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adar prosa/proza/проза/проза<br />

Halyna Pahutiak Галина Пагутяк<br />

SONNENUNTERGANG IN<br />

URISCH ЗАХІД СОНЦЯ В<br />

УРОЖІ<br />

Auszug aus dem Roman<br />

Уривок з повісті<br />

Die Frau:<br />

Ich bin ein kleines Mädchen. Aus Versehen habe ich ein<br />

Haar verschluckt. Jetzt warte ich auf den Tod. Draußen<br />

dämmert es. Die Rosen an der Pforte sind aufgeblüht.<br />

Alle sind fröhlich und lachen. Aber ich laufe herum<br />

mit meiner Angst und traue mich nicht, irgendwem zu<br />

sagen, dass ich ganz sicher sterbe. Ich möchte überhaupt<br />

nicht sterben. Ich weiß noch nicht, was das ist – der Tod.<br />

Vorstellen kann ich mir nur, dass ich nie wieder so einen<br />

wunderbaren Sommerabend sehen werde.<br />

Aber das war am nächsten Morgen vorbei. An diese Episode<br />

aus meiner Kindheit musste ich denken, als meine<br />

Unzufriedenheit schon die kritische Grenze erreicht<br />

hatte, als ich nur noch schreien wollte. Das Problem ist<br />

nicht, dass mich niemand hören und mir helfen würde,<br />

unter den schwarzen Flügeln der Regennacht hervorzukriechen.<br />

Sondern dass ich kein Licht mehr kenne außer<br />

dem Licht der untergehenden Sonne, und auch das war<br />

während des ewigen Regens erloschen.<br />

Heute bin ich rausgegangen, aufs Wasser schauen. Urisch<br />

wird nicht überschwemmt, weil es ganz praktisch auf den<br />

Hügeln liegt, aber die Brücke könnte kaputt gehen, und<br />

wie komme ich dann nach Lwiw<br />

Mein Mann wollte nicht mit. Er hatte seine Füße fast in<br />

den Elektroheizer gesteckt und las. Er sieht mir nie in die<br />

Augen und jetzt erst recht nicht. Die Maschine namens<br />

© Dorota Gawryszewska<br />

Ehe ist kaputt. Ich bin in Gedanken alle Männer durchgegangen,<br />

die ich kenne. Und keiner von ihnen würde gern<br />

Suppe ohne Fleisch essen und mich nachts nach meinem<br />

ganztägigen Schweigen lieben wollen. Dieses erzwungene<br />

Schweigen ist mein unbesiegbarer weiblicher Instinkt,<br />

kein Gespräch als Erste zu beginnen oder zu beenden.<br />

Ich klammerte mich fest ans Brückengeländer, als ich<br />

in die finsteren, braunen Wellen starrte. Nichts und<br />

niemand würde mich zwingen herunterzuspringen, aber<br />

der Teufel könnte mich stoßen. Er scheint in solchen Situationen<br />

hinter einem zu stehen. In dem Regen wirkten<br />

sowohl die Berge als auch der Wald abstoßend und tot.<br />

Wie viele Tiere das Wasser aus ihren Höhlen getrieben<br />

hatte und wie nass die Störche in ihren Nestern geworden<br />

waren. Niemandem geht es gut in diesem Wetter.<br />

Abends war das Licht weg, und es war so kalt, dass ich<br />

eingeheizt habe und auf den Ofen gekrochen bin. Vor<br />

meinem Mann stand die Gaslampe, und er versuchte,<br />

irgendwas zu lesen. Endlich hob er den Kopf und fragte:<br />

„Hast du nicht irgendeine neue Vampirgeschichte oder<br />

eine über diesen Herrn in dem schwarzen Anzug mit den<br />

glänzenden Knöpfen“<br />

„Brauchst du Zerstreuung“<br />

„Ja“, sagte er und sah mich irgendwie komisch an.<br />

„Hab ich nicht.“<br />

„Schade, schade. Dir hängt Urisch bestimmt schon zum<br />

Hals raus, oder“<br />

„Wie immer.“<br />

„Du würdest gern irgendwohin fahren.“<br />

„Lass uns zusammen fahren.“<br />

