufung des Simon Grynaeus nach Tübingen, in:<br />

Basler Jahrbuch 1911, S. 118. Vgl. R. Teuteberg, Simon Grynaeus,<br />

in: Der Reformation verpflichtet. Hrsg. vom Kirchenrat der evangelisch-reformierten<br />

Kirche Basel-Stadt, Basel 1979, S.29.<br />

2 Oporin an Vadian, am 8.8. 1541. E. Arbenz,<br />

sammlung, St. Gallen 1908, Nr. 1192.<br />

Vadianische Brief-<br />

3 Grabschrift abgedruckt bei E. Staehelin, Briefe und Akten zum<br />

Leben Oekolampads, Bd. 2, Leipzig 1934, Nr. 988.<br />

4 Die Zwinglimedaille ist abgebildet bei W. Köhler, Huldrych<br />

Zwingli, Neuausgabe, Leipzig 1983, S.292; die Oekolampadmedaille<br />

in: Die Renaissance, Ausstellungskatalog, hrsg. vom Badischen<br />

Landesmuseum Karlsruhe, Bd. 2, 1986. S.603.<br />

5 G. Habich, Die deutschen Schaumünzen des 16. Jhs., 4 Bde.,<br />

München 1929-1934.<br />

6 Die Technik der Prägung, die größere Auflagen ermöglichte, kam<br />

erst später auf. Die Modelle für den Guß wurden in Deutschland<br />

aus Holz oder weichem Stein geschnitten. Davon wurde ein<br />

Abdruck in einer Formmasse hergestellt. Diese Masse, die vor dem<br />

Guß gebrannt werden mußte, bestand aus feinem Ton mit verschiedenen<br />

Beimengungen, deren Zusammensetzung Werkstattgeheimnis<br />

blieb. Nach dem Guß wurden Grate und Nähte beseitigt,<br />

Feinheiten nachziseliert und das Stück manchmal patiniert oder<br />

vergoldet.<br />

Üechinger Landrat erstattete. Es folgt ein Verzeichnis von 16<br />

Gebäuden, an denen zwischen 1 und 17 Fensterscheiben<br />

zertrümmert worden waren, insgesamt 111 Scheiben. Besonders<br />

betroffen waren das jüdische Gasthaus »Rose« (17<br />

Scheiben) und die Gebäude der Juden Sally und Jette Levi<br />

(12), Alfred Levi (11), Witwe Eugen Nördlinger (10) und<br />

J.B. Reutlinger (10). Außerdem gingen drei Glasscheiben an<br />

Haustüren sowie drei Fensterläden zu Bruch. »Anschließend<br />

wurden an der Synagoge sämtliche Fenster eingeschlagen, die<br />

Türen eingedrückt und in der Synagoge selbst die gesamte<br />

Einrichtung demoliert. Auch wurde in einem Nebengebäude<br />

die vorhandene Badeeinrichtung schwer beschädigt. Der<br />

Schulraum im Isr. Gemeindehaus wurde ebenfalls völlig<br />

demoliert, ferner im gleichen Hause die Wohneinrichtung des<br />

Lehrer Spier und die Kücheneinrichtung des Emil Ullmann<br />

teilweise.« So lautet das Schreiben weiter. Ferner wurden -<br />

wohl versehentlich - am Gebäude Nr. 233, das erst seit kurzer<br />

Zeit im Besitze der Hohenz. Landesbank war, ebenfalls zwei<br />

Fenster zertrümmert. Es fällt auf, daß Winter - Haigerloch<br />

hatte damals gerade keinen Bürgermeister - von sich aus seine<br />

vorgesetzte Behörde nicht informierte. Landrat Schraermeyer<br />

war vielmehr unverzüglich von der Haigerlocher<br />

Gendarmerie verständigt worden. Die Täter waren fast ausschließlich<br />

Angehörige der SA und der SA-Reserve Sulz a. N.,<br />

die während der Nacht mit einem Omnibus hierher gekommen<br />

waren.<br />

Der Landrat schilderte die Ereignisse des Pogroms in Haigerloch<br />

am 11. November dem Sigmaringer Regierungspräsidenten<br />

wie folgt: »Die in der Nacht zum 10. November im<br />

ganzen Reich durchgeführten Demonstrationen und Aktio-


nen gegen das Judentum setzten in Haigerloch... gegen<br />

4 Uhr... ein. Gegen 4.15 Uhr meldete mir der Gendarmerieposten<br />

Haigerloch, daß er in das sog. Haag, wo 160 Juden in<br />

geschlossener Siedlung wohnen, gerufen sei, und daß bei<br />

seinem Eintreffen bereits sämtliche Jüdischen Wohnungen<br />

sowie die Synagoge und das zugehörige Badhaus von etwa 50<br />

jungen Leuten demoliert wurden. Er bat um Weisung. Ich<br />

verständigte sofort den Vertreter des Herrn Regierungspräsidenten,<br />

den Kommandeur der Gendarmerie sowie den Herrn<br />

Oberstaatsanwalt. Während ich im Begriffe stand, mich<br />

gegen 4.30 Uhr nach Haigerloch zu begeben, erreichte mich<br />

ein fernmündlicher Anruf der Außendienststelle der Geheimen<br />

Staatspolizei, die mich ersuchte, sofort 15 tunlichst<br />

reiche Juden verhaften zu lassen. Falls Aktionen gegen die<br />

Juden eingeleitet würden, dürften, nach Mitteilung der<br />

Außendienststelle der Geheimen Staatspolizei nicht dagegen<br />

eingeschritten werden. Ich verständigte darauf den Beamten<br />

der Außendienststelle, daß die Aktion in Haigerloch bereits<br />

im Gange sei. Um die angeordneten Verhaftungen durchführen<br />

zu können, zog ich die hierfür benötigten Gendarmeriebeamten<br />

auf das hiesige Rathaus zusammen und gab...<br />

fernmündlich dem Stellv. Bürgermeister in Haigerloch... die<br />

für die Durchführung der Verhaftungen erforderlichen Weisungen<br />

... Nachdem mich ein weiterer fernmündlicher Anruf<br />

der Außendienststelle erreichte, wonach alte und kranke<br />

Juden nicht zu verhaften seien, schritten die inzwischen<br />

eingetroffenen Gendarmerie- und Polizeibeamten zu nachstehenden<br />

Verhaftungen... Auf Ersuchen des Kreisleiters<br />

von Horb... ordnete die Außendienststelle der Geheimen<br />

Staatspolizei folgende weitere Verhaftungen an:... Die Inhaftierten<br />

sind in das Amtsgerichtsgefängnis... in Haigerloch<br />

eingeliefert worden...«<br />

Da der Landrat teilweise falsche Namen weitergab, seien die<br />

der tatsächlich Verhafteten angegeben: Kaufmann Leopold<br />

Hirsch, Handelsmann Siegfried Katz, Kaufmann Alfred Levi,<br />

Kaufmann Hermann Levi, Handelsmann Wilhelm Levi,<br />

Kaufmann Benno Reutlinger, Kaufmann Paul Singer, Lehrer<br />

Gustav Spier, Kaufmann Max Ullmann, Handelsmann Louis<br />

Ullmann und Kaufmann Sally Ullmann.<br />

Der Regierungspräsident informierte erst in einem Schnellbrief<br />

vom 1. Dezember den Preußischen Ministerpräsidenten<br />

über die Vorfälle in Haigerloch (und Hechingen). Aus dem<br />

sachlichen Bericht geht hervor, daß der Haigerlocher Lehrer<br />

Gustav Spier bei der Zerstörung seiner Wohnungseinrichtung<br />

»als einziger Jude Verletzungen davontrug«. Interessant<br />

ist die weitere Notiz: »Auch in Haigerloch wurde die Synagoge<br />

nicht in Brand gesteckt. Eine für die Nacht zum 13.11.<br />

1938 geplante nachträgliche Inbrandsetzung wurde auf Mitteilung<br />

des für Haigerloch zuständigen Kreisleiters... in<br />

Horb durch das Eingreifen der Gendarmerie verhindert.«<br />

Weiter beklagte sich der Regierungspräsident, er sei von der<br />

Geheimen Staatspolizei weder von den Aktionen noch von<br />

den Verhaftungen in Kenntnis gesetzt worden. Am<br />

12. November ersuchte der Regierungspräsident bei der<br />

Geheimen Staatspolizei in Stuttgart »um Bericht über die<br />

anlässlich der Demonstrationen gegen die feige jüdische<br />

Mordtat in Paris in Hohenzollern erfolgten Inschutzhaftnahmen<br />

von Juden unter Angabe der Namen der Verhafteten«.<br />

28 Personen umfaßte die Liste, die der Präsident drei Tage<br />

später in Händen hatte, darunter die elf aus Haigerloch.<br />

Die verhafteten Juden kamen am 12. November in das KZ<br />

Dachau. Man weiß heute, »daß die Aktion auf einige Wochen<br />

begrenzt war, daß sie der Einschüchterung und der Pression<br />

zur Auswanderung, aber (noch) nicht der Vernichtung der<br />

Opfer diente«. Auch in Haigerloch ist ein deutlicher Zusammenhang<br />

zwischen Pogrom, »Schutzhaft« und Auswanderungsbemühungen<br />

festzustellen. Im November und Dezem-<br />

ber 1938 erteilte das Bürgermeisteramt zahlreiche sog. Unbedenklichkeitsbescheinigungen,<br />

die Voraussetzungen für das<br />

Ausreiseverfahren waren. Auch erfolgten in jener Zeit eine<br />

Reihe von Auswanderungen - von den insgesamt<br />

(1934-1941) registrierten 70 waren es allein im November<br />

1938 16 - überwiegend nach Uruguay und in die USA.<br />

Milly Singer, geb. Stern, beantragte zum Beispiel wenige Tage<br />

nach dem Pogrom für sich und ihren Mann Paul Singer, der<br />

»bei der kürzlichen Aktion gegen die Juden« in das Konzentrationslager<br />

Dachau »übergeführt worden« war, die Ausstellung<br />

von Reisepässen. »Sobald der Häftling wieder auf freiem<br />

Fusse ist, soll die Auswanderung erfolgen«, teilte der Bürgermeister-Stellvertreter<br />

dem Landrat mit und befürwortete den<br />

Antrag.<br />

In einem Schreiben an den Regierungspräsidenten hatte auch<br />

der Hechinger Landrat am 15. November den verstärkten<br />

Ausreisewillen Haigerlocher Juden bestätigt: »Aus Haigerloch<br />

beabsichtigen voraussichtlich noch in diesem Monat<br />

insgesamt 13 Juden, für die die Ausreisepapiere bereits ausgefertigt<br />

sind, nach Uruguay auszuwandern.« Unter ihnen auch<br />

zwei Juden, die von der Geheimen Staatspolizei bereits aus<br />

der Haft entlassen seien, »um ihnen die Ausreise zu ermöglichen«<br />

(Louis Bernheim und Jakob Levi).<br />

Wie die Gestapo Sigmaringen am 19. November dem Landrat<br />

in Hechingen mitteilte, konnte Anträgen auf Entlassung aus<br />

der Schutzhaft nur stattgegeben werden, wenn<br />

»1) dies zur Durchführung von Arisierungsverhandlungen<br />

notwendig ist; bei der Prüfung dieser Frage ist großzügig zu<br />

verfahren.<br />

2) dies zur Durchführung der Auswanderung erforderlich ist;<br />

dem Antrag auf Entlassung sind die zur Auswanderung<br />

notwendigen Papiere anzuschließen.<br />

3) ein dringendes Interesse der deutschen Wirtschaft (z.B.<br />

Export) dies erfordert«.<br />

Weiter wurde darauf hingewiesen, der Chef der Sicherheitspolizei<br />

habe angeordnet, »dass gegen die im Zusammenhang<br />

mit der Protestaktion vorgekommenen Plünderungen rücksichtslos<br />

einzuschreiten ist; die Täter sind festzustellen und<br />

festzunehmen. Die Sachwerte sind sicherzustellen...«<br />

Nach einem Erlaß des Chefs der Sicherheitspolizei vom<br />

28. November waren auf Anordnung des Ministerpräsidenten<br />

Generalfeldmarschall Göring »alle Juden, die im Zuge der<br />

Vergeltungsaktion festgenommen worden sind und Frontkämpfer<br />

waren, zu entlassen«. Darunter fielen alle jüdischen<br />

Häftlinge, die im Besitz des Ehrenkreuzes für Frontkämpfer<br />

waren oder in Einzelfällen den Nachweis über die Frontkämpfertätigkeit<br />

erbrachten. Die Geheime Staatspolizei Sigmaringen<br />

teilte am 5. Dezember über den Hechinger Landrat<br />

mit, »die Namen derjenigen jüdischen Schutzhäftlinge, die<br />

nachweisbar Frontkämpfer waren, sind sofort hierher mitzuteilen.<br />

Wenn im Einzelfall einer Entlassung besondere<br />

Gründe entgegenstehen würden, ist dies unter Angabe der<br />

Gründe hierher zu berichten«. Der Landrat in Hechingen<br />

meldete sofort am 8. Dezember auch die von Haigerloch<br />

stammenden jüdischen Frontkämpfer, die sich in Schutzhaft<br />

befanden: Handelsmann Siegfried Katz, Kaufmann Hermann<br />

Levi, Handelsmann Wilhelm Levi, Kaufmann Benno Reutlinger<br />

und Lehrer Gustav Spier sowie als mögliche Frontkämpfer<br />

Kaufmann Alfred Levi und Handelsmann Louis<br />

Ullmann.<br />

Tatsächlich wurden am 1. Dezember Paul Singer und am<br />

6. Dezember Lehrer Gustav Spier aus dem Schutzhaftlager<br />

Dachau entlassen. Zum Glück hatte sich die Meinung des<br />

Hechinger Landrats nicht durchgesetzt, der noch am<br />

15. November gegenüber dem Regierungspräsidenten betont<br />

hatte, daß durch die Verhaftung des Lehrers Spier der Unterricht<br />

für die sieben schulpflichtigen jüdischen Kinder unmög-<br />

39


lieh gemacht sei. »Eine Aufhebung der Schutzhaft erscheint<br />

mir mit Rücksicht darauf, daß Spier gleichzeitig das Amt des<br />

Rabbiners versah, ausgeschlossen.« Siegfried Katz, Wilhelm<br />

Levi, Benno Reutlinger, Sally und Louis Ullmann durften am<br />

12. Dezember Dachau verlassen, Sally Ullmann konnte am<br />

12. Dezember gehen. Am 15. Dezember öffneten sich die<br />

Tore für Alfred Levi, erst am 23. Dezember für Leopold<br />

Hirsch. Zuletzt wurden Hermann Levi am 28. Dezember und<br />

Max Ullmann am 5.Januar 1939 entlassen. Die meisten<br />

Frontkämpfer aus Haigerloch wurden also wirklich etwas<br />

früher als die übrigen Leidensgenossen freigelassen, ebenso<br />

ausreisewillige Juden.<br />

Der Regierungspräsident in Sigmaringen ordnete am<br />

10. Dezember, nachdem Lehrer Spier aus der Schutzhaft<br />

entlassen war, an, »zu veranlassen, daß der Unterrichtsraum<br />

der jüdischen Schule in Haigerloch soweit das erforderlich ist,<br />

von den Juden entsprechend eingerichtet wird..., damit der<br />

Unterricht wieder aufgenommen werden kann«. Bürgermeister-Stellvertreter<br />

Winter teilte dann am 19. Dezember dem<br />

Landrat mit, der Unterrichtsraum der jüdischen Schule sei am<br />

selben Tag wieder geöffnet worden, Lehrer Spier habe den<br />

Schlüssel für das Schullokal erhalten. Der Unterricht wurde<br />

am 21. Dezember wieder aufgenommen. Lehrer Gustav Spier<br />

wurde schließlich vom Regierungspräsidenten zum 1. Juli<br />

1939 zwangspensioniert, die öffentliche jüdische Volksschule<br />

am 1. Oktober 1939 aufgehoben.<br />

»Die Sonderaktion gegen die Juden ist einzustellen.« So<br />

beginnt eine Weisung der Geheimen Staatspolizei Sigmaringen<br />

vom 11. November, die der Landrat am 15. an den<br />

Haigerlocher Bürgermeister weitergab: »Es ist dafür Sorge zu<br />

tragen, daß zertrümmerte Läden durch Holzverkleidungen<br />

usw. so verschlossen werden, daß Zerstörungen möglichst<br />

wenig sichtbar sind. Hausbesitzer sind anzuweisen, die erforderlichen<br />

Arbeiten gegebenenfalls im Auftrage der Polizei<br />

ausführen zu lassen. Trümmer von Synagogen usw. sind<br />

beschleunigt zu beseitigen. Personen, die beim Fotografieren<br />

von zerstörten Läden, Synagogen und Straßenaufläufen<br />

getroffen werden, bzw. nachträglich festgestellt werden<br />

konnten, sind hierzu zu vernehmen. Das sichergestellte Fotomaterial<br />

(Platten oder Filme) ist unter kurzer Darlegung des<br />

Sachverhalts mit den Personalien dieser Personen der Außendienststelle<br />

Sigmaringen unverzüglich in 3facher Fertigung<br />

zuzuleiten. Auf Anordnung des Chefs der Sicherheitspolizei<br />

im Einvernehmen mit dem Reichsjustizministerium sind alle<br />

Fälle spontaner Angriffe gegen Juden und jüdischen Besitz<br />

sofort unbearbeitet der Staatspolizei abzugeben. Bezüglich<br />

der Sicherstellung von Fotomaterial weise ich darauf hin, daß<br />

sämtliche Fotogeschäfte mit Unterstützung der Ordnungspolizei<br />

zu überprüfen sind.«<br />

Am 21. November forderte das Bürgermeisteramt den Kaufmann<br />

Ludwig Reutlinger als Stellvertreter des Israelitischen<br />

Gemeindevorstehers schriftlich auf, »die Fenster am Israelitischen<br />

Gemeindehaus, hier, umgehend in Ordnung bringen<br />

zu lassen«. Dieselbe Weisung erhielten Sally und Julius Levi.<br />

Schon am 22. November teilte der Bürgermeister-Stellvertreter<br />

dem Landrat - teils etwas voreilig - mit: »Die durch die<br />

Sonderaktion gegen Juden beschädigten Fenster usw. sind<br />

repariert bzw. auf Kosten der Hauseigentümer neu ergänzt<br />

worden. Auch wurden die entsprechenden Aufräumungsarbeiten<br />

vor und in der Synagoge durch die Gemeindeverwaltung<br />

vorgenommen. Personen wurden beim Fotografieren<br />

von zerstörten Läden, Synagogen usw. nicht angetroffen,<br />

auch konnten solche nachträglich nicht festgestellt werden.<br />

Das hiesige Fotogeschäft Weber wurde ... überprüft.« Tatsächlich<br />

waren noch nicht alle Schäden beseitigt worden,<br />

denn das Israelitische Vorsteheramt bemühte sich am<br />

22. November erneut bei Schreinermeister Pfeffer in Haigerloch,<br />

»die Fenster im jüdischen Gemeindehaus umgehend in<br />

Ordnung zu bringen«.<br />

40<br />

Das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin bestimmte auf<br />

Anordnung des Ministerpräsidenten Generalfeldmarschall<br />

Göring am 26. November, die anläßlich der Protestaktion<br />

gegen Juden sichergestellten »Sachwerte wie Wertpapiere,<br />

Bargeld, Schmuck, hochwertige Gebrauchsgegenstände,<br />

Lebensmittel und leichtverderbliche Gegenstände listenmäßig<br />

zu erfassen... und unverzüglich an die Staatspolizeileitstelle<br />

Stuttgart - Außendienststelle Sigmaringen - einzusenden<br />

...« Das Bürgermeisteramt Haigerloch meldete als einzigen<br />

eingezogenen Sachwert eine Geldkassette der Judengemeinde<br />

im Wert von 10 RM.<br />

Schon am 10. November hatte die Geheime Staatspolizei<br />

Sigmaringen über den Landrat auch die Beschlagnahme des<br />

jüdischen Archivmaterials angeordnet: »In allen Synagogen<br />

und Geschäftsräumen der jüdischen Kulturgemeinde ist das<br />

vorhandene Archivmaterial polizeilich zu beschlagnahmen<br />

und der Staatspolizeileitstelle Stuttgart bzw. der Außendienststelle<br />

Sigmaringen zuzuführen.«<br />

Kriminal-Obersekretär Wolff von der Gestapo in Sigmaringen<br />

informierte am 4. Januar 1939 den Bürgermeister, »dass<br />

das gesamte, in politischer Hinsicht wertlose Material der<br />

jüdischen Gemeinde alsbald freizugeben ist«. Dies teilte<br />

Winter am 9. Januar der Jüdischen Gemeinde mit: »Das hier<br />

lagernde Material von der Jüd. Gemeinde kann heute nachmittag<br />

2 Uhr vor dem Rathaus abgeholt werden. Vorhanden<br />

sind 7 größere Kisten. Die Abholung mittels Pferdefuhrwerk<br />

ist daher notwendig. Zum Aufladen werden 2 Mann benötigt.«<br />

Alfred Levi bestätigte den Empfang von 6 Kisten und<br />

1 Karton sowie am 30. Januar von 3 Kisten und 2 Säcken mit<br />

»Ritualien«. Damit schweigen die Akten über weitere unmittelbare<br />

Auswirkungen der Reichskristallnacht. Zu erwähnen<br />

ist schließlich die »Sühneleistung«, die den Juden in Deutschland<br />

auferlegt wurde. Die von Hitler schon zwei Jahre früher<br />

gebilligte »Sondersteuer« wurde nun als »Sühneleistung«, in<br />

Form einer einmaligen Kontribution von einer Milliarde<br />

Reichsmark, erhoben.<br />

Eine von der Stadtverwaltung Haigerloch erarbeitete Statistik<br />

weist für die Jahre 1934 bis 1941 insgesamt 70 Auswanderungen<br />

auf, und zwar in den einzelnen Jahren: 1934 5, 1935 1,<br />

1936 3,1937 4,1938 15,1939 25,1940 11,1941 6. Daraus kann<br />

man ablesen, daß die Ereignisse des Jahres 1938 wohl die<br />

stärksten Beweggründe für die Auswanderung waren. Als<br />

Auswanderungsländer wurden gewählt: Vereinigte Staaten<br />

von Amerika 34, England 16, Südamerika 12, Palästina 3,<br />

Kuba 2, Luxemburg 1, Dänemark 1, Schweiz 1. Es müssen<br />

aber in der Relaität mehr Auswanderungen gewesen sein. Auf<br />

der anderen Seite wurden insgesamt 272 Juden (einschließlich<br />

der nach Haigerloch von auswärts Zwangsevakuierten) in<br />

Konzentrationslager deportiert, 109 im Jahre 1941 und 163<br />

im Jahre 1942. Nur neun Haigerlocher Juden kehrten 1945<br />

zurück.<br />

Quellen:<br />

Stadtarchiv Haigerloch: Akten Nr. 695; Altregistratur Nr. 5001 und<br />

Nr. 9880<br />

Staatsarchiv Sigmaringen: Ho 235 (Preußische Regierung Sigmaringen)<br />

I/VIII Nr. 338, Nr. 339 und I/XI Nr. 1423 Bd. I<br />

Literatur:<br />

Avrabam Barkai, Vom Boykott zur »Entjudung«. Der wirtschaftliche<br />

Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933-1945. Frankfurt<br />

1988<br />

Walter H.Pehle (Hrsg.), Der Judenpogrom 1938. Von der >Reichskristallnacht<<br />

zum Völkermord. Frankfurt 1988<br />

Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern.<br />

Stuttgart 1966<br />

Paul Sauer, Dokumente über die Verfolgung der jüdischen Bürger in<br />

Baden-Württemberg durch das Nationalsozialistische Regime<br />

1933-1945. I. und II. Teil, Stuttgart 1966<br />

Karl Werner Steim, Juden in Haigerloch. Photos von Paul Weber.<br />

Haigerloch (1987)


