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heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

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nen gegen das Judentum setzten in Haigerloch... gegen<br />

4 Uhr... ein. Gegen 4.15 Uhr meldete mir der Gendarmerieposten<br />

Haigerloch, daß er in das sog. Haag, wo 160 Juden in<br />

geschlossener Siedlung wohnen, gerufen sei, und daß bei<br />

seinem Eintreffen bereits sämtliche Jüdischen Wohnungen<br />

sowie die Synagoge und das zugehörige Badhaus von etwa 50<br />

jungen Leuten demoliert wurden. Er bat um Weisung. Ich<br />

verständigte sofort den Vertreter des Herrn Regierungspräsidenten,<br />

den Kommandeur der Gendarmerie sowie den Herrn<br />

Oberstaatsanwalt. Während ich im Begriffe stand, mich<br />

gegen 4.30 Uhr nach Haigerloch zu begeben, erreichte mich<br />

ein fernmündlicher Anruf der Außendienststelle der Geheimen<br />

Staatspolizei, die mich ersuchte, sofort 15 tunlichst<br />

reiche Juden verhaften zu lassen. Falls Aktionen gegen die<br />

Juden eingeleitet würden, dürften, nach Mitteilung der<br />

Außendienststelle der Geheimen Staatspolizei nicht dagegen<br />

eingeschritten werden. Ich verständigte darauf den Beamten<br />

der Außendienststelle, daß die Aktion in Haigerloch bereits<br />

im Gange sei. Um die angeordneten Verhaftungen durchführen<br />

zu können, zog ich die hierfür benötigten Gendarmeriebeamten<br />

auf das hiesige Rathaus zusammen und gab...<br />

fernmündlich dem Stellv. Bürgermeister in Haigerloch... die<br />

für die Durchführung der Verhaftungen erforderlichen Weisungen<br />

... Nachdem mich ein weiterer fernmündlicher Anruf<br />

der Außendienststelle erreichte, wonach alte und kranke<br />

Juden nicht zu verhaften seien, schritten die inzwischen<br />

eingetroffenen Gendarmerie- und Polizeibeamten zu nachstehenden<br />

Verhaftungen... Auf Ersuchen des Kreisleiters<br />

von Horb... ordnete die Außendienststelle der Geheimen<br />

Staatspolizei folgende weitere Verhaftungen an:... Die Inhaftierten<br />

sind in das Amtsgerichtsgefängnis... in Haigerloch<br />

eingeliefert worden...«<br />

Da der Landrat teilweise falsche Namen weitergab, seien die<br />

der tatsächlich Verhafteten angegeben: Kaufmann Leopold<br />

Hirsch, Handelsmann Siegfried Katz, Kaufmann Alfred Levi,<br />

Kaufmann Hermann Levi, Handelsmann Wilhelm Levi,<br />

Kaufmann Benno Reutlinger, Kaufmann Paul Singer, Lehrer<br />

Gustav Spier, Kaufmann Max Ullmann, Handelsmann Louis<br />

Ullmann und Kaufmann Sally Ullmann.<br />

Der Regierungspräsident informierte erst in einem Schnellbrief<br />

vom 1. Dezember den Preußischen Ministerpräsidenten<br />

über die Vorfälle in Haigerloch (und Hechingen). Aus dem<br />

sachlichen Bericht geht hervor, daß der Haigerlocher Lehrer<br />

Gustav Spier bei der Zerstörung seiner Wohnungseinrichtung<br />

»als einziger Jude Verletzungen davontrug«. Interessant<br />

ist die weitere Notiz: »Auch in Haigerloch wurde die Synagoge<br />

nicht in Brand gesteckt. Eine für die Nacht zum 13.11.<br />

1938 geplante nachträgliche Inbrandsetzung wurde auf Mitteilung<br />

des für Haigerloch zuständigen Kreisleiters... in<br />

Horb durch das Eingreifen der Gendarmerie verhindert.«<br />

Weiter beklagte sich der Regierungspräsident, er sei von der<br />

Geheimen Staatspolizei weder von den Aktionen noch von<br />

den Verhaftungen in Kenntnis gesetzt worden. Am<br />

12. November ersuchte der Regierungspräsident bei der<br />

Geheimen Staatspolizei in Stuttgart »um Bericht über die<br />

anlässlich der Demonstrationen gegen die feige jüdische<br />

Mordtat in Paris in Hohenzollern erfolgten Inschutzhaftnahmen<br />

von Juden unter Angabe der Namen der Verhafteten«.<br />

28 Personen umfaßte die Liste, die der Präsident drei Tage<br />

später in Händen hatte, darunter die elf aus Haigerloch.<br />

Die verhafteten Juden kamen am 12. November in das KZ<br />

Dachau. Man weiß heute, »daß die Aktion auf einige Wochen<br />

begrenzt war, daß sie der Einschüchterung und der Pression<br />

zur Auswanderung, aber (noch) nicht der Vernichtung der<br />

Opfer diente«. Auch in Haigerloch ist ein deutlicher Zusammenhang<br />

zwischen Pogrom, »Schutzhaft« und Auswanderungsbemühungen<br />

festzustellen. Im November und Dezem-<br />

ber 1938 erteilte das Bürgermeisteramt zahlreiche sog. Unbedenklichkeitsbescheinigungen,<br />

