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„Ihr habt nicht auf mich gewartet Ich musste länger in<br />
der Arbeit bleiben. Ihr habt alles aufgefressen Ich bin<br />
Iwonka“, sagt Iwonka. „Habt ihr mir nichts übrig gelassen“<br />
Sie schnallt den Gürtel ein Loch weiter. „Ich war<br />
heute extra im Fitnessstudio, wenn ich ins Fitnessstudio<br />
gehe, habe ich später kein schlechtes Gewissen, dass<br />
ich mir die Wampe vollschlage.“ Sie plumpst mit ihren<br />
muskulösen Schenkeln aufs Sofa. „Worüber habt ihr<br />
gesprochen“<br />
„O Gott, Iwonka, worüber wir alles gesprochen haben.<br />
Über das Schmatzen, das Rülpsen, die Überlegenheit<br />
des Backpapiers über die Alufolie, über hitzebeständiges<br />
Geschirr, über Majoran, Gabeln, Wein.“<br />
„Über dies und jenes. Was gibt’s Neues bei dir Wie<br />
läuft’s mit Maciek“<br />
„Mit Maciek läuft’s gut.“ Iwonka lächelt. Vielleicht<br />
endlich ein anderes Thema, vielleicht mal nicht über<br />
Schenkel und Gabeln. „Wir hatten vorgestern Jahrestag,<br />
er hat mich in das Restaurant auf der Sławkowska-Straße<br />
eingeladen, wo sie frische Muscheln haben.“ Nein, doch<br />
nicht, meine Schuld. „Wisst ihr, was das heißt, frische<br />
Muscheln, es gibt nur einmal in der Woche frische Muscheln,<br />
danach sind sie nicht mehr frisch, ich habe etwa<br />
vierundvierzig Stück gegessen. Ich weiß nicht, wie ich<br />
später zum Taxi gerollt bin.“<br />
„Ich hatte auch vor kurzem Jahrestag, und wisst ihr<br />
was“, Magda streift die Zuhörerinnen flüchtig mit einem<br />
honigsüßen Blick. „Mein Kerl hat mir erlaubt, mir selbst<br />
ein Geschenk auszusuchen, was ich will, egal was.“<br />
„Und was hast du dir ausgesucht“<br />
„Ich habe mir einen Brenner für Crème brûlée ausgesucht.“<br />
„Einen Brenner für Crème brûlée“<br />
„Einen Brenner für Crème brûlée!!!“<br />
„Ich liebe Crème brûlée! Ich wollte immer so einen<br />
Brenner haben.“<br />
„Ja genau! Brownies! Wir wollten doch Brownies<br />
machen!“<br />
Ein Versuch. Man muss einen Versuch machen, man kann<br />
sich nicht kampflos ergeben und in zerlassener Butter<br />
versacken. Jetzt muss man sie packen. Auf die Gabel<br />
spießen.<br />
„Was war das Außergewöhnlichste, was ihr je in eurem<br />
Leben gemacht habt“<br />
Pause. Vielleicht macht es klick. Vielleicht erzählen sie<br />
gleich von einem Bungeesprung, von der Besteigung des<br />
Kilimandscharo, ihrem Übertritt zum Islam, der Adoption<br />
von fünf Kätzchen, von der ehrenamtlichen Arbeit im<br />
Kinderkrankenhaus, vom Griechischlernen, um in der<br />
Straßenbahn Homer im Original lesen zu können. Ein<br />
Punkt für mich.<br />
„Ich habe in Peru Meerschweinchen gegessen.“<br />
Punktabzug.<br />
„Meerschweinchen“<br />
„Ja, auf einen Stock aufgespießte Meerschweinchen.“<br />
„Wie schmecken die“<br />
„Ich würde um nichts in der Welt Meerschweinchen<br />
essen.“<br />
„Ein bisschen wie Hähnchen, gut.“<br />
„Meerschweinchen, jam.“<br />
„Ich habe Wespen gegessen. Bei uns im Programm“, Ania<br />
versinkt in Gedanken, „war einmal ein Typ, der nur Würmer<br />
aß. Ganz normal wie Timon und Pumbaa. Er brachte<br />
gebratene Wespen mit. Und eine von diesen gebratenen<br />
Wespen habe ich gegessen.“<br />