MAREN KUHN-REHFUS<br />

Der Sigmaringer Turnerbund und die Revolution von 1848<br />

Wie zahlreiche andere Turnvereine, so ist auch der Sigmaringer<br />

Turnerbund ein Kind der Revolution von 1848. Die<br />

damals gegründeten Turnvereine sahen ihre Aufgabe keineswegs<br />

ausschließlich in turnerischer Betätigung, sondern<br />

machten sich von Anfang an die Ziele der revolutionären<br />

Bewegung zu eigen, nämlich die Herstellung der nationalen<br />

Einheit und die Einführung liberaler Verfassungen.<br />

Unter dem Einfluß der Februarrevolution in Paris kam es<br />

auch in ganz Deutschland zu Versammlungen und Demonstrationen.<br />

In Hohenzollern-Sigmaringen begann die Märzrevolution<br />

mit einer Bürgerversammlung im Sigmaringer<br />

Rathaus und einem Volksauflauf auf dem Marktplatz am<br />

.5. März 1848. Unter dem Druck der Bevölkerung, die ihre<br />

Forderungen in einer Flut von Petitionen präsentierte, mußte<br />

die fürstliche Regierung verschiedene Konzessionen machen.<br />

Es waren dies Aufhebung der Zensur, Einführung von<br />

Schwurgerichten und Volksbewaffnung, Einberufung eines<br />

außerordentlichen Landtags und grundsätzlich die Bewilligung<br />

all jener Zugeständnisse, die im Großherzogtum Baden<br />

bereits bewilligt worden waren. Kurze Zeit später verzichtete<br />

der Fürst auf eine Reihe von feudalen Rechten, vorwiegend<br />

auf Abgaben und Fronen. Trotzdem gelang es nicht, die Lage<br />

im Land zu beruhigen. Ende März meuterte sogar das Militär.<br />

Im Mai und Juni verschärften sich die politischen Gegensätze<br />

weiter. Im Mai waren in Sigmaringen zwei politische Vereine<br />

entstanden, die bereits als politische Parteien bezeichnet<br />

werden können, nämlich der »Vaterländische Verein« und<br />

der »Konstitutionelle Verein«. Der Vaterländische Verein<br />

stützte sich auf eine Gruppe von liberalen und politisch<br />

aktiven Kaufleuten, Lehrern, Wirten, Handwerkern, Advokaten<br />

und Offizieren. Er bekannte sich zu demokratischen<br />

Grundsätzen sowie sozialen Reformen und trat außerdem für<br />

die Einführung der Republik ein. Gründer und Vorsitzender<br />

war Advokat Würth, der später Abgeordneter in der Frankfurter<br />

Nationalversammlung wurde. Das Presseorgan des<br />

Vaterländischen Vereins war der »Erzähler«, der später auch<br />

den Turnverein unterstützte. Der Konstitutionelle Verein<br />

dagegen setzte sich aus liberalen Beamten, freisinnigen Bürgern<br />

und monarchisch gesinnten Bauern zusammen. Er<br />

strebte die konstitutionelle Monarchie an, d.h. die an eine<br />

Verfassung gebundene Monarchie, und lehnte jede Radikalisierung<br />

ab. In den Hintergrund gedrängt worden waren die<br />

Konservativen, die sich auch zu keiner Partei zusammenschlossen.<br />

Ihre politische Richtung kam jedoch in der Zeitung<br />

»Der Volksfreund aus Hohenzollern« zu Wort.<br />

Vom Vaterländischen Verein erwartete man Mitte Juni den<br />

förmlichen politischen Umsturz und vermutete, sein Vorsitzender<br />

Würth werde die Republik ausrufen. Als prophylaktische<br />

Gegenmaßnahme veranlaßte der Erbprinz die Einquartierung<br />

bayerischer Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung.<br />

Der Umsturz fand indes nicht statt, dagegen rief die<br />

militärische Besetzung Mißstimmung und Unruhe hervor.<br />

Am 1. Juli trat endlich der von großen Hoffnungen begleitete<br />

außerordentliche Landtag zusammen, der neben politischen<br />

Fragen hauptsächlich die Einführung von materiellen<br />

Erleichterungen für die Bevölkerung behandelte.<br />

In dieser politisch aufgewühlten Zeit wurde der Sigmaringer<br />

Turnverein gegründet. Am 30. Juni 1848 erschien im »Erzähler«,<br />

der Zeitung der Demokraten, ein Aufruf, der alle<br />

»Männer und Jünglinge« über 16 Jahren zu einer Besprechung<br />

im Zollerischen Hof am 1. Juli einlud'. Unterzeichner<br />

waren Julius und Gustav Blau, Parmenio Fatio, Hermann<br />

Raible, Julius Fivaz und Josef Rhein. Schon am 6. Juli fand die<br />

Gründung unter dem Namen »Turngemeinde Sigmaringen«<br />

statt. Erster Vorsitzender wurde Julius Blau, an dessen Stelle<br />

aber schon bald Josef Rhein trat, der anfänglich Sprecher des<br />

Vereins gewesen war. Parmenio Fatio wurde Turnwart.<br />

Für die Stellung der Turngemeinde im politischen Spektrum<br />

Sigmaringens aufschlußreich ist, daß der Vaterländische Verein<br />

die Gründung »mit Vergnügen« zur Kenntnis nahm und<br />

»beschloß, diesen Verein junger, wackerer Männer aufrichtiger<br />

Teilnahme und brüderlicher Unterstützung zu versichern«<br />

2. Die Obrigkeit befand, der Turnverein verfolge<br />

»ganz die Richtung des Vaterländischen Vereins oder vielmehr<br />

seiner Führer«, und stufte ihn damit als eine Art<br />

Anhängsel dieser Partei ein 3.<br />

In der Tat betrachtete sich die Turngemeinde durchaus auch<br />

als politische Vereinigung und vertrat ausdrücklich den<br />

Standpunkt der Sigmaringer Demokraten. So legte ihre Satzung<br />

vom 1. Januar 1849 in § 1 fest: »Der Zweck der Turngemeinde<br />

ist die Heranbildung geistig und leiblich rüstiger<br />

Männer, welche neben Erlangung körperlicher Anlagen einen<br />

wackeren, deutschen, demokratischen Sinn und Reinheit der<br />

Sitten zu erstreben, zu verbreiten und zu bewahren bemüht<br />

sein wollen.« Die Einstellung der Turner geht aus einem<br />

offenen Brief von 1849 hervor, der zwar von der Riedlinger<br />

Männerturngemeinde veröffentlicht wurde 4, offenkundig<br />

aber mit der Auffassung der Sigmaringer Turngemeinde<br />

übereinstimmte. Die Riedlinger Turner hielten es für zwingend<br />

geboten, daß sich auch Turner mit der Politik befaßten.<br />

Denn, so formulierten sie, »Es ist eine heilige Pflicht der<br />

tatkräftigen Jugend, des in Blüte des Lebens glühenden<br />

Jünglings, sich in diesen verworrenen, bewegten Zeiten mit<br />

staatlichen Verhältnissen vertraut zu machen, denselben sein<br />

ernstes Nachdenken zu widmen und zu dessen Nutzen seine<br />

Kräfte freudig zu weihen. Jeder biedere Staatsbürger, der<br />

Verpflichtungen gegen den Staat zu erfüllen hat,... soll die bis<br />

jetzt verschmälerten und verkümmerten Ansprüche des Bürgers,<br />

seine Rechte an den Staat kennen und sich dessen zu<br />

sichern lernen. Das kann jetzt leider bei dem politisch<br />

ungebildeten Volke nur durch fleißiges Benützen des Vereinsrechts<br />

geschehen. ... Will sich nun der Turner dessen<br />

gänzlich entziehen, so blamiert er sich selbst und spielt das<br />

>Schach-Matt< als Mann, der ein einiges großes Deutschland<br />

will.« Der Turner müsse sich »unstreitig auf die demokratische<br />

(Seite stellen), welche die Seele des fortschreitenden<br />

Prinzips ist«. Denn: »Liefert uns nicht schon die Geschichte<br />

unserer selbstgemachten Erfahrungen den Beweis, wie sehr<br />

das Volk bis jetzt durch leere Versprechungen unter den<br />

hohlen konstitutionell-monarchischen Formen angeführt<br />

und betrogen worden ist? Wie sind denn die großartigen<br />

Erhebungen des deutschen Volkes gegen seine Unterdrücker<br />

in der französischen Revolution gelohnt worden? Der Kongreß<br />

zu Aachen gewährte ihm statt >Erleichterungen< Verkümmerung<br />

seiner bürgerlichen Rechte. Das Recht, das<br />

vorgebliche - von Fürst und Krone - wurde vergrößert, das<br />

des schlichten Bürgers verkleinert; ... Freilich ist man noch<br />

gewöhnt, die Größe und Kraft eines Landes mit dem Nimbus;<br />

einer Krone, eines Thrones und eines goldenen Szepters zu<br />

umgeben, bedenkt aber nicht, daß sich in dem Prunke voneinigen<br />

30 fürstlichen Familien das Elend vieler tausend und<br />

tausend Familien spiegelt.... Folglich ist dieses Verhüllen des<br />

fortschreitenden Prinzips in konstitutionell-monarchischer<br />

41


Form eine Finte, eine Nichtanerkennung der Rechte des<br />

Volkes ...«<br />

Die Sigmaringer Turngemeinde stellte ihre Parteinahme für<br />

die Ideen der Demokratie bei mehreren Anlässen öffentlich<br />

unter Beweis. So beteiligte sie sich beispielsweise Anfang<br />

September an einem Fackelzug, den die Republikaner zu<br />

Ehren des Vorsitzenden des Vaterländischen Vereins veranstalteten<br />

3. Besonders aber boten die Fahnenweihe und das<br />

damit verbundene Turnerfest auf dem Turnplatz in den<br />

Burgwiesen am 17. September 1848 Anlaß und Möglichkeit<br />

zur Selbstdarstellung. Die Presse berichtete, je nach politischem<br />

Standort, mit deutlich unterschiedlicher Tendenz. So<br />

schrieb der demokratische »Erzähler« 6: »Es war nicht nur ein<br />

Fest der jugendlichen Turngemeinde, die unter der vorzüglichen<br />

Leitung ihres Turnwartes P. Fatio in kurzer Zeit sich<br />

kräftig entwickelte und ansehnlich vermehrte, sondern ein<br />

wahres Volksfest, an dem sich die größtenteils ganz demokratische<br />

Bevölkerung der Stadt und der Umgegend zahlreich<br />

beteiligte. Besonders waren es unsere freundnachbarlichen<br />

Meßkircher, welche sich in großer Zahl hierbei einfanden,<br />

und deren Gesinnungstüchtigkeit längst bekannt ist. Böllerschüsse<br />

begrüßten die ersten Strahlen der aufgehenden<br />

Sonne; schon gegen 9 Uhr wogte es in den Straßen, und viele<br />

mit deutschen Fahnen beflaggte und anders gezierte Wagen<br />

kamen von allen Seiten der Stadt zugefahren. Unter diesen<br />

befanden sich auch die Turner von Riedlingen, über 20 an der<br />

Zahl, und Deputationen der Turngemeinden Buchau, Biberach,<br />

Meßkirch und Ravensburg.... Um 10 Uhr versammelten<br />

sich die Turner und die zum Feste geladenen auswärtigen<br />

Gäste, sowie auch die städtischen Bürgerkollegien unter dem<br />

Schmucke von 20 weiß gekleideten und mit den deutschen<br />

Farben gezierten Jungfrauen auf dem Karlsplatz (heute Leopoldplatz),<br />

von wo sich der große Zug sehr schön geordnet<br />

unter dem Vortritt eines Musikchors nach dem Fest- und<br />

Turnplatz bewegte. Dort waren mindestens 2000 Menschen<br />

versammelt, welche ohne alle polizeiliche oder andere besondere<br />

Aufsicht dem Feste in größter Ordnung und mit solcher<br />

Ruhe anwohnten, daß kein einziges Wort der Redner verloren<br />

ging. Die sehr sinnig gezierte und überhaupt geschmackvoll<br />

gebaute Tribüne betrat zuerst der Sprecher der hiesigen<br />

Turngemeinde, J. Rhein, welcher in wenigen aber ansprechenden<br />

Worten die Turner und die ganze Versammlung<br />

begrüßte. Hierauf führte der Turnwart eine der Jungfrauen<br />

auf die Tribüne, welche die der Turngemeinde gewidmete<br />

schöne Fahne feierlich übergab und diese Übergabe mit einer<br />

warmen, aus der Tiefe des Herzens fließenden und allgemein<br />

begeisternden Ansprache begleitete. Der Turnwart enthüllte<br />

endlich die Fahne, stellte sie zu Händen des Fahnenträgers<br />

und sprach die Versammlung in einem längeren, sehr passenden<br />

und allgemeines Interesse erregenden Vortrag an, worin<br />

er insbesondere den Jungfrauen, welche der Turngemeinde<br />

dieses Geschenk unter ernsten und inhaltsschweren Äußerungen<br />

gereicht hatten, Worte tiefgefühlten Dankes ausdrückte.<br />

Die nachfolgenden Redner, Perochet, Sprecher der<br />

Turngemeinde Riedlingen, Müller, Stadtrat und Vorstand des<br />

demokratischen Vereins von dort, Langer, Sprecher der<br />

Turngemeinde Biberach, und Advokat Würth von hier als<br />

Vorstand des demokratischen Vaterlandsvereins, wurden alle<br />

mit Aufmerksamkeit angehört, und es fanden insbesondere<br />

die auswärtigen Sprecher den verdienten Beifall. Zum<br />

Abschied begrüßte die Versammlung noch den Sprecher der<br />

hiesigen Turngemeinde in einer längeren, sehr dezidierten<br />

und auch beifällig aufgenommenen Rede. ... Erglühten und<br />

begeisterten die vormittags gehaltenen patriotischen Reden<br />

die Zuhörer allgemein und in hohem Grade, so überraschten<br />

sie nicht minder die trefflichen Turnübungen, wobei die<br />

hiesige Turngemeinde alle Erwartungen übertroffen hat, da<br />

sie nach wenigen Monaten der Übung mit den älteren Turnern<br />

glücklich konkurrierte, und es muß auch hier wieder die<br />

42<br />

Tätigkeit und Geschicklichkeit des Turnwarts, der den<br />

Unterricht der Turngemeinde mit der größten Uneigennützigkeit<br />

besorgte, die verdiente Anerkennung gezollt werden.<br />

Nachdem die Turner und die Gäste den Rest des Nachmittags<br />

und den Abend an verschiedenen Orten und insbesondere<br />

auch in Strohdorf in brüderlicher Eintracht und in republikanischen<br />

Siegeshoffnungen zugebracht hatten, endete ein festlicher<br />

Turnerball den schön und erhebend verlebten Tag.«<br />

Hingegen kommentierte der konservative »Volksfreund aus<br />

Hohenzollern« das Fest folgendermaßen 7: »Die einem schon<br />

von weitem entgegengehende >rote Republik< 8 mochte einen<br />

Vorgeschmack geben von den Reden, die gehalten werden<br />

würden, und wirklich hatten die Melodien, die gespielt<br />

wurden, einen ziemlich roten Anstrich. Gegen sechs Redner<br />

traten ... nacheinander auf. Zuvor übergab eine Jungfrau aus<br />

der Stadt Sigmaringen eine den Turnern gewidmete Fahne<br />

und redete mit seltenem Mute einige Worte: Sie, die Turner,<br />

sollten die Fahne treu beschützen im Kugelregen und Pulverdampf,<br />

sie sollten, wenn das Vaterland sie rufe, gedenken<br />

ihrer Mütter, ihrer Schwestern und derer, die ihnen diese<br />

Fahne geweiht. Die Redner bewegten sich meist auf politischem<br />

Gebiete. Ein Panegyricus auf Hecker, eine Philippinca<br />

gegen die deutschen Guizots 9 und die deutschen Louis<br />

Philippes 10 ... sowie gegen die langweiligen Schwätzer zu<br />

Frankfurt und den Popanz von Zentralgewalt bildeten die<br />

Brennpunkte ihrer Reden. Nur einer der Redner, seinem<br />

Dialekt nach ein Norddeutscher, sprach von der Turnerei<br />

und ihren Schicksalen. Der alte selige Bundestag hätte sie<br />

beinahe gänzlich unterdrückt, auch wollten sie von ihrem<br />

Vater Jahn


zurück, so daß sie im Frühjahr 1849 praktisch keine Bedeutung<br />

mehr hatten. Mit ihnen verlor auch der Sigmaringer<br />

Vaterländische Verein seine beherrschende Rolle. Nicht<br />

erstaunlich ist, daß auch die Turner wegen ihrer dezidiert<br />

demokratisch-republikanischen Haltung mancherlei Anfeindungen<br />

bis hin zu staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren.<br />

Beispielsweise wurden im Juli die Teilnehmer an der Fahnenweihe<br />

des Buchauer Turnvereins von bayerischen Soldaten<br />

mit Waffen angegriffen und dabei auch einige Turner aus<br />

Sigmaringen verwundet 12. Sofort nach der militärischen<br />

Besetzung im Oktober 1848 wurden verschiedene Demokraten<br />

und darunter auch der Sigmaringer Turner Gauggel<br />

verhaftet 13. Gleichzeitig mußte die bis dahin auf dem Turnplatz<br />

aufgestellte »blutrote« Fahne des Vereins, wie der<br />

Sigmaringer Oberamtmann sie bezeichnete, entfernt werden<br />

14. Als Turnwart Parmenio Fatio im Oktober nach Amerika<br />

abreiste, wurden in der Öffentlichkeit politische Beweggründe<br />

und eine bevorstehende Verhaftung wegen republikanischer<br />

Umtriebe vermutet 15. Zudem wurde er verleumdet,<br />

unbezahlte Schulden hinterlassen und die Turnvereinskasse<br />

veruntreut zu haben. Über weitere Vorfälle berichtete die<br />

Zeitung »Der Erzähler« im Februar 1849 in unüberhörbar<br />

sarkastischem Ton 16: »17 Turner ziehen zu einer Hochzeit,<br />

da die Braut eine Turnschwester ist; die Turner sind mit<br />

Hirschfängern bewaffnet, und einige sogenannte konstitutionelle<br />

Vereinigungsmänner, welche diese jungen Leute längst<br />

für Mörder, Kommunisten und derlei halten, bitten einen<br />

Landjäger, ja die Polizeibehörde von diesem revolutionären<br />

aufreizenden Treiben in Kenntnis zu setzen. Dies geschieht.<br />

Die Behörde aber schüttelt den Kopf, denn sie hat das<br />

Volksbewaffnungsgesetz in der Hand, wo es heißt: ...Das<br />

Recht, Waffen zu tragen, ist anerkannt und unterliegt nur<br />

gesetzlichen Beschränkungen, und: ... Ebenso ist verboten,<br />

Schießwaffen in Wirtshäusern mitzuführen. Bekanntlich sind<br />

aber Hirschfänger keine Schießwaffen. Jetzt war guter Rat<br />

teuer. Da fällt ihr auf einmal §29 der Grundrechte ein,<br />

welcher lautet: Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich<br />

und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubnis<br />

bedarf es nicht. Frage: Ist der Besuch einer Hochzeit der einer<br />

Versammlung? Jawohl, also das Bürgermeisteramt beauftragt,<br />

den Turnern zu verbieten, im Tanzsaale Waffen zu<br />

tragen. Der Befehl trifft die Turner, aber keine Waffen im<br />

Tanzsaale, denn diese waren zwar nicht wegen §29 der<br />

Grundrechte, dagegen aus Anstandsrücksichten abgelegt<br />

worden, was sofort der Polizei angezeigt wird, die sich auf<br />

dem Absatz dreht und hinter dem Ohr kratzt.« Zwei Soldaten,<br />

die sich auf Urlaub befanden und in Turnerkleidung an<br />

derselben Hochzeit teilnahmen, wurden wegen ihrer Turnjacken<br />

von Offizieren beschimpft und mit 2 Tagen militärischem<br />

Arrest belegt.<br />

Im Mai 1849 wurde Deutschland noch einmal von einer<br />

allgemeinen Begeisterung für die nationale Einheit und die<br />

Durchsetzung der von der Nationalversammlung beschlossenen<br />

Reichsverfassung ergriffen. Hierbei lebte auch die Sigmaringer<br />

Revolutionsbegeisterung erneut auf, allerdings zum<br />

letzten Mal. Zum Aufstand kam es hier jedoch nicht. Bezeichnend<br />

war die Haltung der Sigmaringer Turner 17. Von einem<br />

Reichstagsabgeordneten namens Schmitt aus Löwenberg aufgerufen,<br />

sich bewaffnet an der badischen Erhebung zu beteiligen,<br />

sagten nur 7 Turner spontan zu; alle übrigen baten um<br />

Bedenkzeit. Vollends verebbte die Sigmaringer Revolution,<br />

nachdem preußische Truppen den badischen Aufstand niedergeschlagen<br />

hatten. Ihr endgültiges Ende aber fand sie, als<br />

Anfang August 1849 preußisches Militär auch Hohenzollern<br />

besetzte, um den Anschluß der beiden Fürstentümer an<br />

Preußen vorzubereiten.<br />

Mit dem Niedergang der Revolution schwand auch die<br />

anfänglich große Anziehungskraft der Turngemeinde Sigma-<br />

ringen dahin. Zwar schloß sich ihr der zu Beginn des Jahres<br />

1849 in Bingen gegründete Turnverein vorübergehend an.<br />

Dagegen konnte sie nicht verhindern, daß sich am 5. März<br />

1849 ein zweiter Turnverein unter dem Namen »Neue Turngemeinde<br />

Sigmaringen« als Konkurrenzverein konstituierte<br />

18. Diese betonte zwar, keiner politischen Richtung<br />

anzugehören und deshalb jedermann offenzustehen, tatsächlich<br />

aber hing sie den konstitutionell-monarchischen Vorstellungen<br />

an. Die jüngere Turngemeinde führte die Vereinsfarben<br />

Rot und Blau, die ältere Turngemeinde die Farben Rot<br />

und Gelb. Fortan nannte man den demokratischen Turnverein<br />

die »Roten«, den konstitutionellen die »Blauen«.<br />

Die Gründe für den Verfall der Sigmaringer Turngemeinde<br />

analysierte die demokratische Zeitung »Der Hochwächter«,<br />

Nachfolgeblatt des »Erzählers«, in einem umfänglicheren<br />

Artikel vom März 1850 folgendermaßen 19: »Der im Jahr 1848<br />

dahier gegründete Turnverein erweckte durch die anfängliche<br />

große Teilnahme junger und bejahrterer Männer die schönsten<br />

Hoffnungen auf ein kräftiges Gedeihen des diesseitigen<br />

Turnwesens. Nach einem Verlaufe von zwei Jahren ist an die<br />

Stelle dieser anfänglichen allgemeinen Teilnahme eine gänzliche<br />

Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit getreten, in<br />

Folge dessen der Verein auf ein kleines Häuflein Getreuer<br />

heruntergesunken ist. Der Grund des Verfalls des hiesigen<br />

Turnwesens liegt unseres Erachtens teils in den innern, teils in<br />

den äußern Verhältnissen des Vereins. Einmal war der Verein<br />

ein Kind politisch aufgeregter Zeiten, und die notwendige<br />

Folge war, daß er in Zeiten politischer Abgespanntheit und<br />

Erschlaffung an seiner anfänglichen Kraft verlor. So geschah<br />

es auch wirklich. Die Ungunst der öffentlichen Verhältnisse<br />

Deutschlands und die lange, ununterbrochene Besetzung des<br />

Landes durch fremde Truppen waren hauptsächlich die Ursachen<br />

der Schwächung des Vereins. Dazu kamen noch die in<br />

dem Verein selber entstandenen Zwistigkeiten und Uneinigkeiten,<br />

welche in Folge der an die Spitze des Vereins gestellten<br />

demokratischen Tendenz hervorgerufen wurden. Die Turnerei<br />

ist ein Teil der Volkserziehung, und darum soll sie auch die<br />

Bildung der Jugend für ihre spätere bürgerliche und öffentliche<br />

Stellung in sich schließen. Allein dessen ungeachtet halten<br />

wir es für einen Mißgriff, wenn man die Turnvereine zu<br />

politischen Parteivereinen macht. Den schlagendsten Beweis<br />

hierfür liefert die mit unserem Verein gemachte Erfahrung.<br />

Wollen wir die diesseitige Turnerei neu aufblühen sehen, so<br />

müssen wir zu dem wahren Zweck derselben zurückkehren.<br />

Dieser aber besteht in der Heranbildung geistig und leiblich<br />

kräftiger Männer, welche neben Entwicklung und Kräftigung<br />

körperlicher Anlagen einen wackern deutschpatriotischen<br />

Sinn und Reinheit der Sitten zu erstreben und zu verbreiten<br />

bemüht sein sollen. Wir sind also weit entfernt davon, daß wir<br />

die Besprechungen und Meinungsäußerungen über bürgerliche<br />

und öffentliche Angelegenheiten aus dem Kreise der<br />

Jünglinge von 18 und mehr Jahren verbannt wissen wollen.<br />

Bürgersinn und Vaterlandsliebe sind die Tugenden, welche<br />

nach unserer Ansicht durch die Turnvereine gepflanzt und<br />

verbreitet werden sollen. Stellen wir den politischen Zweck<br />

der Turngemeinde so allgemein hin, so werden wir durch<br />

keine Polizeimaßregeln in unserm Streben gehindert werden;<br />

desgleichen wird jedermann die Teilnahme an den Turnvereinen<br />

möglich gemacht sein. Wir dürfen auch nicht befürchten,<br />

daß wir deswegen weniger Turner von demokratischer<br />

Gesinnung haben werden; indem die Jugend Deutschlands<br />

von diesem Prinzipe bereits vollkommen durchdrungen ist,<br />

wenn sie auch bisweilen aus was immer für Gründen gehindert<br />

ist, ihre Ansichten offen zu bekennen. Lassen wir also<br />

davon ab, die Turnvereine zu politischen Parteivereinen zu<br />

stempeln, weil wir es ohne Gefahr für das demokratische<br />

Prinzip tun können. Der Turnverein soll zum Teil der<br />

Volkserziehung und darum nicht zunächst politischen Partei-<br />

43


zwecken dienen. Halten wir diesen allgemeinen Zweck des<br />

Turnvereins fest, so wird es von jedem wohlmeinenden<br />

Familienvater, von jeder Gemeinde, ja vom Staate selbst<br />

unterstützt und befördert werden.«<br />

Dieser Artikel wurde, wenn auch unbeabsichtigt, zum Nachruf<br />

auf die demokratische Sigmaringer Turngemeinde. Denn<br />

dem Verein gelang es nicht mehr, sich zu regenerieren.<br />

Nachdem nämlich Hohenzollern 1850 preußisch geworden<br />

war, löste die Preußische Regierung Sigmaringen noch im<br />

selben Jahr die Turngemeinde wegen »staatsgefährdender<br />

Umtriebe« auf. Die Vereinsfahne, die schon im Sommer bei<br />

einer Veranstaltung in Bingen nur knapp der staatlichen<br />

Konfiskation dadurch entgangen war, daß man sie beim<br />

Binger Engelwirt verstecken konnte, wurde auch diesmal<br />

gerettet: Der Vereins Vorsitzende, Malermeister Lütz, brachte<br />

sie unter dem Dachfirst seines Hauses in Sigmaringen in<br />

Sicherheit und hängte sie später als »Rouleau« getarnt an ein<br />

Fenster seiner Werkstatt.<br />

Im Jahr 1862 kam es jedoch zur Wiedergründung, die man<br />

vorsichtshalber freilich als Neugründung bezeichnete und<br />

deshalb auch die Jahreszahl 1848 auf der Vereinsfahne in 1862<br />

abänderte. Der Einladung zu einer Vorbesprechung über die<br />

Wiedergründung folgten 56 Männer, so daß die »Turngemeinde<br />

Sigmaringen« sich am 6. Juli 1862 wieder offiziell<br />

konstituieren konnte. Vorsitzender wurde der Oberamtsdiurnist<br />

Georg Stehle.<br />

Zwischen der Gründung der Turngemeinde Sigmaringen und<br />

dem Turnerbund von 1988 liegen nicht nur 140 Jahre,<br />

sondern auch grundlegend verschiedene Auffassungen von<br />

den Aufgaben des Vereins. Entstanden unter spezifischen<br />

politischen Vorzeichen, zeichneten sich die Anfänge der<br />

Turngemeinde durch eine Verquickung von sachbezogenen<br />

und politischen Zielen aus, die heutigen Vereinen ganz<br />

generell fremd geworden sind.<br />

Anmerkungen<br />

' »Der Erzähler« Nr.52, 30.Juni 1848, S.220.<br />

2 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 55, 11. Juli 1848, Beilage S.234.<br />

