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NEW CERAMICS - Neue Keramik

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Liebe Leserinnen und Leser<br />

der NEUEN KERAMIK<br />

6/2008<br />

„The China-Hype is over“, sagte mir Philippe Barde während der AIC-Tagung in Xi`an, China. Philippe Barde ist Professor für<br />

<strong>Keramik</strong> an der Universität für Kunst und Design in Genf und im Vorstand der AIC. (Der Bericht zur AIC-Tagung folgt im nächsten Heft.<br />

In dieser Ausgabe beschränken wir uns auf den Bericht über das Deutsche Museum in Fuping, das im Sommer eingeweiht wurde.)<br />

Philippe Barde meinte damit jedoch nicht, dass China und die Kooperation mit chinesischen Kollegen und Institutionen vorbei sei<br />

und China für den keramisch Interessierten wieder in einem Dunkel verschwinden würde, wie es vor seiner Öffnung und den Reformen<br />

von Deng Xiaoping in den 1980er Jahren dort herrschte.<br />

Nein, im Gegenteil, er brachte damit zum Ausdruck, dass China und die Kontakte dorthin im vergangenen Jahrzehnt das am<br />

meisten beachtete Thema waren - und dass diese Situation nun vorbei ist – China und die Kontakte dort hin beginnen für uns zur<br />

Normalität zu werden. Sicherlich nicht über Nacht, aber Schritt für Schritt. Der Scheitelpunkt des Interesses, oder besser der Euphorie<br />

des <strong>Neue</strong>n, ist überschritten – the Hype is over!<br />

Die wichtigsten keramischen Zentren, die international Beachtung für Artist-in-Residenz Programme finden, Fuping in der Nähe<br />

von Xi`an und Sanbao, am Stadtrand der Porzellanstadt Jingdezhen, sind etabliert. In Fuping wird noch gebaut und es stehen noch<br />

mehrere Museen und Atelierbauten fertig entworfen auf dem Reißbrett oder sind in Bau. Sie werden demnächst noch fertiggestellt<br />

und auch die andere Planung für ein Kulturzentrum sondergleichen wird hier sicherlich realisiert. Viele Westler und auch Kollegen aus<br />

den ostasiatischen Ländern werden hier noch einfliegen, hier arbeiten und die Museen mit ihren Arbeiten bestücken. Das alles wird<br />

sich realisieren, wie so manches in China, das man als Mensch aus den westlichen Gefilden nur staunend betrachten kann.<br />

Aber wir alle wissen, dass hinter diesem immensen „Hype“ (synonym für Medienrummel, etwas künstlich stimulieren) vor Ort viel<br />

Improvisation steckte, und dass jetzt eine Phase der Konsolidierung beginnen müsste und sicherlich beginnen wird. Wir erinnern uns<br />

an die ersten japanischen PKWs auf europäischen Straßen und an das Lächeln, das sie bei uns noch in den 1960er Jahren auslösten.<br />

Heute stehen die Wagen dieser Hersteller bei der Pannenstatistik des ADAC auf den ersten Plätzen der problemlos arbeitenden<br />

Fahrzeuge, zum Teil mit umweltverträglichen Antrieben, die unsere westliche Ingenieurswelt, wenigstens momentan noch, verschlafen hat.<br />

Ähnlich wird die Zukunft China ausschauen. Aus der gegenwärtigen Massenproduktion an Waren, die in vielen Bereichen keine<br />

hohe Qualität zeigen - China ist heute noch die billigste Werkbank der Welt - wird zunehmend eine Qualitätsproduktion werden. Das<br />

„aus der Erde schießen von Wolkenkratzern wie auch von Museen“ wird sich in ein geruhsameres und qualitätsvolleres Produzieren<br />

und Agieren verwandeln. Die sozialen Gegensätze, die heute auf virulente Weise und in krasser Form im Land noch vorhanden sind,<br />

werden sich egalisieren, und dann wird sich erst aufs <strong>Neue</strong> die imperiale Größe dieses bevölkerungsreichsten Staates der Welt in<br />

seiner ganzen Tragweite zeigen. Der wahre Umfang dieser Entwicklung ist heute noch nicht abzusehen.<br />

