download - ZEITUNG AM SAMSTAG
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16<br />
l e B e n<br />
M e D i Z i n<br />
Best of<br />
ZaS<br />
August<br />
2010<br />
Gesund durch Stress. Wer reizvoll<br />
lebt, bleibt länger jung“,<br />
lautet der provokante Titel des<br />
Buches von Hans-Jürgen Richter und<br />
Peter Heilmeyer (Systemed Verlag).<br />
Der Mediziner Dr. Peter Heilmeyer ist<br />
Leitender Arzt der Reha-Klinik Überruh.<br />
Barbara Breitsprecher sprach mit<br />
ihm über Stress als Freund sowie Gesundheitspropbleme<br />
durch Schonung.<br />
Zeitung am Samstag: Für viele<br />
Menschen beginnen jetzt die Ferien,<br />
und sie freuen sich darauf, stressfrei<br />
zu entspannen. Und nun kommen Sie<br />
und propagieren den gesunden<br />
Stress!<br />
Peter Heilmeyer: Sie können nur<br />
erfolgreich entspannen, wenn Sie vorher<br />
Stress hatten. In der Ferienzeit<br />
können die Schäden, die der Stress angerichtet<br />
hat, wieder repariert werden.<br />
ZaS: Jetzt sagen Sie ja selbst, dass<br />
Stress Schäden anrichtet?<br />
Heilmeyer: Ja, aber er ist trotzdem<br />
nützlich. Unser Körper erneuert sich in<br />
unglaublichem Tempo. Die Art und<br />
Weise wie neue Zellen gebildet werden<br />
oder wie der Stoffaustausch<br />
funktioniert, hängt davon ab, wie<br />
groß die Belastung ist. Wenn man sich<br />
nicht belastet überaltern Zellen. Wir<br />
brauchen also die Belastung, um die<br />
Erneuerung anzuschieben.<br />
ZaS: Also ein Höchstmaß an Stress im<br />
Alltag und dann ein gründliches Ausspannen?<br />
Heilmeyer: Genau. Das richtige<br />
Wechselspiel zwischen Belastung, die<br />
auch Körperschädigung bedeutet, und<br />
Regeneration ist wichtig.<br />
Zas: Was passiert, wenn unser Körper<br />
dieses Wechselspiel nicht erfährt?<br />
Heilmeyer: Dann wird unser Körper<br />
schwach, und viele Teile werden nicht<br />
erneuert. Das kann man sehr gut an<br />
dem Experiment der Schwerelosigkeit<br />
sehen. Wenn Menschen von jeglicher<br />
körperlicher Arbeit befreit sind,<br />
kommt es zu sehr schnellem Abbau<br />
der Muskulatur, der Knochen und<br />
auch der inneren Organe. Die ersten<br />
Kosmonauten kamen nach 14 Tagen<br />
ohne Training und Körperbelastung in<br />
der Umlaufbahn total geschwächt auf<br />
die Erde zurück. Etwa 20 Prozent der<br />
Muskulatur waren bei ihnen verloren<br />
gegangen.<br />
ZaS: Nun heißt es aber, dass es Stress<br />
Foto: Systemed<br />
„Es gibt keinen<br />
schlechten Stress“<br />
Der Mediziner Peter Heilmeyer über heilsamen Stress,<br />
schädliches Schonen und das richtige Wechselspiel dazwischen.<br />
gibt, der auch Krankheiten verursachen<br />
kann, wie beispielsweise das<br />
Burnout-Syndrom.<br />
Heilmeyer: Es gibt keinen schlechten<br />
Stress per se. Jede Form von Stress<br />
kann nützlich sein, wenn eine entsprechende<br />
Regenerationsphase angeschlossen<br />
wird.<br />
ZaS: Viele Wissenschaftler teilen<br />
Stress aber inzwischen in den positiven<br />
Eustress und negativen Disstress<br />
auf.<br />
Heilmeyer: Es gibt nur ausreichend<br />
oder zu wenig Regeneration.<br />
ZaS: Wieviel Regeneration bedarf es<br />
denn bei wieviel Stress?<br />
Heilmeyer: Einzelne Systeme im<br />
Körper regenerieren sehr schnell, andere<br />
sehr langsam. Entsprechend<br />
hängt es von der Form und der Dauer<br />
des Stresses ab. Wenn man eine<br />
Stunde spazieren geht, was man<br />
sinnvollerweise jeden Tag machen<br />
kann, kommt die Regeneration über<br />
Nacht. Wenn man intensives Krafttraining<br />
an Geräten betreibt, braucht<br />
man mindestens zwei bis drei Tage<br />
Pause zwischen den Belastungen, damit<br />
der Körper sich wieder aufbauen<br />
kann.<br />
ZaS: Und wie sieht es mit psychischem,<br />
mit emotionalem Stress oder<br />
Arbeitsstress aus? Wären wir nicht<br />
besser ohne den dran?<br />
Heilmeyer: Nein, auch den brauchen<br />
