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heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

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MAREN KUHN-REHFUS<br />

Der Sigmaringer Turnerbund und die Revolution von 1848<br />

Wie zahlreiche andere Turnvereine, so ist auch der Sigmaringer<br />

Turnerbund ein Kind der Revolution von 1848. Die<br />

damals gegründeten Turnvereine sahen ihre Aufgabe keineswegs<br />

ausschließlich in turnerischer Betätigung, sondern<br />

machten sich von Anfang an die Ziele der revolutionären<br />

Bewegung zu eigen, nämlich die Herstellung der nationalen<br />

Einheit und die Einführung liberaler Verfassungen.<br />

Unter dem Einfluß der Februarrevolution in Paris kam es<br />

auch in ganz Deutschland zu Versammlungen und Demonstrationen.<br />

In Hohenzollern-Sigmaringen begann die Märzrevolution<br />

mit einer Bürgerversammlung im Sigmaringer<br />

Rathaus und einem Volksauflauf auf dem Marktplatz am<br />

.5. März 1848. Unter dem Druck der Bevölkerung, die ihre<br />

Forderungen in einer Flut von Petitionen präsentierte, mußte<br />

die fürstliche Regierung verschiedene Konzessionen machen.<br />

Es waren dies Aufhebung der Zensur, Einführung von<br />

Schwurgerichten und Volksbewaffnung, Einberufung eines<br />

außerordentlichen Landtags und grundsätzlich die Bewilligung<br />

all jener Zugeständnisse, die im Großherzogtum Baden<br />

bereits bewilligt worden waren. Kurze Zeit später verzichtete<br />

der Fürst auf eine Reihe von feudalen Rechten, vorwiegend<br />

auf Abgaben und Fronen. Trotzdem gelang es nicht, die Lage<br />

im Land zu beruhigen. Ende März meuterte sogar das Militär.<br />

Im Mai und Juni verschärften sich die politischen Gegensätze<br />

weiter. Im Mai waren in Sigmaringen zwei politische Vereine<br />

entstanden, die bereits als politische Parteien bezeichnet<br />

werden können, nämlich der »Vaterländische Verein« und<br />

der »Konstitutionelle Verein«. Der Vaterländische Verein<br />

stützte sich auf eine Gruppe von liberalen und politisch<br />

aktiven Kaufleuten, Lehrern, Wirten, Handwerkern, Advokaten<br />

und Offizieren. Er bekannte sich zu demokratischen<br />

Grundsätzen sowie sozialen Reformen und trat außerdem für<br />

die Einführung der Republik ein. Gründer und Vorsitzender<br />

war Advokat Würth, der später Abgeordneter in der Frankfurter<br />

Nationalversammlung wurde. Das Presseorgan des<br />

Vaterländischen Vereins war der »Erzähler«, der später auch<br />

den Turnverein unterstützte. Der Konstitutionelle Verein<br />

dagegen setzte sich aus liberalen Beamten, freisinnigen Bürgern<br />

und monarchisch gesinnten Bauern zusammen. Er<br />

strebte die konstitutionelle Monarchie an, d.h. die an eine<br />

Verfassung gebundene Monarchie, und lehnte jede Radikalisierung<br />

ab. In den Hintergrund gedrängt worden waren die<br />

Konservativen, die sich auch zu keiner Partei zusammenschlossen.<br />

Ihre politische Richtung kam jedoch in der Zeitung<br />

»Der Volksfreund aus Hohenzollern« zu Wort.<br />

Vom Vaterländischen Verein erwartete man Mitte Juni den<br />

förmlichen politischen Umsturz und vermutete, sein Vorsitzender<br />

Würth werde die Republik ausrufen. Als prophylaktische<br />

Gegenmaßnahme veranlaßte der Erbprinz die Einquartierung<br />

bayerischer Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung.<br />

Der Umsturz fand indes nicht statt, dagegen rief die<br />

militärische Besetzung Mißstimmung und Unruhe hervor.<br />

Am 1. Juli trat endlich der von großen Hoffnungen begleitete<br />

außerordentliche Landtag zusammen, der neben politischen<br />

Fragen hauptsächlich die Einführung von materiellen<br />

Erleichterungen für die Bevölkerung behandelte.<br />

In dieser politisch aufgewühlten Zeit wurde der Sigmaringer<br />

Turnverein gegründet. Am 30. Juni 1848 erschien im »Erzähler«,<br />

der Zeitung der Demokraten, ein Aufruf, der alle<br />

»Männer und Jünglinge« über 16 Jahren zu einer Besprechung<br />

