Status und Perspektiven - SNI-Portal
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Komplexe Systeme der weichen<br />
Materie<br />
„Weiche Materie“, z. B. Polymere, Kolloide, Mikroemulsionen,<br />
Gele oder Biopolymere <strong>und</strong> Membranen<br />
zeichnet sich aus durch:<br />
• eine große Zahl an weichen internen Freiheitsgraden,<br />
dies führt zu einer großen Reaktion auf kleine externe<br />
Einfl üsse;<br />
• die Komplexität;<br />
• die große Bedeutung entropischer Kräfte;<br />
• Struktur auf mesoskopischer Längenskala<br />
(Nanometer bis Mikrometer).<br />
Die vielseitigen Eigenschaften dieser „weichen“ Materialien<br />
führen zur Anwendung in den verschiedensten<br />
Bereichen von Öladditiven, Kosmetika, Farben, Waschmitteln<br />
bis hin zu Nahrungsmitteln.<br />
Universalität<br />
So unterschiedlich die Materialien <strong>und</strong> ihre Anwendungen<br />
auch sind, bleibt doch die gr<strong>und</strong>legende Frage<br />
die gleiche: wie bestimmen die mikroskopische Zusammensetzung<br />
<strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Wechselwirkungen<br />
die Struktur, die Dynamik <strong>und</strong> damit die<br />
makroskopischen Eigenschaften des Materials Die<br />
Beantwortung bedeutet nicht nur Fortschritt für die<br />
Festkörperforschung im Sinne eines gr<strong>und</strong>legenden<br />
Verständnisses, sondern öffnet den Weg zu einer gezielten<br />
Beeinfl ussung der makroskopischen Eigenschaften<br />
durch Veränderung mikroskopischer Parameter. Ein<br />
wichtiges Ergebnis der bisherigen Forschung ist z. B.,<br />
dass bei aller Komplexität interessanterweise viele<br />
Phänomene der weichen Materie unabhängig von der<br />
chemischen Struktur des betrachteten Materials sind,<br />
d. h. sie sind universell. So ist die Konformation einer<br />
sehr langen Polymerkette in der Schmelze knäuelartig.<br />
Der Radius dieses Knäuels hängt von der Zahl der Monomere<br />
ab, nicht aber von der chemischen Zusammensetzung<br />
des Monomers.<br />
Vielkomponentensysteme<br />
Die Systeme, die heute in der industriellen Anwendung<br />
eine Rolle spielen, werden immer komplexer, meist<br />
sind es Vielkomponentensysteme, <strong>und</strong> diese müssen<br />
für hochspezialisierte Anwendungen zugeschnitten<br />
sein. Verwandt mit den Materialien aus der industriellen<br />
Anwendung sind komplexe biologische Stoffe<br />
wie Membranen <strong>und</strong> intrazellulare makromolekulare<br />
Netzwerke. Dies sind selbstorganisierende Multikomponentensysteme,<br />
deren Funktion durch die Wechselwirkung<br />
verschiedener molekularer Komponenten<br />
bestimmt wird, deren physikalische Eigenschaften sich<br />
aber gr<strong>und</strong>legend von denen der einzelnen Komponenten<br />
unterscheiden.<br />
Kontrastvariation<br />
Die Neutronenstreuung liefert den Zugang zu diesen<br />
komplexen Systemen mit Hilfe gezielter Kontrastvariation.<br />
Durch Austausch von Wasserstoff mit Deuterium<br />
werden einzelne Moleküle oder Teile von ihnen sichtbar<br />
gemacht. So werden komplexe Strukturen entschlüsselt<br />
<strong>und</strong> die Dynamik einzelner Komponenten <strong>und</strong> deren<br />
Korrelationen mit raum-zeitlicher Auflösung auf molekularen<br />
Skalen zugänglich. Diese einzigartige Technik<br />
