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usiness<br />
DAs entfesselte Herz<br />
Von Gerhard Hofmann<br />
Vor einem Jahr hatte ich hier an gleicher Stelle, etwas über die<br />
Lebensphilosophie der Nachhaltigkeit und bewussten Lebensführung<br />
(LOHAS) nachgedacht und einige Gedanken formuliert.<br />
Heute möchte ich diese weiterführen. Die Inspirationsquelle war<br />
ein Aufsatz anlässlich der Seligsprechung von John Kardinal Newman.<br />
Newmans Satz: „Das Herz spricht zum Herzen“ und die Ausführungen<br />
dazu erinnerten mich an das berühmte Wort von Augustinus:<br />
Cor incurvatum in se ipsum. Man kann es als „das in sich<br />
gekrümmte Herz“ übersetzen und Augustinus beschreibt damit<br />
u.a. das Phänomen der Sünde. Die moderne Version der Sünde<br />
ist der „Selbsthype“, die Neigung des Menschen sich sein Dasein<br />
selbst zu zuschreiben.<br />
Durch diese bildhafte Sprache angeregt, kam mir der Begriff: „Das<br />
entfesselte Herz“, in den Sinn. Das entfesselte Herz schlägt in Menschen,<br />
die offen sind für sich selbst (ich muss<br />
mich immer wieder neu entdecken) und auf<br />
Andere hin (Wer bist Du, auch für mich). Der<br />
Andere ist immer der Gegenüber, dazu gehört<br />
auch der eigene Partner, unsere Kinder,<br />
der Nachbar, der Mitarbeiter, der Kollege und<br />
auch der Fremde. Dieser verliert sein Fremdsein,<br />
wenn ich ihm in die Augen sehe oder ins<br />
Herz geschaut habe.<br />
Die Offenheit auf den Anderen hin, wird nicht<br />
immer belohnt. Natürlich treffe ich auf Menschen<br />
mit „dem verkrümmten Herz“. Sie sind<br />
eng, machen zu, anstatt auf, isolieren sich,<br />
sehen nicht die Gefahr des Egozentrismus.<br />
In der Einsamkeit des reinen Selbstbezuges<br />
wird das Freiheitsangebot der Transzendenz,<br />
die uns über uns selbst erhebt, nicht erfasst.<br />
Kierkegaard spricht vom „Zerstörerischen des Selbstischen“. Diese<br />
Gefahr besteht für den Einzelnen und für kleine Gruppen. In<br />
der Gruppe sorgen ausgeprägte Ritualien für die gewollte Zucht.<br />
Abwanderung ist Verrat, Widerspruch ist Illoyalität. Man legt sich<br />
selbst Fesseln an, verordnet eigentlich Denkverbote und nennt<br />
das Ganze klare Linie und konsequente Haltung. Das ist der geistige<br />
Nährboden für egoistische Materialisten und religiöse Fanatiker.<br />
Letztere glauben noch an eine Mission und wollen sie uns ins Bewusstsein<br />
bomben, die Materialisten dagegen, gepaart mit Spielsucht,<br />
zocken um die Anerkennung in der Gruppe. Wer hat die<br />
meiste Kohle?<br />
Der Par Force Ritt übergieriger, jeder wirklich gesellschaftlichen<br />
Bindung enthobener Fondmanager an einigen Finanzplätzen der<br />
Welt, gab uns einen erschreckenden Einblick in die Abgründe<br />
menschlichen Handelns. Für Tage hatte es so ausgesehen als würden<br />
ganze Zivilisationen daran zu Grunde gehen.<br />
Wirtschaftliches Handeln ist auch soziales Handeln. Im Begriff<br />
der Ökonomie liegt implizit auch das Verständnis vom Heilshandeln.<br />
Indem wir uns an den Wünschen und Bedürfnissen der Gemeinschaft<br />
orientieren, entfalten wir die Kreativität, die unseren<br />
10 Noble-Magazin Aschaffenburg<br />
Alltag mit sinnvollen Produkten und hilfreichen Dienstleistungen<br />
beschert und dabei gleichzeitig Wohlstand generiert. Der Markt<br />
als der fiktive Ort, an dem sich in Freiheit Angebot und Nachfrage<br />
treffen. Der individuelle Selbstzweck Einkommen zu erzielen,<br />
entfaltet sich nur, wenn dem ein Nutzen für das Kollektiv gegenübersteht.<br />
Zum besseren Verständnis der Vorgänge hat man die Implikation<br />
des „homo öconomicus“ eingeführt, des immer und überall rational<br />
handelnden Menschen, basierend auf der klugen Erkenntnis,<br />
das Offenheit, Transparenz, Kontrolle und Machtteilung die<br />
wesentlichen Elemente sind, damit die Marktteilnehmer gerecht<br />
den jeweiligen Nutzen maximieren können. Natürlich, war die<br />
Modellklausel des immer rational handelnden Menschen während<br />
meiner Studienzeit eines der beliebtesten Kritikpunkte an<br />
der geltenden, sogenannten bürgerlichen Ökonomie. Übersehen<br />
wurde dabei aber, dass dieses Ideal, wenn auch es nie in Reinkultur<br />
existiert, der Macht, sei sie in den Händen der Kapitalisten<br />
oder in den Händen der „Diktatur des Proletariats“, um die Sprache<br />
der damaligen Zeit zu verwenden, Grenzen setzt.<br />
Unsere Gesellschaft hat es mit der balance of power, die letztlich<br />
auf den Kompromisswillen der Agierenden<br />
und Repräsentanten der Interessen und ihren<br />
Gegensätzen setzt, doch recht weit gebracht.<br />
Heute kommt die Komponente der Nachhaltigkeit<br />
hinzu. Die Verantwortung heute für<br />
das Morgen.<br />
Immer wenn im politischen und menschlichen<br />
Diskurs, der Freiheit eine Gasse gebahnt<br />
wird, steht dahinter ein entfesseltes Herz, ein<br />
offenes Wesen, das erkannt hat, dass wir uns<br />
nicht nur selbst leben, sondern immer auch<br />
auf den Anderen hin. Der handelnde Austausch<br />
zwischen dem Ich und dem Du, findet<br />
in einer offenen Gesellschaft jeden Tag statt.<br />
Wenn sich die je eigene Individualität des<br />
entfesselten Herzens in die Gemeinschaft<br />
einbringt und ihr so Farbe gibt, entsteht eine wahrhaft pluralistische<br />
Gesellschaft. Wenn entfesselte Herzen die Potentiale der<br />
Werteschöpfung steigern, dann kann auch in einer globalisierten<br />
Welt, die ganz andere Wertekultur auf die meine treffen und in<br />
einen Dialog treten. Die geistigen Fußfesseln, die aus dem in sich<br />
gekrümmtem Herzen kommen, werden abgelegt.<br />
John Henry Newman drückt das in seinem hoffnungsfrohen Glauben<br />
so aus: “Wenn das Herz zum Herzen spricht, … dann ist der<br />
Mensch nicht mehr, was er zuvor war; … er [hat] eine neue Ideenwelt<br />
eingesogen und ist von neuen Grundsätzen durchdrungen“.<br />
Vielleicht sollten wir uns auch in der aktuellen Integrationsdebatte<br />
vom Bild des entfesselten Herzens leiten lassen, den Fesseln<br />
sind und bleiben Symbole der Unfreiheit. Dazu ist der Mensch<br />
aber nicht geboren, denn Gott sei Dank, hat er sich sein Dasein<br />
doch nicht selbst zu zuschreiben. Der Mensch ist aus Liebe geboren.<br />
Und Liebe und Unfreiheit passen nicht zusammen.