„Du weißt doch genau, dass ich gerade erst zurückgekommen<br />

bin!“<br />

Damit war das Gespräch zu Ende. Ich wischte es aus<br />

meiner Erinnerung, wie mit einem feuchten Lappen. Als<br />

mein Mann schlafen gegangen war, weil er sich an nichts<br />

mehr die Füße wärmen konnte, saß ich noch auf dem<br />

Ofen, bis er ausgekühlt war. Mir war die ganze Zeit so,<br />

als ob draußen jemand an den Fenstern entlanggehen<br />

würde, aber das konnte eigentlich nicht sein. Die Kälte<br />

presste mein Herz zusammen. Ich werde auf immer und<br />

ewig in diesem leeren Haus sitzen.<br />

Der Mann:<br />

Sie ist gefahren. Kommt dann irgendwann froh und munter<br />

zurück, bringt haufenweise Bücher, Zigaretten, Kaffee<br />

und Tee mit. Erzählt alles, was sie erlebt hat. Drei Tage,<br />

nachdem sie gefahren ist, kommt ein Mann, so um die<br />

Dreißig, ziemlich unangenehmer Typ mit einem schwarzen<br />

Bart. Fragt von der Tür aus:<br />

„Wo ist denn die Hausherrin“<br />

„Nicht da, weggefahren.“<br />

„Und wann kommt sie zurück“<br />

„Worum geht es denn“, fragte ich. „Ich bin ihr Mann.“<br />

„Ich muss die Hausherrin sprechen“, entgegnete er und<br />

ging.<br />

Ein Flegel, und was für einer.<br />

Als meine Frau zurückkam, fragte ich sie nach diesem<br />

Typen. Sie war ganz verwundert und sagte, dass sie so<br />

jemanden nicht kenne. Nachts ging sie wieder weg und<br />

kam erst gegen Morgen zurück.<br />

„Hast du einen Liebhaber gefunden“, fragte ich. Sie sah<br />

mich so verwirrt an, dass sie mir beinahe leid tat. Obwohl<br />

sie sich auch gut verstellen kann.<br />

„Ich kann tun und lassen, was ich will. Du hast mich<br />

freigelassen.“<br />

„Du bringst mich noch dazu, dass ich gehe.“<br />

„Du gehst viel zu oft, um für immer zu gehen.“<br />

Früher war sie nicht so spitz. Hausherrin! Das Anwesen<br />

ist so winzig, dass sich das ganze Dorf darüber lustig<br />

macht. Über mich nicht, weil ich wie ein Haustier bin …<br />

Wenn ich sie verlasse, dann rennt sie selbst ein Huhn um.<br />

Das hält mich noch hier in diesem verfluchten Urisch,<br />

wo es entweder regnet oder stürmt, wo Vampire und alle<br />

möglichen Geister ihr Unwesen treiben. Wenn meine<br />

Frau nicht rumstudieren würde, sondern hart in der<br />

Landwirtschaft arbeiten wie die anderen Frauen im Dorf,<br />

dann hätte sie nicht diese ganze Mystik im Kopf. Ich bin<br />

auch Mystiker, aber ein theoretischer, und ich wärme mir<br />

gern die Füße am Kamin, und ich hätte gern ein Arbeitszimmer<br />

mit Bücherregalen bis zur Decke. Aber ich habe<br />

sie geheiratet und lebe in Urisch. Früher habe ich sie<br />

wirklich geliebt. Eine Zeit lang kreisten wir auf derselben<br />

Umlaufbahn um Urisch, bis ich begriff, dass ich jetzt<br />

auf diesen hinterlistigen Planeten falle und nicht mehr<br />

hochkomme.<br />

Was kann ich denn dafür, dass sie so oberflächlich mit<br />

mir redet Warum sollte ich sie in mein Innenleben lassen,<br />

wenn ich keinerlei Bedürfnis danach verspüre Sie<br />

macht das nicht direkt. Sonst könnte ich sie ganz einfach<br />

abprallen lassen, so wie einst meine Eltern. Sie schleicht<br />

sich an wie eine Katze, um ihr Opfer lebendig zu fangen<br />

und es dann in einer dunklen Ecke zu verspeisen. Daraus<br />

kann sich ganz schnell noch so eine abstruse Fantasie<br />