Und spätestens dann werden wir auch feststellen, wie wichtig die Kontakte zu unseren chinesischen Kollegen und Kolleginnen,<br />

wie wichtig das Hineintragen von westlichen Vorstellungen und Einsichten war und ständig ist, damit sich eine globalisierte Welt<br />

nicht nur an partikulären lokalen Interessen stößt, sondern dass sich ein gegenseitiges Verständnis entwickelt, das in einen fruchtbaren<br />

Austausch einmündet, in eine Adaption der gegenseitig als lebbar erkannten Eigenarten, und das letztlich zu einer liberalen<br />

und freiheitlichen Weltsicht führt.<br />

Die Zeichen hierfür stehen nicht schlecht, will mir scheinen. Ich schreibe diese Zeilen in Peking, nach Rückkehr von der oben<br />

genannten AIC-Konferenz, und wenn man hier durch die Straßen geht, ist man überrascht von der Menge an Menschen und mehr<br />

noch überrascht vom Durchschnittsalter dieser Menschen. Die weitaus meisten erscheinen mir jünger als 30, irgendwo zwischen<br />

20 und 30 Jahre, alt zu sein. Diese Jugend stellt sicherlich eine der Kraftquellen für das dynamische Geschehen in China dar.<br />

Aber all diese Menschen sind in westlicher Kleidung unterwegs – oder kann man das noch als westliche Kleidung definieren? Sie<br />

wird zumeist hier hergestellt und von westlichen und östlichen Designern entworfen, aber auf jeden Fall ist sie nicht an der traditionellen<br />

chinesischen Kleidung orientiert, die man noch in der Oper oder im Museum bewundern kann. Und die uniformierte Kleidung<br />

der Mao-Zeit ist völlig aus dem Straßenbild verschwunden. Blendet man die asiatische Physiognomie der Menschen auf der Straße<br />

aus, kann man feststellen, dass man auch am Times Square in New York unterwegs sein könnte. Junge Leute halten sich auch hier<br />

an der Hand, im Arm oder erlauben es sich sogar, sich in aller Öffentlichkeit zu küssen.<br />

Und wir sollten glücklich darüber sein. Denn was wäre, wenn sich auch hier in Asien ein geschichtlich gestützter, religiöser<br />

Fundamentalismus entwickelt hätte und auch hier verschleierte Frauen und traditionell gekleidete Männer - nur eben auf chinesische<br />

Art gekleidet - auftreten und uns, in unserer liberalen Lebensweise, zumindest als verachtenswert ansehen würden?<br />

Bei aller Konkurrenz, die uns durch China wirtschaftlich erwachsen ist, wir sollten froh um den weltweiten Zuwachs an global zu<br />

akzeptierender Lebensart sein, die von Seiten der chinesischen Bevölkerung, besonders der Jugend und sicherlich auch von den<br />

chinesischen Kultur- und Kunstschaffenden zum globalen Gesamten beigetragen wird.<br />

Vielleicht ist es auch an der Zeit, dass wir wieder ein wenig mehr „chinesische Werte“ in unseren Kulturraum einziehen lassen – sie<br />

haben im kulturellen Bereich zumeist hohen ästhetischen Wert, und man kann sich ja nehmen<br />

was passt und gefällt, der chinesische Kulturraum macht nichts anderes. Sinn macht ein<br />

solcher, sich ständig erneuernder Kulturaustausch allemal.<br />

In diesem Sinne und zum Abschluss des Jahres 2008 noch die besten Wünsche für<br />

die zwar erst in zwei Monaten bevorstehenden Feiertage.<br />

Alles Gute und bis zum Januar 2009.<br />

Ihr<br />

Bernd Pfannkuche<br />

(rechts mit Fred Olsen bei der Eröffnung der AIC-Konference in Xi`an, China)<br />

NOVEMBER / DEZEMBER 2008 NEUE KERAMIK 3<br />

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