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Das Neutron <strong>und</strong> die<br />
Herausforderungen des 21.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
Forschung mit Neutronen ist unverzichtbar für die<br />
Lösung vieler gr<strong>und</strong>legender Fragestellungen der<br />
modernen Naturwissenschaften. Als Beispiel sei die<br />
moderne Physik herausgegriffen, deren aktuelle intellektuelle<br />
Herausforderungen sich plakativ nach den<br />
„drei Unendlichkeiten“ ordnen lassen: dem Verständnis<br />
des „unendlich Kleinen“ (F<strong>und</strong>amentale Kräfte <strong>und</strong><br />
Gr<strong>und</strong>bausteine der Materie), des „unendlich Großen“<br />
(Ursprung <strong>und</strong> Entwicklung des Universums) <strong>und</strong> des<br />
„unendlich Vielfältigen“ (Phänomene kondensierter<br />
Materie als Folge des Wechselspiels einer großen Anzahl<br />
von Atomen bzw. Molekülen). Neutronen tragen<br />
Wesentliches zu allen diesen Fragestellungen bei. Sie<br />
sind dabei meist nicht ersetzbar.<br />
Neutron als Untersuchungsobjekt<br />
Zum einen sind Neutronen selbst das Untersuchungsobjekt.<br />
Auf der größten Skala geben sie entscheidende<br />
Impulse für die Kosmologie, etwa für das Verständnis<br />
der Entstehung der Elemente <strong>und</strong> der Phasenübergänge<br />
des frühen Universums. Auf der kleinsten Skala<br />
erlauben sie, die Grenzen des Standardmodells der<br />
Teilchenphysik auszuloten <strong>und</strong> ermöglichen wesentliche<br />
Fortschritte im Verständnis der starken, elektroschwachen<br />
<strong>und</strong> gravitativen Wechselwirkungen. Als neutrale<br />
elementare Teilchen sind Neutronen ideale Quantenobjekte,<br />
mit denen neuartige nichtklassische Zustände<br />
erzeugt <strong>und</strong> untersucht werden können.<br />
Neutron als Sonde<br />
Zum anderen sind Neutronen vorzügliche Sonden<br />
zur Untersuchung von kondensierter Materie in ihrer<br />
ganzen Vielfalt. Diese Untersuchungen betreffen die<br />
„unendlich vielen Dinge“, mit denen wir täglich in<br />
Berührung kommen <strong>und</strong> die hochkomplexen Phänomene,<br />
die aus dem Zusammenspiel der Teilkomponenten<br />
resultieren. Vielleicht am deutlichsten sichtbar wird die<br />
hiermit verb<strong>und</strong>ene Herausforderung in den Lebenswissenschaften.<br />
Nach Aufklärung der atomaren Struktur<br />
von Proteinen steht ein Verständnis der molekularen<br />
biologischen Prozesse an, <strong>und</strong> Neutronen als Sonden<br />
haben an Quellen der nächsten Generation ein enormes<br />
Potential, solche dynamische Vorgänge aufzuklären.<br />
Die Physik als Basiswissenschaft nähert sich der Biologie<br />
über die Untersuchung von weicher Materie, die in<br />
mehrkomponentigen Systemen komplexe Selbstorganisation<br />
zeigt. Vorgänge auf mikro- bis mesoskopischen<br />
Längenskalen in derart komplexen Systemen lassen<br />
sich hervorragend mit Neutronenstreuung aufklären,<br />
die durch gezielte Deuterierung eine mehrdimensionale<br />
Kontrastvariation erlaubt.<br />
Empfindlich ...<br />
Komplexität ist auch die große Herausforderung der<br />
modernen Festkörperforschung. Mit der Empfi ndlichkeit<br />
für Wasserstoff oder für molekulare Schwingungen<br />
liefern Neutronen einzigartige Beiträge, z. B. für die supramolekulare<br />
Chemie oder die Katalyse. Faszinierende<br />
makroskopische Quanteneffekte, wie die Hochtemperatursupraleitung<br />
oder der kolossale Magnetowiderstand,<br />
treten in komplexen Übergangsmetalloxiden mit starken<br />
elektronischen Korrelationen auf. Mit dem empfi ndlichen<br />
Wechselspiel zwischen den Spin-, Ladungs-, Orbital-<br />
<strong>und</strong> Gitterfreiheitsgraden, die zur Selbstorganisation<br />
auf einer Nanometerskala führen, versprechen solche<br />
Verbindungen noch viele überraschende Entdeckungen<br />
<strong>und</strong> neuartige Anwendungen, etwa in der Sensorik<br />
oder Spintronik. Neutronen erlauben, die Ordnung <strong>und</strong><br />
Anregungen der relevanten Freiheitsgrade empfi ndlich<br />
nachzuweisen <strong>und</strong> damit zwischen den verschiedenen<br />
möglichen Mechanismen zu unterscheiden.<br />
...auf allen Skalen<br />
Neutronen als Sonden in der Nanowelt eignen sich<br />
jedoch nicht nur für Untersuchungen auf kleinster Skala<br />
(Pikometer bis Mikrometer) <strong>und</strong> auf kürzesten Zeiten<br />
(Pikosek<strong>und</strong>en bis Mikrosek<strong>und</strong>en). In der Geologie<br />
gestatten Texturuntersuchungen mit Neutronen, verb<strong>und</strong>en<br />
mit entsprechender Modellierung, Aussagen über<br />
geodynamische Vorgänge, die über Millionen von Jahren<br />
<strong>und</strong> Kilometern von Tiefenbewegungen verlaufen.<br />
Breites Anwendungsspektrum<br />
Diese unvollständige Aufzählung von aktuellen Fragestellungen<br />
in der Forschung mit Neutronen vermittelt<br />
einen ersten Eindruck von der Breite des Anwendungsspektrums<br />
dieses „Geschenks der Natur“. Es kann<br />
nicht das Ziel dieses Papiers sein, dieses Spektrum<br />
in voller Breite abzudecken. Wir konzentrieren uns<br />
daher auf einige wenige, zum Teil fächerübergreifende,<br />
Herausforderungen des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts, die sich unter<br />
Schlagworten „Komplexität“, „Korrelationen“, „Eingeschränkte<br />
Dimensionalität“ zusammenfassen lassen.<br />
Die im Folgenden angesprochenen Themen haben Beispielcharakter<br />
<strong>und</strong> lassen sich oft unter verschiedenen<br />
Kategorien einordnen. So ist es zwar nahe liegend, biologische<br />
Fragestellungen unter dem Oberbegriff „Komplexität“<br />
einzuordnen. Andererseits liefern biologische<br />
Membranen ein schönes Beispiel für „Eingeschränkte<br />
Dimensionalität“.<br />
Neben der Beantwortung gr<strong>und</strong>legender Fragestellung<br />
hat die Forschung mit Neutronen auch großen Anwendungsbezug<br />
<strong>und</strong> strahlt damit direkt aus in unser tägliches<br />
Leben. Dieser Aspekt wird im folgenden Kapitel<br />
schlaglichtartig beleuchtet. Eine weitergehende <strong>und</strong> umfangreichere<br />
Analyse der Möglichkeiten der Forschung<br />
mit Neutronen fi ndet sich in [5] <strong>und</strong> [6].<br />
18 Herausforderungen<br />
19