HANS PETER MÜLLER<br />

Der Fürstliche Kameralhof in Dettensee<br />

Das Jahr 1843 markiert sicherlich einen bedeutsamen Einschnitt<br />

in der langen und wechselhaften Geschichte des<br />

Dorfes Dettensee, denn damals fand ein Stück feudaler<br />

Vergangenheit sein endgültiges Ende. In zwei Kaufverträgen<br />

trat der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen die noch übriggebliebenen<br />

Schloßgebäude samt den dazugehörigen Gütern<br />

mit Ausnahme der Waldungen an die Gemeinde bzw. Bürgerschaft<br />

ab, was er sich mit 86000 Gulden vergelten ließ.<br />

Dettensee war erst durch den Reichsdeputationshauptschluß<br />

von 1803 als Bestandteil der dem Stift Muri gehörigen<br />

Herrschaft Glatt an Hohenzollern gekommen. Als am 3. September<br />

1803 in Glatt die Huldigung für den neuen Herrn<br />

stattfand, waren bei diesem feierlichen Akt 46 Bürger und 16<br />

ledige Burschen von Dettensee anwesend. Neben den diver-<br />

44<br />

3 Bericht des Oberamts Sigmaringen über die hier bestehenden<br />

politischen Vereine vom 17. Oktober 1848 (Staatsarchiv Sigmaringen,<br />

Geheime Konferenz Hohenzollern-Sigmaringen, Neuverzeichnete<br />

Akten II 6809).<br />

4 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 30, 13. April 1849, S. 120.<br />

5 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 71, 5. September 1848,<br />

S. 214-215.<br />

6 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 75, 19. September 1848, S.234.<br />

7 »Der Volksfreund aus Hohenzollern« Nr. 60, 19. September<br />

1848, S. 326.<br />

8 Gemeint ist vermutlich das Heckerlied der Studenten: »Wenn die<br />

Roten fragen, lebt der Hecker noch, sollt ihr ihnen sagen, ja, er lebet<br />

noch. Er hängt an keinem Baume, er hängt an keinem Strick,<br />

sondern an dem Traume der roten Republik.«<br />

9 Französischer Staatsmann, dessen ablehnende Haltung gegenüber<br />

einer Wahlreform zur Februarrevolution 1848 führte.<br />

10 Der französische sogenannte Bürgerkönig, der sich vom liberalen<br />

zum absolutistischen und reaktionären Herrscher wandelte und<br />

bei der Februarrevolution 1848 abdankte und floh.<br />

11 Eberhard Gönner: Die Revolution von 1848/49 in den hohenzollerischen<br />

Fürstentümern und deren Anschluß an Preußen (Arbeiten<br />

zur Landeskunde Hohenzollerns 2) 1952, S. 134—135.<br />

12 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 58, 21. Juli 1848, S.247.<br />

13 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 83, 13. Oktober 1848, S.268.<br />

14 Bericht des Oberamts Sigmaringen über die hier bestehenden<br />

politischen Vereine vom 17. Oktober 1848 (Staatsarchiv Sigmaringen,<br />

Geheime Konferenz Hohenzollern-Sigmaringen, Neuverzeichnete<br />

Akten II 6809).<br />

15 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 88, 31. Oktober 1848, S.290.<br />

16 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 17, 27. Februar 1849, S. 68, und<br />

Nr. 18, 2. März 1849, S. 72.<br />

17 Gönner (wie Anmerkung 11) S. 160.<br />

18 »Der Sigmaringer Erzähler« Nr. 20, 9. März 1849, S. 80, und<br />

Nr. 30, 13. April 1849, S. 120.<br />

19 »Der Hochwächter. Organ der Demokratie« Nr. 23, 19. März<br />

1850, S. 91.<br />

Literatur:<br />

Eberhard Gönner: Die Revolution von 1848/49 in den hohenzollerischen<br />

Fürstentümern und deren Anschluß an Preußen (Arbeiten zur<br />

Landeskunde Hohenzollerns 2) 1952.<br />

Gerhard Kramer: Geschichte des Turnerbundes 1848 e.V. Sigmaringen<br />

(maschinenschriftliches Manuskript) 1988.<br />

sen obrigkeitlichen und grundherrschaftlichen Rechten fiel<br />

dem Fürsten v.a. der beträchtliche Herrschaftsbesitz zu, der<br />

aus dem Schloß und den dazugehörigen Feldern und Waldungen<br />

bestand. Nach der »Statistischen Übersicht des Fürstenthums<br />

Hohenzollern-Sigmaringen« von 1836 betrug der<br />

herrschaftliche Eigenbesitz in Dettensee nicht weniger als 473<br />

Morgen, was mehr als 40 Prozent der nur 1109 Morgen<br />

großen Markung ausmachte. Auch wenn davon über die<br />

Hälfte auf Waldungen entfiel, so war doch ein bedeutender<br />

Teil der Anbaufläche der Nutzung durch die Bevölkerung<br />

entzogen, die zudem noch Frondienste für das Schloß leisten<br />

mußte.<br />

Wie Pfarrer Johler in seiner 1824 veröffentlichten hohenzollerischen<br />

Landeskunde schreibt, wurde das Dettenseer


Dettensee, Ausschnitt aus der Ur-Karte von 1842. Nr. 1 Pächterwohnung<br />

Nr. 2/3 ehemalige Vogtei<br />

Nr. 6 Gasthaus »Hirsch«<br />

Nr. 63 Stall- und Scheurengebäude<br />

Nr. 43 Zehntscheuer<br />

Schloß in den Jahren 1817/18 abgebrochen, wobei die Steine<br />

für den Bau der Synagogen Verwendung fanden. Das aus der<br />

2. Hälfte des 16. Jhs. stammende Gebäude stand an der<br />

Ostseite des Schloßbezirks und war mit einem direkten<br />

Zugang zur Kirchenempore verbunden, der heute noch vorhanden<br />

ist, wie auch die geräumigen Keller. Anscheinend<br />

wurde damals auch die an der Südseite zum Schloßgarten hin<br />

gelegene Vogtei verkauft, welches Gebäude zur Zeit gerade<br />

restauriert wird. Uber das Schicksal der übrigen Gebäude, die<br />

samt den Feldern als Kameralhof verpachtet wurden, informieren<br />

uns die Akten des Rentamts Haigerloch (NVA 8821)<br />

im Fürstl. Archiv Sigmaringen.<br />

Der erste Vertrag stammt aus dem Jahre 1817, als das<br />

Oberamt Glatt die Pacht mit dem bisherigen Pächter Martin<br />

Dettling um 9 Jahre verlängerte. Die Grundstücke sind darin<br />

zwar nicht näher beschrieben, wohl aber die Gebäude. Es<br />

waren dies zum einen die Maiereiwohnung samt Kasten,<br />

Vieh- und Schafstall und zum andern die Fruchtscheuer samt<br />

Viehstall und Heuboden. Als Zins hatte der Pächter die<br />

Hälfte aller angebauten Früchte und des Obstes abzuliefern,,<br />

für die Wiesen und Gärten dagegen 12 Gulden pro Mannsmahd.<br />

Das Schafweiderecht wurde ihm ebenfalls überlassen,<br />

wofür er extra 40 Gulden jährlich zu bezahlen hatte. Er war<br />

verpflichtet, gegen Vergütung die der Herrschaft zustehenden<br />

Zehnten einzusammeln und die Kuh des Pfarrers zu<br />

füttern. Dagegen hatte er Anspruch auf die Frondienste und<br />

bekam jährlich 16 Klafter Holz aus den herrschaftlichen<br />

Waldungen zugewiesen.<br />

Nach Ablauf der Pachtzeit verlängerte das Oberamt im Jahre<br />

1827 den Vertrag mit Dettling und seinem Konsorten Johann<br />

Schäfer um weitere 9 Jahre. Die Grundstücke sind dabei mit<br />

212/2 Morgen angegeben, wobei X7TA Mg. auf die Acker in<br />

den 3 Zeigen entfielen, ll'A Mg. auf die Wiesen und 23/2 Mg.<br />

auf die Gärten. Die Pachtbedingungen blieben im wesentlichen<br />

unverändert.<br />

Genaueres über den herrschaftlichen Waldbesitz können wir<br />

einem 1830 zwischen dem Rentamt Haigerloch und der<br />

Gemeinde Dettensee abgeschlossenen Vertrag entnehmen.<br />

Damals verzichtete die Gemeinde auf das ihr in den herrschaftlichen<br />

Waldungen zustehende Weiderecht, wofür sie<br />

als Entschädigung zwei Grundstücke von zusammen 10<br />

Jauchert Fläche als Eigentum erhielt. Danach bestanden die<br />

Waldungen aus 9 größeren und kleineren Stücken mit einem<br />

Gesamtumfang von 215/ Morgen.<br />

Im Jahre 1836 wurde zwischen dem Rentamt und Hirschwirt<br />

Schäfer ein neuer Pachtvertrag über 9 Jahre abgeschlossen.<br />

Der Pachtzins war jetzt anders gestaltet und betrug jährlich<br />

460 Gulden nebst 197 Scheffel Getreide von verschiedenen<br />

Sorten, dazu wie bisher 40 Gulden für die Schafweide.<br />

Ausführliche Beschreibungen der herrschaftlichen Gebäude<br />

samt Grundrissen ließ das Rentamt 1838 anfertigen. Das<br />

45


Maiereigebäude an der Westseite des Schloßhofs war 105 Fuß<br />

lang und 43 Fuß breit und hatte 3 Stockwerke. Das Stall- und<br />

Scheurengebäude, das auf der anderen Straßenseite bei der<br />

Wette lag, maß 132 auf 43 Fuß. Im Jahr darauf kaufte das<br />

Rentamt noch die Scheuer des Josef Fischer bei der Wette um<br />

600 Gulden zur Aufbewahrung der Zehntfrüchte.<br />

Hirschwirt Schäfer konnte die neue Pachtperiode indes nicht<br />

ganz zu Ende bringen, denn Anfang 1843 kündigte die Fürstl.<br />

Hofkammer ihm den Pachtvertrag auf. Als Begründung<br />

wurde vorgebracht, daß der Pächter neben dem Kameralhof<br />

auch noch seine eigenen Grundstücke bewirtschaftet hatte,<br />

was laut Pachtbedingungen ausdrücklich verboten war. Zu<br />

einer Neuverpachtung sollte es nicht mehr kommen, denn am<br />

20. April 1843 schloß das Rentamt Haigerloch zwei Kaufverträge<br />

mit der Gemeinde bzw. der Bürgerschaft von Dettensee<br />

ab.<br />

Der erste, mit der Gemeinde abgeschlossene Vertrag betraf<br />

folgende Gebäude: das Maiereigebäude im Schloßhof, das<br />

Stall- und Scheurengebäude bei der Wette, der 1834 neugebaute<br />

Schweinestall, die 1839 gekaufte Zehntscheuer bei der<br />

Wette und schließlich noch die beiden Brunnen bei der<br />

Scheuer und in der Dorfwiese. Verkauft wurden ferner die<br />

der Herrschaft zustehenden Zehntanteile und das Schafweiderecht.<br />

Der Kaufpreis betrug 22 575 Gulden und war in 10<br />

Jahresraten bei 5prozentiger Verzinsung aufzubringen.<br />

Außerdem verzichtete das Rentamt auf die Frondienste,<br />

wofür die Gemeinde jährlich 60 Gulden zu entrichten hatte.<br />

Der zweite Vertrag wurde mit »sämtlichen Aktivbürgern«<br />

der Gemeinde Dettensee abgeschlossen und betraf die<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Ehrwürdige Heimat-Glocken<br />

Außer der ehemaligen Quelle im Inneren der früheren<br />

Marien-Pfarrkirche in Killer (»Kilchwiler«) (vgl. »Hohenz.<br />

Heimat« 1986, 59), zu der ja einst als Filialen Hausen,<br />

Starzein und Jungingen gehörten, ist eine sehr alte Glocke mit<br />

88 cm Durchmesser und 370 kg Gewicht bemerkenswert, die<br />

vermutlich ins 12. Jahrhundert oder weiter zurückreicht, also<br />

die älteste ihrer Art in Hohenzollern sein dürfte.<br />

Die von dem rührigen Heimatforscher Roland Simmendinger<br />

gezeichnete Skizze (siehe Bild) zeigt von oben gesehen auf der<br />

Platte oder Haube zwischen den hier dunkel angedeuteten<br />

Stegen der Krone (bzw. »Aufhängers«) in auffällig ungelenker<br />

Schrift die Namen der Evangelisten: »Matevs, Markvs,<br />

Luc, (J)Ohannes« in rückläufigen Großbuchstaben nach der<br />

Mitte zu. Der Glockenton wurde durch den erzbischöflichen<br />

Sachverständigen Kramer 1984 als »b -I- 5« festgestellt, als<br />

man durch die Firma Metz in Karlsruhe zum Ersatz der<br />

Bochumer Stahlglocken von 1923 neue Werke beschaffte.<br />

Man schuf diese nach den Plänen des berühmten verstorbenen<br />

Meisters Friedrich Wilhelm Schilling in Heidelberg, der<br />

aus Apolda in Thüringen zugezogen war. Durch eine<br />

Unachtsamkeit im neuen weiträumigen Stuhl der Turmstube<br />

wurden leider die Bügel stark beschädigt. Jedoch der<br />

bekannte Glockenfachmann Hans Lachenmeyer in Nördlingen<br />

behob meisterhaft den Bruch, wie er schon 1962 den<br />

Durchschuß eines französischen Wachtpostens durch das<br />

Glöckle der Ringinger Friedhofkapelle um 1946 (einem Werk<br />

des Rottenburger Johannes Rozier vom Jahr 1686), sowie den<br />

tödlichen Riß der weitberühmten »Hosanna« im Erfurter<br />

Domturn (DDR) vor einigen Jahren zu heilen verstand. Auf<br />

der Zeichnung Simmendingers habe ich außerhalb des Kreises<br />

46<br />

Grundstücke mit einem Umfang von 211'A Morgen. Davon<br />

bestanden 177/2 Mg. aus Ackern, IVA Mg. aus Wiesen und<br />

23 Mg. aus Gärten. Der Kaufpreis hierfür betrug 63425<br />

Gulden und war auf dieselbe Weise zu bezahlen. Die Kaufbedingungen<br />

besagten, daß, wenn ein Bürger mit den Ratenzahlungen<br />

nicht nachkommen sollte, die übrigen seinen Gutsanteil<br />

an sich ziehen und anderwärts verkaufen konnten. Auch<br />

die Juden, sofern sie Aktivbürger waren, durften Gutsanteile<br />

erwerben, jedoch nur, wenn sie diese selbst bewirtschafteten.<br />

Eine weitere, recht eigenartige Bedingung hatte folgenden<br />

Wortlaut: »Die Käufer verzichten auf die bisher bestandene<br />

Befugnis, gegen Abreichung von je 4 Bund Stroh die Abtritte<br />

der Juden reinigen zu dürfen, vielmehr bleibt den Israeliten<br />

überlassen, ihre Abtritte und Cloaken selbst zu säubern und<br />

den Dünger zu benützen, wogegen die Käufer auch kein<br />

Stroh mehr abzugeben haben.«<br />

Die beiden Kaufverträge wurden von der Fürstl. Landesregierung<br />

und Hofkammer genehmigt und traten am 28. April<br />

in Kraft. Zusammengenommen hatte die Dettenseer Einwohnerschaft,<br />

die damals aus rund 500 Personen bestand, also die<br />

enorme Summe von 86000 Gulden innerhalb von 10 Jahren<br />

aufzubringen. So konnte es nicht ausbleiben, daß viele<br />

Grundstückskäufer mit ihren Zahlungen nicht nachkamen,<br />

was durch die bald hereinbrechenden Mißjahre noch verschärft<br />

wurde und zu jahrelangen Rechtsstreitigkeiten führte.<br />

Die Gemeinde Dettensee hatte von den erworbenen Gebäuden<br />

nur das Pächterwohnhaus für sich behalten, das seitdem<br />

als Rathaus diente, bis es im Jahre 1945 durch Kriegseinwirkungen<br />

abbrannte, wobei auch das Gemeindearchiv in Rauch<br />

aufging.<br />

nochmal die Namen der Evangelisten zu besserem Verständnis<br />

angemerkt.<br />

Im nahen Starzein findet man im engen Türmchen der<br />

Kapelle neben einem neuen auch ein uraltes Glöcklein von 42<br />

cm Weite, dessen Abbild im Denkmälerwerk von 1896 S. 160<br />

etwas zu schlank erscheint, und um 1220 datiert werden<br />

dürfte. Nur teilweise sind die Evangelistennamen gelungen:<br />

»MARCVS + MATEVS + LVC«, während für Johannes<br />

kein Platz mehr im Rundband geblieben ist. Das Werk wurde<br />

1769 vom ehemaligen Johanniter-Haus und Klösterlein »Jungental«<br />

westlich des Dorfes an der sog. Kirchstaig nach dessen<br />

Abbruch übernommen. Das Gebäude wird schon 1256<br />

erwähnt und ist käuflich vom Johanniterorden 1605/10 ans<br />

zollerische Grafenhaus übergegangen gewesen.<br />

Melchingen hat den Ruhm, die ältest datierte Glocke in<br />

Hohenzollern zu besitzen. Sie trägt neben den Evangelistennamen<br />

in lateinischer u. deutlicher Schrift: »Die Glocke<br />

wurde im Jahr 1293 gegossen.« Dabei stehen die vier Rätselbuchstaben<br />

»AGLA«. Die Erklärung gab das »Zollerländle«<br />

1926, S. 40 aufgrund der »Glockenkunde« von Walter des<br />

Jahres 1913, 152, die mir als Student des theologischen<br />

Konvikts zu Freiburg in die Hand kam. Das hohz. Denkmalwerk<br />

von 1938, 241 berichtete dann die ganze Aufschrift und<br />

Erklärung: AGLA sind die lateinischen Anfangsbuchstaben<br />

eines hebräischen Spruches: »Atta Gibbor Leolam, Adonai«<br />

= »Du bist groß in Ewigkeit, Herr!«. Seit Jahrhunderten<br />

klingt demnach das Gotteslob von dem Melchinger Kirchturm!<br />

Aber wieviele wissen und beachten es?<br />

Der Gießer der großen Glocke von Jungingen, die 1938 (mit


Durchmesser 1,10 m) auf dem Kirchplatz erwähnt ist, wurde<br />

als Kreuz-Glocke von einem »Jerg Roet« im J. 1495 geschaffen.<br />

Nach anderen Quellen stammte der Gießer aus Pfullingen,<br />

der als »Jerg Rot« schon 1485 eine Glocke für Vöhringen<br />

bei Sulz schuf. Hier sieht man als sein Wappen zwei aufrechte<br />

Fische. Zwei Meisterwerke der Gießkunst mit 1,15 m Durchmesser<br />

(Ton fis) lieferte ein Jos (= Jodokus, nicht Josef!) Egen<br />

(= Egeno) aus Ritlingen sowohl für Ringingen als Melchingen.<br />

Der Herkunftsname Ritlingen ist jedoch falsch; den<br />

Umständen nach muß er Reutlingen heißen, nicht Riedlingen<br />

(wie das Denkmalwerk irrig angibt). Aus Urkunden ergibt<br />

sich nämlich Reutlingen eindeutig als Heimat der Familie<br />

Egen. Auch Tiegerfeld hatte m. W. ein Werk der Reutlinger<br />

Egen. Meines Erachtens muß auch der Meister der Steinhofer<br />

Glocke von 1512 Hans Egen von Reutlingen heißen, nicht<br />

»Eger von Ritlingen«! Oder sollte inzwischen im Volksmund<br />

aus Egen ein Eger geworden sein? Eine Probe auf dem Turm<br />

wäre notwendig.<br />

Die beiden Ringinger Glöckle aus der 1834 abgerissenen<br />

Galluskirche auf dem Gallenberg am westlichen Ortsende<br />

blieben aus Pietät erhalten. Das eine mit den Evangelistennamen<br />

hängt heute auf dem Schulhaus, das aufschriftlose steht<br />

jetzt im Kirchturm. Über Größe und Alter ist mir nichts<br />

bekannt. Das unbeschriftete scheint älter zu sein, das andere<br />

kann ins 13.Jahrhundert zurückreichen. Die (evangelische)<br />

Gemeinde Willmandingen (laut Urkunden um 800 mit Kloster<br />

St. Gallen befaßt), entlieh vor einigen Jahren diese Gallusglocke<br />

vom Kirchturm zu einem historischen Dorffest.<br />

Die Galluskirche mit Bauernhof von Ringingen gehörten<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Allerlei Bei- oder Nebennamen<br />