<strong>und</strong> die mit Neutronen realisierbare Aufl ösung auf<br />
molekularen Zeit- <strong>und</strong> Längenskalen, die optimal zur<br />
Untersuchung der komplexen Systeme genutzt werden<br />
kann, erklären die herausragende Rolle der Neutronenstreuung<br />
im Bereich der weichen Materie.<br />
Beispiele zu Struktur <strong>und</strong> Dynamik<br />
Im Folgenden werden zwei typische Neutronenstreuexperimente<br />
vorgestellt, eines zu strukturellen Eigenschaften<br />
eines Mehrkomponentensystems <strong>und</strong> eines<br />
zur Dynamik. Im ersten Beispiel wird der Einfluss von<br />
Polymeren auf so genannte Mikroemulsionen im Zusammenhang<br />
mit der Effi zienzsteigerung von Tensiden<br />
untersucht.<br />
Abb. 2.16. In den Behältern befindet sich jeweils die<br />
gleiche Menge an Öl <strong>und</strong> Wasser. Die linke Säule zeigt 2<br />
deutlich getrennte Phasen. Die zweite Säule enthält 5 %<br />
Tensid. In der Mitte ist die Phase des Öl-Wasser-Gemisches<br />
zu erkennen. In der dritten Säule wurde 0,3 %, in der<br />
vierten 0,5 % des Polymers hinzugegeben. Die Menge der<br />
homogenen Öl-Wasser-Mikroemulsion steigt signifikant.<br />
Intensität [cm -1 ]<br />
10 4<br />
10 3<br />
10 2<br />
10 1<br />
10 0<br />
10<br />
0,001 0,01 0,1<br />
-1<br />
Q [Å -1 ]<br />
Öl<br />
Tensid<br />
Polymer<br />
Effizientere Tenside<br />
Mikroemulsionen sind homogene, thermodynamisch<br />
stabile Mischungen von Öl <strong>und</strong> Wasser, wobei die<br />
Mischbarkeit dieser ansonsten unmischbaren Bestandteile<br />
durch Tenside realisiert wird. Auf mikroskopischer<br />
Skala formen die Tensid-Moleküle eine Grenzschicht<br />
zwischen Öl <strong>und</strong> Wasser in einer auf kleinstem Raum<br />
eng verzahnten Struktur (bikontinuierliche Phase),<br />
makroskopisch sind sie daher homogen. Die Zugabe<br />
einer geringen Menge eines Diblock-Copolymers (die<br />
Polymerkette besteht hier aus zwei unterschiedlichen<br />
Polymeren) führt nun zu einer dramatischen Erhöhung<br />
der Menge von Öl <strong>und</strong> Wasser, die mit einem bestimmten<br />
Anteil von Tensid vermischt werden können (s.<br />
Abb. 2.16).<br />
Boosting Effekt<br />
Wie können Neutronen zu einem Verständnis dieses<br />
„Boosting Effekts“ führen Durch Kontrastvariation in<br />
der Neutronenkleinwinkelstreuung können die einzelnen<br />
Bestandteile dieses komplexen Systems einzeln<br />
sichtbar gemacht werden (s. Abb. 2.17). Die Diblock-<br />
Copolymere haben sich in der Grenzschicht zwischen<br />
Öl <strong>und</strong> Wasser angelagert, da ein Teil des Polymers das<br />
Wasser, der andere das Öl bevorzugt. Die Polymeranlagerungen<br />
ändern die Biegesteifi gkeit der Membran.<br />
Eine erhöhte Steifi gkeit der Membranschicht macht diese<br />
glatter <strong>und</strong> damit die Membranfl äche effektiv größer,<br />
d. h. es wird weniger Tensid gebraucht, um die gleiche<br />
Menge Öl in Wasser zu lösen.<br />
Abb. 2.17. Links: Durch Kontrastvariation kann die<br />
Sichtbarkeit einzelner Komponenten ein- <strong>und</strong> ausgeschaltet<br />
werden (orange = Öl, grün = Tensid, blau =<br />
Wasser, schwarz = Polymer). Rechts: Kleinwinkeldaten<br />
für drei partielle Streufunktionen für Öl (orange), Tensid<br />
(grün) <strong>und</strong> Polymer (schwarz).<br />
26 Komplexität: Weiche Materie 27