Und schon bin ich im Minus.<br />
„Warum isst du nichts“<br />
Warum esse ich nichts. Ich weiß nicht, warum ich nichts<br />
esse, warum esse ich eigentlich nichts, vielleicht esse ich<br />
nichts wegen dem neuesten Film von Woody Allen, weil<br />
ich Kätzchen adoptiert habe, vielleicht esse ich nichts,<br />
weil ich gerne Griechisch können würde, um Homer in<br />
der Straßenbahn im Original zu lesen. Ich esse nichts,<br />
weil ich euch betrachte, ihr Rubensweiber, und wer euch<br />
betrachtet, dem vergeht die Lust am Essen, dem bleiben<br />
die Schenkel im Halse stecken, der muss in den sauren<br />
Apfel beißen, dem fliegen gebratene Tauben zu, im Land,<br />
wo Milch und Honig fließen, wo er sich seine Brötchen<br />
hart verdienen muss, unser tägliches Brot, für den hängen<br />
die Trauben zu hoch, dem schenkt man reinen Wein<br />
ein, wer war zuerst da, das Huhn oder das Ei, das Ei des<br />
Kolumbus.<br />
„Hast du keinen Appetit“<br />
„Was, du hast keinen Appetit Ich habe immer Appetit.“<br />
„Dein Tee ist alle.“<br />
„Soll ich dir einen Kamillentee machen Oder Melisse“<br />
„Kau ein paar Kümmelsamen. Kümmel regt den Appetit<br />
an. Vielleicht willst du etwas Süßes“<br />
„Brownies! Wir wollten doch Brownies machen! Wer<br />
kommt mit Brownies machen“, appelliert Magda an die<br />
Runde. Alle Mägen erheben sich.<br />
„Ich kann die Schokolade zergehen lassen. Ich liebe es<br />
zuzusehen, wie die Schokolade zerfließt.“<br />
„Weil du immer naschst!“<br />
„Klar nasche ich. Wozu ist das Leben sonst da“<br />
Genau. Da sind auch schon die Schlussfolgerungen. Das<br />
Leben ist zum Naschen da. Sie eilen in die Küche. Eine<br />
fängt gleich an Mehl zu sieben, eine zweite mixt mit dem<br />
Mixer, eine dritte lässt die Schokolade zergehen und<br />
nascht. Und tunkt die dicken Finger bis auf den Grund<br />
und wartet bis ihnen braune Handschuhe ankleben und<br />
leckt sie dann ab. Eine vierte stellt den Backofen ein, eine<br />
fünfte hält den Anfang der Welt im Ei in der Hand, sie<br />
zerschlägt die Schale und kämpft sich zum Eidotter vor.<br />
Sie rühren, quirlen, naschen. Sie trinken Wein. Spanischen.<br />
„Ich bin so satt von diesen Schenkeln. Ich weiß nicht,<br />
ob ich noch Platz für die Brownies finde.“<br />
„Du bräuchtest eine Feder.“<br />
„Wozu eine Feder“<br />
„Waren die Römer vollgefressen, sie fraßen im Liegen,<br />
halb liegend, damit es besser runterrutschte, dann nahmen<br />
sie eine spezielle Feder, gingen austreten, stocherten<br />
mit der Feder in der Kehle herum, und schon konnten<br />
sie wieder etwas essen.“<br />
„Glückliche Römer“, seufzt Karolina.<br />
„Ich kann dir helfen, soll ich“, Ania streckt ihr die Finger<br />
hin, rote schokoladenumrahmte Fingernägel. „Am besten<br />
geht es mit einem fremden Finger. Angeblich.“<br />
„Hört auf, Mädchen!“, ruft Magda, die in die Schüssel<br />
mit dem Teig kichert. Brownies. „Hört auf, sonst mach<br />
ich mir vor Lachen noch in die Hose! Mit einem fremden<br />
Finger, du liebes bisschen, ich muss aufs Klo, ich bepiss<br />
mich gleich!“ Sie übergibt die Schüssel den ausgestreckten<br />
Händen und läuft, um mit ihrem Wein das Ziel<br />
