SEEMANNSGARN +++75 o 3'S,47 o 15'W+++währendder1950erJahre+++ Die geschossenen Wale pumpte man mit Luft auf – abends sammelte sie das Mutterschiff ein. Hermann Gerdau (vorne im Bild) wurde einmal von einer zuckenden Schwanzflosse am Kopf getroffen und kam ins Bordhospital der Olympic Challenger. 58 SCHÖNER REISEN 01/2013
Auf der Olympic Challenger, einem umgebauten, 180 Meter langen Tanker, arbeiteten mehr als 400 Männer rund um die Uhr und in 12-Stunden-Schichten. Wir liefen das Mutterschiff an, wenn uns der Treibstoff ausging, die Munition oder die Neuigkeiten. Der Funker der Olympic Challenger hörte jeden Tag Radio Norddeich oder die Deutsche Welle und schrieb die wichtigsten Ereignisse auf eine Seite Papier, die er an die Jagdboote weitergab. Natürlich vermissten wir unsere Familien, aber immerhin wussten wir, dass es ihnen gut ging, weil die Reederei finanziell für sie sorgte, wenn wir auf See waren. Wie man mit dem Schmerz der Trennung umging Das war nun mal so, sage ich noch heute. An Bord der Olympic Challenger gab es auch ein Hospital – was mir das Leben rettete, als mich die zuckende Schwanzfl osse eines Blauwals am Kopf traf. Ich ging glücklicherweise nicht außenbords, sondern sank bewusstlos an Deck. Drei Wochen dauerte die Behandlung im Hospital. Verletzungen kamen häufi g vor; oft Schnittwunden durch die Flensmesser. Alkohol war an Bord nur in geringen Dosen erlaubt; gegen Mittag ging der Kapitän mit einer Buddel Rum durch die Reihen und schenkte aus, aber nur einen Schuss, zum Aufwärmen. Dann ging die Arbeit an Deck wieder von vorne los. Die Temperaturen waren recht erträglich, zehn Grad minus, kälter wurde es nicht im antarktischen Sommer; wir trugen dicke Unterwäsche, Rollkragenpullover und bewegten uns viel. Zog schlechtes Wetter auf, kamen die Seen acht Meter hoch, und peitschte der Wind, legte der Kapitän das Boot in den Windschatten eines Eisbergs. Wir warteten ab, ruhten uns aus und ich kam dazu, ein Buch zu lesen. Monat für Monat arbeiteten wir uns weiter, rund um die Antarktis, aus dem Weddell-Meer vorbei am Königin-Maud-Land, weiter ins Rossmeer bis in die Amundsensee. Wenn im April die Temperatur stark abfi el und die Heftigkeit der Stürme zunahm, traten wir die Heimreise an. Wir müssen ausgesehen haben wie Piraten, mit unseren Bärten und der verschmutzten An Bord verirrte sich in antarktischen Gewässern auch mal ein Pinguin. Arbeitskleidung, als wir in Hamburg oder Cuxhaven festmachten. Ich hebe einen Artikel aus dem »Hamburger Abendblatt« auf, mit einem Foto, das zeigt, wie mich meine Frau und Kinder an der Gangway abholten. Ungefähr 15.000 D-Mark verdiente ich mit jeder Reise, damals ein kleines Vermögen. Wir kauften davon einen Volkswagen, einen neuen Käfer, mit dem wir ins Sauerland fuhren, sogar nach Italien, unter die Sonne der Adria. Ich meldete mich zur Seefahrtschule in Altona an, um das Kapitänspatent zu machen. 1956, nach fünf Reisen, hatte ich genug vom Walfang und musterte ab. Die Entscheidung war mein Glück, denn Onassis verkaufte seine Flotte im gleichen Jahr nach Japan. Die Geschichte des deutschen Walfangs war beendet, doch in meinem Leben begann ein neues Kapitel. Mindestens sieben Monate verbrachte die Mannschaft auf dem nur 50 Meter langen Schiff während ihrer Reise um die Welt – ohne einen Hafen anzulaufen. Buchtipp Die Geschichte von Waljäger Hermann Gerdau stammt aus dem Buch Wellenbrecher. Autor Stefan Krücken erzählt auf 248 Seiten weitere Berichte von Kapitänen und ihrem Leben auf See. Mit farbigen Porträts, Illustrationen, historischen Fotografi en, Karte und Glossar. Hardcover, 29,90 Euro. Ankerherz-Verlag, www.ankerherz.de Autor: Stefan Krücken Kurzportrait Kapitän Hermann Gerdau, 1913 in einem Dorf der Lüneburger Heide geboren, fuhr nach seiner Zeit als Walfänger bis zu seiner Pensionierung 1978 ausschließlich für die Reederei Christian F. Ahrenkiel. In der Hamburger Traditionsreederei gilt er als eine Legende. 2001 verstarb seine Frau Alwine, mit der er drei Jahre zuvor Diamanthochzeit gefeiert hatte. Gerdau lebt in Schleswig-Holstein. 01/2013 SCHÖNER REISEN 59