Fast in allen Ortschaften unserer Heimat gibt es neben den<br />

amtlich festgeschriebenen Familiennamen auch beliebte oder<br />

unerwünschte althergebrachte Beinamen von Familien oder<br />

Häusern. Sie entstanden meist aus unbekannten oder längst<br />

vergessenen Anlässen. Von Haß- oder Streitigkeitsnamen<br />

sind sie streng zu scheiden, wenn sie harmlos und nicht aus<br />

böser Absicht oder Schimpf entsprungen als Übernamen<br />

empfunden werden. Freilich sind die »Geschmäcker« sehr<br />

verschieden, oft gemütlich, andere überempfindlich. Die<br />

Gemeinde Jungingen im Killertal ist für wohlgelittene Beiund<br />

Hausnamen weitum bekannt. Man benutzt sie, schon um<br />

die vielen Speidel, Bosch, Bumiller, Haiß, usw. leicht auseinander<br />

halten zu können. Anderwärts findet man diese Harmonie<br />

nicht in gleichem Maße. Es wird erzählt: Ein Neuzugezogener<br />

habe sich am Biertisch dort geäußert, er sei »der<br />

oazig« (Einzige) im Ort ohne einen Beinamen, was ihm auch<br />

sofort die Bezeichnung »der Oazig« eingebracht habe!<br />

Anderwärts nimmt man die harmloseste Bemerkung gleich<br />

als Beleidigung auf, was sogar zu böser Feindschaft führen<br />

kann. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Vor etwa 30 Jahren<br />

erfuhr ich von einer weitläufig verwandten Frau, man habe<br />

früher meine Familie Kraus »unverschämt« als »Nantes«<br />

tituliert. Sie fügte hinzu, das sei doch ein schlimmer Schimpfname.<br />

Ich lachte ihr ins Gesicht: »Wo ist da ein Schimpf?<br />

Hieß doch ums Jahr 1750 mein direkter Vorfahr Ferdinand<br />

und wurde vom Hairle (Pfarrer) und den Leuten hochspurig<br />

>Ferdinantus< geheißen, von dem in der Folge nur noch<br />

>Nanntes< übrig blieb.« Darauf ein beschämtes Schweigen.<br />

Genau so blieb bei der kritischen Frau Bärbele vom Namen<br />

ihres mir sehr befreundeten Sohnes Christian später im<br />

Volksmund nur noch die Endung »Stiann« übrig, was bei uns<br />

»Stern« bedeutet, und bei den mütterlichen Anrufen ihres<br />

'C<br />

L u c<br />

•- / ••> \<br />

Die Evangelistennamen zwischen den Stegen der Glockenkrone zu<br />

Killer. 12. Jahrhundert (f).<br />

ohne Zweifel seit alter Zeit (vor 1200) mit dem Schweizerkloster<br />

zusammen. Der genannte Bauernhof am Gallenberg löste<br />

erst 1858 seine jährlichen Abgaben an die evangelische Pfarrei<br />

Truchtelfingen ab, die ebenfalls einst zum Kloster St. Gallen<br />

gehörte.<br />

Buben eben deutlich übrig blieb! Es galt beileibe nicht als<br />

Schimpf! Eine in die Familie Hipp in Ringingen hereingeheiratete<br />

Frau stieß sich um 1935 an den Beinamen »Kipf«, bis<br />

ich ihr klarmachen konnte, daß ums Jahr 1660 ein direkter<br />

Vorfahr im Gässle in Ringingen eben Kipf geheißen habe. Er<br />

stammte aus Killer und reichte nach Hechingen zurück, wo<br />

der Schriftsteller Egler noch von einem Flurnamen »khipfte<br />

Wies« zu berichten weiß. Und ein um 1705 in Ringingen<br />

lebender »Kilian Dietz« verheiratete seine Tochter (laut<br />

Häuserbuchs) an einen aus Salmendingen gekommenen<br />

Emele, dessen Nachkommen im Beinamen noch heute an den<br />

Vornamen des alten Schwiegervaters erinnern.<br />

Wieso soll in diesem Beinamen heute denn eine Beleidigung<br />

stecken? Man kennt eben die Zusammenhänge nicht! Und der<br />

Beiname »Kaisers« ruht seit Jahrhunderten auf dem unmittelbar<br />

westlich der Pfarrkirche (jenseits der »Kirchgasse«) stehenden<br />

oder früher gestandenen Haus durch den Wechsel<br />

aller Generationen (zuletzt Faigle-Heinzelmann) seit dem<br />

Jahre 1580, als dort ein aus Hausen bei Killer stammender<br />

Mann namens Kaiser begütert war! Geschichtliche Tatsachen<br />

erweisen sich als mächtiger als alle nichtswissenden Vermutungen!<br />

Daß die »Lutzes« auf einen Ahn Luzius, die benachbarten<br />

»Longis« auf einen Longinus zurückgehen, dürfte<br />

jedem leicht einleuchten! Der verstorbene Josef Dietsich in<br />

der Zuggasse erläuterte mir vor Jahren den Beinamen seiner<br />

Familie: Ein Vorfahr habe als Bub am Straßenrand aus Sand<br />

und Wasser einen kleinen »Gumpen« (Tümpel) gemacht und<br />

auf die Frage, was er tue, geantwortet: »I mach an Blotter«!<br />

(Name für Abrahm der Milch!). Und das gab einen dauernden<br />

Zunamen der Familie. Ein hiesiger Bursche Wahl spielte<br />

47


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

M 3828 F<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

bei den früher jährlich stattfindenden Theaterspielen der<br />

Ledigen eine Prinzenrolle, drum blieb er zeitlebens »der<br />

Prinz«! Sicher ging der Name »Herrgott« eines schwarzwälderschriftstellernden<br />

Paters auf ein altes Volkstheater zurück<br />

und war um 1786 sein amtlicher Familienname. Vor 1872, der<br />

amtlichen Festlegung der Familiennamen, war ja der Verän-<br />

Buchbesprechung<br />

Walther Frick: Felsen, Burgen, Rittersleut. Geschichte und<br />

Geschichten aus dem oberen Donautal. Regio Verlag Glock<br />

und Lutz. Sigmaringendorf 1987.<br />

Heimatkundliches und -geschichtliches erscheint heutzutage<br />

immer dickleibiger und großformatiger, der Leineneinband<br />

und das Hochglanzfoto gehören auch hier inzwischen zur<br />

Grundausstattung. Die Lektüre dagegen - seien wir aufrichtig<br />

- ist oft grausam langweilig. Wie man mit ein wenig<br />

Phantasie auch in bescheidener Aufmachung ein durchaus<br />

gefälliges und ansprechendes Heimatbuch verlegen kann, hat<br />

vor kurzem der Sigmaringendorfer »regio«-Verlag vorgeführt.<br />

Walther Frick erzählt von den Felsen, Burgen und<br />

Rittersleuten des oberen Donautales, und Dominik Frenzls<br />

Illustrationen vergegenwärtigen die Schauplätze in reizenden,<br />

den Text begleitenden Miniaturen. Geschichtlich Verbürgtes<br />

und anekdotisch Überliefertes, selbst Gesehens und<br />

Erlebtes oder nur Gehörtes verarbeitet Walther Frick zu einer<br />

kleinen Geschichte dieser Landschaft und dieses Kulturraumes<br />

zwischen Sigmaringen und Fridingen. Und er garniert<br />

diese Geschichte mit vielen Geschichten, die in dieses Tal<br />

gehören, bislang aber wohl kaum aufgezeichnet wurden. So<br />

entsteht fast beiläufig ein kleines Feuilleton über das obere<br />

Donautal, das den Leser über Natur- und Kulturgeschichte<br />

des »Dääles« ebenso informiert, wie es ihn mit Geschichten<br />

von seinen ehemaligen und heutigen Bewohnern unterhält,<br />

und nicht zuletzt immer wieder Lust macht, das Beschriebene<br />

selbst in Augenschein zu nehmen. Walther Frick berichtet<br />

vom Burgenbau im Mittelalter, zerstreut im Vorbeigehen die<br />

Mär von den Raubrittern im Tal, portraitiert Originale wie<br />

den im Inzigkofer Bahnhofswirtschäftle gestrandeten See-<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der<br />

Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: 8.00 DM jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 65351050).<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

48<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Dr. Casimir Bumiller<br />

Strenzleweg 9a<br />

Peter Kempf<br />

F.H. Bibliothekar<br />

Schloß<br />

7480 Sigmaringen<br />

Pfarrer Johann Adam Kraus<br />

Badstraße 8<br />

7800 Freiburg-Littenweiler<br />

Dr. Maren Kuhn-Rehfus<br />

Schäferweg 10<br />

7480 Sigmaringen<br />

Hans Peter Müller<br />

Weiherplatz 9<br />

7246 Empfingen<br />

derung, Kürzung, Verballhornung der Namen der Familien<br />

überall Tür und Tor geöffnet. Das erfährt jeder, der sich mit<br />

der Erklärung der heute existierenden Familiennamen ernsthaft<br />

befaßt. Schlimm war es vor dem 17. Jahrhundert, als noch<br />

die meisten einfachen Leute weder ihren Namen lesen noch<br />

schreiben konnten!<br />

mann, erinnert an den Dichter Anton Schlude aus Hausen,<br />

wirft einen Blick über die Beuroner Klostermauern zu Arbeit<br />

und Gebet der Mönche und blättert einige Seiten der Zimmernschen<br />

Chronik auf. Er führt seinen Leser zu den Brutstätten<br />

der Vögel und hinab in die Höhlen, in denen es<br />

mitunter über den Skeletten von Weißkopfgeiern gewittern<br />

soll. Und er macht darauf aufmerksam, daß man hier schon<br />

Naturschutz praktizierte, als andernorts das Problem noch<br />

nicht einmal ins Blickfeld geraten war. Walther Frick ist ein<br />

Meister des »apropos«, des »nebenbei bemerkt«, der es<br />

immer wieder versteht, ohne sich an ein dürres Gliederungsschema<br />

zu halten, das, was er zu erzählen weiß, in seine<br />

lebendige Schilderung einzuweben. So entsteht auf nur hundert<br />

Seiten ein farbiges Panorama einer Landschaft, die als<br />

wenig gewinnversprechendes Objekt industrieller oder touristischer<br />

Nutzung, Gott sei Dank, von großmannssüchtiger<br />

Erschließung bislang verschont geblieben ist. Wie man solide<br />

Information mit heiterer Anekdote zu einer unterhaltsamen<br />

kleinen Heimatkunde arrangieren kann, führt Walther Frick<br />

in seinem Buch vor. Dem auswärtigen Wanderer, der etwas<br />

mehr über Land und Leute entlang seiner Route erfahren will,<br />

sei das Büchlein wärmstens empfohlen. Und auch Einheimische<br />

sollten sich vor dem nächsten Ausflug ins Donautal die<br />

vergnügliche Lektüre nicht entgehen lassen. Allerdings, um<br />

im Rucksack zwischen harten Eiern und der Wasserflasche<br />

zerdrückt zu werden, dafür ist das hübsch aufgemachte<br />

Büchlein von Walther Frick zu schade.<br />

Apropos: Für den regionalgeschichtlich Interessierten enthält<br />

der Verlagsprospekt von »regio« noch mehr Bemerkenswertes<br />

. Klaus Peter Burkarth<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a<br />

8430 Neumarkt<br />

Karl Werner Steim<br />

Wegscheiderstraße 26<br />

7940 Riedlingen<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen Telefon 07574/4211<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herrenhaus Jannewitz, Krs. Schlawe, Pommern, aufgenommen im Sommer 1932<br />

OTTO H. BECKER<br />

Die Fiirstl. Hohenz. Besitzungen in Pommern<br />

Ein geschichtlicher Uberblick<br />

1) Die Entstehung des Besitzes<br />

Die Güter in Pommern zählten 1945 nach Größe und<br />

Umfang nach denen in der Mark Brandenburg und in Hohenzollern<br />

zu den bedeutendsten Besitzungen des Fürsten Friedrich<br />

von Hohenzollern. Sie rangierten damit größenmäßig<br />

noch vor den Besitzungen in der Tschechoslowakei (Böh-<br />

* Leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags des Autors aus: Hofkammer-Mitteilungen<br />

3 (1986).<br />

Herausgegeben vom<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

38. Jahrgang Nr. 4 / Dezember 1988<br />

misch Eisenstein, Bistritz, Obercerekwe, Deffernik, Stekken),<br />

Bayern (Bayerisch Eisenstein), Schlesien (Hohlstein)<br />

und Baden (Umkirch). Gegen Ende des 19.Jahrhunderts<br />

übertraf der Fürstl. Hohenzollernsche Besitz in den preußischen<br />

Provinzen Pommern und Posen nach Umfang sogar<br />

noch den in den Hohenzollernschen Landen.<br />

Während jedoch die Besitzungen in Hohenzollern, Baden,<br />

Schlesien und in der Mark Brandenburg im wesentlichen


ererbten Besitz darstellten, sind die Komplexe in Böhmen,<br />

Bayern und in den Provinzen Pommern und Posen vornehmlich<br />

aus umfangreichen Land- und Güteraufkäufen der Fürsten<br />

Karl (1783-1853) und Karl Anton (1811-1885) von<br />

Hohenzollern hervorgegangen.<br />

Die wichtigsten Ankäufe in den Provinzen Pommern und<br />

Posen wurden von Fürst Karl Anton in den Jahren 1872 bis<br />

1876 getätigt. Diese sollen hier kurz angegeben werden:<br />

- Rittergut Schweinen (Kreis Birnbaum, Regierungsbezirk<br />

Posen, Provinz Posen). Das Gut, das 5816 ha umfaßte,<br />

wurde mit Kaufvertrag vom 28. September 1872 für 182 000<br />

Taler von dem Rittergutsbesitzer Paul Dietz erworben.<br />

- Rittergut Dratzig mit Besitz in Nothwendig, Miala und<br />

Filehne (Kreis Czlrnikau, Regierungsbezirk Bromberg,<br />

Provinz Posen). Der Besitz wurde mit Kaufverträgen vom<br />

28. Februar und 23.Juni 1873 von dem Rittergutsbesitzer<br />

Rudolph von Schulz erworben. Der genaue Preis und der<br />

damalige Umfang konnten anhand der vorliegenden Akten<br />

nicht festgestellt werden.<br />

- Rittergüter Manow mit Roßnow, Grünhof und Seydel<br />

(Kreise Köslin und Bublitz, Regierungsbezirk Köslin, Provinz<br />

Pommern). Die Güter wurden mit Kaufvertrag vom<br />

18. Juni 1873 von dem Rittergutsbesitzer Georg Holtz für<br />

750000 Taler gekauft. Die Größe der Objekte wird mit<br />

insgesamt 22528 Magdeburger Morgen angegeben.<br />

- Rittergut Jannewitz mit Suckow, Santow, Größ-Quäsdow,<br />

Klarenwerder und mit einem Grundstück des Ritterguts<br />

Crange (Kreise Köslin und Bublitz, Regierungsbezirk<br />

Köslin, Provinz Pommern). Der Besitz wurde mit Kaufvertrag<br />

vom 20. Mai 1874 von Graf Werner von Blumenthal<br />

auf Jannewitz für 1 000 000 Taler erworben; er umfaßte<br />

6736 ha. In der Folgezeit wurde dieser Besitz als »Jannewitzer<br />

Begüterung« bezeichnet.<br />

- Rittergut Viverow a Viverow b (Kreis Bublitz, Regierungsbezirk<br />

Köslin, Provinz Pommern). Die Rittergüter, die<br />

eine Gesamtfläche von 1006,70 ha aufwiesen, wurden mit<br />

Kaufvertrag vom 8. Juni 1874 von den Hellermannschen<br />

Erben erworben. Der Kaufpreis betrug 148000 Taler.<br />

- Antonswald (Kreis Samter, Regierungsbezirk Posen, Provinz<br />

Posen). Der Besitz bestand aus den auf der rechten<br />

Seite der Warthe gelegenen Gütern von Biezdrowo. Der<br />

Kaufvertrag wurde am 1. August 1876 abgeschlossen. Der<br />

Kaufpreis und der damalige Umfang des Objekts konnten<br />

nicht festgestellt werden. 1898 wies der Antonswald 3160<br />

ha auf.<br />

In den folgenden Jahren war man seitens der Fürstl. Verwaltung<br />

zunächst bestrebt, die Besitzungen in den Provinzen<br />

Pommern und Posen durch weitere Ankäufe, die hier im<br />

einzelnen nicht dargestellt werden sollen, zu vergrößern und<br />

abzurunden. Es kamen freilich auch Veräußerungen vor, die<br />

dann im Verkauf der gesamten Besitzungen in der Provinz<br />

Posen unter Fürst Leopold von Hohenzollern (1835-1905)<br />

gipfelten. So wurde der Komplex Schweinert mit der Gesamtfläche<br />

von 6741 ha mit Kaufvertrag vom 7./13. Juli 1896 für<br />

600000 Mark an den Rittmeister a.D. Schlüter verkauft. Mit<br />

Kaufvertrag vom 20./21. November 1902 wurde dann das<br />

Rittergut Dratzig mit den Besitzungen in Nothwendig und<br />

Miala sowie der Antonswald für 3200000 Mark an den<br />

preußischen Fiskus veräußert. Dieser Komplex umfaßte<br />

17544 ha.<br />

2) Der Aufbau der Verwaltung<br />

Dem Ankauf des gewaltigen, wenn auch nicht zusammenhängenden<br />

Besitzes in den Provinzen Pommern und Posen<br />

folgte die verwaltungsmäßige Erschließung und Integration<br />

in den Fürstl. Hohenzollernschen Verwaltungsapparat.<br />

Bevor wir uns jedoch dem Aufbau der Fürstl. Verwaltung in<br />

50<br />

den Provinzen Pommern und Posen zuwenden, soll hier erst<br />

noch die Fürstl. Hohenz. Hofkammerverwaltung vor dem<br />

Ende der Monarchie skizziert werden.<br />

Nach Abschaffung der Geheimen Konferenz 1867 wurde die<br />

1832 geschaffene Hofkammer zur Obersten, unmittelbar den<br />

Fürsten von Hohenzollern unterstellte Behörde zur Verwaltung<br />

des Fürstl. Domanialbesitzes, d. h. zur obersten Behörde<br />

für die Verwaltung der Fürstl. Domänen und Forsten eingesetzt.<br />

Der Fürstl. Hofkammer unterstellt waren die Rentämter,<br />

die vor Ort die Verwaltung des Fürstl. Domänenbesitzes<br />

besorgten. Außerdem waren sie für die örtliche Bauverwaltung<br />

zuständig.<br />

Der Unterbau der Hofkammer im Bereich der Forstverwaltung<br />

war hingegen dreistufig. Unmittelbar unter der Hofkammer<br />

bestanden die drei Forstinspektionen Sigmaringen,<br />

Beutnitz in der Mark Brandenburg und Bistritz in Böhmen.<br />

Den Forstinspektionen unterstanden die Oberförstereien,<br />

denen wiederum Schutzbezirke zugeordnet waren.<br />

Zur Verwaltung des erworbenen Domänenbesitzes der Rittergüter<br />

Dratzig und Schweinert schuf Fürst Karl Anton mit<br />

Erlaß vom 27.Juli 1873 ein Fürstl. Hohenzollernsches Rentamt<br />

in Nothwendig. Mit gleichem Erlaß wurde für das<br />

Rittergut Manow mit Roßnow, Grünhof und Seydel die<br />

Fürstl. Hohenz. Rendantur Manow gebildet.<br />

Die Vermehrung des Fürstl. Besitzes wirkte sich in der<br />

Folgezeit auch auf die Verwaltungsstruktur in den Provinzen<br />

Posen und Pommern aus. Mit Erlaß vom 20. Dezember 1882<br />

schuf Fürst Karl Anton als Mittelinstanz zwischen der Hofkammer<br />

und den Rentämtern die Fürstl. Hohenzollernsche<br />

Domänenadministration Nothwendig. Ihr wurden die Rentämter<br />

Beutnitz (Regierungsbezirk Frankfurt a.d.Oder), die<br />

Rendantur Manow zu Köslin und das Rentamt Dratzig zu<br />

Nothwendig unterstellt. Am gleichen Tag wurde der Rittergutsbesitzer<br />

und Fürstl. Hofkammerrat Philipp von Nathusius<br />

Ludom aus Neinstedt mit der Administration beauftragt<br />

und außerdem mit der Leitung des Rentamts Dratzig betraut.<br />

Die Fürstl. Hohenzollernsche Domänenadministration<br />

Nothwendig hatte indes nur kurzen Bestand. Mit Erlaß des<br />

Fürsten Karl Anton von Hohenzollern vom 25. Mai 1884<br />

wurde die Domänenadministration aufgehoben und ihre<br />

Funktionen dem Fürstl. Hohenzollernschen Rentamt Dratzig<br />

zu Nothwendig übertragen. Mit Wirkung vom 1. Januar<br />

1885 wurde sodann die Vereinigung der beiden Rentämter<br />

Dratzig und Manow mit dem Sitz in Köslin verfügt. Das<br />

vereinigte Rentamt führte danach die Bezeichnung Fürstl.<br />

Hohenzollernsches Rentamt Köslin. Am seitherigen Sitz des<br />

Rentamts Dratzig in Nothwendig verblieb eine rentamtliche<br />

Zahlstelle. Der Wohnsitz des Fürstl. Baumeisters wurde von<br />

Filehne nach Nothwendig verlegt. Die Zahlstelle in Nothwendig<br />

ist dann nach dem Verkauf des Komplexes Dratzig<br />

und dem Antonswald mit Wirkung zum 1. August 1903<br />

aufgehoben worden.<br />

Im Gegensatz zur Verwaltung der Fürstl. Güter hat in den<br />

Besitzungen in den Provinzen Pommern und Posen niemals<br />

eine eigene Forstinspektion bestanden.<br />

Für den Bereich der Forstverwaltung war dort vielmehr die<br />

Forstinspektion Beutnitz in der Mark Brandenburg zuständig.<br />

Dieser wiederum zugeordnet waren nach dem Stand von<br />

1898 die Oberförstereien Antonswald (Kreis Filehne, Regierungsbezirk<br />

Bromberg), Manow (Kreise Köslin und Bublitz,<br />

Regierungsbezirk Köslin) und Suckow (Kreis Schlawe,<br />

Regierungsbezirk Köslin). Die Oberförstereien waren in<br />

Schutzbezirke untergliedert. Nach dem Verkauf des Rittergutes<br />

Dratzig mit Zubehörungen wurden mit Wirkung zum<br />

1. August 1903 die Oberförstereien Antonswald und Dratzig<br />

aufgehoben.


