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Status und Perspektiven - SNI-Portal

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Zelluläre <strong>und</strong> molekulare<br />

biologische Strukturen <strong>und</strong><br />

Prozesse<br />

Ziele der modernen Biologie sind, Mechanismen, die<br />

Lebensprozessen zugr<strong>und</strong>e liegen, auf molekularer oder<br />

zellulärer Ebene zu verstehen. Dabei sind die Kenntnis<br />

der dreidimensionalen molekularen Struktur <strong>und</strong> die<br />

Interaktion mit anderen Molekülen von entscheidender<br />

Bedeutung. So werden einige der großen Herausforderungen<br />

der nächsten Jahrzehnte die Aufklärung der<br />

molekularen Mechanismen von Infektionskrankheiten,<br />

der Krebsentstehung <strong>und</strong> der Funktion <strong>und</strong> Dysfunktion<br />

des Nervensystems sein. Ebenfalls wird das aus<br />

der Genomforschung hervorgegangene Arbeitsgebiet<br />

der Proteomics eine wesentliche Bedeutung erlangen.<br />

Neutronenstreuung kann hier wichtige Erkenntnisse<br />

beisteuern, indem enzymatische Prozesse durch Proteinkristallographie<br />

an isotopensubstituierten Proteinen<br />

oder die Wechselwirkung verschiedener Komponenten<br />

(Protein-Nukleinsäure oder Protein-Protein-Komplexe)<br />

studiert werden. Die besondere Stärke der Neutronenstreuung<br />

besteht darin, dass man durch Isotopensubstitution<br />

molekularen Komponenten sichtbar machen <strong>und</strong><br />

Kontrast erzeugen kann (s. Abb. 2.12).<br />

Grenzflächen zwischen Molekülen<br />

Eine besondere Rolle kommt der Untersuchung von<br />

Vorgängen an Grenzfl ächen zwischen Makromolekülen<br />

zu, da dies in lebenden Systemen eine Vielzahl biologischer<br />

<strong>und</strong> chemischer Prozesse umfasst. Ein herausragendes<br />

Beispiel sind die biologischen Membranen,<br />

für die das strukturelle <strong>und</strong> funktionelle Verständnis<br />

der Membranproteine sowie deren Wechselwirkung mit<br />

Molekülen auf beiden Seiten der Zellmembranen auch<br />

auf absehbare Zeit eine der größten Herausforderungen<br />

der modernen Biologie darstellt (s. Abb. 2.13).<br />

Proteindynamik<br />

Eine ebenso wichtige Rolle spielt das Verständnis der<br />

Proteindynamik, bei der die interne Dynamik biologischer<br />

Makromoleküle auf einer Pikosek<strong>und</strong>enzeit- <strong>und</strong><br />

Ångströmlängenskala untersucht werden. Im Bereich<br />

von Proteinbindungsreaktionen wird die Wechselwirkungskinetik<br />

biologischer Makromoleküle in Mikrosek<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> bis zur atomaren Aufl ösung beobachtet.<br />

Beispiel: biologischer Vorgang<br />

Neutronen können komplementäre Beiträge zu den in<br />

der Strukturbiologie weit verbreiteten Techniken wie<br />

NMR oder Röntgen-/Synchrotronstreuung leisten <strong>und</strong><br />

liefern so Schlüsselinformationen zum Verständnis<br />

komplexer biologischer Vorgänge. Als ein Beispiel<br />

sei hier die Komplexbildung im Chaperon erläutert.<br />

Chaperone (frz. le chaperon = die Kappe) sind große<br />

makromolekulare Komplexe, die an der Faltung von<br />

Proteinen beteiligt sind. Sie bestehen im E.coli Bakterium<br />

aus den beiden Komplexen GroEL (14 Untereinheiten<br />

à 60 kDa; 1 Da = Masse eines Kohlenstoffatoms)<br />

<strong>und</strong> GroES (sieben Untereinheiten à 10 kDa), s. Abb.<br />

2.14. Eine strukturell ähnliche Untereinheit wird auch<br />

in einem Virus, dem so genannten T4-Phagen, gef<strong>und</strong>en:<br />

das Molekül GP31. Dieses Makromolekül kann<br />

das GroES im bakteriellen Chaperon ersetzen <strong>und</strong> er-<br />

möglicht dann vermutlich präferentiell die Synthese <strong>und</strong><br />

korrekte Faltung eines anderen Phagenproteins (GP23).<br />

Auf diese Art <strong>und</strong> Weise kann das Virus das bakterielle<br />

Chaperon ‚umprogrammieren‘, so dass in diesem speziellen<br />

Fall auch ohne Weitergabe von Erbinformation die<br />

Produktion von Virusmaterial unterstützt wird.<br />

Wie lässt sich der Prozess sichtbar<br />

machen<br />

Mittels Kontrastvariation (Austausch von 1 H gegen 2 H)<br />

kann in sogenannten ‚chasing experiments‘ die Kinetik<br />

der eben beschriebenen Komplexbildung verfolgt<br />

werden. Das bedeutet im Prinzip, dass vermessen wird,<br />

ob <strong>und</strong> wie schnell sich der virale GP31 Proteinkomplex<br />

an die Stelle des bakteriellen GroES ‚schummeln‘<br />

kann. Dies geschieht folgendermaßen: An die größere<br />

bakterielle Untereinheit GroEL wird die Kappe aus<br />

viralem GP31 oder bakteriellem GroES geb<strong>und</strong>en.<br />

Diese Komplexe werden in einem Lösungsmittel aufgenommen,<br />

dessen Streulängendichte der von deuteriertem<br />

[ 2 H]GroES entspricht. Dann wird [ 2 H]GroES<br />

im Überschuss zusammen mit ADP (einem Energielieferanten)<br />

zugegeben <strong>und</strong> beobachtet, wie sich die<br />

Streuung zeitabhängig verändert. Wird GP31 gegen die<br />

deuterierte bakterielle Kappe [ 2 H]GroES ausgetauscht,<br />

erscheint das Chaperon GroEL–[ 2 H]GroES kleiner als<br />

der Komplex bestehend aus GroEL–GP31 oder Gro-<br />

EL–GroES, da in dem gewählten Lösungsmittel das<br />

[ 2 H]GroES ‚unsichtbar‘ ist (contrast matching). Aus<br />

solchen Messungen ergibt sich, dass die Kappe des T4-<br />

Phagen mit GroEL einen stabileren Komplex bildet als<br />

das ursprüngliche bakterielle System GroEL–GroES.<br />

Diese Langzeitstabilität der Verbindung aus bakteriellen<br />

<strong>und</strong> viralen Makromolekülen kann somit die<br />

korrekte Faltung des Phagenproteins GP23 unterstützen<br />

<strong>und</strong> erklären, wie trickreich sich ein Phage vermehren<br />

kann.<br />

D 2<br />

O<br />

SO 4<br />

Abb. 2.12. Beispiel für die 1,5 Å hochaufgelöste Kristallstruktur<br />

von Myoglobin. Die atomare Dichtekarte zeigt<br />

in blau (1,5 σ) <strong>und</strong> in rot (-2,0 σ) positive <strong>und</strong> negative<br />

Streulängenbeiträge. Der Wasserstoff 1 H (rot) <strong>und</strong>, in der<br />

Kontaktregion zwischen zwei Molekülen, das schwere<br />

Wasser D 2<br />

O sind deutlich zu sehen.<br />

D 2<br />

O<br />

22 Komplexität: Biologie<br />

23

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