heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
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muß zu jener Zeit Severin Fuchs gewesen sein - darüber<br />
beschweren? Bei wem reichte er die Klage ein?<br />
- War der religiösen Minderheit der Juden zuzutrauen, in<br />
eine christliche Kirche einzudringen und dort einen Fastnachtstanz<br />
abzuhalten?<br />
- Handelte es sich überhaupt um einen Fastnachtstanz? Die<br />
Juden hätten einen Tanz an Fastnacht doch wohl nur in<br />
Verbindung mit dem Narrentreiben der Christen durchgeführt?<br />
- Handelte es sich möglicherweise um ein nur jüdisches Fest,<br />
um einen Purimball etwa? Das Losfest (Purim), das in die<br />
Monate März/April fällt, ist ein besonders fröhliches, ja<br />
ausgelassenes Fest. Angelehnt ist es an die Ereignisse, die im<br />
Buch Esther geschildert werden. Es berichtet über die Begebenheiten,<br />
die sich vor etwa 2000 Jahren im Perserreich<br />
zugetragen haben. Damals konnte sich die dortige jüdische<br />
Gemeinschaft vor einer drohenden Ausrottung retten. Seitdem<br />
wird das Fest vor allem in Deutschland und in einigen<br />
Ländern Europas, wie etwa Fasching begangen 3. Wie konnte<br />
der Sachverhalt aufgeklärt, die »Wahrheit« herausgefunden<br />
werden? Woher hatte der Chronist seine Informationen? Die<br />
bisherigen Darstellungen von Max Heinrichsperger bis Karl<br />
Mors gehen über diesen Zeitraum allzu raffend hinweg 4.<br />
Das Ärgernis gelangt Generalvikar Wessenberg in Konstanz<br />
zu Ohren<br />
Bei der Einlagerung und Verzeichnung von Akten im Archiv<br />
der Pfarrei St.Jakobus Hechingen 5 stieß ich auf ein Bündel<br />
mit der Aufschrift Religion und Seelsorge. Betreff: Ärgernisse<br />
6. Darin fand ich denn auch ein Schreiben des Bistumsverwesers<br />
Ignaz Heinrich Wessenberg 7 vom 15. Juni 1827, in<br />
dem er sein Erstaunen darüber äußert, daß den Juden am<br />
Pfingsttag und sogar während des Gottesdienstes in St. Luzien<br />
ein Tanz gestattet werden konnte, und vom Hechinger<br />
Stadtpfarrer einen genauen Bericht von dem wahren Hergang<br />
der Sache anfordert. Er fragt an, was anzuordnen sei, um<br />
künftig derartige Ärgernisse zu vermeiden, oder ob die<br />
Kirche gar als entweiht anzusehen sei.<br />
Im »Auszug« ist ein ihm zugestellter Brief wiedergegeben; er<br />
lautet:<br />
Es war am Pfingsttag, wo in Hechingen gegen alle sonst<br />
christliche Staaten in dem ehemaligen Kloster St. Luzian die<br />
Juden einen Tanz hielten. Mit außerordentlichem Lärmen<br />
und Getöße zogen sie in den Gängen des Klosters umher,<br />
während der Kaplan Kohler, der in der Kirche pfarrliche<br />
Verrichtungen zu erfüllen hat, beicht saß. Die Juden 50 an der<br />
Zahl giengen von der talmudischen Lehren begeistert mit<br />
ihren Mädchen in die Kirche, giengen daselbst mit Getöß und<br />
Gelärm auf und ab, während Kaplan Kohler zu beicht saß,<br />
dieser stund auf und geboth den Juden Ruhe und Stille; diese<br />
aber drohten ihm mit ihren Fäusten, überhäuften ihn mit allen<br />
möglichen Schimpfnamen und zwangen ihn mit seinen<br />
Beichtkindern in die Sakristey zu flüchten - während er selber<br />
zuschloß - holten die Juden ihre Musigkanten fiengen an zu<br />
tanzen, u. alle möglichen unsittliche Unfuge in der Kirche zu<br />
treiben, und zuletzt die Altäre und Beichtstühle zu beschmeißen.<br />
Kohler lief um Hilfe, und endlich wurden sie abgeführt, und<br />
sitzen in der Rathsstube zu Hechingen gefangen, wurden mit<br />
Uberfluß von Speiß und Trank versehen, und zeigen in dem<br />
Arrest den Triumpf über eine christliche Kirche im 19. Jahrhundert.<br />
Demnach hat das Ereignis an Pfingsten 1827 stattgefunden.<br />
Also: Ein Purimball kann es ebensowenig gewesen sein wie<br />
ein Fastnachtstanz. Stutzig macht uns auch die Aufforderung<br />
Wessenbergs an Stadtpfarrer Fuchs, den wahren Hergang der<br />
20<br />
Sache zu berichten. Traut Wessenberg dem Briefschreiber<br />
nicht zu, den Sachverhalt objektiv darzustellen? Mißtraut er<br />