noch rechtzeitig zu erreichen. Sie hat die Tür nicht ganz<br />
zugemacht, die gleichmäßigen Umdrehungen des Mixers<br />
vermischen sich mit dem gesunden, kräftigen Strahl, aus<br />
rot wird gelb, kulinarische Meisterin der Metamorphose.<br />
„Und wo kaufst du die Eier Solche schönen Eier. In<br />
meinem war ein doppeltes Eigelb“, sagt eine der Tratschtanten.<br />
„Natürlich nicht im Supermarkt, ich würde nie<br />
im Supermarkt Eier kaufen“, sagt die Dame des Hauses.<br />
Eine gute Hausfrau ist der beste Hausrat. „Ich auch<br />
nicht! Ich auch nicht, den Supermarkteiern sagen wir<br />
alle nein!“, brüllen alle und verdrehen die Augen beim<br />
bloßen Gedanken an Supermarkteier. Eine Gemeinschaft.<br />
Wundervoll. „Ich habe eine Marktfrau, bei der ich immer<br />
meine Eier kaufe“, behauptet die gute Hausfrau. „Einmal<br />
habe ich Eier im Supermarkt gekauft, in einer blauen<br />
Schachtel, macht das nie, nie in einer blauen Schachtel,<br />
sie haben furchtbar gestunken. Sie halten die Hühner wer<br />
weiß wo, sie geben ihnen wer weiß was zu essen, und<br />
dann stinken die Eier. Das können wir nicht akzeptieren“,<br />
rufen die guten Hausfrauen. Salz und Brot tun stets Not.<br />
Ein kühler Trunk macht Alte jung, sagt das junge Küchenhäschen,<br />
das behänd wie ein Püppchen ist. „Schiebt die<br />
Brownies schon rein, man muss sie sofort reinschieben,<br />
wenn der Ofen die richtige Temperatur hat. Vielleicht isst<br />
du was“, Magda hat sich an mich erinnert. Sie hat sich<br />
erinnert und nimmt mich mit einer mütterlichen Geste in<br />
den Arm, in der Hand hält sie immer noch einem Zepter<br />
gleich den Rührstab, von dem die Schokolade auf den<br />
Boden tropft. „Du isst überhaupt nichts. Ist was passiert<br />
Schmeckt es dir nicht Wenn ich koche, schmeckt es allen.“<br />
Den Magen weitende Aufschriften auf den großmütterlichen<br />
Küchentüchern. Bunte Schürzen mit eingeriebenen,<br />
übersehenen Teigröllchen, mit eingebranntem Loch<br />
von einem heißen Blech mit Käsekuchen, im Käsekuchen<br />
Rosinen. „Wenn dich etwas bedrückt“, muntert mich<br />
Beata auf, „dann hilft am besten Schokolade. Es ist noch<br />
ein bisschen von der geschmolzenen Schokolade übrig,<br />
möchtest du“ Und sie schiebt mir den Topf unter die<br />
Nase, innen braun, Beweismaterial für die Polizei, sie hat<br />
im Topf von allen Fingern Abdrücke hinterlassen.<br />
„Mich bedrückt nichts.“<br />
„Iss trotzdem was. Ein gesunder Mensch hat Appetit. Es<br />
gibt solche Tropfen, die den Appetit anregen, mein Neffe<br />
wollte nicht essen, als er klein war, da haben sie ihm welche<br />
gegeben, und nun isst er normal. Oder Rennie-Tabletten<br />
Rennie räumt den Magen auf. Eben deshalb will ich<br />
keine Kinder haben“, sagt Iwonka philosophisch, „weil<br />
ich mich erinnere, wie meine Mama sich abmühen musste,<br />
damit ich etwas aß. Ich habe Angst, dass meine Kinder<br />
das von mir erben. Es gibt Kinder, die überhaupt kein Gemüse<br />
essen. Man kann sie nicht davon überzeugen. Oder<br />
solche, die nur zwei Sachen essen, zum Beispiel Brot und<br />
Würstchen. Würstchen Dabei ist in den Würstchen ein<br />
furchtbarer Scheiß, um nichts in der Welt würde ich meinem<br />