wir. Angstneurosen gab es im KZ<br />
nicht. In einer Zeit, in der man abgesichert<br />
lebt, treten vermehrt Angstzustände<br />
auf. Psychosomatische Kliniken<br />
arbeiten zum Teil mit Hochseilgärten,<br />
um künstliche Angsterlebnisse<br />
zu erzeugen. Damit die Menschen die<br />
Bewältigung der Angst trainieren<br />
können.<br />
ZaS: Reicht denn ein großer Jahresurlaub,<br />
wenn der Alltag und der Beruf<br />
viel Stress bringen?<br />
Heilmeyer: Häufigere Unterbrechungen<br />
gerade bei anstrengenden<br />
Tätigkeiten sind wichtig. Wie diese<br />
Unterbrechungen dann aussehen, ist<br />
individuell verschieden.<br />
ZaS: Neue Untersuchungen an Mäusen<br />
zeigen, dass die Tiere in einem abwechslungsreichen<br />
Käfig, mit Aufgaben,<br />
die zu bewältigen sind, resistenter<br />
gegen Krebs waren als Mäuse in<br />
einem langweiligen Käfig ohne Aufgaben.<br />
Heilmeyer: Das ist genau so auf den<br />
Menschen übertragbar. Es gibt auch<br />
Untersuchungen zu körperlichem<br />
Training während einer Chemotherapie,<br />
die zeigen, dass es den Patienten<br />
dann besser geht und sie bessere Überlebenschancen<br />
haben.<br />
ZaS: Gilt das auch fürs Alter? Viele ältere<br />
Menschen sind mit Rollatoren<br />
oder Gehhilfen unterwegs.<br />
Heilmeyer: Wenn man diese Hilfsmittel<br />
einsetzt, obwohl es eigentlich<br />
noch anders ginge, führt das zum Verlust<br />
von Fähigkeiten. Das ganze Leben<br />
besteht ja im Ausprobieren was geht.<br />
Sobald man sich freiwillig in einem<br />
Bereich einschränkt, gehen die entsprechenden<br />
Fähigkeiten verloren,<br />
körperlich wie geistig. Wenn ich Fähigkeiten<br />
erhalten will, muss ich sie<br />
trainieren, und üben bedeutet Stress<br />
und Belastung.<br />
ZaS: Nun gibt es ja aber einen euphorisierenden<br />
und einen eher zermürbenden<br />
Stress.<br />
Heilmeyer: Zermürbender Stress ist<br />
Dauerstress, dem man nicht entkommen<br />
kann. Das kann krank machen<br />
weil die Regeneration fehlt. Euphorisierend<br />
ist ein kurzer, intensiver<br />
Stress, mit einer anschließenden Belohnung<br />
und Regenerationsphase.<br />
ZaS: Könnte man Ihrer Ansicht nach<br />
diese Erkenntnisse noch mehr in die<br />
moderne Medizin einbinden?<br />
Heilmeyer: Unbedingt. Bei akuten<br />
Krankheiten, beispielsweise einer<br />
Lungenentzündung, ist Schonung<br />
richtig. Aber bei chronischen Krankheiten<br />
bedeutet Schonung den Verlust<br />
von Fähigkeiten und damit Verschlechterung<br />
des Zustandes.<br />
ZaS: Glauben Sie, man kann Krankheiten<br />
durch diese Erkenntnise verhindern<br />
oder gar heilen?<br />
Heilmeyer: Sicher. Unsere Fähigkeiten,<br />
mit Schädigungen fertig zu werden,<br />
müssen wir ständig trainieren.<br />
Unser System hat sich im Laufe der<br />
Evolution unter ständigen Belastungen<br />
von außen entwickelt. Gleichzeitig<br />
ist unser System aber auch sehr<br />
ökonomisch. Es stellt nur bereit, was<br />
gebraucht wird.<br />
ZaS: Können Sie einem Büromenschen<br />
Tipps für die richtige Dosis<br />
Stress geben?<br />
Heilmeyer: Mindestens zehn Minuten<br />
am Tag Gymnastik, mindestens eine<br />
halbe Stunde täglich zu Fuß unterwegs<br />
sein und das Wochenende nutzen<br />
für Freizeitaktivitäten. Man sollte<br />
sich Hitze und Kälte aussetzen, auch<br />
diese Fähigkeiten wollen geübt sein.<br />
Sogar Radioaktivität in sehr kleinen<br />
Dosen kann nützlich sein. Die Reperaturmechanismen<br />
für die DNA werden<br />
dadurch angeregt. Auch hier gilt also,<br />
die Nulllösung ist nicht die beste.<br />
Tumorzentrum Ludwig Heilmeyer –<br />
Comprehensive Cancer Center<br />
des Universitätsklinikums Freiburg<br />
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Universitätsklinikum Freiburg · Albert-Ludwigs-Universität<br />
Hugstetter Str. 55 · 79106 Freiburg<br />
Tel. ++49/761/270-7151 · Fax ++49/761/270-3398<br />
www.tumorzentrum-freiburg.de