3) Die Entwicklung des Besitzes<br />

Wie bereits deutlich gemacht, war der Fürstl. Besitz in<br />

Pommern und in der Provinz Posen, was seinen Umfang<br />

anbelangt, einem Wandel unterworfen. Dieser soll im<br />

Anschluß anhand des in den Handbüchern der Fürstl.<br />

Hohenzollernschen Hofverwaltung von 1898 und 1911 enthaltenen<br />

Zahlenmaterials objektiviert werden.<br />

1898 setzte sich der Fürstl. Besitz in den Provinzen Pommern<br />

und Posen aus folgenden Realitäten zusammen:<br />

Gebäude und Hofräume 51,3612 ha<br />

Gärten 22,7860 ha<br />

Äcker 5414,2821 ha<br />

Wiesen 960,2319 ha<br />

Waldungen 21 490,6374 ha<br />

Weiden, Ödungen, Wege 2 518,5005 ha<br />

Teiche und Gewässer 737,0299 ha<br />

Der pommersche Besitz des<br />

bestand im Jahre 1911 aus:<br />

Grundfläche der Gebäude<br />

und Hofräume<br />

Gärten<br />

Äcker<br />

Wiesen<br />

Waldungen<br />

Weiden, Ödungen, Wege<br />

Teiche, Gewässer<br />

31 194 8290 ha<br />

Fürsten von Hohenzollern<br />

30,1447 ha<br />

6,5020 ha<br />

3768,3811 ha<br />

681,1764 ha<br />

7472,5239 ha<br />

938,3841 ha<br />

516,6230 ha<br />

13413,7352 ha<br />

Danach hatte sich der Fürstl. Besitz zwischen 1898 und 1911<br />

östlich der Mark Brandenburg um rund 17 781 ha vermindert.<br />

Wenn man aber bedenkt, daß allein durch den Verkauf des<br />

Komplexes Schweinert mit insgesamt 6741 ha im Jahre 1896<br />

und Dratzig mit insgesamt 17544 ha im Jahre 1902 sich der<br />

Gesamtbesitz des Fürsten von Hohenzollern um rund 24522<br />

ha vermindert hatte, dann müssen in dem verbliebenen<br />

Bereich in Pommern noch eindrucksvolle Ankäufe stattgefunden<br />

haben. Die Fürstl. Güter zählten damit zu den größten<br />

Besitzungen in Pommern, genauer gesagt Hinterpommern.<br />

Die Bodenbeschaffenheit der Güter war freilich nicht die<br />

beste. Sie eignete sich lediglich für den Anbau von Roggen,<br />

Kartoffeln und Hafer. Anfangs wurden die Güter verpachtet,<br />

und zwar die im Kreise Köslin getrennt und die im Kreise<br />

Schlawe in einer Hand. Einzelverpachtet waren die Fischgewässer.<br />

Dagegen befanden sich die Spiritusbrennereien in der<br />

Selbstbewirtschaftung des Fürstl. Hohenz. Rentamts Köslin.<br />

Die Einführung der Selbstbewirtschaftung der Güter, die<br />

weit ab vom Mittelpunkt der Zentralverwaltung lagen,<br />

geschah unfreiwillig und ging von der Begüterung im Kreis<br />

Schlawe aus. Als dort nämlich der letzte Pächter im Juli 1900<br />

starb, fand sich kein Pächter mehr für den großen Besitz. Die<br />

Einzelverpachtung war aus betriebstechnischen Gründen<br />

sowie wegen Fehlens von Pächterhäusern nicht möglich. So<br />

sah sich die Fürstl. Verwaltung gezwungen, das lebende und<br />

tote. Inventar zu übernehmen, und bildete zwei Gutsadministrationen.<br />

Die kleinere Administration mit den Besitzungen<br />

in Seydel, Viverow und Roßnow umfaßte ca. 1300 ha, die<br />

größere mit den Gütern in Jannewitz und Umgebung wies ca.<br />

2500 ha auf. Die Leitung dieser Gutsadministrationen oblag<br />

Fürstl. Administratoren.<br />

Auch der norddeutsche Forstbesitz der Fürsten von Hohenzollern<br />

war von geringerer Qualität als der süddeutsche. So<br />

wies 1911 der Bezirk der Forstinspektion Sigmaringen mit<br />

einer Gesamtfläche von 11510 ha 46 750 Fm jährliche Hauptnutzung<br />

auf. Der Bezirk der Forstinspektion Beutnitz in<br />

Norddeutschland brachte es im gleichen Jahr bei einer<br />

Gesamtfläche von 26402 ha nur auf eine Hauptnutzung von<br />

32576 Fm.<br />

Trotz dieser negativen Aspekte stellte der pommersche Besitz<br />

mit einer Gesamtfläche von 13 413,7 ha ein riesiges Vermögen<br />

dar. Wie wir aus einem Erlaß des Fürsten Wilhelm von<br />

Hohenzollern vom 8. Oktober 1917 erfahren, waren Interessenten<br />

damals vornehmlich im Hinblick auf dort vermutete<br />

Bodenschätze bereit gewesen, für den Fürstl. Besitz in Pommern<br />

18 000000 Mark zu bezahlen. Der Fürst war deshalb der<br />

Überzeugung, an dem pommerschen Besitz unbedingt festhalten<br />

zu müssen.<br />

4) Die Situation nach dem 1. Weltkrieg<br />

Der Untergang der Monarchie und die Gründung der Weimarer<br />

Republik bedeuteten für das Haus Hohenzollern<br />

zunächst den Verlust der noch bestehenden Vorrechte wie<br />

z. B. die Steuerbefreiung. Auch verloren die Fürstl. Behörden<br />

ihren öffentlich-rechtlichen Charakter. Vor allem aber wurde<br />

der pommersche Besitz der Fürsten von Hohenzollern immer<br />

mehr in den Strudel der sogen. Agrarkrise des Ostens mithineingerissen.<br />

Über die ökonomische Entwicklung der pommerschen Güter<br />

informiert anschaulich ein Gutachten des Hofkammerrats<br />

Dr. Paeffgen vom 30. September 1930. Danach erwirtschafteten<br />

die Güter in Pommern, die bis zum Kriegsbeginn noch<br />

einigermaßen rentabel waren, ab 1924 nur noch Verluste.<br />

Zum 1. Juli 1930 waren Schulden in Höhe von 1600000 RM<br />

aufgelaufen. Die Fürstl. Verwaltung mußte sich von dem<br />

Administrator Meyer-Bornhofer trennen.<br />

Niederschmetternd war auch die Situation der Forsten. In<br />

dem Jahresbericht der Fürstl. Hofkammer für 1929 heißt es:<br />

»Der in den Jahren 1927 und 1928 in Manow und Suckow<br />

aufgetretene Kiefernspannerfraß hat im Jahre 1928 seinen<br />

Höhepunkt erreicht. Als Folge des zweimaligen Licht- bzw.<br />

Kahlfraßes mußten 1929 in der Oberförsterei Manow 161 ha<br />

mit einem geschätzten Anfall von rund 12000 Fm zum<br />

Einschlag kommen. ... In der Oberförsterei Suckow mußten<br />

insgesamt rund 130 ha in Folge des Spannerfraßes abgeschrieben<br />

werden.«<br />

Auch die Verwertung des angefallenen Holzes stieß auf<br />

Schwierigkeiten. So heißt es in dem zitierten Jahresbericht:<br />

»Der Holzanfall in den norddeutschen Revieren kann immer<br />

noch nicht als normal bezeichnet werden. Die Holzpreise<br />

sind deshalb nicht vergleichbar, da infolge des Spannerfraßes<br />

in Manow und Suckow besonders viel Grubenholz anfiel,<br />

während in den Beutnitzer Revieren immer noch Nachhiebe<br />

als Folge des Forleulenfraßes notwendig wurden. Die Holzpreise<br />

sind gegenüber 1928 um ca. 25-30% gesunken.«<br />

In dem erwähnten Gutachten von Hofkammerrat Dr. Paeffgen<br />

wird die Situation wie folgt bewertet: »Der forstliche<br />

Besitz in der Mark Brandenburg [mit Pommern] in Größe<br />

von rund 18 000 ha, früher als Rückgrat der ganzen Verwaltung,<br />

ist durch eine Fraßkatastrophe (Forleule) auf unabsehbare<br />

Zeit nicht nur ertraglos geworden, sondern erfordert<br />

große Zuschüsse für Aufforstungen, Gehälter der Beamten<br />

usw. Das durch den Fraß angefallene Holz kam in eine so<br />

schlechte Verwertungsperiode hinein, daß der Erlös nicht<br />

einmal die Kosten der Aufarbeitung und des Abtransports<br />

deckte.«<br />

Die katastrophale Entwicklung der Forstwirtschaft in Norddeutschland<br />

zwang die Fürstl. Verwaltung zu Einsparungen<br />

und zur Straffung des Behördenaufbaus. So wurde die Fürstl.<br />

Hohenzollernsche Forstinspektion Beutnitz mit Wirkung<br />

51


zum 1. Dezember 1929 aufgehoben. Die Funktionen der<br />

Forstinspektion gingen teils auf die bestehenden Oberförstereien,<br />

im wesentlichen aber auf die Hofkammer über.<br />

5) Die Veräußerung der Jannewitzer Begüterung<br />

Die Empfehlung des Fürsten Wilhelm von Hohenzollern, an<br />

dem pommerschen Besitz festzuhalten, wurde, wie wir aus<br />

dem Zahlenmaterial des Handbuchs der Fürstl. Hohenzollernschen<br />

Hofkammerverwaltung von 1927 entnehmen können,<br />

auch noch nach dem Auftreten der ersten Verluste<br />

befleißigt. Danach setzte sich der Fürstl. Besitz aus folgenden<br />

Flächen zusammen:<br />

Grundfläche der Gebäude<br />

und Hofräume 27,9227 ha<br />

Gärten 6,8394 ha<br />

Äcker 3229,0331 ha<br />

Wiesen 511,5878 ha<br />

Waldungen 7445,4123 ha<br />

Weiden, Ödungen, Wege 892,5928 ha<br />

Teiche, Gewässer 495,6134 ha<br />

52<br />

12609,0015 ha<br />

Gegenüber 1911 hatte sich der Fürstl. Besitz in Pommern,<br />

d.h. im Bereich des Rentamts Köslin, nur um rund 800 ha<br />

vermindert.<br />

Die Situation im Jahre 1930 charakterisiert Hofkammerrat<br />

Dr. Paeffgen folgendermaßen: »Hier steht mehr auf dem<br />

Spiel als ein Außenstehender, der mit den Verhältnissen nicht<br />

vertraut ist, ahnt. Diese Betriebe, mögen sie auch groß sein<br />

und einem Prinzen von Hohenzollern gehören, sind in das<br />

soziale Gefüge des Staates genauso eingegliedert, wie jeder<br />

andere landwirtschaftliche Betrieb, sie erfüllen genau den<br />

gleichen Zweck, Produkte für die Ernährung des Volkes zu<br />

erzeugen, darum darf auch keine Differenzierung gegen<br />

andere Güter stattfinden. Wenn es uns nicht gelingt, die<br />

bisherigen laufenden Schulden in langfristige Kredite mit<br />

erträglichem Zinsfuß zu überführen und die Betriebe wieder<br />

rentabel zu machen, oder wenigstens ins Gleichgewicht zu<br />

bringen, so droht der völlige Zusammenbruch eines der<br />

größten landwirtschaftlichen Betriebe Hinterpommerns mit<br />

seinen Begleiterscheinungen. Auf den Gütern sind zur Zeit an<br />

Beamten und Arbeitern beschäftigt ca. 175 Familien mit 427<br />

Köpfen. Diese würden brotlos werden, wenn der Betrieb<br />

eingestellt würde. Es liegt uns fern, damit nach irgendeiner


Richtung einen Druck auszuüben, denn die geschilderten<br />

Verhältnisse ergeben ohne weiteres zwingende Schlüsse. Wie<br />

die Betriebe jetzt liegen, bedrohen sie den Bestand des Prinz<br />

von Hohenzollernschen Hauses und es muß darin eine<br />

Änderung eintreten oder wir sehen uns gezwungen, zu<br />

radikalen Maßnahmen zu schreiten. Unser Antrag geht<br />

dahin, an etwaiger Osthilfe für unsere pommerschen Betriebe<br />

in gleicher Weise wie die übrige Landwirtschaft des Ostens<br />

beteiligt zu werden. Geholfen wäre uns schon mit einem<br />

langfristigen Darlehen von einer Million Reichsmark zu<br />

einem mäßigen Zinsfuß.«<br />

Die Hoffnungen der Fürstl. Hofkammer, die pommerschen<br />

Güter mit einem langfristigen Kredit sanieren zu können,<br />

mußten jedoch alsbald begraben werden. Durch Reichsgesetz<br />

war im Jahre 1931 die Sanierungshilfe für Güter an die<br />

Bedingung geknüpft worden, daß für Bauernsiedlungen Land<br />

abgegeben werden mußte. Ein weiteres Gesetz wurde vorbereitet,<br />

das die Zwangsenteignung nicht mehr entschuldungsfähiger<br />

Güter zum Zweck der Siedlung vorsah.<br />

Bei der Lage der Dinge war an einem absoluten Festhalten an<br />

den pommerschen Gütern nicht mehr zu denken. Mit Kaufvertrag<br />

vom 3. Dezember 1931 wurden 2810 ha landwirtschaftliche<br />

Nutzfläche der sog. Jannewitzer Begüterung in<br />

Jannewitz, Lantow, Groß- und Klein-Quäsdow, Roßnow,<br />

Seydel und Vieverow (Kreise Schlawe und Köslin) an die<br />

Bauernhof Siedlungsgesellschaft in Berlin verkauft.<br />

Von dem Kaufpreis in Höhe von 1450000 RM wurden<br />

700000 RM zur Abdeckung aufgelaufener Schulden sogleich<br />

ausbezahlt. Außerdem übernahmen die Käufer Hypotheken<br />

in Höhe von 68000 RM. Die restlichen 482000 RM waren<br />

von dem Käufer mit höchstens 9% bzw. mindestens mit 5%<br />

zu verzinsen. Zu den Zinsen kam dann noch eine Amortisationsquote<br />

von jährlich 0,5%. Wegen der schlechten Zahlungsmoral<br />

des Käufers sind in der Folgezeit, wie aus den<br />

umfangreichen Akten darüber zu entnehmen ist, immer<br />

wieder Streitigkeiten zwischen der Fürstl. Hofkammer und<br />

der Siedlungsgenossenschaft entstanden.<br />

HANS-DIETER LEHMANN • OTTO BOGENSCHUTZ<br />

Anmerkungen zum »Käpfle« über Burladingen<br />

Im Schwarzwälder Boten vom 25. August 1988 erschien ein<br />

Aufsatz mit dem Titel »Das Burladinger Käpfle in keltischer<br />

Hand«. Der nicht mit Namen gekennzeichnete Beitrag<br />

befaßte sich mit der Frühgeschichte dieses Berges oberhalb<br />

der Wasserscheide zwischen Starzel und Fehla, auf der das<br />

römische Kastell des Alblimes gelegen hatte. Aus den auf dem<br />

Berg an der Oberfläche sichtbaren Befunden zusammen mit<br />

von hier stammenden Funden aus vorrömischer, römischer<br />

und frühmittelalterlicher Zeit wurde über die einstige Bedeutung<br />

der Anlagen spekuliert: vom mittelalterlichen Burgstall<br />

(C. Bizer, J.A. Kraus) über einen Alb-Limes-Feuerturm<br />

(R. Simmendinger) bis hin zu einer Wehranlage der Kelten<br />

(Dr. G. Wiebusch), letzteres geschlossen aus Übereinstimmungen<br />

im Erscheinungsbild mit der »Wildenburg« bei Idar-<br />

Oberstein. Die Beobachtung einer Ähnlichkeit der Formationen<br />

am »Käpfle« mit Gegebenheiten in linksrheinischen<br />

Anlagen am Hunsrück und im Moselraum ist aufschlußreich<br />

deshalb, weil von dort mehrere befestigte Höhensiedlungen<br />

als Zufluchten der Provinzial-Bevölkerung aus der Endzeit<br />

des römischen Reichs bekannt sind (Gilles 1985). Die<br />

Befunde am »Käpfle« machen es wahrscheinlich, daß dem<br />

Berg hier zur gleichen Zeit, d.h. zur Zeit der »frühen<br />

Alamannen« bei uns, eine entsprechende Funktion zukam.<br />

Die erworbenen landwirtschaftlichen Nutzflächen wurden<br />

von der Siedlungsgesellschaft sodann parzelliert und 289<br />

Siedlerstellen geschaffen. Das Siedlerdorf, das den Namen<br />

Hohenzollern erhielt, zählte alsbald 1150 Bewohner.<br />

Von der Veräußerung der Jannewitzer Begüterung blieben<br />

die Forsten in Pommern unberührt. Auch verblieben zur<br />

Nebenbewirtschaftung durch das Forstpersonal einige landwirtschaftliche<br />

Flächen im Fürstl. Besitz.<br />

Doch auch nach der Veräußerung der Jannewitzer Begüterung<br />

stellte der Fürstl. Besitz in Pommern einen gewaltigen<br />

Komplex dar. Wie wir aus Aufzeichnungen des früheren<br />

Hofkammerpräsidenten Dr. Aengenheister entnehmen können,<br />

wies der gesamte Besitz des Fürsten Friedrich von<br />

Hohenzollern in Pommern am 1. April 1945 eine Fläche von<br />

insgesamt 9 011,11 ha auf. Der pommersche Besitz des Fürstl.<br />

Hauses Hohenzollern wurde damals somit nur von den<br />

Gütern in der Mark Brandenburg, die insgesamt 21962,56 ha<br />

aufwiesen, und den Besitzungen in Hohenzollern, die<br />

14235,91 ha umfaßten, übertroffen.<br />

Quellen: Staatsarchiv Sigmaringen, Depositum Fürstl. Hohenz.<br />

Haus- und Domänenarchiv, DS AA 75,1; 75,3-6; 116,1-2; NVA 17.<br />

420, 17.433, 17.463, 24.077, 24.154, 24.157, 24.174, 24.201, 26.140,<br />

27.715,27. 739, 27.816,27.820, 29.183,34.246,35.804,36.836; Sa 749<br />

(Jakob Paeffgen, Die Fürstl. Hohenz. Hofkammerverwaltung,<br />

Manuskript 1932); Sa 220 (Heinrich Aengenheister, Die Entstehung<br />

des Grundbesitzes des Fürsten Friedrich von Hohenzollern, Manuskript<br />

o.J.)<br />

Literatur: Handbuch der Fürstl. Hohenzollernschen Hofkammer-<br />

Verwaltung 1898, Stuttgart 1898; dass, für 1907, Stuttgart 1907; dass,<br />

für 1911, Stuttgart 1911; dass, für 1927, Ravensburg 1927.<br />

Abbildungsnachweis: Das Fürstl. Herrenhaus in Jannewitz im Jahr<br />

1932 (Depositum Fürstl. Hohenz. Haus- und Domänenarchiv, SaEg<br />

Nr. 56). Orientierungskarte über die Fürstl. Hohenz. Besitzungen in<br />

den ehemaligen Provinzen Pommern und Posen. Angefertigt von<br />

H. Liebhaber, 1986.<br />

In erster Linie aber, über sehr viel längere Zeiten hinweg, war<br />

das »Käpfle« genau das, was der heutige Name noch aussagt:<br />

es war ein Kapf, eine Warte, ein Platz, von dem nicht nur in<br />

Notzeiten Ausschau gehalten worden ist. Diese Bedeutung<br />

des Flurnamens »Kapf« ist bereits in althochdeutschen Glossen<br />

zum Boethius belegt: »aba demo hohesten chapfe« wird<br />

gleichgesetzt mit »ex alta specula«. Der Ausdruck hängt<br />

zusammen mit mittelhochdeutsch »kapfen« und modernem<br />

»gaffen« für »schauen, Ausschau halten« (Grimm 1873).<br />

Kapf ist als Flurbezeichnung in Südwestdeutschland nicht<br />

selten; ganz besonders häufig kommt der Name an der<br />

Zollernalb vor. Nicht selten fällt er auf Ortlichkeiten mit voroder<br />

frühgeschichtlichen Wallanlagen, meist in Form von<br />

Bergspornen, die durch Wall und Graben abgegrenzt sind.<br />

Die Auswertung von über 200 derartigen Plätzen ließ erkennen,<br />

daß diese Warten der Frühzeit im Gelände nach<br />

bestimmten Gesichtspunkten angelegt worden waren: sie<br />

treten oft in Gruppen auf und sind in ihrer Lage auf einen<br />

Mittelpunkt, genauer: auf ein Doppel-Zentrum ausgerichtet.<br />

Diese Mitte besteht aus einer Anhöhe unfern dem in nordwestlicher<br />

Richtung davon gelegenen eigentlichen Zentrum.<br />

In der Anordnung um dieses herum zeichnet sich als Schema<br />

ab, daß sowohl die Himmelsrichtungen als auch Winkelab-<br />

53


stände von genau 15° und 30° zwischen den im Umkreis<br />

liegenden Örtlichkeiten eine Rolle spielen. Manchmal liegen<br />

auch auf einem Radius in einem solchen Kapf-System mehrere<br />

dieser Örtlichkeiten. Aus solchen Anordnungen ist für<br />

die Warten zu schließen, daß sie primär keine Wehranlagen<br />

waren. Es wäre nicht einzusehen, warum derartige Gesichtspunkte<br />

und nicht militärische Überlegungen und die Gegebenheiten<br />

des Geländes die Platzwahl hätten bestimmen<br />

sollen. Daß im Fall einer Benützung in mehreren Perioden<br />

mit Wall und Graben ausgestattete Anlagen zu bestimmten<br />

Zeiten auch als Zuflucht gedient haben mögen, soll dabei<br />

keineswegs geleugnet werden, auch nicht für das Käpfle über<br />

Burladingen. Als primäre Zweckbestimmung bleibt unter<br />

diesen Gesichtspunkten nur eine, die in dem obskuren<br />

Bereich früher religiöser Vorstellungen anzusiedeln wäre.<br />

Dazu paßt aber ausgezeichnet, daß in den etwa zwei Dutzend<br />

solcher Kapf-Systeme zwischen Oberrhein, Allgäu und mittlerem<br />

Neckar an wichtigen Punkten darin einige unserer<br />

ältesten Kirchen und Kapellen liegen; vor allem Feldkirchen,<br />

abgegangene und heute noch bestehende wie die Wurmlinger<br />

Kapelle, die Salmendinger Kapelle, die Obere Kirche bei<br />

Nagold, die Heidenkapelle bei Belsen und einige andere.<br />

Voraussetzung für einen Zusammenhang dieser frühen<br />

christlichen Gotteshäuser mit einem vor-christlichen Kult in<br />

alamannischer und früherer Zeit ist die Kult-Tradition des<br />

Ortes, d.h. eine ältere Lehrmeinung, die allerdings von<br />

manchen wie z.B. Blessing (1962) bestritten wurde.<br />

Die deutlichsten und in ihren Zusammenhängen am besten<br />

erkennbaren Kapf-Systeme liegen im Raum an der obersten<br />

Donau und auf der Zollern-Alb. Hier bilden der Hohenzollern<br />

und das Zellerhorn einerseits, das Zollerbergle und der<br />

Kornbühl auf dem Heufeld andererseits die Mittelpunkte von<br />

zwei sich über dem Killertal überschneidenden großen Systemen.<br />

Kleinere liegen in der Nachbarschaft bei Tailfingen<br />

(Burg) und über Gauselfingen (Hoher Kopf). Das Käpfle<br />

über Burladingen gehört in das Heufeld-System: es liegt<br />

genau in der Mittagslinie des Zollerbergle. Der nur wenig<br />

westlicher gelegene Obere Berg wäre von der Lage, d.h. von<br />

der Himmelsrichtung her, in das benachbarte System um den<br />

Hohenzoller einzuordnen. Hier sind aber vor Ort an der<br />

Oberfläche keinerlei Hinweise auf einen Kapf festzustellen.<br />

HERBERT BURKARTH<br />

Eine Grund-Voraussetzung jedoch erfüllt die höchste Stelle:<br />

nur von hier besteht - über den Himberg hinweg - eine<br />

direkte Sichtverbindung mit dem Zollergipfel.<br />

Wenn oben vermerkt wurde, daß an einigen Stellen in<br />

derartigen Kapf-Systemen die Kult-Tradition aus dem alamannischen<br />

Heidentum bis in christliche Zeiten hinein bestehen<br />

blieb, dann ist dies vielleicht auch für das Käpfle zu<br />

vermuten. Kraus (1957) sucht auf den Höhen um Burladingen<br />

eine a. 1185 genannte und abgegangene Kapelle mit den<br />

Patronen Petrus, Paulus und Johannes dem Täufer. Ein »Sant<br />

Peters wißlin« wird noch a. 1544 erwähnt; lokalisiert ist<br />

beides bislang nicht, ein Zusammenhang mit dem Käpfle ist<br />

allenfalls ein Verdacht. Die von Kraus als Ort der gesuchten<br />

»Burgkapelle« genannte »Hochwacht« ist genauso gut möglich.<br />

Dieser Platz steht eher in einem Bezug zum östlich<br />

benachbarten Kapf-System. Beides - eine früh abgegangene<br />

Kapelle mit altem Patrozinium und eine hier vermutete<br />

alamannische Höhensiedlung - würde eine bescheidene<br />

Parallele zum Runden Berg bei Urach bedeuten. Dieser liegt<br />

in versteckter Abseitslage; bei der Aufdeckung der alamannischen<br />

Höhensiedlung dort wurden auf seinem Gipfel die<br />

Reste einer Michaelskapelle gefunden, die zu Beginn der<br />

Neuzeit abgegangen ist (Milojcic 1975). Der Runde Berg liegt<br />

in der Westlage in einem Kapf-System um den Hochberg bei<br />

Urach.<br />

Literatur<br />

Betrachtungen über die Hunger jähre 1816/17<br />

Aus Anlaß des 170. »Jubiläums« der Hungerjahre 1816/17<br />

erschienen viele Veröffentlichungen zu diesem Thema. Auch<br />

die Napoleon-Ausstellung 1987 zeigte zahlreiche Exponate<br />

zum Kapitel »Krieg und Not«, welche an die Hungerjahre<br />

erinnern. In der Ausstellung wurde, wie anderen Orts auch,<br />

die Hungersnot mit der unmittelbar vorausgehenden Kriegszeit<br />

in Verbindung gebracht 1. Tatsächlich wurde 1815 nochmals<br />

ein Feldzug geführt und Napoleon in der Schlacht von<br />

Waterloo endgültig besiegt. Soweit bekannt, führten die<br />

Napoleonischen Kriege nirgends in Deutschland zu einer<br />

verbreiteten Hungersnot. Warum sollte sie nun, ein Jahr nach<br />

Beendigung der Feldzüge, auftreten?<br />

Andere Quellen und Berichte sprechen von einer Reihe von<br />

nassen und kalten Jahren, die seit 1811 zu Mißernten geführt<br />

hätten 2. Für die Jahre 1811 und 1812 trifft dies ganz sicher<br />

nicht zu, es sollen sogar besonders fruchtbare und schöne<br />

Jahre gewesen sein 3. Allem Anschein nach waren die Jahre<br />

1813 bis 1815 klimatisch weniger begünstigt. Es kam jedoch<br />

54<br />

Blessing, E.: Die Kirchen-, Kapellen- und Altarpatrozinien für den<br />

Kreis Hechingen im Mittelalter und in der Neuzeit, Dissertation<br />

Tübingen 1962<br />

Gilles, K.-J.: Spätrömische Höhensiedlungen in Eifel und Hunsrück,<br />

Beiheft Nr. 7 der Trier. Zt. für Geschichte und Kunst des Trierer<br />

Landes und seiner Umgebung, Trier 1985<br />

Grimm, J. und W.: Deutsches Wörterbuch Bd. 11 Nachdruck 1984<br />

der Ausgabe 1873<br />

Kraus, J.A.: Burladingen in vergangenen Tagen, HzH 7 (1957) Heft<br />

2, S. 29<br />

Milojcic, V.: Der Runde Berg bei Urach, in: Ausgrabungen in<br />

Deutschland 1950-1975 Tl. 2, RGEM Mainz, S. 184 mit Anm. 13<br />

weder zu einer Teuerung, noch gar zu einer Hungersnot.<br />

Ursache für die Mißernte und die anschließende Hungersnot<br />

war einzig und allein die außergewöhnliche Witterung des<br />

Jahres 1816.<br />

1816: Das Jahr ohne Sommer.<br />

Vor über fünf Jahren erschien in einer amerikanischen Zeitschrift<br />

ein Beitrag über die Hungersnot von 1816/17, der bei<br />

uns bisher fast nicht zur Kenntnis genommen wurde. Es<br />

handelte sich um eine Arbeit von Henry und Elizabeth<br />

Stommel »1816: Das Jahr ohne Sommer« in Spektrum der<br />

Wissenschaft (Deutsche Ausgabe von »Scientivic American«),<br />

Heft I/1983 4. Das Jahr 1816 brachte Neu-England und<br />

Kanada einen außergewöhnlich kalten Sommer, der ganz dem<br />

entsprach, was aus Europa überliefert ist. Auch in Amerika<br />

stiegen die Getreidepreise stark an. Vor allem die Maisernte<br />

fiel sehr schlecht aus. Wegen des Mangels an Futtermitteln<br />

wurde viel Vieh geschlachtet, was zu einem für die Farmer<br />

schädlichen Rückgang der Fleischpreise führte. Wie in


1790 1800 1810 1820 1830 1840 1850 1860<br />

Temperaturkurve für New Häven (zwischen New York und Boston). Man sieht, daß der Kälteeinbruch von 1816 ein ganz außergewöhnliches<br />