im Zollerischen Hof am 1. Juli einlud'. Unterzeichner<br />

waren Julius und Gustav Blau, Parmenio Fatio, Hermann<br />

Raible, Julius Fivaz und Josef Rhein. Schon am 6. Juli fand die<br />

Gründung unter dem Namen »Turngemeinde Sigmaringen«<br />

statt. Erster Vorsitzender wurde Julius Blau, an dessen Stelle<br />

aber schon bald Josef Rhein trat, der anfänglich Sprecher des<br />

Vereins gewesen war. Parmenio Fatio wurde Turnwart.<br />

Für die Stellung der Turngemeinde im politischen Spektrum<br />

Sigmaringens aufschlußreich ist, daß der Vaterländische Verein<br />

die Gründung »mit Vergnügen« zur Kenntnis nahm und<br />

»beschloß, diesen Verein junger, wackerer Männer aufrichtiger<br />

Teilnahme und brüderlicher Unterstützung zu versichern«<br />

2. Die Obrigkeit befand, der Turnverein verfolge<br />

»ganz die Richtung des Vaterländischen Vereins oder vielmehr<br />

seiner Führer«, und stufte ihn damit als eine Art<br />

Anhängsel dieser Partei ein 3.<br />

In der Tat betrachtete sich die Turngemeinde durchaus auch<br />

als politische Vereinigung und vertrat ausdrücklich den<br />

Standpunkt der Sigmaringer Demokraten. So legte ihre Satzung<br />

vom 1. Januar 1849 in § 1 fest: »Der Zweck der Turngemeinde<br />

ist die Heranbildung geistig und leiblich rüstiger<br />

Männer, welche neben Erlangung körperlicher Anlagen einen<br />

wackeren, deutschen, demokratischen Sinn und Reinheit der<br />

Sitten zu erstreben, zu verbreiten und zu bewahren bemüht<br />

sein wollen.« Die Einstellung der Turner geht aus einem<br />

offenen Brief von 1849 hervor, der zwar von der Riedlinger<br />

Männerturngemeinde veröffentlicht wurde 4, offenkundig<br />

aber mit der Auffassung der Sigmaringer Turngemeinde<br />

übereinstimmte. Die Riedlinger Turner hielten es für zwingend<br />

geboten, daß sich auch Turner mit der Politik befaßten.<br />

Denn, so formulierten sie, »Es ist eine heilige Pflicht der<br />

tatkräftigen Jugend, des in Blüte des Lebens glühenden<br />

Jünglings, sich in diesen verworrenen, bewegten Zeiten mit<br />

staatlichen Verhältnissen vertraut zu machen, denselben sein<br />

ernstes Nachdenken zu widmen und zu dessen Nutzen seine<br />

Kräfte freudig zu weihen. Jeder biedere Staatsbürger, der<br />

Verpflichtungen gegen den Staat zu erfüllen hat,... soll die bis<br />

jetzt verschmälerten und verkümmerten Ansprüche des Bürgers,<br />

seine Rechte an den Staat kennen und sich dessen zu<br />

sichern lernen. Das kann jetzt leider bei dem politisch<br />

ungebildeten Volke nur durch fleißiges Benützen des Vereinsrechts<br />

geschehen. ... Will sich nun der Turner dessen<br />

gänzlich entziehen, so blamiert er sich selbst und spielt das<br />

>Schach-Matt< als Mann, der ein einiges großes Deutschland<br />

will.« Der Turner müsse sich »unstreitig auf die demokratische<br />

(Seite stellen), welche die Seele des fortschreitenden<br />

Prinzips ist«. Denn: »Liefert uns nicht schon die Geschichte<br />

unserer selbstgemachten Erfahrungen den Beweis, wie sehr<br />

das Volk bis jetzt durch leere Versprechungen unter den<br />

hohlen konstitutionell-monarchischen Formen angeführt<br />

und betrogen worden ist? Wie sind denn die großartigen<br />

Erhebungen des deutschen Volkes gegen seine Unterdrücker<br />

in der französischen Revolution gelohnt worden? Der Kongreß<br />

zu Aachen gewährte ihm statt >Erleichterungen< Verkümmerung<br />

seiner bürgerlichen Rechte. Das Recht, das<br />

vorgebliche - von Fürst und Krone - wurde vergrößert, das<br />

des schlichten Bürgers verkleinert; ... Freilich ist man noch<br />

gewöhnt, die Größe und Kraft eines Landes mit dem Nimbus;<br />

einer Krone, eines Thrones und eines goldenen Szepters zu<br />

umgeben, bedenkt aber nicht, daß sich in dem Prunke voneinigen<br />

30 fürstlichen Familien das Elend vieler tausend und<br />

tausend Familien spiegelt.... Folglich ist dieses Verhüllen des<br />

fortschreitenden Prinzips in konstitutionell-monarchischer<br />

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