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Der neue Cruiser - mit Wendecover. Ausgabe März 2015. Alles rund ums schweizer Gaylife

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Kolumne | Michi Rüegg<br />

Ich lieb mich,<br />

ich lieb mich nicht<br />

Text: Michi Rüegg<br />

Vor ein paar Monaten ging meine dritte<br />

langjährige Beziehung zu Ende. Es war<br />

nicht nur ein erfreuliches Ende. Dieser<br />

Umstand mag der Leserschaft dieser<br />

Kolumne angesichts meiner stets überschwänglich<br />

lebensbejahenden, von<br />

Optimismus nur so sprühenden Texte<br />

entgangen sein. Es ist ja nicht so, dass<br />

man an jeder Stelle seine persönlichen<br />

Schicksalsschläge wie Kuchenteig auswallen<br />

muss; dafür hat man ja Facebook.<br />

Nach jedem Beziehungs-Aus wird es<br />

schwieriger, die Schuld für das Scheitern<br />

einzig und allein dem anderen in<br />

die Schuhe zu schieben. Man fragt sich<br />

– ob zu Recht oder zu Unrecht – ob man<br />

«Es ist ja nicht so, dass<br />

man an jeder Stelle seine<br />

persönlichen Schicksalsschläge<br />

wie Kuchenteig<br />

auswallen muss.»<br />

nicht selber auch das eine oder andere<br />

hätte anders handhaben können.<br />

Bin ich vielleicht gar nicht fähig, eine<br />

auf gegenseitigem Respekt und derlei<br />

Plattitüden basierende Beziehung mit<br />

einem anderen Menschen zu führen?<br />

Diese Frage treibt mich tatsächlich um.<br />

Allerdings habe ich entschieden, im<br />

Moment keinen Mann auch nur in die<br />

Nähe meiner Gefühle zu lassen. Stattdessen<br />

will ich nun eine Beziehung mit<br />

demjenigen Menschen aufbauen, den<br />

«Ich will wissen, was<br />

mich beschäftigt. Ich will<br />

für mich da sein,<br />

wenn es mir mal nicht so<br />

berauschend geht.»<br />

ich oft vernachlässigt habe, der mir<br />

aber eigentlich so nah wie niemand auf<br />

der Welt ist: mit mir selber.<br />

So werde ich in einigen Wochen ein<br />

romantisches Wochenende mit mir in<br />

Paris verbringen. Ich werde mit mir die<br />

Champs-Elysées entlang spazieren, mit<br />

einem Gläschen Champagner auf uns<br />

anstossen, vielleicht sogar mit einem<br />

sündhaft teuren Geschenk meine Zuneigung<br />

zu erkaufen versuchen.<br />

Bis jetzt läuft die Beziehung an sich<br />

recht gut. Ich habe selten schwierige<br />

Gespräche mit mir. Ich schaffe es,<br />

meine Wünsche in unser Miteinander<br />

einzubringen. Ich habe Verständnis für<br />

mich, wenn ich mal nicht so wunderbar<br />

drauf bin und suche den Fehler für derlei<br />

Stimmungstiefs nicht automatisch<br />

bei mir selber. Wenn ich mal keine Zeit<br />

für mich habe, mache ich es bei der<br />

nächstbesten Gelegenheit wieder gut.<br />

Nein, ich möchte nicht den Fehler<br />

machen und schon zu Beginn dieser<br />

Partnerschaft an eine gemeinsame Zukunft<br />

denken. Natürlich kann ich mir<br />

vorstellen, dass diese Verbindung ewig<br />

hält. Hätte ich dieses Gefühl überhaupt<br />

nicht, müsste ich die Sache hier und<br />

jetzt beenden. Andererseits möchte ich<br />

das zarte Pflänzchen nicht mit meiner<br />

Liebe für mich ertränken. Wir, ich und<br />

ich, haben beschlossen, die Sache langsam<br />

anzugehen. Das scheint uns vernünftig.<br />

Was den Alltag betrifft, habe ich mir<br />

vorgenommen, ein guter Zuhörer zu<br />

sein. Ich will wissen, was mich beschäftigt.<br />

Ich will für mich da sein, wenn es<br />

mir mal nicht so berauschend geht. Ich<br />

will mir auch viel Spielraum für meine<br />

Entfaltung geben. Nur, wenn ich auch<br />

ein Leben für mich habe, kann das gemeinsame<br />

Leben mit mir wirklich gedeihen.<br />

Und ich habe mir fest vorgenommen,<br />

dass ich jegliche Eifersucht<br />

im Keim ersticken will, sollte ich mal<br />

einem anderen schöne Augen machen<br />

als mir. Eine starke Bindung erträgt<br />

auch den heftigsten Sturm. Das weiss<br />

ich, und ich glaube, ich weiss es auch.<br />

Nun gut, wie in jeder Beziehung ist<br />

nicht alles Gold, was glänzt. Manchmal<br />

nerv ich mich über mich. Zum Beispiel,<br />

wenn ich mir am Wochenende Dinge<br />

vornehme, die ich gemeinsam tun<br />

möchte. Stattdessen liege ich im Bett<br />

oder – noch schlimmer – auf der Couch<br />

vor dem Fernseher. Statt eines gepflegten<br />

Dinners zu zweit stopfe ich mir irgendeinen<br />

Scheiss in den Rachen. Oder<br />

aber ich will unbedingt gemeinsam ins<br />

Fitnesscenter, aber ich hab keine Lust<br />

und möchte zu Hause bleiben. Zudem<br />

bin ich Nichtraucher, ich aber paffe gelegentlich<br />

eine. Auch nicht immer einfach.<br />

Und ob ich mir intellektuell gewachsen<br />

bin, da habe ich auch so meine<br />

Zweifel.<br />

Auch sexuell läuft nicht alles so, wie<br />

man es sich in seinen Träumen vorstellt.<br />

Da habe ich Lust auf leidenschaftliches<br />

Miteinander, aber ich drehe<br />

mich gelangweilt weg. Ich habe mir<br />

schon vorgeschlagen, dass ich und ich<br />

einen Dreier mit einem anderen Typen<br />

machen. Doch meist werden wir uns<br />

nicht einig, weil ich und ich nicht denselben<br />

Männergeschmack haben. Was<br />

eigentlich seltsam ist, denn ich bin immer<br />

davon ausgegangen, dass ich mich<br />

ja auch mag, und umgekehrt.<br />

Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich ja<br />

so meine Zweifel, ob das mit mir etwas<br />

wird. Ich werde aber nicht gleich den<br />

Bettel hinschmeissen. Nein, ich will mir<br />

und mir eine echte Chance geben. Wer<br />

weiss, es könnte meine letzte sein. Um<br />

mich mache ich mir hingegen keine<br />

Sorgen. Ich finde – im Gegensatz zu mir<br />

– an der nächsten Strassenecke wieder<br />

einen Typen.<br />

20 Cruiser März | 2015

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