Ereignis war. Die Mittagstemperaturen um 14 Uhr lagen im Juni 1816 um etwa 16 Grad niedriger als in »normalen« Jahren (Abb. nach<br />

Spektrum der Wissenschaft).<br />

Europa, setzte die Mißernte in Amerika eine Auswanderungswelle<br />

in Gang. Viele Farmer im östlichen Amerika<br />

gaben auf und wanderten in Richtung Westen, wo man sich<br />

bessere Verhältnisse erwartete.<br />

Die schlimme Zeit hatte jedoch, was damals niemand wußte,<br />

schon ein Jahr vorher an einem ganz anderen Punkt der Erde<br />

begonnen. 1815 erfolgte in Indonesien der größte Vulkanausbruch,<br />

der bisher bekannt wurde. Der Vulkan Tambora auf<br />

der Insel Sumbawa schleuderte ungeheure Massen von Vulkanasche<br />

in die Atmosphäre. Noch auf der Insel Java, die fast<br />

500 Kilometer vom Vulkanausbruch entfernt war, verdunkelte<br />

sich die Sonne und ein Aschenregen bedeckte Häuser,<br />

Straßen und Felder. Der Ausbruch des Tambora war viel<br />

verheerender als der Ausbruch des Krakatau im Jahre 1883.<br />

Er wurde jedoch kaum bekannt, da nur wenig Nachrichten<br />

von Südostadien nach Europa gelangten. Nach Meinung von<br />

Klimatologen sind vom Jahr 1600 bis heute bei keinem<br />

anderen Vulkanausbruch so große Mengen Vulkanasche in<br />

die Atmosphäre gelangt. Die Folge war eine Abschirmung<br />

der Sonneneinstrahlung und ein starkes Absinken der Temperaturen<br />

an der Erdoberfläche. Sichere Nachrichten über die<br />

Auswirkung dieser Klimakatastrophe gibt es nur aus Europa<br />

HERBERT BURKARTH<br />

Die Hungerjahre 1816/17 in Gammertingen<br />

Über die Hungerjahre schrieb der damalige Amtbürgermeister<br />

Reiser einen Bericht, der von Joseph Wiest in seiner<br />

»Geschichte der Stadt Gammertingen« veröffentlicht wurde<br />

(1928 und 1961). »Der Jahrgang 1816 ist ein so nasser Sommer<br />

gewesen, daß die Frucht hat zu keiner Reife kommen wollen.<br />

Die Ernte ist so weit hinausgeschoben, daß man das letzte<br />

Korn am 29. Oktober hat heimgeführt. Haber, Bohnen,<br />

Linsen sind wenig zur Reife gekommen, daß man vielen<br />

Haber nicht heimgebracht. Ich bin Augenzeug, daß man am<br />

hl. Abend in Freudenweiler hat Habergarben auf dem Schlitten<br />

heimgeführt, in Mägerkingen hat man den Tag vor<br />

hl. Drei König Haber und Wicken (Erbsen) heimgeführt.<br />

und Amerika. Es ist jedoch anzunehmen, daß andere Gebiete<br />

der Erde ebenfalls betroffen waren. Die allgemeine Abkühlung<br />

war die Ursache für den kalten und nassen Sommer 1816.<br />

Das Ausmaß von Hungersnot und Teuerung wurde auch von<br />

sozialen und anderen Verhältnissen beeinflußt. So hatte z. B.<br />

König Friedrich II. von Preußen die Einrichtung von Land-<br />

Magazinen befohlen, in denen Getreideüberschüsse gelagert<br />

wurden, um in Notzeiten Brot und Saatgut zu haben. Dies<br />

hatte zur Folge, daß 1816 die Getreidepreise in Posen völlig<br />

gleich blieben, während sie in »Neu-Preußen«, z.B. im<br />

Rheinland, anstiegen.<br />

Anmerkungen<br />

1 Ausstellungskatalog Bd. 1,1 S.477 bis 499<br />

2 Die Hungerjahre 1817/18 auf der Alb und an der Donau, Ulm<br />

1985, S. 10<br />

3 J. B. Pflug aus Biberach schildert z. B. das Jahr 1812 als das schönste<br />

und fruchtbarste Jahr, das er erlebt hat.<br />

4 Siehe auch Vulkanismus, Verständliche Forschung, Verlag Spektrum<br />

der Wissenschaft 1985<br />

5 Man kennt diese Dinge erst genauer, seit es möglich ist, von<br />

Erdsatelliten aus Vulkanausbrüche zu beobachten. Man befürchtet,<br />

daß auch durch einen Atomkrieg so viel Staub in die Atmosphäre<br />

kommen könnte, daß ein »atomarer Winter« die Folge wäre.<br />

Der Fruchtpreis ist so hoch gestiegen, daß das Malter Kernen<br />

von 38 bis 49 Gulden ist bezahlt worden, das Malter Gerste 56<br />

bis 59 Gulden, der Schöffel Haber ist um 8 Gulden bezahlt<br />

worden. (Es ist außerordentlich schwierig, sich unter den<br />

Maßen und Preisen etwas vorzustellen. In Gammertingen<br />

galt das Veringer Maß, das Fruchtmaß war - nach Wiest -<br />

aber etwas kleiner. Mustermaße waren bis zum 2. Weltkrieg<br />

noch auf der Gammertinger Rathausbühne, sind aber dann<br />

verschwunden.)<br />

Im Jahr 1817 sind die Preise noch höher gestiegen (z.B. der<br />

Haber von 9 auf 20 Gulden). Den 27. April ist von der<br />

55


hochfürstlichen Regierung ein Erhöhungsausgangszoll auf<br />

alle Früchte, welche ins Ausland geführt, gelegt worden<br />

(Ausland war von Gammertingen aus fast jeder Nachbarort).<br />

Verzollt werden mußten Kernen, Vesen, Einkorn - eine<br />

altertümliche Weizensorte -, Mehl, Grieß, Branntwein und<br />

Erdäpfel; ein Viertel Erdäpfel nur mit 36 Kreuzer. (Eigenartig<br />

ist, daß die Kartoffeln trotz des Mangels relativ billig waren.<br />

Man kann das nur so erklären, daß sie für die Ernährung eine<br />

viel geringere Rolle spielten, als das Brot und Brei aus<br />

Getreide.)<br />

Der Ausfuhrzoll hat in unserem Amt 1900 Gulden beioffen<br />

und ist von seiner hochfürstlichen Durchlaucht jedem Amt<br />

zur Unterstützung der Armen geschenkt worden. Da hat der<br />

Herr Obervogt Hermannutz verordnet, daß vor das Geld soll<br />

Früchten gekauft werden. Alsdann hat der Herr Obervogt die<br />

armen und mittellosen Untertanen von Gammertingen und<br />

Neufra zur Arbeit berufen und jedem der gearbeitet in 6<br />

Tagen 1 Viertel Kernen gegeben für Arbeitslohn. Den armen<br />

Kranken und Presthaften, welche nicht arbeiten konnten, hat<br />

man so oft (der Arbeitslohn) verteilt wurde auch (Früchte<br />

gegeben).<br />

ALOIS EISELE<br />

Verbote und Strafen in der »Guten alten Zeit«<br />

Am 19. März 1836 erhielt die Gemeinde Gauselfingen vom<br />

oberamtlichen Ruggericht ein Strafprotokoll mit körperlichen<br />

Leib- und Geldstrafen. In diesem Protokoll ist alles<br />

festgehalten, was vor 150 Jahren unseren Vorfahren verboten<br />

war, und es verging kaum ein Tag ohne Eintrag einer Strafe.<br />

Die Gesetze und Verordnungen sollen hier auszugsweise<br />

wiedergegeben werden.<br />

§ 7) Regelt das Fahren und Gehen auf verbotenen Wegen, da<br />

hierbei großer Schaden angerichtet wurde. So soll künftig,<br />

wenn sich einer erfrecht, auf verbotenen Wegen zu wandeln,<br />

dieser mit 40 x (Kreuzer) und welcher einen verbotenen Weg<br />

fährt, mit 1 fl (Gulden) bestraft werden.<br />

§8) Dem Feldschitz soll noch ein Dorf- und Waldschitz<br />

beigestellt werden, da der Feldschitz seinen Obliegenheiten<br />

nicht mehr nachkommen kann.<br />

§10) Alle Holz- und Forstfrevel sind, laut herrschaftlicher<br />

Verordnung, vor das Fürstl. Forstamt zur Bestrafung zu<br />

bringen.<br />

§ 12) Die Feuerbeseher sollen künftig wenigstens einmal im<br />

Quartal herumgehen und ein eigenes Feuerbeschauprotokoll<br />

fertigen. »Die gefährlichen Feuerwesen und Kamine sind<br />

baldmöglichst in gutem Stande herzustellen, das Waschen in<br />

den Häusern hat gänzlich zu unterbleiben.« Wenn man<br />

bedenkt, daß zu jener Zeit noch viele Häuser und Scheunen<br />

mit Stroh gedeckt waren und die Kamine zum größten Teil<br />

aus Holz bestanden, so versteht man den Ausdruck »gefährliche<br />

Feuerwesen« besser.<br />

§ 13) In Betreff der Feierstunden wird dem Ortsvorgesetzten<br />

aufgetragen, sowohl den Wirt als auch die Zechenden, welche<br />

die Polizeistunde übertreten, unverzüglich bei hochfürstlicher<br />

Justizkanzlei zur Bestrafung anzuzeigen.<br />

§ 14) »Das Herausspielen von Brod und Prezeln um Weihnachten<br />

ist den Bäckern und den anderen Einwohnern bei<br />

3 Pfund Heller (2 Gulden) Strafe verboten.« Dieses Würfeln<br />

um Brezeln findet man noch heute an Sylvester in Gauselfingen,<br />

es wird als alter Brauch angesehen und heißt bei uns<br />

»bascha«.<br />

56<br />

Weil der Preis an Früchten am höchsten, die Not allgemein,<br />

hat unsere gnädige Herrschaft (Freiherr Ludwig C.J.Speth<br />

von Zwiefalten) 30 Schöffel Kernen und 16 Viertel Roggen<br />

auf das Rathaus gegeben. Daselbe ist an die Bürger verteilt<br />

worden zu 3 und 4 Vierteln.«<br />

Die Notstandsarbeiten, welche von der Obrigkeit veranlaßt<br />

wurden, waren meistens Wegebauarbeiten. Dies war nicht<br />

nur so im ganzen Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen,<br />

sondern auch im benachbarten Württemberg. In Neufra gibt<br />

es einen »Brotacker«; dieser soll damals für einen Laib Brot<br />

verkauft worden sein. Bei Kettenacker steht ein »Hungerkreuz«,<br />

es soll von einem Zimmermann auch für einen Laib<br />

Brot gemacht worden sein. Der »Hunger« betraf zwar nur die<br />

ärmere Bevölkerung, da aber die Lebensmittel allgemein um<br />

ein Vielfaches teurer waren, wurden auch Handwerk und<br />

Handel betroffen. Die Leute mußten ihr Geld für Lebensmittel<br />

ausgeben und konnten nichts anderes mehr bezahlen.<br />

In der Hohenzollerischen Literatur ist bisher über die Hungerjahre<br />

1816/17 wenig bekannt. Es wäre daher nicht uninteressant,<br />

wenn der eine oder andere <strong>heimat</strong>geschichtlich Interessierte<br />

noch etwas beisteuern könnte.<br />

(Wird fortgesetzt)<br />

§ 15) Das Würfelspiel bleibt gänzlich untersagt und wird auf<br />

das Strengste bestraft.<br />

§ 16) Um die Einhaltung der Polizeistunde zu überwachen,<br />

werden vom Ortsvorgesetzten zwei tüchtige Männer eingesetzt,<br />

die sogenannte Scharwache, die neben einer kleinen<br />

Entlohnung noch die Hälfte von den Anzeigegebühren erhalten.<br />

So wundert es nicht, daß man im Protokoll dieses Delikt<br />

sehr häufig zu lesen bekommt, hatte der Angezeigte doch 40 x<br />

zu bezahlen und verschaffte so dem Anzeigenden ein kleines<br />

Nebeneinkommen, was allerdings oft zu erbitterten Feindschaften<br />

zwischen den Parteien führte.<br />

§18) Dem Geißhirten wurde unter Androhung von Leibstrafen<br />

oder gar Entlassung verboten, in den Wäldern oder<br />

Feldern Schaden anzurichten.<br />

§ 19) Dem Vogt ist untersagt, an Vaganten und Landstreicher<br />

Nachtzettel auszugeben, diejenigen, welche solchen Leuten<br />

dennoch Aufenthalt gewähren, sind mit 1 Pfund Heller<br />

(40 Kreuzer) zu bestrafen, im Wiederholungsfalle mit dem<br />

Doppelten.<br />

§21) Von nun an sind die Gänse, wenn der Ganshirt heimkommt,<br />

sogleich einzusperren. Die Hühner und überhaupt<br />

alles Geflügel sind während der Hanfsaat, bis dieselbe angewachsen<br />

ist, einzusperren. Dasjenige Geflügel, welches dennoch<br />

auf anderer Leute Eigentum angetroffen wird, ist von<br />

dem Schitzen zu erschießen, welchem von dem Eigentümer<br />

des Geflügels noch 12 x Schußgeld zu bezahlen sind.<br />

§ 24) Feuerwehr, die hiesige Bürgerschaft ist in 4 Rotten zu je<br />

20 Mann mit einem Rottmeister und 2 Feuerreitern eingeteilt.<br />

Es sind aber nur 27 Feuereimer vorhanden, so wurde angeordnet,<br />

soviel Eimer anzuschaffen, daß wenigstens, bei einem<br />

entstehenden Brandunglücke 2 ganze Rotten mit solchen<br />

versehen sind. Die übrigen Feuerlöschgerätschaften sind in<br />

gutem Zustande angetroffen worden. Diesem Mißstand<br />

wurde von der Gemeinde abgeholfen, dieselbe verfügte, daß<br />

jeder, der heiraten will, einen ledernen Feuereimer zu stellen<br />

oder an die Gemeinde den Betrag von 1 Gulden 12 Kreuzer zu<br />

bezahlen hat.


Es folgen nun die Anzeigen des Ortspolizisten, der Scharwache,<br />

des Feld- und Waldschitzen, die alle fein säuberlich<br />

protokolliert wurden. Hier bedeuten die Zeichen fl = Gulden<br />

= 60 Kreuzer, x = Kreuzer.<br />

Kinder, die auf einen Kirschbaum geklettert sind und Kirschen<br />

gestohlen haben, wurden mit 6 Stunden Arrest bestraft,<br />

wer bettelte, dem wurde der Bettel in sein Wanderbuch<br />

eingetragen und über die Grenze gewiesen. Einer hat am<br />

Hl. Abend, zwischen 7 und 8 Uhr, vor des Sonnenwirts Haus<br />

einen Schuß getan, ein Bierwirt hat eine fremde Weibsperson<br />

übernachten lassen, ohne hierfür eine Genehmigung zu<br />

haben, beide Vergehen wurden vom Oberamt abgerugt. Der<br />

herrschaftliche Pächter ließ seine zwei Fohlen frei laufen und<br />

wurde mit 24 x bestraft. Einer saß während der Predigt im<br />

Wirtshaus, eine Frau handelte mit Zucker, Kaffee und »Saipfen«,<br />

ohne daß sie ein Handelspatent besaß, 2 Pfund Heller =<br />

1 fl 20 x Strafe. Des öfteren, wie schon angesprochen, nicht<br />

Einhaltung der Polizeistunde (Scharwache). Drei junge Burschen,<br />

die mit überlautem Schnellen mit der Geisel und zu<br />

starkem Fahren im Ort sich erfrechten, jeder 20 x. 24. Mai<br />

1841, Anzeige gegen Konrad Klaiber, da er sein Dach gänzlich<br />

mit Stroh gedeckt habe. Einer tat zum Fenster hinaus<br />

einen Schuß auf des Nachbars Hühner, der Lehrling eines<br />

Gammertinger Kaufmanns erfrechte sich mehrere Male laut<br />

zu jauchzen, Strafe 40 x. Eine Frau hieß den Lehrer einen<br />

Rebellen und wurde für eine Stunde eingesperrt, Diebstahl<br />

von Lebensmitteln aus der Speisekammer, Ungehorsam<br />

gegen den Vogt und den Pfarrer wurde durchschnittlich mit<br />

2-4 Stunden Arrest bestraft. Beim Dreschen wurde Frucht<br />

gestohlen, zwischen den Ackern wurden Pfähle ausgerissen<br />

und versetzt. Die gegenseitigen Beschimpfungen zweier<br />

Frauen endeten mit 2 Stunden Arrest. Unerlaubtes Schießen<br />

vor dem Ort zog eine Arbeitsstrafe nach sich, meistens einen<br />

halben oder ganzen Tag Holzmachen im Schulhaus oder<br />

Backhaus. Straußhäfen verwerfen in den Gärten 2 Stunden<br />

Arbeitsstrafe, Verleumdung und Ehrenkränkung 12 Std.<br />

Arrest, ebenso übermäßiges Betrinken.<br />

Geldstrafen.<br />

Hunde ohne Maulkorb laufen lassen 1 fl 30 x, Backen von zu<br />

leichtem Brot - 40 x, im Wiederholungsfalle Wegnahme und<br />

WILFRIED SCHÖNTAG<br />

Der Wiederaufbau des Augustinerchorherrenstifts Beuron<br />

nach dem 30jährigen Krieg<br />

Der Zustand Beurons um 1650<br />

Das Augustinerchorherrenstift Beuron hatte in den Kriegsjahren<br />

stark gelitten. Um die wiederholten Einquartierungen<br />

und Kontributionen zahlen zu können, hatte der Konvent<br />

alle Rücklagen auflösen müssen und selbst den Kirchenschatz<br />

bis hin zum Hirtenstab des Propstes verkauft. Da dies den<br />

Geldbedarf immer noch nicht abdecken konnte, mußten<br />

hohe Beträge bei zahlreichen Personen und Institutionen<br />

ausgeliehen werden. Viele Höfe waren als Pfand vergeben<br />

worden. Die Ursache für die hohe Verschuldung lag in der<br />

Besitzstruktur. Das Stift besaß keine geschlossenen Grundherrschaften.<br />

Abgesehen von den bei Beuron auf den Höhen<br />

gelegenen Steighöfen, dem Rheinfelder Hof und dem Hof im<br />

Donautal mit einer Mühle, verfügte es nur über Streubesitz,<br />

der durch Schaffnereien verwaltet wurde. Die Einnahmen<br />

bestanden vor allem aus den Zehnteinnahmen der inkorporierten<br />

oder Patronatspfarreien und den Abgaben der Lehenhöfe<br />

und aus einzelnen Zinsen. In Kriegsjahren blieben diese<br />

Verteilung unter den Armen. Am 13. Januar 1845 zogen 15<br />

ledige Burschen vor dem Nachmittagsgottesdienst mit Musik<br />

aus dem Ort, jeder mußte 15 x in den Schulfond bezahlen. Ein<br />

Schreiner, wegen »schlechter Verzührung einer Todten Bar«<br />

des alten Vogts Eisele, 40 x. Eine Frau wurde wegen Wundschlagens<br />

eines Kindes mit 40 x bestraft, das Kind wegen<br />

Schimpfen gegen die Frau vom Lehrer mit Tatzen. Unanständiges<br />

Betragen im Bierwirtshaus - 40 x. Mit brennender<br />

Tabakspfeife welchen keinen Deckel hatte, auf der Gasse<br />

aufgehalten - 20 x. Einer ließ sein Pferd, welches mit einem<br />

schweren Gepäckstück beladen war, 2 Stunden vor dem<br />

Wirtshaus stehen - 30 x. Ein anderer ließ seinen mit Holz<br />

beladenen Wagen auf der Straße stehen, wodurch das Fahren<br />

auf der Straße »etwas gehimmt« war - 40 x. Fahren mit<br />

beladenen Wagen, sei es mit Frucht, Mehl, Gips, Kohle, Erz<br />

oder Holz, an Sonn- und Feiertagen - 30 x. Ein Fuhrmann<br />

schlief auf dem Bock ein und wurde so vom Gendarmen<br />

angetroffen - 40 x.<br />

Am Fastnachts-Dienstag 1846 erfrechten sich einige ledige<br />

Personen, in Masken zu gehen - 40. Ausreißen oder<br />

Umhauen von Bäumen, bei Kindern 6 Tatzen, bei Erwachsenen<br />

40 x. Ohne Grasschein Gras geschnitten, 30 x, widerrechtliches<br />

Weiden einer Kuh im »Schose« (Straßen)-graben,<br />

3 Pfund Heller. Drei junge Burschen und drei Mädchen<br />

haben dem Verbot, den Petersberg nicht zu betreten, keine<br />

Folge geleistet und sind dennoch hingegangen, jeder 15 x.<br />

Hausierhandel am Sonntag, 15x, wer ohne Genehmigungsschein<br />

Laub oder »Kühle« (Kieferzapfen) einsammelt, wird<br />

auf das Empfindlichste bestraft. Angezeigt wurde eine Frau,<br />

weil sie die Betten »für das Fenster herausgehengt« habe, 40 x,<br />

oder Wäsche gegen die »Schose aufgehengt«.<br />

Man sieht aus dieser Aufstellung, daß damals von der Obrigkeit<br />

unter anderem Delikte geahndet und empfindlich<br />

bestraft wurden, über die man in der heutigen Zeit nur lächelt.<br />

Gute alte Zeit?<br />

Nun noch etwas zu der Härte der Strafen, man darf Gulden<br />

und Kreuzer nicht mit der heutigen Mark und Pfennig<br />

gleichsetzen, ein Taglöhner verdiente am Tag 24 x, ein Huhn<br />

kostete 6x und für einen Bauplatz von 24 Schuh Länge<br />

bezahlte man an die Gemeinde 12 fl.<br />

Einkünfte aus Freiburg i.Br., Ehingen, Mengen oder Biberach/Stafflangen,<br />

wo Schaffnereien lagen, häufig aus, so daß<br />

ein ordentliches Wirtschaften unmöglich war.<br />

Auf den Gebäudeerhalt wirkte es sich negativ aus, daß der<br />

Konvent häufig aus Beuron flüchtete und sich niemand um<br />

den Bestand kümmerte. Propst Vitus Hainzelmann (f 1614)<br />

hatte die Stiftskirche, den Kreuzgang, die Konventsstube und<br />

ein Dormitorium und die Propstei mit den Räumen für den<br />

Propst neu erbaut oder erneuern lassen. In gleicher Weise<br />

hatte er das Wirtshaus, Brauerei und fast alle Gebäude für die<br />

Landwirtschaft und Viehhaltung neu erbauen lassen. Vor<br />

dem großen Krieg war Beuron also in einem guten Bauzustand.<br />

Im Jahre 1638 berichtete ein Chorherr nach Kreuzlingen,<br />

daß ein gewaltiger Gewittersturm große Schäden angerichtet<br />

und fast alle Dächer beschädigt habe. Wenn man sie<br />

nicht sofort repariere, bestünde die Gefahr, daß Regen und<br />

57


Abtei Beuron mit Steighöfen (G) und Rheinfeder Hof (F). Das Rechteck F auf dem linken Donauufer bezeichnet den Platz der ersten<br />