ihm? (Später erfahren wir durch Stadtpfarrer Severin Fuchs 8,<br />
daß der Vorfall ganz entstellt und unrichtig an das Generalvikariat<br />
berichtet worden sei.)<br />
Der Briefschreiber: Joseph Glatz<br />
Im Erzbischöflichen Archiv Freiburg war dann auch der<br />
Briefschreiber zu ermitteln 9. Wer war Joseph Glatz? Er kam<br />
am 5. März 1776 in Haigerloch zur Welt. Ordiniert wurde er<br />
am 15. September 1800. Am 20. Oktober 1800 trat er die Stelle<br />
als Nachprediger 10 in Sigmaringen an. Später war er Stadtkaplan<br />
und Professor in Hedingen, seit 3. Mai 1830 Pfarrer in<br />
Hausen am Andelsbach. Gestorben ist er am 24. Dezember<br />
1839".<br />
In einem umfangreichen »Handbuch der Erziehung und<br />
Bildung des Menschen zur Religion nach den Bedürfnissen<br />
unserer Zeit«, das Joseph Glatz 1818 veröffentlichte 12, führt<br />
er als Paragraph 120 an: Es ist Pflicht - Niemanden zu<br />
verläumden. Er sagt darin: Der Verleumder haßt seine Mitmenschen,<br />
schaut sie mit scharfspähendem Blicke von allen<br />
Seiten an, und denkt: unter so vielen Schritten, unter so vielen<br />
Handlungen wird doch eine seyn, die die Probe nicht aushält,<br />
welche man aus einem widrigen Gesichtspunkte betrachten<br />
kann, - die man verdrehen, vergrößern, verkleinern könne -<br />
es gelingt dem Verläumder, mit Freuden läuft er von Haus zu<br />
Haus, von Gesellschaft zu Gesellschaft, schüttet das Gift aus,<br />
tausend verschlingen es begierig, und speien es dann mit<br />
tausend Zusätzen wieder aus 13. - Jedoch vertritt Glatz darin<br />
auch die Meinung, daß es Fälle giebt, wo es sogar Pflicht für<br />
den Menschen ist, die böse Seite eines Mitmenschen aufzudecken.<br />
Allerdings fordert er dabei die strengste Wahrheiten<br />
- der Christ hütet sich sorgfältig seinem Nebenmenschen<br />
nicht 14 Unrecht zu thun - er sagt nicht mehr und nicht<br />
weniger, als er genau weiß; wie er ihn kennt, so spricht er, und<br />
hütet sich namenlose Sagen, pöbelhaftes Gepläuder, und<br />
täuschende Vermuthungen für Gewißheit auszugeben 15.<br />
Am 9. Juni 1827 nun schrieb Joseph Glatz aus Sigmaringen an<br />
Generalvikar Wessenberg. Aus dem vollen Wortlaut seines<br />
Briefes geht hervor, daß er sich verpflichtet fühlte, den Vorfall<br />
dem Bistumsverweser bekanntzumachen. Er schreibt, er sei<br />
weit entfernt Euer Excellenz eine Maßregel vorzuschlagen,<br />
doch rückt er im selben Satz damit heraus: die Schließung der<br />
Kirche des ehemaligen Franziskaner-Klosters St. Luzen.<br />
Außerdem regt er an, die Sache von einer geistlichen Regierung<br />
untersuchen (zu) lassen, um so mehr, da es in einem<br />
Ländchen ist, wo nicht nur kein Gesetzbuch sondern nicht<br />
einmal die Rede von einer Verfolgung sei. Nun wissen wir<br />
nicht, woher Joseph Glatz von dem Geschehen Kenntnis<br />
hatte. Wir wollen ihm zugute halten, daß er davon vom<br />
Hörensagen erfuhr und ihm keine bewußte Falschdarstellung<br />
unterstellen. Offensichtlich wird jedoch, daß er gegen die<br />
Regierung des Fürstentums Hohenzollern-Hechingen negativ<br />
eingestellt war und ihr nicht zutraute, den Vorgang<br />
objektiv zu untersuchen und gerecht zu entscheiden. Ja, er<br />
meint sogar, man werde ihn in der Stille unterdrücken, und<br />
die jüdisch gesinnte und bestochene Afterregierung selbe (die<br />
Juden) so galand als möglich zum Ärgerniß des christlichen<br />
Volkes behandeln 16.<br />
Versuchen wir noch, aus seinem bereits erwähnten Werk<br />
seine Einstellung zu den Juden herauszufinden. In Paragraph<br />
73 »Juden Denkmäler erfüllter Weissagungen« schreibt<br />
er: Die ersten Bekenner Jesu hatten die Juden, ungeachtet<br />
ihrer hartnäckigen Verwerfung der christlichen Lehre, die<br />
ihnen so manche traurige Empfindung erregten, doch lieb,<br />
und sprachen bey jeder Gelegenheit mit Achtung von ihnen,<br />
entschuldigten sogar selbst ihren falschen Religionseifer<br />
gegen die Christen. Von diesem sind die Christen selbst in