die Voraussetzungen für das<br />

Ausreiseverfahren waren. Auch erfolgten in jener Zeit eine<br />

Reihe von Auswanderungen - von den insgesamt<br />

(1934-1941) registrierten 70 waren es allein im November<br />

1938 16 - überwiegend nach Uruguay und in die USA.<br />

Milly Singer, geb. Stern, beantragte zum Beispiel wenige Tage<br />

nach dem Pogrom für sich und ihren Mann Paul Singer, der<br />

»bei der kürzlichen Aktion gegen die Juden« in das Konzentrationslager<br />

Dachau »übergeführt worden« war, die Ausstellung<br />

von Reisepässen. »Sobald der Häftling wieder auf freiem<br />

Fusse ist, soll die Auswanderung erfolgen«, teilte der Bürgermeister-Stellvertreter<br />

dem Landrat mit und befürwortete den<br />

Antrag.<br />

In einem Schreiben an den Regierungspräsidenten hatte auch<br />

der Hechinger Landrat am 15. November den verstärkten<br />

Ausreisewillen Haigerlocher Juden bestätigt: »Aus Haigerloch<br />

beabsichtigen voraussichtlich noch in diesem Monat<br />

insgesamt 13 Juden, für die die Ausreisepapiere bereits ausgefertigt<br />

sind, nach Uruguay auszuwandern.« Unter ihnen auch<br />

zwei Juden, die von der Geheimen Staatspolizei bereits aus<br />

der Haft entlassen seien, »um ihnen die Ausreise zu ermöglichen«<br />

(Louis Bernheim und Jakob Levi).<br />

Wie die Gestapo Sigmaringen am 19. November dem Landrat<br />

in Hechingen mitteilte, konnte Anträgen auf Entlassung aus<br />

der Schutzhaft nur stattgegeben werden, wenn<br />

»1) dies zur Durchführung von Arisierungsverhandlungen<br />

notwendig ist; bei der Prüfung dieser Frage ist großzügig zu<br />

verfahren.<br />

2) dies zur Durchführung der Auswanderung erforderlich ist;<br />

dem Antrag auf Entlassung sind die zur Auswanderung<br />

notwendigen Papiere anzuschließen.<br />

3) ein dringendes Interesse der deutschen Wirtschaft (z.B.<br />

Export) dies erfordert«.<br />

Weiter wurde darauf hingewiesen, der Chef der Sicherheitspolizei<br />

habe angeordnet, »dass gegen die im Zusammenhang<br />

mit der Protestaktion vorgekommenen Plünderungen rücksichtslos<br />

einzuschreiten ist; die Täter sind festzustellen und<br />

festzunehmen. Die Sachwerte sind sicherzustellen...«<br />

Nach einem Erlaß des Chefs der Sicherheitspolizei vom<br />

28. November waren auf Anordnung des Ministerpräsidenten<br />

Generalfeldmarschall Göring »alle Juden, die im Zuge der<br />

Vergeltungsaktion festgenommen worden sind und Frontkämpfer<br />

waren, zu entlassen«. Darunter fielen alle jüdischen<br />

Häftlinge, die im Besitz des Ehrenkreuzes für Frontkämpfer<br />

waren oder in Einzelfällen den Nachweis über die Frontkämpfertätigkeit<br />

erbrachten. Die Geheime Staatspolizei Sigmaringen<br />

teilte am 5. Dezember über den Hechinger Landrat<br />

mit, »die Namen derjenigen jüdischen Schutzhäftlinge, die<br />

nachweisbar Frontkämpfer waren, sind sofort hierher mitzuteilen.<br />

Wenn im Einzelfall einer Entlassung besondere<br />

Gründe entgegenstehen würden, ist dies unter Angabe der<br />

Gründe hierher zu berichten«. Der Landrat in Hechingen<br />

meldete sofort am 8. Dezember auch die von Haigerloch<br />

stammenden jüdischen Frontkämpfer, die sich in Schutzhaft<br />

befanden: Handelsmann Siegfried Katz, Kaufmann Hermann<br />

Levi, Handelsmann Wilhelm Levi, Kaufmann Benno Reutlinger<br />

und Lehrer Gustav Spier sowie als mögliche Frontkämpfer<br />

Kaufmann Alfred Levi und Handelsmann Louis<br />

Ullmann.<br />

Tatsächlich wurden am 1. Dezember Paul Singer und am<br />

6. Dezember Lehrer Gustav Spier aus dem Schutzhaftlager<br />

Dachau entlassen. Zum Glück hatte sich die Meinung des<br />

Hechinger Landrats nicht durchgesetzt, der noch am<br />

15. November gegenüber dem Regierungspräsidenten betont<br />

hatte, daß durch die Verhaftung des Lehrers Spier der Unterricht<br />

für die sieben schulpflichtigen jüdischen Kinder unmög-<br />

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