Gründung Beurons durch Graf Gerold. Kolorierte Karte 1787. Staatsarchiv Sigmaringen Ho 156 Bü 7.<br />

Schneewasser die Gebäude insgesamt zerstöre. Auch sei zu<br />

befürchten, daß über den Winter die Gewölbe der Stiftskirche<br />

einstürzten, wenn man nicht das Dach neu decke. Die<br />

Chorherren wollten zunächst die Ziegelhütte wieder instandsetzen<br />

und in Betrieb nehmen, um dann die Dachreparaturen<br />

durchführen zu können. Ebenso müsse die Brücke über die<br />

Donau repariert werden, um die Stiftsmühle anfahren zu<br />

können. Derzeit könne die Mühle, »welche das beste Haupt -<br />

guth«, d.h. die wichtigste Einnahmequelle für den Konvent<br />

sei, nicht genutzt werden. In Beuron waren es weniger die<br />

Verwüstungen durch plündernde Soldaten, als vielmehr die<br />

mangelnde Unterhaltung der Gebäude, die zu beträchtlichen<br />

Schäden im Laufe der Jahre führte.<br />

Die wirtschaftliche Sanierung des Stifts Beuron<br />

Nach dem Friedensschluß bezogen die einzigen beiden überlebenden<br />

Chorherren, der Administrator Johann Veeser und<br />

Frater Christoph Schellhammer, die baufälligen Konventsgebäude.<br />

Vor dem Krieg hatten dort sieben Chorherren gelebt.<br />

Mit Hilfe des Bischofs von Konstanz, der über die Ordensverfassung<br />

großen Einfluß hatte - Beuron war ihm unmittelbar<br />

unterstellt und der Propst mußte ihm nach der Wahl einen<br />

Treueid ablegen und des Abts von Kreuzlingen, der nach<br />

der Ordensverfassung der Visitator war, begannen beide mit<br />

dem Wiederaufbau.<br />

1647 hatten sich 15 253 fl an Schulden angehäuft. Johann<br />

Veeser, der zunächst zum Administrator, dann am<br />

30. Dezember 1649 bzw. 5. Februar 1650 zum Propst bestellt<br />

worden war, konnte nur die erste Not lindern. Die wüst<br />

58<br />

liegenden Höfe mußten wieder besetzt werden, die Stiftslandwirtschaft<br />

wieder aufgenommen werden. Wegen nicht<br />

bezahlter Schulden wurde er 1654 zeitweise von seinem Amt<br />

suspendiert. Die Kapitelprotokolle enthalten zahlreiche Vermerke<br />

über das Unvermögen, den Forderungen der Schuldner<br />

nachzukommen.<br />

Wesentlich weiter kam sein Nachfolger Propst Sigismund<br />

Marbeck (1660-1682). Pater Sigismund Marbeck war 1654<br />

aus der reformierten Augustinerchorherrenabtei Rottenbuch<br />

im Bistum Freising nach Beuron geholt worden. Er war ein<br />

geistig hochstehender Chorherr, ebenso kannte er sich aber<br />

auch in den weltlichen Dingen aus. Seine Schwester war mit<br />

dem Hofrat Ambrosius Sartor in München verheiratet, ein<br />

Zeichen für die hohe soziale Stellung seiner Familie. Am<br />

3.Juni 1656 beantragte Propst Johann beim Bischof von<br />

Konstanz, Sigismund als Priester in die Konstanzer Diözese<br />

zu transferieren, und erbat das Dimissorium. Als Grund gab<br />

er an, daß in Anbetracht seines Alters Sigismund der geeignete<br />

Nachfolger sei. Die Verhandlungen mit dem Bischof von<br />

Freising zogen sich einige Zeit hin. Im Mai 1658 wurde er in<br />

Rottenbuch entlassen und am 24.Juni legte er in Beuron<br />

Profeß ab. Marbeck war aus einer reformierten Abtei erbeten<br />

worden, um Beuron geistlich zu erneuern und zu reformieren.<br />

1659 wurde Sigismund zum Ökonom und Dekan<br />

gewählt, 1660 zum Propst.<br />

Sigismund ging tatkräftig an den Wiederaufbau des Stifts, so<br />

daß ihn die Chronik als neuen Apoll (»novus Apollo«) und<br />

Herkules bezeichnete, der das heruntergekommene Stift<br />

geistlich wie materiell gesichert habe. Seine Regierungszeit ist


schwierig zu beurteilen, da zumeist nur parteiische Berichte<br />

über seine Tätigkeit vorliegen. Es ist auffällig, daß gerade für<br />

die Jahre 1660 bis 1681 die Kapitelprotokolle fehlen-schon<br />

um 1740 wurde deren Verlust beklagt -, wichtige Jahre für die<br />

Entwicklung von Beuron.<br />

Er stellte zunächst die für die Wirtschaftsführung des Stiftes<br />

wichtigen Gebäude wieder her. In Beuron ließ er die Mühle<br />

erneuern, das Gasthaus, die Pfisterei, das Senn- und Schafhaus<br />

neu bauen. Sechs neue Zehntscheunen gab er für 1500 fl<br />

in Worndorf, Buchheim, Leibertingen, Bubsheim, Bärenthal<br />

und Mengen in Auftrag. Insgesamt investierte er mehr als<br />

7000 fl in Wirtschaftsgebäude, Pfarrhäuser und Kirchen in<br />

seiner Amtszeit. Dennoch kennzeichnete Sigismund selbst im<br />

Jahr 1681 gegenüber dem Abt von Kreuzlingen den Zustand<br />

des Stifts mit den Worten, Beuron gleiche mehr einer verlassenen<br />

Glashütte als einem Stift regulierter Chorherren.<br />

Auch für ihn erwiesen sich die hohen Kapitalschulden als<br />

unüberwindbares Problem. Vor allem der Bischof von Konstanz,<br />

bei dem das Stift 2000 fl Schulden hatte, und der Abt<br />

von Kreuzlingen erwiesen sich als harte Gläubiger, die auf<br />

Rückzahlung der Kapitalien bestanden. Auf deren Drängen<br />

hin verkaufte Propst Sigismund schließlich alle zur Schaffnerei<br />

Freiburg i.Br. gehörenden Besitzungen, Rechte und Einkünfte<br />

an den fürstenbergischen Rat Dr. Fischer, bei dem<br />

Beuron ebenfalls hoch verschuldet war. Er zahlte dem Stift<br />

8256 fl in bar, verzichtete auf zahlreiche Forderungen und gab<br />

die ihm verpfändeten Höfe in Thalheim und Leibertingen<br />

zurück. Ein Teil des Konvents warf dem Propst vor, er habe<br />

die Schaffnerei unter Wert verkauft. Darüber kam es zu einem<br />

unüberbrückbaren Zerwürfnis innerhalb des Konvents, das<br />

schließlich zur Absetzung des Propstes führte.<br />

Sein 1682 gewählter Nachfolger Propst, ab 1687 Abt Georg<br />

Kurz (t 18. Mai 1704) setzte sein Werk fort. Er war ein<br />

geschickter Wirtschafter, der stark unternehmerisch eingestellt<br />

war. So schloß er z.B. 1701 einen Vertrag mit dem<br />

Oberamt Nellenburg, um für das neue Eisenwerk in Bärenthal<br />

50000 Stämme im Wert von 5000 fl zu liefern, oder<br />

verkaufte Liegenschaften zu hohen Preisen. Er entschuldete<br />

das Stift, forderte entfremdete Rechte zurück. Schließlich<br />

hatte er die Abtei so weit saniert, daß er ab 1694 die Konventsund<br />

Wirtschaftsgebäude von Grund auf neu bauen konnte.<br />

Daher wurde er wegen seines geistlichen wie hervorragenden<br />

weltlichen Wirkens als zweiter Gründer, als »alter quasi<br />

fundator« bezeichnet.<br />

Ungelöste Fragen:<br />

Vogtei- und Herrschaftszugehörigkeit, Visitationen<br />

Neben den wirtschaftlichen Fragen beschäftigten den Konvent<br />

auch verfassungsrechtliche Fragen, da die rechtliche<br />

Stellung des Stiftes immer wieder Anlaß zu Streitigkeiten gab.<br />

Das Stift selbst und ein Teil der Besitzungen im Donautal<br />

lagen in der Herrschaft Mühlheim, die nördlich der Donau<br />

gelegenen teilweise in der Grafschaft Hohenberg. Die<br />

Schutzfunktionen über den Streubesitz nahmen die jeweiligen<br />

Territorialherren wahr. Das Erzhaus Österreich hatte<br />

1452 zwar die Hochvogtei über das Stift an sich gezogen, die<br />

Ausübung jedoch den Herren von Enzberg als Inhabern der<br />

Herrschaft Mühlheim übertragen. Nach langen Streitigkeiten<br />

hatte der Konvent 1615 schließlich die niedere Gerichtsbarkeit<br />

über das Gebiet im Donautal den Enzbergern abringen<br />

können.<br />

Nach 1650 vertraten die Pröpste und Äbte keine einheitliche<br />

Linie. Propst Sigismund nahm immer wieder das Erzhaus<br />

Österreich als Schutzherrn in Anspruch. Er begründete dies<br />

damit, daß der Gründer Peregrin ein Herzog aus Innsbruck<br />

gewesen sei. Die Beamten der vorderösterreichischen Regierungs-<br />

und Verwaltungsstellen gingen darauf ein. Nach dem<br />

Tode des Propstes wollten daher Vertreter der vorderösterreichischen<br />

Regierung unter Berufung auf die österreichische<br />

Vogtei der Wahl des Nachfolgers beiwohnen. Dies ging dem<br />

Konvent zu weit, er sperrte sie aus. Nach einigen Protesten<br />

seitens der vorderösterreichischen Beamten verlief die Sache<br />

im Sande. In den folgenden Jahren entspannten sich die<br />

Beziehungen zu Vorderösterreich. Bei der nächsten Wahl im<br />

Jahr 1704 wurden keine Ansprüche auf Teilnahme an der<br />

Wahl erhoben. In diesen Jahrzehnten entstand eine Tradition,<br />

daß eine erste Gründung Beurons um 900 auf dem linken<br />

Donauufer, also im hohenbergischen Territorium, erfolgt sei.<br />

Zur Untermauerung eines politischen und verfassungsrechtlichen<br />

Anspruchs - Befreiung von der Territorialherrschaft<br />

der Freiherren von Enzberg - entwickelte der Konvent eine<br />

historische Fiktion.<br />

1721 vollzog der Konvent wieder eine Wende und bestritt die<br />

vorderösterreichische Herrschaft über die Abtei Beuron.<br />

Schließlich beanspruchte die Abtei, nachdem sie die ritterschaftliche<br />

Herrschaft Bärenthal mit Ensisheim 1751 gekauft<br />

hatte, die Reichsstandschaft.<br />

Ähnlich zäh verteidigte Beuron seine geistlichen Rechte.<br />

Nach dem 30jährigen Krieg betrachtete die bischöfliche<br />

Kurie in Konstanz das Stift Beuron als eine ihr unmittelbar<br />

unterstehende Einrichtung und machte wie früher ein Visitationsrecht<br />

geltend. Einmal beruhten diese Rechte auf der<br />

Ordensverfassung, nach der die Pröpste oder Äbte dem<br />

Bischof einen Treueid zu leisten hatten. Weiterhin standen<br />

dem Bischof als Ordinarius Eingriffsrechte zu. Da aber auch<br />

der Abt von Kreuzlingen als Visitator eingesetzt war, entstanden<br />

seit den 80er Jahren heftige Auseinandersetzungen über<br />

die Visitation. Beuron bestritt den bischöflichen Beamten<br />

wiederholt das Recht zur Visitation und trug den Fall schließlich<br />

dem päpstlichen Nuntius in Luzern vor.<br />

Wir sehen, wie im Zuge der materiellen Erstarkung Beurons<br />

der neue Konvent eine neue historische Identität suchte und<br />

entwickelte und eine unabhängige Stellung anstrebte. Ende<br />

des 18. Jahrhunderts wird diese mit einer in sich geschlossenen<br />

»neuen« Geschichte Beurons begründet und durchgesetzt.<br />

Das geistliche Leben<br />

Die beiden überlebenden Konventualen gingen sofort daran,<br />

einen neuen Konvent aufzubauen. Sie suchten junge Leute,<br />

die auf Kosten des Stiftes in Konstanz die Schule besuchten<br />

und dort studierten, die dann in Beuron die Profeß ablegten.<br />

Im Dezember 1650 erkundigte sich Propst Johann beim Vater<br />

des Andreas Schwenck über dessen Studienerfolge. Der<br />

Lehrer in Konstanz, Professor P.Johannes Pollner, hatte<br />

festgestellt, daß Andreas zum Studieren wenig tauglich sei.<br />

Der Propst teilte darauf dem Vater mit, daß Beuron wenig<br />

geholfen sei, wenn sein Sohn in dieser Verfassung in den<br />

Konvent eintrete, er müsse sich unbedingt bessern. Anfang<br />

1656 studierte Andreas immer noch auf Kosten des Stifts in<br />

Konstanz, am 29. April 1656 legte er seine Profeß ab. Der<br />

Propst war damals in der schwierigen Lage, auch weniger<br />

geeignete Männer aufnehmen zu müssen. Als ein Kandidat<br />

jedoch äußerte, er wolle lieber Konverse, d.h. Arbeitsbruder,<br />

werden, stellte der Propst fest, daß das Stift keine Konversen<br />

sondern Priester brauche.<br />

Das Leben der Chorherren war sehr einfach und bescheiden.<br />

Als Johann Uricher 1654 Profeß ablegte, mußten seine Eltern<br />

folgende Ausstattung an Kleidung und Wäsche stellen: eine<br />

neue Hose, einen schwarzen Rock und einen schwarzen<br />

Mantel aus Tuch, drei Struppen (Band, Schleife, Strümpfe?),<br />

zwei Hemden, ein Ober- und Unterbett, ein Kissen und zwei<br />

Bettücher.<br />

59


Die Professen erhielten im Stift weiteren Unterricht und<br />

wurden dann in mehrjährigen Abständen vom Bischof von<br />

Konstanz zum Subdiakon, Diakon und Priester geweiht. Alle<br />

Chorherren hatten also eine gute Ausbildung, um in den<br />

Beuron gehörenden Pfarreien als Seelsorger wirken zu können.<br />

Der Unterschied von Kanoniker und Mönch bestand ja<br />

darin, daß die Kanoniker ihre Klerikerweihen für eine<br />

bestimmte Pfarrkirche empfingen, während die Mönche sich<br />

auf ein der Welt abgeschiedenes Leben verpflichtet hatten<br />

und ihre Priesterweihe, wenn sie überhaupt ordiniert wurden,<br />

losgelöst von einem Seelsorgeamt erhielten.<br />

Der Aufbau des Konvents kam nur langsam voran. Erst um<br />

1680 hatte er seine frühere Stärke von sieben Konventualen<br />

erreicht. Aufgrund einer Statutenänderung sollten dann 10<br />

weitere Kanoniker aufgenommen werden. Um 1704/1724<br />

lebten 13 und um 1740/50 17 Chorherren in Beuron. In den<br />

folgenden Jahren waren es dann wieder weniger.<br />

Wie Sigismund Marbeck kamen auch andere für die Beuroner<br />

Geschichte wichtige Männer von weit her. Sein Nachfolger,<br />

Abt Georg Kurz, war in Feldkirch geboren und in Kreuzlingen<br />

als Chorherr eingetreten. Leonhard Bettschart, der das<br />

erste Wallfahrtsbüchlein geschrieben haben soll, der der<br />

Wortführer im Streit gegen Propst Sigismund gewesen war<br />

und der die Beuroner Interessen im Visitationsstreit beim<br />

päpstlichen Nuntius vertreten hatte, stammte aus Laachen in<br />

der Schweiz. Die Herkunft aus ganz Oberdeutschland und<br />

die Kontakte innerhalb der Ordensprovinz führten zu einem<br />

regen geistigen Austausch. Beuron lag zwar fern aller überregionalen<br />

Verkehrs- und Handelswege in großer Einsamkeit,<br />

war aber vom geistigen Leben nicht abgeschnitten. Ein<br />

Zeichen dafür sind auch die zahlreichen Gebetsverbrüderungen<br />

und Übereinkünfte über die Teilhabe an den guten<br />

Werken, die Beuron 1676 mit Inzigkofen, 1680 mit dem<br />

Minoritenkloster in Augsburg, 1687 mit dem Kapuzinerkloster<br />

in Waldshut, 1709 mit dem Kloster Reichenau und in<br />

späteren Jahren mit zahlreichen anderen Klöstern und Stiften<br />

abschloß.<br />

Als Propst Sigismund 1660 sein Amt antrat, lag das geistliche<br />

Leben immer noch darnieder. Der Gottesdienst wurde vernachlässigt<br />

und schlecht versehen. Täglich wurden nur eine<br />

Messe und Vesper gefeiert, das Chorgebet (horas canonicas)<br />

wurde überhaupt nicht gehalten. Er stattete zunächst die<br />

Stiftskirche in Beuron neu aus. Er ließ ein neues Kreuzgewölbe<br />

einziehen und die Kirche ausmalen. Drei neue Altäre<br />

mit Plastiken und Bildern gab er bei Konstanzer Künstlern in<br />

Auftrag. Weiterhin kaufte er Monstranzen, Kelche, Ornate,<br />

Kreuze und sonstiges Kirchensilber wie auch ein Graduale<br />

und Meßbücher. Insgesamt gab er 1332 fl dafür aus. Die drei<br />

Pfarrkirchen in Worndorf, Bärenthal und Reichenbach ließ er<br />

für 3235 fl neu bauen.<br />

Aber er legte nicht nur die baulichen Grundlagen für das<br />

geistliche Leben. Er brachte von Rottenbuch eine neue Form<br />

der Frömmigkeit mit. Die Marienverehrung hatte schon<br />

unter seinem Vorgänger feste Formen gefunden. Sigismund<br />

nahm diese Tradition auf und begründete eine Wallfahrt. Er<br />

ließ einen neuen Marienaltar anfertigen und die Altäre von<br />

den Päpsten privilegieren. Er errichtete eine Bruderschaft<br />

St. Rosarii, die die Wallfahrt zum Beuroner Gnadenbild trug.<br />

Leonhard Bettschart schrieb schließlich um 1669 den ersten<br />

Pilgerführer. An diesem stufenweisen Vorgehen ist ein planmäßiges<br />

Handeln abzulesen. Wie bei zahlreichen anderen<br />

Kirchen entstand auch in Beuron eine Wallfahrt zu einem<br />

Vesperbild, einer Pietä.<br />

Der Konvent begehrt eine Visitation<br />

Nachdem Propst Sigismund zunächst als »Apoll« gepriesen<br />

wurde, kam es dennoch nach 1680 zu immer stärkeren<br />

Spannungen innerhalb des Konvents. Schließlich standen<br />

60<br />

fünf Konventuale in offenem Gegensatz zum Propst, dem nur<br />

noch der jüngste Chorherr beistand. Treibende Kräfte waren<br />

Leonhard Bettschart und der Senior Andreas Schwenck. Die<br />

Chorherren nahmen mit dem Abt von Kreuzlingen als Visitator<br />

Verhandlungen auf und faßten in mehreren Schreiben<br />

im Juli bzw. September 1681 ihre Beschwerden und Forderungen<br />

zusammen. Sie erbaten eine Visitation und Befragung<br />

in Beuron, bei der folgende Punkte behandelt werden sollten:<br />

1. Aufnahme von jungen Religiösen, 2. Einführung des regelmäßigen<br />

Chorgebets und Gottesdienstes, 3. Gleichheit unter<br />

den Fratres, 4. Einführung des Kapitels, 5. Einführung der<br />

regelgemäßen Klausur, 6. Entfernung mißliebiger Personen<br />

aus dem Kreis der Bediensteten. Am 9./10. September nahm<br />

Abt Augustin von Kreuzlingen die Visitation vor. Nach<br />

Vorverhandlungen auch mit Propst Sigismund hatte er den<br />

wichtigsten Streitpunkt in der Weise gelöst, daß der Propst<br />

auf Rat von drei Ärzten hin wegen Altersschwäche resignieren<br />

und einen anderen Ort aufsuchen sollte. Nach außen hin<br />

wollte man die Gründe für den Rücktritt geheim halten, da<br />

die Altersschwäche ja nur ein Vorwand war. Nach Klärung<br />

dieses Punktes setzte der Abt die Ordnung für die Abhaltung<br />

des Chorgebetes im einzelnen fest, auch wie die übrige Zeit<br />

für Meditation, Studien, körperliche Erholung usw. zu nutzen<br />

sei. Das Leben der Chorherren sollte ganz auf die<br />

geistlichen Tugenden ausgerichtet werden, da ohne einen<br />

solchen Geist ein Leben nach der Augustinerregel nicht<br />

möglich sei. Weiterhin billigte er die ihm schon schriftlich<br />

vorgelegten Forderungen der fünf Kanoniker. Das Chorgebet<br />

war, wie er es im einzelnen festgelegt hatte, einzuhalten.<br />

Weitere 10 junge Religiöse sollten aufgenommen werden.<br />

Regelmäßige Kapitelsitzungen waren zukünftig durchzuführen,<br />

auf denen die geistlichen wie weltlichen Angelegenheiten<br />

gemeinsam zu beraten waren. Zwischen den Fratres und<br />

Kapitularen sollte Gleichheit bestehen. Die strenge Klausur<br />

sollte eingeführt werden, die keine Frau betreten dürfe.<br />

Unliebsame Bedienstete sollten entlassen werden.<br />

Die Durchführung der Beschlüsse ließ länger auf sich warten.<br />

Abt Augustin von Kreuzlingen fertigte den Visitationsrezeß<br />

erst am 16. Februar 1682 aus. Der Vollzug der Resignation<br />

zog sich dadurch hinaus. Durch den Tod von Propst Sigismund<br />

im Juli 1682 löste sich das delikate Problem jedoch von<br />

selbst. Die Nachfolge war schwer zu lösen. Schon 1681 hatte<br />

man erwogen, dem Stift Beuron seine Eigenständigkeit zu<br />

nehmen und es mit Kreuzlingen zu vereinen. Jetzt wählten<br />

die Konventualen Abt Augustin zum Beuroner Propst. Dies<br />

ließ der Bischof von Konstanz jedoch nicht zu und kassierte<br />

die Wahl. Schließlich wählten die sechs Beuroner Konventualen<br />

im August 1682 den Kreuzlinger Chorherren Georg Kurz<br />

zum Propst.<br />

Es bereitete einige Mühen, ein Leben nach der Augustinerregel<br />

einzuführen. Propst Sigismund hatte schon während der<br />

Visitation beim Abt von Kreuzlingen einen Chorherren<br />

angefordert, den den Beuroner Konventualen den Chorgesang,<br />

die Liturgie und auch die Formen der Meditation<br />

vermitteln könne. Dies zeigt, daß Propst Georg wieder bei<br />

Null anfangen mußte, daß die Reformen des Sigismund nicht<br />

angenommen worden waren.<br />

Propst Georg war bestrebt, die Selbständigkeit von Beuron<br />

zu sichern. Gegen den Willen der bischöflichen Kurie in<br />

Konstanz betrieb er bei der päpstlichen Kurie die Erhebung<br />

Beurons zur infulierten Abtei. Die Bulle von P. Innozenz XI.<br />

datiert vom 6. Mai 1687. Der Propst konnte sich nun Abt<br />

nennen, ihm standen gewisse bischöfliche Rechte (Pontifikalien)<br />

zu, er konnte bestimmte Weihen vornehmen. Da einige<br />

Beuroner Pfarreien im »häretischen«, d.h. im protestantischen<br />

Württemberg lagen, wurde die Stellung des Abtes dort<br />

durch die, wenn auch beschränkten Weihebefugnisse<br />

gestärkt. Wie wichtig dem Konvent diese Verleihung gewesen<br />