Kind Würstchen geben. Als ich klein war“, verliert<br />
sich Ania in Träumereien, „nahm meine Oma mich auf<br />
lange Spaziergänge mit. Ich war schrecklich dünn, hatte<br />
aber eine ehrgeizige Oma. Sie knetete weißen Käse mit<br />
Sahne und Zucker in einem Glas, gab Obst dazu und zeigte<br />
mir die Welt. Schau, Ania, das Blümchen da, schau,<br />
Ania, der kleine Schmetterling. Ich machte den Mund<br />
weit auf, weil mir die Welt so gefiel, und ratzfatz landete<br />
ein Löffel mit Käse und Sahne im Mund. Großmütter sind<br />
die schlimmsten. Aber zum Füttern die besten. Meine<br />
Oma gab mir Wasser mit Himbeersaft, und später wollte<br />
ich weder Milch noch Grießbrei. Vater musste die Flasche<br />
in rotes Papier einwickeln. Versteht ihr, in rotes Papier.<br />
Ich bin trotzdem nicht darauf reingefallen. Mädchen,<br />
auf die Brownies müssen wir ein bisschen warten.<br />
Was machen wir jetzt“<br />
Scrabble. Bettgeheimnisse. Oder zumindest sich selbst<br />
bemitleiden. Arcade-Spiele. Was ich zuletzt gelesen<br />
habe. Von mir aus sogar über die Arbeit. Mein Chef, der<br />
Drecksack, meine Chefin, die Kuh. Vor kurzem traf ich<br />
… Ich war bei dem Stück über … Ich habe die Ausstellung<br />
gesehen von diesem … Ich habe mir neue Schuhe<br />
gekauft. Vielleicht steigen sie wenigstens auf die Schuhe<br />
ein. Hochzeit feiert man in Schuhen.<br />
„Wir wollten doch noch Obst-Crumble machen“, erinnern<br />
sie sich, heiliger Hyazinth mit den Teigtaschen. Obst-<br />
Crumble, Obst-Crumble“, flötet Ania oder Ania. „Die<br />
Streusel habe ich vorher schon gemacht, ihr müsst nur<br />
das Obst vorbereiten“, verteilt die gute Hausfrau die Aufgaben,<br />
die gute Ehefrau steht gern am Herd und kocht,<br />
was das Männerherz begehrt. Obst-Crumble, das Obst<br />
vorbereiten! Und sie stürzen sich mit Fingern und Zungen<br />
auf das Obst. Die Johannisbeeren mit ihren klitzekleinen<br />
schwarzen Bommeln platzen zwischen ihren Fingernägeln.<br />
Gierig pflücken sie mit den Lippen die rosafarbenen<br />
Brustwarzen der Himbeeren, sie drehen die Blütenstielkronen<br />
von den Erdbeeren ab. Sie lassen die Obstperlen<br />
wie einen Rosenkranz durch die Finger gleiten und flüstern<br />
dabei die süßen Gebete des zum Verzehr geeigneten<br />
Altjungfernstands. Niemand lässt euch durch die Finger<br />
gleiten, niemand macht euretwegen jam, vergebens das<br />
Rot eurer Lippen und Fingernägel.<br />
„Willst du vielleicht noch einen Tee Was für einen jetzt,<br />
Litschikaramellvanillezitrone Kommt gleich. Du musst<br />
dich wirklich schlecht fühlen, du hast nichts gegessen.<br />
Wenn jemand nichts isst, fühlt er sich schlecht, das ist<br />
allgemein bekannt. Karolina, mach noch einen Tee, lass<br />
die Himbeerperlen für einen Augenblick in Ruhe. Ania<br />
und Ania, ein Teechen für unsere Kranke, für unsere<br />
Patientin ohne Appetit. Die Brownies sind gleich fertig,<br />
willst du Brownies Du musst die Brownies probieren,<br />
Magdas Brownies sind unschlagbar. Ich lass dich nicht<br />
gehen, ohne dass du wenigstens von meinen Brownies<br />
probiert hast. Oder iss Obst-Crumble. Dazu gibt es Eis.<br />
Schokoladenvanillehimbeereis. Eis ist das beste Mittel für<br />
© Ania Jaworska-Kruk