entwickeln, im schlimmsten Fall ein Monster, das sie<br />

dann endgültig aus der Bahn wirft. Wenn hier wenigstens<br />

noch ein paar andere Leute von unserem Niveau wohnen<br />

würden, dann hätte ich Gesellschaft, und sie wäre auch<br />

vorsichtiger. Aber sie unterhält sich ja ausschließlich<br />

mit ihren Freundinnen, die entweder alte Jungfern oder<br />

Jungfrauen sind und es nur darauf anlegen, die männliche<br />

Würde niederzutrampeln. Sie braucht einen Spießbürger<br />

als Mann und ich eine Spießbürgerin als Frau.<br />

Dann hätten wir ein normales Leben.<br />

… Im Schlaf habe ich ihre Hand genommen, und sie hat<br />

bis zum Morgen so neben mir gelegen. Ich bin schweißgebadet<br />

aufgewacht, wie nach einem Fieberanfall. „Du hast<br />

im Schlaf geschrien und geweint“, sagte sie, als ich mich<br />

über mich selbst wunderte. Und da fiel mir der Traum<br />

wieder ein.<br />

… Ich komme in mein Zimmer und sehe eine Mutter, die<br />

sich über eine Wiege beugt. Darin liegt ein nacktes Kind,<br />

und sein Gesicht ist so abstoßend wie das des Teufels. Mir<br />

ist sofort klar, dass das der Leibhaftige ist und ich handeln<br />

muss. Ich fasse das Kind an den Beinen und schlage<br />

es gegen die Wand, ohne auf das Schreien und Weinen<br />

seiner Mutter zu achten. Diesen Traum habe ich meiner<br />

Frau erzählt. Sie ist ganz blass geworden:<br />

„Ich könnte mich nicht an einem Kind vergreifen.“<br />

„Das war der Teufel in Gestalt eines Kindes. Und ich habe<br />

ihn bekämpft.“<br />

„Warum hast du dann geschrien und geweint“<br />

Sie hatte Recht, aber ich fand eine ganz einleuchtende<br />

und logische Erklärung: „Die Mutter hat mir leidgetan.“<br />

„Und wenn das nicht der Teufel war“<br />

Ihre Lippen zitterten, und sie verließ das Zimmer. Ich<br />

lag noch zehn Minuten lang so da, betäubt von der<br />

weiblichen Logik. Sie wollte mir ein unschuldiges Kind<br />

unterschieben und mich als Verbrecher dastehen lassen.<br />

Aber da fielen mir ihre besorgten Augen ein, als wir<br />

gleichzeitig aufgewacht waren, und ihre Hand in meiner,<br />

obwohl sie die auch hätte wegziehen können, und mein<br />

Zorn legte sich etwas. Meine Frau glaubt wie ein kleines<br />

Kind an gute Geister und Zauberer und ist unfähig, die<br />

Absolutheit von Gut und Böse zu begreifen.<br />

Die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten uns einander<br />

wieder etwas nähergebracht. Wir gingen in den Wald.<br />

Der See, in dem ich vergangenen Sommer geangelt hatte,<br />

war mit Entengrütze überzogen. Meine Frau war so, wie<br />

ich mich einst in sie verliebt hatte – ruhig und freundlich.<br />

Diese Nacht liebten wir uns zum ersten Mal nach langer<br />

Zeit wieder, und danach barg sie ihr Gesicht an meiner<br />

Brust.<br />

Aber als sie dachte, dass ich eingeschlafen war, ging<br />

sie wieder weg. Ich lag unbeweglich da, außer mir vor<br />

Schmerz und Empörung. Mein Herzschlag hallte durch<br />

das ganze Haus.<br />

98 99<br />

Die Frau:<br />

Die Sonne hat kurz hervorgeschaut und sich dann wieder<br />

versteckt. Mein Mann hat mich an sich gedrückt und<br />

mich dann wieder mit einer eiskalten Mauer umgeben.<br />

<strong>radar</strong> prosa/proza/проза/проза

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