war, zeigt sich darin, daß er allein 823 fl an die römische Kurie


für die Ausstellung der Bulle zahlte, bei etwa 5000 fl Jahreseinkünften<br />

ein hoher Betrag.<br />

Georg Kurz mußte nun gegenüber dem Bischof von Konstanz<br />

erneut einen Treueid ablegen, der gegenüber dem<br />

üblichen Formular um die Versicherung erweitert wurde, daß<br />

er und seine Nachfolger sich verpflichteten, die Pontifikalien<br />

nur im Bereich der Abtei auszuüben, in den Beuron gehörigen<br />

Pfarreien dagegen nur mit bischöflicher Zustimmung.<br />

Abt Georg und der Konvent besiegelten am 13.Juli 1687<br />

dieses Schriftstück, in dem sich das Mißtrauen des Bischofs<br />

spiegelt.<br />

Ein weiterer wichtiger Schritt hin zur Verwirklichung des<br />

Lebens nach der Regel war der Bau neuer Konventsgebäude,<br />

mit dem 1694 begonnen wurde.<br />

Abt Georg führte um 1690 ein strenges hausinternes Studium<br />

für die jungen Religiösen ein. Hierfür holte er Prediger- bzw.<br />

Franziskanermönche nach Beuron. Die Bibliothek mußte<br />

daher stark erweitert werden. Für hohe Beträge wurden selbst<br />

aus Venedig Bücher beschafft.<br />

HERBERT RÄDLE<br />

Diese Auf- und Ausbauphase war 1704 abgeschlossen. Als<br />

der Südflügel der Abtei bezogen werden konnte, bedauerte<br />

der Beuroner Chronist, daß Abt Georg dieses Ereignis nicht<br />

mehr miterleben konnte. Er war wenige Monate vorher<br />

gestorben. Der Chronist stellt fest, daß mit dem Bezug dieses<br />

Gebäudes das strenge Leben nach der Regel begonnen werden<br />

konnte, »...regulärem disciplinam cum solemni choro<br />

feliciter auspicati sumus.. .«.Jetzt erst standen dem Konvent<br />

die Gebäude zur Verfügung, um ein regelbezogenes Leben<br />

führen zu können. Dies zeigte sich bei der am 9. Juni 1704<br />

vorgenommenen Wahl des Nachfolgers. Hatte man sich bis<br />

dahin mit der Sakristei der Kirche behelfen müssen, so konnte<br />

der Wahlakt nun in dem repräsentativen Oberen Saal in der<br />

Abtei (heute Bibelmuseum) stattfinden. Der neugewählte<br />

Abt Josef zog dann mit den Anwesenden unter Glockengeläut<br />

in die Kirche. Nach dem Te Deum wurde der Gewählte<br />

in den Chor zum Abtsstuhl geführt, wo er die Gratulationen<br />

entgegennahm. Nach der Rückkehr in die Abtei überreichte<br />

der Generalvisitator Dr. Waibel dem Abt die Schlüssel. Hiermit<br />

war der Wahlakt abgeschlossen und die während der<br />

Wahlhandlung verschlossenen äußeren Tore der Abtei Beuron<br />

wurden wieder geöffnet.<br />

Das Sigmaringer Bildnis Eitelfriedrichs - eine Kopie nach einem Original<br />

des Meisters von Meßkirch<br />

Die kunsthistorische Einordnung des im Sigmaringer Schloß<br />

hängenden Gemäldes Eitelfriedrichs III. von Zollern (Abb. 1)<br />

ist bisher widersprüchlich. Im Städeljahrbuch 1924 wird das<br />

Bild dem Meister von Meßkirch zugewiesen 1, während jüngere<br />

Autoren diese Ansicht als unhaltbar fallenließen und das<br />

Bild einem nicht näher bekannten Meister Josef von Balingen<br />

(um 1561) zuschreiben 2. Keiner der bisherigen Beurteiler, so<br />

nehme ich an, kannte wohl das in Abb. 2 wiedergegebene<br />

Porträtbild aus dem Vatikan. Sonst wäre ihm nämlich nicht<br />

entgangen, daß in Sigmaringen eine Kopie hängt 3.<br />

Beschreibung und Beurteilung des Sigmaringer Bildes<br />

Bei einem Vergleich der beiden Bilder fallen sofort Ähnlichkeiten<br />

wie Abweichungen ins Auge. Abgesehen von der<br />

größeren Dimensionierung der Kopie (67X96 gegenüber<br />

22 X 33 cm) fällt auf, daß der Kopist den Grafen in einen<br />

Rahmen aus Architekturelementen stellt. Betrachtet man die<br />

Beifügungen näher, so erkennt man, daß sie u.a. offensichtlich<br />

dem Zweck dienen, die Dreidimensionalität zu verstärken<br />

und mehr Perspektive in das Bild zu bekommen. Um dies<br />

zu erreichen, läßt der Maler beispielsweise Hände und Arme<br />

des Dargestellten im Vordergrund auf einer Art Tisch ruhen<br />

und die Figur seitlich über den Rahmen aus zeitgemäß<br />

verzierten Renaissancesäulen hinausragen. Den Architekturrahmen<br />

hinterfängt er wiederum - allerdings etwas ungeschickt<br />

gerade in Höhe des Mundes - mit einem halbgeöffneten<br />

Vorhang, der seinerseits den Blick freigibt auf eine den<br />

Hintergrund bildende tapezierte Wand. Stärkerer Perspektivierung<br />

sollte wohl auch die Rundung der Hutkrempe, die<br />

stärkere Faltung des Mantelkragens und die schräg über die<br />

Brust verlaufende doppelte Kette dienen.<br />

Der Kopist, so stellt man fest, trägt also zur Gestaltung seines<br />

Bildes durchaus Eigenes bei. Und doch fällt die Kopie im<br />

Vergleich zum Original enttäuschend aus. Es gelingt dem<br />

Kopisten nicht, ein neues, befriedigendes Ganzes zu schaffen:<br />

Dadurch, daß er z.B. die Figur des Grafen vorne über den<br />

Architekturrahmen hinaus verbreitert, riskiert er tote Stellen<br />

im Bereich der Arme. Der rechte Teil des Kragens wirkt, da er<br />

der Hand folgend nach außen gezogen werden mußte, steif<br />

und abstehend. Der kreissägenartige Hut sitzt nicht richtig<br />

auf dem Kopf auf. Das vom Kopisten hinzugefügte seltsame<br />

Bartzöpfchen, demzuliebe die in ihrer Bedeutung nicht<br />

Eitelfriedrich III. von Zollern. Fürstlich Hohenz. Museum Sigmaringen.<br />

61


geklärte, vorhängeschloßartige Kapsel auf dem fein plissierten<br />

Hemd zur Seite gerückt werden mußte, wirkt geziert, und<br />

mit der Gestaltung der Hände vollends huldigt der Maler<br />

einem schon fast grotesken Manierismus.<br />

a • * Ii<br />

1 '<br />

' * r ' J?<br />

J ^ 4Í* *<br />

1 > t<br />

Eitelfriedrich III. von Zollern (1494-1525). Meister von Meßkirch.<br />

Pinacoteca Vaticana.<br />

62<br />

Ein Sigmaringer Barockmaler<br />

Johann Fidelis Wetz (1741-1820) hat ein beachtliches<br />

Œuvre hinterlassen. Es umfaßt neben einer außergewöhn-<br />

lich hohen Anzahl an Zeichnungen und Olskizzen auch<br />

Druckgraphiken, Porträts und sakrale Tafelbilder, die<br />

noch heute viele ländliche Kirchen im Landkreis Sigma-<br />

ringen und Umgebung schmücken. Der im Auftrag der<br />

Kreisstadt Sigmaringen und Gesellschaft für Kunst und<br />

Kultur von Eugen Buri herausgegebene Katalog stellt<br />

erstmals die Vielfalt seines künstlerischen Schaffens in<br />

einem repräsentativen Uberblick vor.<br />

Am stärksten enttäuscht die Kopie aber im Bereich des<br />

Physiognomischen. Die Proportionen des Gesichtes stimmen<br />

nicht. Das auf dem Originalbild das Zentrum markierende<br />

Auge ist auf der Kopie zu klein geraten, die rechte Gesichtshälfte<br />

eine Spur zu weit nach außen gezogen und dadurch<br />

überbetont, wodurch die plastische Wirkung des Originals<br />

zunichtegemacht ist. Im übrigen findet das Lächeln, das der<br />

Abgebildete auf der Kopie andeutet, im Original keine<br />

Entsprechung. Dort drückt der Graf, wie es sich für einen<br />

adligen Heerführer wohl geziemt, ernste Ruhe und Sammlung<br />

aus.<br />

Insgesamt bleibt der Eindruck, den die Sigmaringer Kopie auf<br />

den Betrachter ausübt, zwiespältig, wohingegen das Original<br />

des Meisters von Meßkirch in seiner schlichten Natürlichkeit<br />

rundherum überzeugt.<br />

H • d Zum Schluß noch eine Bemerkung zu den auf den Bildern<br />

Tb Thorbecke Verlag Sigmaringen<br />

wiedergegebenen Wappen. Links oben erkennen wir jeweils<br />

das Zollernwappen mit den gekreuzten Erzkämmererszeptern,<br />

rechts das Wappen Johannas von Berselle, der Gattin<br />

Eitelfriedrichs III. Uber sie ist zu sagen, daß sie ein Jahr nach<br />

dem Tod ihres Gatten - dieser starb 1525 als Feldhauptmann<br />

Kaiser Karls V. vor Pavia - den letzten Werdenberger, Graf<br />

Christoph, heiratete. Als dieser acht Jahre später kinderlos<br />

starb, erhob Johanna erfolgreich für ihren Sohn aus erster<br />

Ehe, Karl von Zollern, Anspruch auf einen Teil des werdenbergischen<br />

Erbes. Karl wurde, als Karll. von Hohenzollern-<br />

Sigmaringen, von König Ferdinand I. von Osterreich 1535<br />

mit den bisher werdenbergischen Grafschaften Veringen und<br />

Sigmaringen belehnt: Entstehung der Linie Hohenzollern -<br />

Sigmaringen4. Anmerkungen<br />

1 Vgl. F. Rieffei, Das Fürstlich-Hohenzollerische Museum zu Sigmaringen,<br />

Gemälde und Bildwerke, Städel-Jahrbuch 3/4, Frankfurt<br />

a.M. 1924, S. 65.<br />

2 Vgl. R. Seigel und W. Kaufhold, Schloß Sigmaringen und das<br />

Fürstliche Haus Hohenzollern, Konstanz 1966, S.38.<br />

3 Das in Abb. 2 wiedergegebene Gemälde gilt unwidersprochen als<br />

Werk des M.v.M. Vgl. Chr. Salm in: Kindlers Malerei-Lexikon,<br />

Bd. 9, 1976, S. 102; 104.<br />

4 Vgl. W. Kaufhold und P. Kempf, Fürstenhaus Hohenzollern und<br />

Schloß Sigmaringen, in: Schnell-Steiner-Kunstführer Nr.580,<br />

München 51986, S.3f.<br />

JOHANN<br />

FIDELIS<br />

WETZ<br />

1741-1820<br />

Thorbecke<br />

Ausstellungskatalog 116 Seiten • 52 Abbildungen,<br />

davon 21 in Farbe • Pappband • DM 15.-


WOLFGANG HERMANN<br />

Reinhart von Neuneck Ein adeliges »Dienerleben« der deutschen Renaissance<br />

Berichtigungen zu den Textfolgen in der Hohenzollerischen Heimat 1987 bis 1988<br />

a) Berichtigungen zum Text<br />

1987<br />

S. 42 muß es heißen:<br />

1. Von den Jahren des Sturm und Drang bis zur Ergebung in<br />

den Fürstendienst 1497-1504<br />

S. 44 muß es heißen, im Satz mit der Anm.21:<br />

...und Freiherr Johann Werner von Zimmern in die<br />

Reichsacht gestoßen worden. 21<br />

S. 44 muß es heißen, im Satz mit der Anm. 34:<br />

Damals unterstand Reinhart nicht mehr der Pfalzgräfin Elisabeth,<br />

die inzwischen verstorben war; doch am 14. Mai 1510<br />

übernahm ihn Pfalzgraf Friedrich, welcher der Vormund<br />

Ottheinrichs und Philipps wurde, in seinen Dienst. 34<br />

S. 61 muß es heißen, im Satz nach der Anmerkungszahl 69:<br />

Uber die Bauern... urteilte schon Zimmermann Ende des<br />

19.Jahrhunderts: So gut sie...<br />

S. 61 fehlen folgende Anmerkungsnummern<br />

Die Gesandten der Städte Augsburg, Dinkelsbühl, Wörth<br />

und Nördlingen vertraten diesen Plan und schlugen eine<br />

Beratung für den 21. April vor. 71<br />

Die Ursache ist darin zu sehen, daß die Stadt Nördlingen eine<br />

weitere Unterstützung versagte 74, und die Grafen von Oettingen<br />

mit Gewalt drohten.<br />

S. 62 sind Anmerkungszahlen umzuändern (mit alphabetischer<br />

Ergänzung)<br />

Danach zogen sie wieder nach Hause. 771<br />

Dieser antwortete am 24. April, daß er sogleich kommen<br />

würde. 78a.<br />

...ebenso sei es mit den 300 böhmischen Söldnern und<br />

einigem Feldgeschütz des Herzogs Wilhelm von Bayern,<br />

welche jener aber im Augenblick noch selbst brauchte. 791<br />

1988<br />

S. 10 muß es heißen<br />

d) Die Unternehmungen Reinharts von Neuneck<br />

Der genaue Aufbruch zu den Kämpfen gegen die Bauern im<br />

Donauraum zwischen Altmühl einerseits und Wörnitz andererseits,<br />

ist nicht feststellbar.<br />

S. 10 muß es heißen, auf die Anmerkungszahl 101 folgend:<br />

Sobald die Reitertruppe ... Da die Hilfe des Schwäbischen<br />

Bundes ausblieb, ersuchten sie den jungen Pfalzgrafen Philipp<br />

um eine ...<br />

S. 11 muß es heißen, im Satz mit der Anm. 118<br />

Noch einige Tage zuvor war er im Kloster der Frauen von<br />

Maria Medingen gewesen, die sich am 8. April bei Reinhart<br />

über Unkosten, die er ihnen auferlegt hatte, beschwerten. 118<br />

OTTO H. BECKER<br />

ab Seite 11 unten muß es heißen: (rechte Spalte)<br />

Wenn der Schwäbische Bund bzw. er gegen die Bauern<br />

vorginge und damit auch die Rechte und die Sicherheit der<br />

geistlichen Herrschaften verteidigte, so sei es recht und billig,<br />

daß auch diese einen Beitrag zu den Kriegskosten leisteten.<br />

b) Berichtigungen zu den Anmerkungen<br />

1987<br />

S. 46, Anm. 11 muß ergänzt werden:<br />

Zwei Abhandlungen, die sich mit Villingen befassen, geben<br />

jedoch keinen Hinweis auf den Entführungsfall »Neuneck-<br />

Allmannshofen«: Rud. Maier, Das Strafrecht der Stadt Villingen<br />

in der Zeit von der Gründung der Stadt bis zur Mitte des<br />

16. Jahrhunderts, Inauguraldissertation, Freiburg/Tuttlingen<br />

1913;<br />

Christian Roder, Hg., Heinrich Hugs Villinger Chronik von<br />

1495-1533, Villingen/Stuttgart 1882<br />

S. 63, (einzufügende) Anmerkung 71 und 74 betreffend:<br />

71 und<br />

72 Ders. ebd., S.340<br />

74 und<br />

75 Wilh. Zimmermann, wie Anm. 60, S. 341<br />

S. 63, Anm. 79 muß so lauten:<br />

Ders., ebd. S. 129.-Bei Carl Jäger, ausführl. zit. in Anm. 79 a,<br />

wird auf S. 111 ff. die Beute der Bauern, bzw. der Schaden des<br />

Klosters, ausführlich beschrieben.<br />

S. 63 wird nach Anmerkung 79 angefügt:<br />

77a Günther Franz, Der deutsche Bauernkrieg - Quellenband,<br />

Darmstadt 1968, Nr. 170, S.344<br />

78a Wilh. Zimmermann, wie Anm. 60, S. 610-611; Carl<br />

Jäger, wie Anm. 79a, S. 44<br />

79a Carl Jäger, Markgraf Casimir und der Bauernkrieg in den<br />

südlichen Grenzämtern des Fürstentums unterhalb des<br />

Gebirgs, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der<br />

Stadt Nürnberg, 9. Heft, Nürnberg 1892, S.44<br />

81 Carl Jäger, wie Anm. 79a, S. 44, 45<br />

1988<br />

S. 13, Anm.92 betreffend: es muß dort heißen:<br />

... Er hatte in Basel studiert, u. a. bei Erasmus, kam 1522 nach<br />

Jena, wo er Luther traf, studierte bei Melanchthon.<br />

102 Carl Jäger, wie Anm. 79a, S.32<br />

108 Carl Jäger, wie Anm. 79a, S.84f.<br />

113 Carl Jäger, wie Anm. 79a, S.88<br />

S.28, Anm. 139 betreffend: es muß dort heißen:<br />

139 Carl Jäger, wie Anm. 79a, S. 45<br />

Anm. 150 betreffend:<br />

150 Siehe oben bei Anm. 132<br />

Das Archiv des Füsilier-Regiments Fürst Karl Anton von Hohenzollern<br />

Seit 1985 wird das Archiv der Traditionsgemeinschaft Füsilier-Regiment<br />

Fürst Karl Anton von Hohenzollern als Nachfolgeorganisation<br />

der früheren Vereine und Verbände der<br />

Angehörigen des 1919 in Rastatt aufgehobenen Füsilier-<br />

Regiments (Hohenz.) Nr. 40 gegründet wurde, als Depositum<br />

unter Eigentumsvorbehalt im Staatsarchiv Sigmaringen<br />

63


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

M 3828 F<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

verwahrt. Nach Einverleibung weiterer Ablieferungen an das<br />

Depositum konnte nunmehr ein Findbuch des Vereinsarchivs<br />

vorgelegt werden.<br />

Das Depositum enthält in seinem Kern das Schriftgut, das aus<br />

der Verwaltung und Rechnungsführung der Traditionsgemeinschaft<br />

erwachsen ist, wie z.B. Protokolle des Vorstands,<br />

Korrespondenzen mit Vereinsmitgliedern und Berichte über<br />

Treffen der Vereinsmitglieder auf regionaler und überregionaler<br />

Ebene und die komplette Reihe der Vereinsmitteilungen<br />

von 1958 bis 1987.<br />

Als ebenso wichtig darf das Sammlungsgut in dem Archiv der<br />

Traditionsgemeinschaft angesehen werden. Zu erwähnen<br />

Buchbesprechung<br />

Ein großes Buch von der Schwäbischen Alb<br />

Es gibt schon eine Menge Bücher über die Alb und jetzt schon<br />

wieder eines. Selten hat es jedoch ein so interessantes und<br />

schönes Buch gegeben. Den heutigen Leser anzusprechen, ist<br />

nicht einfach, denn die meisten wollen weniger lesen, als<br />

etwas sehen. Seite für Seite sieht man in diesem Buch die<br />

schönsten Bilder. Dabei ist kaum ein Bild, das man vorher<br />

schon kannte. Immer wieder ist man überrascht von der<br />

Schönheit dieser Landschaft, die man ja kennt, aber so noch<br />

nie gesehen hat, sei es in der Herbstfärbung, in leichtem<br />

Dunst, von Schnee überpudert oder in den satten Farben<br />

eines warmen Sommertages.<br />

Endlich wird die so trockene und schulmeisterliche Geologie<br />

in prächtige und anschauliche Bilder zerlegt und mit kurzen,<br />

verständlichen Texten dargeboten. Nicht weniger ansprechend<br />

wird der Leser in die Geschichte eingeführt. Die Alb ist<br />

ja nicht nur ein Paradies für Geologen, sondern auch für<br />

Archäologen. In den Höhlen der Alb hat sich die Hinterlassenschaft<br />

der Steinzeitmenschen besser erhalten, als im Freiland.<br />

Mit guten Fotos von Fundstellen und Fundstücken,<br />

Zeichnungen und Modellen wird versucht, das Leben der<br />

Steinzeitmenschen anschaulich zu machen. Bronzezeit, Kelten,<br />

Römer, Alamannen, alle Zeitalter hinterließen auf der<br />

Alb ihre Spuren, die in selten schönen Bildern gezeigt<br />

werden.<br />

Nicht zuletzt ist die Alb eine Burgenlandschaft. Viele bedeutende<br />

und unbedeutende Adelsgeschlechter bauten auf den<br />

beherrschenden Felsen der Alb ihre Burgen. Kirchen und<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der<br />

Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: 8.00 DM jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 65351050).<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

64<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Dr. Otto H. Becker<br />

Gustav-Bregenzer-Straße 4<br />

7480 Sigmaringen<br />

Otto Bogenschütz<br />

Böllatweg 1, 7450 Hechingen<br />

Dr. med. Herbert Burkarth<br />

Eichertstraße 6, 7487 Gammertingen<br />

Alois Eisele<br />

Schulstraße 11,<br />

7453 Burladingen-Gauselfingen<br />

Wolfgang Hermann<br />

Fischinger Straße 55, 7247 Sulz<br />

Dr. Hans-Dieter Lehmann<br />

In der Ganswies 2,7457 Zimmern-Bisingen<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a, 8430 Neumarkt<br />

sind vor allem das Kriegstagebuch des 1. Vorsitzenden der<br />

Traditionsgemeinschaft, Oskar Huber, aus den Jahren<br />

1914-1918, Gefechtskarten aus dem 1. Weltkrieg in Frankreich<br />

und die Nachrichtenblätter und Mitgliederverzeichnisse<br />

des ehemaligen Vereins der Offiziere des Füsilier-<br />

Regiments Fürst Karl Anton von Hohenzollern aus den<br />

Jahren 1919/23 bzw. 1920/21.<br />

Die Benutzung des Depositums, das insgesamt 99 Nrn.<br />

aufweist und ca. 2,30 lfd. m umfaßt, richtet sich gem.<br />

Hinterlegungsvertrag vom 6./16. März 1985 nach den jeweils<br />

gültigen Benutzungsbestimmungen der staatl. Archive in<br />

Baden-Württemberg.<br />

Klöster entstanden. Auch der Bauernkriege wird gedacht.<br />

Wenig bekannt ist, daß am 2. April 1525 bei Tigerfeld ein<br />

Bauernhaufe vernichtet wurde. Vor 170 Jahren wurde die auf<br />

dem früheren Schlachtfeld stehende Sattlerkapelle mit dem<br />

Bild der schmerzhaften Muttergottes abgebrochen. Jetzt<br />

findet man wenigstens eine Gedenktafel.<br />

Uber Jahrhunderte gab es die typischen Albdörfer mit ihren<br />

Hülen, umgeben von steinigen Äckern. Heute sind die<br />

meisten nur noch Wohngemeinden, wenn sie nicht einen oder<br />

mehr Industriebetriebe bekommen konnten. Auch über alte<br />

Gewerbe, den Einzug und die Ausbreitung der Industrie,<br />

Schienen und Straßen und die Albwasserversorgung wird<br />

berichtet. Anlaß für das Buch ist die Neuentdeckung der<br />

Alblandschaft durch den Albverein, der vor 100 Jahren<br />

gegründet wurde. Damit wird auch der Wandel bewußt<br />

gemacht. Es gibt inzwischen 76 Naturschutzgebiete auf der<br />

Alb; der Rest der Landschaft wird zersiedelt, von der Freizeitgesellschaft<br />

und der Flurbereinigung verdorben, wenn<br />

nichts dagegen getan wird. Sicher scheint jedoch, daß es<br />

schlimmer aussähe, wenn nicht der Albverein in den vergangenen<br />

hundert Jahren alles getan hätte, die Alblandschaft zu<br />

erhalten und zu pflegen. B.<br />

Das große Buch der Schwäbischen Alb<br />

Herausgegeben von E. W. Bauer und H. Schönnamsgruber,<br />

214 Seiten mit 410 farbigen Abbildungen. DM 89,-. Erschienen<br />

im Konrad Theiss Verlag, Stuttgart.<br />

Dr. Wilfried Schöntag<br />

Staats archivdirektor<br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen Telefon 07574/4211<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.

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